Die Deutsche Literatur und die Juden

Autor: Geiger, Ludwig (1848-1919) deutsch-jüdischer Literatur- und Kulturhistoriker, Erscheinungsjahr: 1910
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutsche Literatur, Juden, Literaturgeschichte, Herder, Geiger, Reuchlin, Moses Mendelssohn, Schiller, Goethe, Veit, Gießer, Auerbach, Franzos, deutsches Geistesleben,
Vorrede.

Dieses Buch hat eine lange Geschichte. Das Interesse für die Literaturgeschichte der Juden, mir durch meinen Vater eingeflößt, erfüllte mich von früher Kindheit an. Wie meine lateinische Abiturientenarbeit einen diesem Gebiete entnommenen Stoff behandelte: „Urteile griechischer und römischer Schriftsteller über Juden und Judentum“ (im Druck erschienen als Berliner Habilitationsschrift im Jahre 1873), so wurden meine Renaissancestudien durch diese Teilnahme veranlasst, gingen aus von einer Bearbeitung der Geschichte des Studiums der hebräischen Sprache in Deutschland und wandten sich dem Begründer dieser Studien, Johann Reuchlin, zu. Dann traten diese Arbeiten viele Jahre zurück und machten denen über die Renaissance und Goethe, später einer weit ausgebreiteten Editionstätigkeit Platz.

Vor länger als zwei Jahrzehnten wurde ich zur Wiederaufnahme dieser Arbeiten veranlasst durch den mir erteilten Auftrag, eine Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland zu edieren. Als diese Zeitschrift nach fünf Jahrgängen (1886 bis 1891) ein unfreiwilliges Ende genommen hatte, ergingen vielfache Aufforderungen der zahlreichen, in Deutschland bestehenden Vereine für jüdische Geschichte und Literatur an mich, Vorträge zu halten. Da ich, wenn auch von Hause aus Historiker, doch der politischen äußeren Geschichte mich immer mehr entfremdet hatte, in der hebräisch geschriebenen Literatur der Juden aber keine ausreichende Kenntnis besaß, so musste ich als das eigentliche Gebiet meiner Themata den Zusammenhang zwischen Juden und deutscher Literatur wählen.

Je mehr ich mich nun in diesen Gegenstand vertiefte, um so klarer wurde mir, wie viel noch im einzelnen zu tun war, wie erwünscht, ja wie notwendig eine Gesamtbearbeitung dieses Gegenstandes wäre. Um mir selbst einen Überblick zu verschaffen, kündigte ich an der Berliner Universität eine öffentliche Vorlesung über das Thema „Die Juden und die deutsche Literatur“ an und hielt sie unter großer und ständiger Teilnahme im Winter 1904/05. Die Einleitungsvorlesung und das Inhaltsverzeichnis für den ganzen Zyklus veröffentlichte ich 1906 in der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums. Ich sandte diese Abhandlung, die ich „Prolegomena zu einem größeren Werk“ betitelte, einer großen Zahl von Fachgenossen zu, um ihre Meinung über meinen Plan zu erbitten, erhielt von vielen höchst anerkennende Antworten, von einigen Entgegnungen und Bedenken. Die letzteren waren nicht vermögend, mich von meinem Plane abzubringen, die ersteren wären ein starker Ansporn zur Vollendung des Werkes gewesen, wenn dieses nicht zahllose Einzelstudien nötig machte, zu denen ich weder in der seither verflossenen Zeit gelangen konnte, noch voraussichtlich in den nächsten Jahren gelangen kann.

Um aber die Art meiner Auffassung und Darstellung auch weiteren Kreisen zugänglich zu machen, entschließe ich mich, das folgende Werk zu veröffentlichen.

Von den darin enthaltenen Abhandlungen waren bisher gedruckt: Nr. 1, Nr. 6 (mit mannigfaltigen Ausladungen, die ich beim jetzigen Druck ergänze), Nr. 7 (mit zahlreichen Anmerkungen, die ich bei dem Neudruck der Konformität halber entfernt habe), Nr. 8 und Nr. 12.

Die sechs anderen Abschnitte sind in dieser Form völlig ungedruckt. Freilich musste ich bei Nr. 2 mein Buch „Johann Reuchlin, seilt Leben und seine Werke“, Leipzig 1871, zugrunde legen und mich an manchen Stellen all meinen biographischen Artikel (Allgemeine deutsche Biographie Bd. XXVIII, S. 285 ff.) anlehnen, die im Anschluss an jene Monographie und auf Grund späterer eigener und fremder Forschungen geschrieben ist. Aber die Anordnung und Ausarbeitung ist wesentlich neu. Auch der Vortrag Nr. 5 erscheint in dieser Form zum erstenmal. Die Studie, die ich unter diesem Titel in der Zeitschrift für Geschichte der Juden in Deutschland, Bd. 1 (vgl. in den folgenden Bänden jener Zeitschrift vielfache Nachträge dazu) veröffentlicht habe und der ich dann einen Platz in meinem Buche „Vorträge und Versuche“, Dresden 1889, gewährte, ist durchaus etwas anderes als dieser Vortrag.

Die sechs größeren Abschnitte, die hier zum erstenmal erscheinen, sind zum Zwecke dieses Buches geschrieben. Sie sind mehrfach Gedenkreden, z. B. die über Herder Nr. 4 bei Gelegenheit des 100. Todestages Herders, die über Rießer bei dem 100. Geburtstage des bedeutenden Kämpfers. Bei beiden Vorträgen habe ich das Eigentümliche der Gedenkrede absichtlich nicht verwischt und auch bei den übrigen Vorträgen die Eigenart der gesprochenen Rede möglichst zu erhalten gesucht. Durch dieses Verfahren ist eine große Verschiedenheit zwischen den früher gedruckten Abhandlungen und den Vorträgen hervorgerufen doch glaubte ich gerade, daß dieser Unterschied zur Belebung des Ganzen beitragen würde, und war daher nicht ängstlich bemüht, eine Gleichheit zwischen den verschiedenen Teilen herzustellen.

Da die einzelnen Abschnitte verwandte Gegenstände behandeln, musste es vorkommen, daß sie sich inhaltlich berühren. So mussten, um nur einige Beispiele herauszuheben, bei Mendelssohn sein Verkehr mit Goethe, seine Beurteilung durch Schiller, seine Beziehungen zu Herder erwähnt werden, obgleich alle drei Punkte bereits in den betretenden Abschnitten behandelt waren; wirklich wurden sie in dem Mendelssohn-Aufsatze auch nur kurz erwähnt, die wirkliche Behandlung des Gegenstandes aber den anderen Abschnitten zugewiesen. Zu einem ähnlichen Verfahren war ich auch in einem anderen Falle genötigt. In dem Abschnitt „Goethe“ musste von seiner Behandlung des Estherstoffes die Rede sein. Hier wurde jedoch dieser Arbeit nur kurz gedacht, um diesen dichterischen Versuch in der Abhandlung über den Estherstoff breiter zu würdigen.

Das Werk behandelt ein völkergeschichtliches Problem. Ich bin mir bewusst, dabei wissenschaftlich, d. h. unparteiisch, vorgegangen zu sein und glaube das Werk allen denen empfehlen zu dürfen, die, auf welchem Standpunkt sie auch stehen, derartige Probleme zu betrachten geneigt sind.

Berlin, Dezember 1909.

Ludwig Geiger

Goethe. Zeichnung von Johann Heinrich Lips, 1791.

Goethe. Zeichnung von Johann Heinrich Lips, 1791.

Carl Ludwig Börne

Carl Ludwig Börne

Schiller in Karlsbad, 1791. Zeichnung des befreundeten Malers J. Chr. Reinhard

Schiller in Karlsbad, 1791. Zeichnung des befreundeten Malers J. Chr. Reinhard

Johann Gottfried Herder (1744-1803), deutscher Dichter, Übersetzer und Theologe

Johann Gottfried Herder (1744-1803), deutscher Dichter, Übersetzer und Theologe

Blick auf Dresden mit seinen Elbbrücken

Blick auf Dresden mit seinen Elbbrücken

Goethe und Schiller in Weimar

Goethe und Schiller in Weimar