Lübeck

Der Handelsverkehr zwischen Deutschen und Russen nahm seinen Anfang in der Regierungszeit Kaiser Heinrichs II. Dieser hatte sich 1017 mit dem Großfürsten Jaroslaw gegen den Herzog Boleslaw von Polen verbündet, war aber von seinem Bundesgenossen im Stich gelassen worden, so dass er sich genötigt sah, am 30. Januar 1018 zu Bautzen mit dem Polen seinen Frieden zu machen. Als Boleslaw unmittelbar darauf den Heerzug gegen Kiew unternahm, folgten ihm dreihundert deutsche Ritter, die mit dem Herzog am 14. August 1018 in die russische Hauptstadt ihren Einzug hielten.

Mit diesem Kriegszug ward dem deutschen Kaufmann und Handwerker der Weg zu neuem Erwerb gezeigt. Kiew, das Oleg, Ruriks Nachfolger, zur ,,Mutter aller russischen Städte“ erhoben hatten sollte nach dem Willen seiner Fürsten „ein zweites Konstantinopel“ werden. Es zählte damals vierhundert Kirchen und acht Märkte; es war der Stapelplatz byzantinischer und morgenländischer Waren. Die rheinischen und oberländischen Kaufleute haben dort frühzeitig ihre Verbindungen angeknüpft, um gegen deutsche Leinwand, Wollenstoffe und Metallarbeiten griechische Seiden- und Purpurgewänder, Goldstoffe und Schwertgehänge, feine Öle und Gewürze einzutauschen. Schon 1068 stellten Wechsler in Kiew Zahlungsanweisungen an Regensburger Kaufleute aus. *) Doch hielt sich der kaufmännische Verkehr nach dem Osten bei der Unsicherheit der Handelsstraßen in engen Grenzen. Erst die Verbindung, welche in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts über Lübeck mit dem mächtigen Nowgorod, dem Holmgard oder Gardarike der nordischen Sagen angeknüpft wurden eröffnete dem kaufmännischen Unternehmungsgeist ein unermessliches Feld zur Betätigung und eine unerschöpfliche Quelle zur Erlangung von Reichtümern, Würden und Ehren. So lange die heidnischen Slawen die südlichen und östlichen Küsten der Ostsee im Besitz hatten, konnten die Deutschen nicht wagend nach dem Osten einen überseeischen Handel zu treiben. Dieser ward ihnen erschlossen durch die ruhmvollen Taten des Grafen Adolf II. von Holstein und noch mehr durch die großartigen Bestrebungen Heinrichs des Löwen, dessen unermüdlicher Ausdauer und staatsmännischer Voraussicht das deutsche Volk die Wiedergewinnung der Ostseeküsten in erster Linie zu danken hat.


Lübeck war bereits zu Kaiser Lothars Zeiten der hauptsächlichste Sitz deutsch-christlicher Kultur in jenen Gegenden, aber noch gebot der Slawe, der Obotrite in dem ganzen Küstengebiet, und unmittelbar nach Lothars Ableben ermutigte der zwischen Albrecht dem Bären und Heinrich dem Stolzen ausgebrochene Kampf um den Besitz der Nordmark die slawischen Fürsten, das Christenjoch abzuschütteln. Altlübeck ward eingeäschert, Kirchen und Klöster lagen in Aschen das Land ringsum verödete. Aber sobald Graf Adolf II. von Holstein durch Übereinkunft mit Heinrich von Badewide wieder in den rechtmäßigen Besitz Wagriens (Land der Warer, den ganzen Osten Holsteins bis zur Trave umfassend) gelangt war, begann er durch Heranziehung von Friesen, Westfalen, Holländern, die daheim ohne Grundbesitz waren, hier aber ergiebige Äcker angewiesen erhielten, die weiten unbebauten Landstrecken zu besiedeln und an Stelle des kaum noch dem Namen nach gekannten, in Trümmern liegenden slawischen Lübecks eine christlich deutsche Stadt zu erbauen.

Heinrich der Löwe erstrebte aber den Mitbesitz über den kräftig aufblühenden Ort ; als der Graf sein Verlangen, ihm Hafen und Stadt abzutreten, zurückwies, entzog der Herzog als Lehnsherr Lübeck die Marktgerechtigkeit. Kurze Zeit darauf ward die Stadt durch einen verheerenden Brand heimgesucht, doch ließ sich Graf Adolf auch dadurch nicht bewegen, auf das erneuerte Anerbieten des Herzogs einzugehen. Darob ergrimmt, beschloss Heinrich, durch die Anlage einer Stadt in unmittelbarster Nähe des Travehafens des Grafen Schöpfung zu Grunde zu richten. Er nannte den neuen an der Wakenitz gelegenen Ort nach seinem Beinamen „Löwenstadt“ und gewährte demselben die umfassendsten Vorrechte. Doch bald erkannte er die Unmöglichkeit, mit Lübeck einen erfolgreichen Wettstreit aufzunehmen; denn die Wakenitz war zur Aufnahme größerer Fahrzeuge zu seicht, der Hafen von Löwenstadt nicht geräumig und nicht tief genug. Der Graf hatte aber des Herzogs festen Willen erkannt, Lübeck unter allen Umständen zu ruinieren, so willigte er denn, wenn auch schweren Herzens, um seine Lieblingsschöpfung zu retten, in die Abtretung derselben an Heinrich. Sofort gab dieser ,,Löwenstadt“ auf, übertrug alle derselben verliehenen Freiheiten auf Lübeck, dem er nun Zeit seines Lebens eine immer rege Fürsorge widmete.

Seine Bemühungen zur Hebung der alten Hafenstadt wurden wesentlich unterstützt durch den gleichzeitigen unaufhaltsamen Niedergang Schleswigs, des Hauptverkehrshafens für die Ostseeländer, und den Untergang Julins auf der Insel Wollin, des großen slawischen Handelsplatzes. Schleswigs Ruf war dahin, seitdem der vertriebene Dänenkönig Swend im Januar 1157 eine in seinem Hafen ankernde Russenflotte mit Beschlag belegt hatten um aus ihrem Erlös den Sold für seine sächsischen Krieger aufzubringen; Julin sank im Jahre 1183 in Trümmer unter dem Wüten der wilden Mannen Knuds VI. von Dänemark. Fortan ward der Hafen an der Trave das Ziel der dänischen, gotischen und russischen Kauffahrer; denn Heinrich der Löwe hatte Boten nach Dänemark, Norwegen, Schweden und Russland gesandt, um den dortigen Kaufleuten verkündigen zu lassen, dass Lübeck dem Verkehr wieder ganz offen stände und Allen, die mit ihren Waren zu Wasser oder zu Lande dorthin kämen, vollkommene Sicherheit gewährleistet würde.

Die Hauptvermittler des Handels zwischen Deutschland und dem Nordosten waren seit Alters die Kauffahrer der durch ihre Lage im baltischen Meere so außerordentlich begünstigten Insel Gotland; sie erschienen auf den großen deutschen Märkten, zumal in Bardewiek, um gegen Pelze, Wachs, Honig deutsche Waren, namentlich Leinwand und Tuche, einzutauschen. Der deutsche Kaufmann besuchte bis zu Heinrichs des Löwen Tagen nur vereinzelt die slawischen Märkte; wollte er z. B. in Julin ungefährdet Handel treiben, so sah er sich genötigt, seinen christlichen Glauben zu verleugnen.

Den Gotländern dagegen war es gelungen, den ganzen Handel längs der wendischen Küste in ihre Hand zu bekommen. Sie erfreuten sich dabei eines so guten Rufest dass Kaiser Lothar sich bewogen fand, ihnen ganz besondere Vorrechte zu bewilligen. Er gewährte den ,,Goten“, sobald sie deutsches Gebiet betraten, sicheren Frieden, Recht und Entschädigung bei jeglicher Unbill, zollfreien Handel, sowie die Hinterlassenschaft ihrer auf deutschem Boden verstorbenen Landsleute deren rechtmäßigen Erben. Bei dem regen Verkehr zwischen Gotland und den deutschen Handelsstädten war es natürlich, dass sich mit der Zeit auch Deutsche auf der Insel einfanden und sich in deren Hauptarm dem sturmsicheren Hafenplatz Wisby (Schutzort), niederließen. Ihre Zahl wuchs von Jahr zu Jahr, so dass sie sich einen eigenen Vogt wählten, der Streitigkeiten unter ihnen zu schlichten und ihre Rechte den Gotländern gegenüber zu wahren hatte und den, da die meisten von ihnen Untertanen des Herzogs von Sachsen waren, dieser bestätigen musste. Im Jahre 1163 brach zwischen Goten und Deutschen in Wisby ein ernster Streit aus, zu dessen Schlichtung beide Teile den Schiedsspruch Heinrichs des Löwen anriefen. Am 18. Oktober 1163 beurkundete der Herzog zu Artlenburg die Herstellung des Friedens zwischen den streitenden Parteien und bestätigte zu gleicher Zeit den Goten die ihnen von Lothar erteilten Freiheiten, außerdem wies er Odalrich, den Vogt der Deutschen auf Gotland, an, über die Ausübung der von ihm in Bezug auf die Gotländer erlassenen Gesetze zu wachen und sie auch den Deutschen daselbst zu Gute kommen zu lassen.**) Der herrschsüchtige Sachsenherzog hatte durch die Freund und Feind gleich verletzende und herausfordernde Arte die Grenzen seines Herzogtums zu erweitern und die ihm widerstrebenden Großen zu beugen, einen Sturm gegen sich heraufbeschworen, dem auf die Dauer zu widerstehen seine Kräfte nicht ausreichten. Zur höchsten Macht in Deutschland emporstrebend, sah er sich plötzlich in die Schlingen seiner eigenen gewalttätigen und verschlagenen reichs- und kaiserfeindlichen Politik verstrickte und alle Versuche, denselben zu entrinnen, scheitern.

Der Sturz seiner politischen Macht gefährdete auch den Bestand vieler segensreichen Schöpfungen Heinrichs, namentlich sah sich Lübeck auf das Ernsteste bedroht. Auf der Landseite durch das vom Kaiser in Person befehligte Reichsheer belagerte zu Wasser von der Dänenflotte eingeflossen, schien der Untergang der von dem Grafen Simon von Tecklenburg hartnäckig verteidigten Stadt unausbleiblich. In der höchsten Not jedoch wandte man sich mit der Bitte an den Kaiser, er möge eine Abordnung von Rat und Bürgerschaft an den in Stade den Verlauf der Dinge abwartenden Herzog durchlassen, welche demselben die Bedrängnis der ihm zu so großem Danke verpachteten Stadt vorstellen und seine Zustimmung zur Übergabe erbitten sollte. Friedrich, in voller Würdigung der politischen und kommerziellen Bedeutung Lübecks, bewilligte das durch den Bischof Heinrich ihm vorgetragene Gesuch und Heinrich der Löwe, die Unmöglichkeit längeren erfolgreichen Widerstandes einsehende erlaubte der Bürgerschaft, dem Kaiser die Tore zu öffnen (1181). Unter freudiger und feierlicher Begrüßung des Volks und der Geistlichkeit zog Friedrich, an der Spitze eines glänzenden Gefolges von weltlichen und geistlichen Großen in die Stadt eine der er fortan in besonderem Grade seine kaiserliche Huld bewahrte, daher denn die lübischen Geschichtsschreiber von dieser Zeit her den Ursprung der Herrlichkeit ihrer Stadt datieren. Im September 1188 gab ihr Friedrich einen großen Freibrief, in welchem er sich auf die ihr von Herzog Heinrich von Sachsen bewilligten Freiheiten beruft und u. A. zur Hebung des Verkehrs mit dem Auslande „den Russen, Goten, Normannen und den andern Völkern des Ostens, welche um des Handels willen nach Lübeck kämen, volle Zoll- und Abgabenfreiheit bewilligte.***) Der überseeische Handel mit den Russen hatte seit der Mitte des elften Jahrhunderts stetig an Umfang gewonnen, so dass selbst kleinere rheinische und niedersächsische Städte sich an demselben schon beteiligten; gab doch bereits im August 1165 Erzbischof Rainald von Köln dem unbedeutenden Städtchen Medebach in Westfalen Bestimmungen über das Verfahren bei Geldvorschüssen für die nach Dänemark und Russland handelnden Bürger.****) Es war vornehmlich die deutsche Kolonie in Wisby, welche den Verkehr mit den Russen pflegte. Die Letzteren waren auf Gotland besonders zahlreich vertreten, hatten in Wisby ebenfalls eine geschlossene Gemeinschaft und sogar eine eigene Kirche. Die unternehmenden deutschen Kauffahrer suchten ihre russischen Geschäftsfreunde bald in deren eigenem Lande auf, um dort Handelsniederlassungen zu errichten. Ihr Hauptziel war die mächtige Freistadt am Ilmensee, von der aus das russische Reich seinen Anfang genommen hatte.

Nowgorod bildete den Mittelpunkt für den russischen Handel, hier trafen die Kaufmannsgüter aus allen Himmelsgegenden zusammen. Die Gotländer hatten lange vor den Deutschen das Recht eines eigenen Kaufhofes in Nowgorod erworben, die Gründung der deutschen Faktorei erfolgte in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts, zu derselben Zeit, da Deutsche zum ersten Male die Küste von Livland ansegelten — ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung^ das namentlich auf die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland in den nächsten Jahrhunderten folgenschwer einwirkte.

Die erste deutsche Fahrt nach der Düna, von der sich die Kunde erhalten hat, fällt in die Jahre 1164 bis 1170, und gehörten die kühnen Männer, die sie unternahmen, der deutschen Gemeinde auf Gotland an. Möglich, dass ein Sturm sie an die unwirkliche Küste verschlagen hat, wahrscheinlicher jedoch ist, dass die Erzählungen von Schweden und Russen denen das Land der Liven, Letten und Esten schon seit Langem bekannt war, ihnen den Antrieb gegeben habend den Lauf ihrer Schiffe nach diesen Gegenden zu richten.*****)

Die Fürsten von Nowgorod hatten die finnischen Völkerschaften, welche das Küstengebiet besetzt hielten, wiederholt mit Heeresmacht überzogen, aber es verschmäht, sich zum Herrn der Lande zu machen; ,,denn — bemerkt Heinrich der Lette, Livlands ältester Chronik, — es ist eine Gewohnheit der Könige der Russen, ein Volk, das sie bezwungen haben, nicht dem christlichen Glauben zu unter werfen, sondern nur zur Zahlung von Tribut und Geld anzuhalten.“ Nicht sobald aber hatte der Deutsche seinen Fuß auf livischen Boden gesetzt, als er auch die Bekehrung der heidnischen Einwohner in Angriff nahm und durch Anlegung von festen Plätzen das Land seiner Botmäßigkeit zu unterwerfen begann. Kreuz und Schwert öffneten diese unwirklichen, von Sümpfen und düstern Wäldern durchzogenen Küstenlande deutscher Bildung und Gesittung, aber nimmer soll vergessen werden, dass der „gemeine deutsche Kaufmann“ es war, welcher dem Priester und dem Ritter den Weg bahnte zu diesen entlegenen Gestaden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutsche Hansa in Russland
Lübeck - Schifferhaus Außenansicht

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Lübeck - Stadtansicht aus dem Mittelalter

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Lübeck - Marienkirche

Lübeck - Marienkirche

Lübeck - Marienkirche Innenansicht

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Lübeck - Markt

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Lübeck - Stadttor

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Lübeck - Holsteintor

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Lübeck - Alte Speicher an der Trave

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Lübeck - Alte Gebäude an der Obertrave

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Lübeck - Dom

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Lübecker Kirchen

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Lübecker Bahnhof

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Lübecker Bergenfahreraltar (linker Flügel) Marienkirche

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Lübeck - Burgtor

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Lübeck - Dom und Museum

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Lübeck - Holstentor

Lübeck - Holstentor

Lübeck - Blick auf das Holstentor

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Lübeck - Schifferhaus, Innenansicht

Lübeck - Schifferhaus, Innenansicht

Lübeck - Schifferhaus, Außenansicht

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Lübeck - Standtansicht

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Lübeck - Holstenbrücke um 1820

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Lübeck - Marienkirche Innenansicht

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Lübeck - Marktplatz um 1820

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