Handelssperren gegen die Russen

Für die Städte der Hansa blieb der Hof zu Nowgorod der Mittelpunkt des russischen Handels und trotz unaufhörlicher Bedrohung und Beraubung, welcher sie auf dem Wege dorthin von Seiten der Schweden und Russen ausgesetzt waren, 1) kehrten die deutschen Kauffahrer doch immer wieder an den Wolchow zurück. In dem Zeitraume von 1288 bis 1335 wurden ihnen Güter im Werte von 7.600 Mark geraubt und fünfzehn Gefährten getötet. 2) Aber auch die Bürger der Freistadt wollten, so sehr sie die Gäste oft bedrückten, den Verkehr mit den Deutschen nicht aufgeben, hatten sie doch deren werktätiger Hilfe in der furchtbaren Hungersnot von 1230 der an fünfzig Tausend Menschen zum Opfer fielen, und wo Nowgorod nach den Worten seines Chronisten im Verscheiden war, ihre Rettung vom Untergange zu danken. Sie führten,. „weniger auf den Gewinn bedacht, als um der Barmherzigkeit willen,“ reichbeladene Getreideschiffe über See nach dem Wolchow und taten der Not und dem Elend Einhalt.3)

Nur allzu oft unterbrachen auch die Kriege zwischen Schwertrittern und Russen den Handelsverkehr. Selten verging ein Jahr ohne blutige Fehde; die Ritter dehnten ihre Streifzüge bis in die Nähe von Nowgorod aus und nahmen die Waren der auf der Fahrt begriffenen russischen Kaufleute als gute Beute mit. In ihrer Bedrängnis wandten sich die Nowgoroder hilfeflehend an den Sohn des Großfürsten Jaroslaw, den Fürsten Alexander, der erst vor Kurzem im Unmut über ihre Ruhelosigkeit und Anmaßung die Stadt verlassen hatte. Er ließ sich erbitten und empfanden die Ritter bald den Rückschlag des Glückes. Alexander, der nach seinem im Jahre zuvor über die Schweden an der Newa erfochtenen Siege den Beinamen Newski erhalten hatten schlug sie Ende 1241 bei Koporje und das Jahr darauf bei Pskow; viele gerieten in Gefangenschaft, wurden nach Nowgorod gebracht und dort hingerichtet. Der Sieger drang bis vor die Tore Rigas; schon rief der Ordensmeister den Beistand des dänischen Königs an, aber plötzlich kehrte Alexander Newski um, große Beute und zahlreiche Deutsche als Gefangene mit sich führend. Nunmehr schlossen die Nowgoroder ohne den Fürsten zu befragen, mit dem Orden, dem Bischof von Dorpat und den dänischen Vasallen Estlands Frieden, nachdem die Deutschen ihre Ansprüche an die Russen aufgegeben hatten.4)


Sehr oft waren es Rechtshändel, welche der tägliche Verkehr zwischen Kaufleuten so häufig hervorruft, die zum Abbruch aller Verbindung mit Russland führten; so geschah es 1259, wo Alexander Newski und sein Sohn Dimitri im Einverständnis mit Nowgorod den Streit schlichtete und in feierlicher Verbriefung „den alten Frieden“ bestätigte. 5)

In den bürgerlichen Unruhen, welche den Freistaat nicht selten heimsuchten, nahmen die deutschen Kaufleute nur ausnahmsweise Partei, sie zogen es in solchen Fällen vor, St. Petershof nicht zu verlassen, dessen Umfriedigung kein Russe zu überschreiten wagen durfte. Alexanders tatkräftige Oberherrschaft ertrugen die Nowgoroder nur murrend; seinem Nachfolger verweigerten sie die Huldigung so lange, bis er die ihm vor­gelegten Bedingungen zur Wahrung ihrer Freiheiten beschworen und gelobt hatte, Alexander in seinen Willkürhandlungen nicht nachahmen zu wollen. Jaroslaw Jaroslawitsch küsste darauf zwar das Kreuz, erspähte jedoch die Gelegenheit, um der Stadt sein Joch aufzuerlegen.

Wieder war es zum Kriege zwischen den Rittern und den verbündeten Städten Nowgorod und Pskow gekommen; beide Teile hatten in der für den Orden ungünstigen Schlacht bei Wesenberg (18. Febr. 1268), die Deutschen unter Führung des Ordensmeisters Otto von Rodenstein und des Bischofs Alexander von Dorpat, tapfer gestritten und schwere Verluste erlitten, die Russen ihre sämtlichen Heerführer, die Deutschen u. A. den Bischof Alexander verloren. Nach diesem Kampfe ward über Nowgorod die Handelssperre verhängt; der Ordensmeister ersuchte die Lübecker, sowie die gesamte Kaufmannschaft, den Russen in diesem Jahre (1268) keine Waren zuzuführen. Das Gesuch ward bewilligt unter dem Beding, dass, sobald der Friede geschlossen, auch das alte Recht für die Hin- und Rückfahrt den Lübeckern und dem gemeinen deutschen Kaufmann gewährleistet würde; außerdem ward erklärt, dass nur bei einem allgemeinen Kriege der Lateiner gegen die Russen der Handelsverkehr abgebrochen werden sollen dagegen bei den Fehden Einzelner der Handel ungehindert bleiben müsse.

In der Zwischenzeit hatte der Ordensmeister Otto ein Heer von 27.000 Mann versammelt, um Pskow zu züchtigen, doch zog er sich vor den heranrückenden Nowgorodern zurück. Beide Teile einigten sich nun auf Grundlage des Vertrages von Mstislaw Dawidowitsch über einen vorläufigen Frieden. Lübeck und die Bundesstädte wurden aber von dem Meister ersucht, nicht früher den Verkehr nach Russland wieder aufzunehmen, bevor sie nicht Boten nach Riga gesandt hätten, die mit den Vertretern des Ordens und der livländischen Städte die frühere Gerechtsame der Deutschen in den russischen Plätzen, welche in dem zu vereinbarenden Frieden gewahrt bleiben müssen feststellen sollten; so lange könne keinem Kaufmann die Fahrt nach Nowgorod gestattet werden.

Lübeck entsandte seinen in auswärtigen Angelegenheiten bewährten Ratsherrn Heinrich Wullenpundt, Gotland Ludolf Dobricike und Jacob Curing nach Riga. Es ward ein Vertragsentwurf vereinbart, den die drei Städteboten im Winter 1269 nach Nowgorod überbrachten.

Die darin ausgestellten Bedingungen zeugen von einem Bewusstsein der Überlegenheit den Russen gegenüber, welches der Selbstverblendung nahekommt: einem in offener Schlacht überwundenen Feinde konnten härtere Zumutungen kaum gemacht werden. Der Entwurf 8) lautet im Wesentlichen:

Der Könige der Herzog und der Burggraf von Nowgorod haben sowie die Stadtvorsteher und alle Bürger bei Ankunft der Sommerfahrer zum Zeichen des Friedens und der Eintracht das Kreuz zu küssen. Sobald die Kauffahrer das Gebiet Nowgorods erreicht habend haftet die Stadt für jeden ihnen zugefügten Schaden. Zögert der russische Richter, einen Dieb an deutschen Waren zur Strafe zu ziehen, so steht den Gästen das Recht der Selbsthilfe zu.

Bei den Stromschnellen des Wolchow oberhalb von Alt-Ladoga, welche „Vorsch“ genannt wurden, müssen die „Vorschkerle“, die Führer der Leichterschiffe — die tiefgehenden deutschen Koggen konnten diese Schnellen nicht passieren — bereit stehen und die Güter gegen einen festen Lohn in Marderköpfen ohne Verzug weiter befördern. An der im Wolchow gelegenen Insel Gostinopole, Gestevelt, darf nur ein mäßiger Zoll von Waren wie Mehl und Malz, aber nicht von Lebensmitteln erhoben werden.

Der deutsche Hof bietet eine Freistatt und darf kein russischer Gerichtsdiener, Schalk oder Birig 10) genannt, zur Haftnahme des Verfolgten St. Peters Umfriedung überschreiten; nur dem fürstlichen Boten wird Einlass gewährt.

Streitigkeiten zwischen Russen und Deutschen werden auf dem Johannishof in Gegenwart des Herzogs und des Taufendmanns, sowie des deutschen Oldermans und seiner Beisitzer geschlichtet.

Betritt ein Russe den Hof von St. Peter mit Waffen in der Hand, so macht er sich des Todes schuldig; entkommt er, so hat er nach Gerichtsspruch doppelt zu büßen; ist er zahlungsunfähig, muss die Gemeinde die Buße für ihn erlegen.

Wer Steine oder Pfeile in den Hof schleudert, die Umzäunung beschädigt, wird um 10 Mark Silber gebüßt.

Die Russen dürfen nicht verhindert werden, bei den Gästen zu kaufen; die Gäste dürfen ihre „Kinder“ in das Land, wohin sie wollen, zur Erlernung der russischen Sprache schicken. 12)

Der Hof und die Begräbnisstätte der Deutschen dürfen nicht eingebaut werden.

Den Gästen bleibt freier Verkehr zu Wasser und zu Landen auch wenn Nowgorod sich mit seinen Nachbarn im Kriege befindet.

Der Deutsche geht bei Schuldforderungen dem russischen Gläubiger voran; der zahlungsunfähige Russe kann nach Belieben des Gläubigers mit Weib und Kind als leibeigen fortgeführt werden, falls beim öffentlichen Aufgebot sie niemand auslöst.13)

Großfürst Jaroslaw Jaroslawitsch, der Possadnik und der Tyssadsky weigerten sich, wie erklärlich, diesen Vertrag anzunehmen, aber die deutschen Unterhändler ließen von ihren Forderungen nicht nach und so scheiterten die Verhandlungen. Wullenpundt und seine Begleiter kehrten im April 1269 nach Lübeck zurück mit einem Schreiben des Ordensmeisters Otto, in welchem dieser dem Rat bekundet, dass die Gesandten „ihre Botschaft in ehrenvoller und nicht genug anzuerkennender Weise ausgerichtet haben.“ 14) Dem Wunsche des Meisters entsprechend wirkten sie dahin, dass auch für das laufende Jahr die Handelsfahrten nach dem Wolchow verboten wurden.

In Nowgorod empfand man das lange Ausbleiben der deutschen Kauffahrer schwer; Handel und Wandel stockte. Der Unmut der Bürger entlud sich gegen den Großfürsten und gegen seine Günstling, die hingerichtet wurden, weil man ihnen Schuld gab, die Ausländer verscheucht zu habend „die noch bei Menschengedenken (1230) durch eilige Zufuhr die Stadt von Hungersnot erlöst hätten.“

Jaroslaw suchte zu unterhandelnd aber die Nowgoroder drohten, ihn zu verjagen, wenn er nicht freiwillig die Stadt verlasse. Er bewarb sich nun um den Beistand des Tartarenchans Mengu Temur 15) aber dieser ward durch Wassilij, Bruder des Jaroslaw, für Nowgorod günstig gestimmt.

Er schickte zwei Gesandte mit der Weisung an den vertriebenen Fürsten, er solle die Stadt nicht weiter beunruhigen und den Bürgern von Riga, den Gästen und Jedermann freien Verkehr in seinem Fürstentum gewähren. Jaroslaw fügte sich dem Gebot und machte selbst den Rigaern von dem Befehl des Chans Mitteilung, indem er ihnen zugleich die Herstellung des alten Friedens zusicherte. Ehe ihn die Nowgoroder wieder in ihre Mauern einließen, musste sich Jaroslaw unter Kreuzkuss verpflichten, die alten Rechte der deutschen Niederlassung nicht anzutasten: ,,Im deutschen Hofe — erklärten ihm die Abgesandten der Stadt — hast Du, Fürst, nicht anders Handel zu treiben als durch unsere Brüder, und darfst Du diesen Hof nicht verschließen und durch keinen Aufseher bewachen lassen“. 16)

Im Jahre 1270 nahmen die Deutschen endlich die Fahrten nach dem Ilmensee und in das Innere Russlands wieder auf, nur die Düna blieb gesperrt, da die Fehde der Ritter mit Pskow noch fortdauerte. Die Feindseligkeiten zwischen Livländern und Russen wurden nur durch kurze Waffenstillstände unterbrochen, daher kam es, dass ungeachtet aller Verbriefungen und Beurkundungen der Handel nach den russischen Märkten fortwährend schwer gefährdet war. Nur selten verging ein Jahr, in welchem nicht bald gegen Nowgorod, bald gegen Pskow, Witebsk oder Smolensk die Handelssperre anbefohlen wurde.

Im Jahre 1277 ersuchten die livländischen Handelsherren, der Bischof Friedrich von Dorpat, der dänische Statthalter und die rigischen Bürger die gesamte deutsche Kaufmannschaft wegen der den Deutschen von den Nowgorodern wiederholt zugefügten Schädigungen an Leib und Gut den Markt von Russland nach Livland und Estland zu verlegen. Diesem Gesuche entsprechend beschloss der nächste Städtetag zu Lübeck 17) (1278): „Jedermann die Nowgorodfahrt bei Strafe des Lebens, des Gutes und der Ehre“ zu verbieten. Für diese Fahrt bereits erworbene Güter dürfen nicht weiter verfrachtet werden; der Handel mit russischen Waren ist strengstens untersagt, jeder russische Kaufmann mit seinem Gute abzuweisen.

Alle durch Übertretung dieser Verbote beschlagnahmten Waren wurden zu Gunsten des St. Petershofes veräußert. 18) Im Februar 1279 ergingen dieser Beschlüsse wegen ans Riga Dankschreiben an Lübeck und die Gesamtheit der deutschen Kaufleute, in welchen der Erzbischof, der Ordensmeister, die Bischöfe von Oesel und Dorpat, sowie der dänische Hauptmann von Estland versprechen: „Niemand vom bevorstehen Osterfest ab weder zu Wagen noch zu Schiffe zum Handel nach Russland zu lassen“. 19)

Die bei dieser Gelegenheit sich kundgebende Einigkeit zwischen dem Orden, der Kirche und den Städten war nicht von langer Dauer. Die Übergriffe der Ritter in die Gerechtsame der Geistlichkeit und der Bürger nötigte diese zu Gegenmaßregeln, so dass die drei Körperschaften in steter Spannung und Zwietracht lebten, welche den auf friedlichen Erwerb gerichteten Interessen des Kaufmanns nicht förderlich waren.

Die andauernde Gefährdung der Kauffahrtei nach Russland bewog Lübeck 1280 mit den Deutschen in Wisby ein Schutzbündnis, dem später auch Riga beitrat, abzuschließen wider alle Diejenigen, welche den Handel auf der Ostsee von der Trave und Noresund bis Nowgorod erschweren und beeinträchtigen würden. 20) Später bewarben sich die Städte um einen sicheren Handelsweg durch schwedisches und dänisches Gebiet, da die Fahrten durch Livland in Folge der dort herrschenden Wirren immer unsicherer und beschwerlicher wurden. Im Oktober 1294 bewilligte ihnen König Erich Menwed von Dänemark sichere Fahrt durch Estland von Wierland bis zur Narowa und zum Wolchow. Einige Monate später im März 1295, gewährte ihnen auf Verwendung Adolfs von Nassau auch der Schwedenkönig Birger auf die Dauer eines Jahres Sicherheit für die Reise nach Nowgorod an Wiborg vorüber unter der Bedingung, dass sie an Waffen, Eisen und Stahl nur soviel als sie an eigenem Bedarf benötigten, mit sich führten. Nachmals erneuerte König Albrecht von Nürnberg aus dem König Birger die Bitte, er möge die Lübecker frei durch seine Länder und Gewässer ziehen lassen. 21)

Auch aus den russischen Märkten selbst waren die deutschen Kauffahrer vor willkürlicher Beschlagnahme ihrer Waren nicht sichere namentlich hatten sie über die Nowgoroder erneute Beschwerde zu führen, da dieselben im Jahre 1290 in den St. Petershof eingebrochen waren und die Lagerräume ausgeraubt hatten. Lübecks Wisby und Riga schickten 1291 aus diesem Anlass Abgesandte an den Fürsten Dimitri Alexandrowitsch, die jedoch abgewiesen wurden. Die fürstlichen Räte erklärten den deutschen Sendboten auf deren Bitten um Gehör bei dem Fürsten, das sei unnötig; denn sie seien des „Herrn Königs Augen, Ohren und Mund“. In Nowgorod misstraute man Dimitri, der schon einmal die Stadt hatte verlassen müssen, und die Bojaren fürchteten, sie könnten zur Herausgabe der gestohlenen Güter angehalten werden. Der Fürst ließ den deutschen Herren insgeheim melden, dass die Waren von dem Nowgoroder Gesindel gestohlen seien, er von denselben nichts besitze und gern bereit sei, den alten Frieden mit den Deutschen und Goten aufrecht zu erhalten. 22)

Ohne Erfolg kehrten die Boten nach Dorpat zurück, um hier ihren Bericht an die Städte über den ungünstigen Verlauf ihrer Sendung abzugeben. Nach einigen Jahren suchte Dimitris Nachfolger Andrei drowitsch mit den Deutschen in Verbindung zu treten und zwar in dem Jahr des siegreichen Vordringens der Schweden unter Thorkul Knutson, der 1299 an der Newa das feste Schloss Landskrona erbaut hatte. Im Jahre 1300 wandte sich Andrei in einem Schreiben mit der Bitte an Knutson, es möge durch eine Botschaft dem Könige von Schweden wegen der Beschränkung der Fahrt auf der Newa und der Anlage von Landskrona ...ungen machen lassen. 23) Die Städte wollten aber zuvor die alten Verträge erneuert haben, zu welchem Zweck Lübecks Wisby und Riga im Interesse aller Kaufleute „lateinischer Zunge“ abermals drei Boten nach Nowgorod abordneten. Andrei erteilte ihnen in seinem und der Stadt Namen einen Geleitsbrief, in dem es u. A. heißt: „Wir geben ihnen drei Landwege durch unser Gebiet und einen vierten auf den Flüssen. Unsere Gäste sollen unbeschwert ziehen unter Gottes Hand und derjenigen Landesfürsten und ganz Nowgorods. Sollte aber der Weg auf den Flüssen nicht rein sein, so wird der Fürst seinen Mannen gebieten, die Gäste zugeleiten“. 24)

Die drei Sendboten, der Lübecker Johann Witten der Wisbyer Adam und der Rigaer Heinrich Holste kamen wohlbehalten in Nowgorod an, aber ihre Bemühungen blieben im Wesentlichen ergebnislos; denn Andrei hatte inzwischen Landskrona erstürmt und zerstört. Über Livland traten sie die Heimreise an; ihre Anwesenheit am Wolchow hatte nicht verhindern können, dass wiederum mehrere deutsche Kaufleute auf der Fahrt von Narwa nach Nowgorod überfallen und beraubt worden waren.

Die russischen Handelsleute zeigten sich in dieser Zeit gegen die deutschen Gäste in besonders hohem Grade verstimmt, vornehmlich wohl wegen eines Zusatzartikels zur Skra, den Lübeck im Jahre 1300 hatte aufnehmen lassen, und der dem deutschen Kaufmann verbot: Güter von den Russen zu borgen; mit denselben ein Teilhabergeschäft einzugehen; ihnen als Vermittler oder Verfrachter zu dienen. Nun wurden die Klagen der Russen über die schlechte und verfälschte Ware, namentlich Leinwand, die ihnen die Deutschen lieferten, immer lauter: man werde in Zukunft, drohten sie, solche Waren mit Beschlag belegen und die Verkäufer von dem russischen Markte ausschließen. 25)

Schon die älteste Skra hatte bestimmt, „dass der Fälscher oder Verkäufer von gefälschtem Ledern gefälschtem oder zu knapp gemessenem Tuch, oder wer irgend ein Gut aus seiner Art bringt, mit welcher Kunst und Behendigkeit es auch geschähe“ zehn Mark Buße an St. Peter zu zahlen habe, und das „verwandelte Gut“ verbrannt werden solle. Dieser Strafbestimmung ungeachtet füllte sich der russische Markt doch mit gefälschten und zu knapp gemessenen Gütern; wohl machten es die Russen nicht besser: sie lieferten gefälschtes Wachs und Pelzwerk — aber da die Nowgoroder gegen die Fälscher mit scharfen Maßregeln vorzugehen drohten, so sahen sich die Meister von St. Peter genötigt, ebenfalls den Verfertigern und Verkäufern gefälschter Tuche strenge Strafen anzudrohen. Es ward bestimmt, „dass Tuche, die außerhalb eines Ortest wo es keine obrigkeitliche Aufsicht und Vorschrift über deren Bereitung gibt, verfertigt werden, nicht nach Nowgorod gebracht werden dürfen.“ 26) Jedermann könne aber einführen: flamländische „lakene“ aus Dixmuiden, Ypern und lange märkische, auch „cappe lakene“ Tuche für Geistliche und Mönche, welche vornehmlich in Köln angefertigt wurden. Verboten aber ward die Einfuhr aller minderwertigen Tuche, welche den ächten nachgemacht wie diese gestaltet und geschoren seien; jeder solle sich vor diesen Sachen hütend damit er nicht zu schaden komme „sines Gudes vnde oc sines Geldes.“ In den folgenden Jahren schärfte man ein, in die Ballen nicht schlechtere Tuche als die zur Probe und Besichtigung ausgelegten, zu verpacken. „Wantfinder“ und ,,Wachsfinder“ wurden angestellt, die den gefälschten und schlecht gewogenen Waren nachzuspüren hatten; der Strafe verfiel, wer den Wachswieger zu bestechen versuchte. Die ächten Tuche wurden mit Bleimarken, das unverfälschte Wachse nachdem es gewogene mit dem Stempel versehen. Aber die Klagen über unredlichen Handel hörten auf beiden Seiten nicht auf.

Im Sommer 1335 überbrachte Heinrich von Bocholt aus Nowgorod nach Lübeck wieder eine Reihe von Beschwerden über die russischen Geschäftsfreunde. Er beschuldigte sie des Gebrauchs falscher Maße, Gewichte und Waagen, verfälschter Waren, willkürlichen Preisabschlages, Verhinderung des Marktes, Begünstigung von Dieben und anderen Übeltätern.

Das fürstliche Gericht verfahre — lautet eine andere Klage — ungerecht gegen die Deutschen, denen auch, wenn sie bei Ausbruch eines Krieges abreisen wollten, Hindernde in den Weg gelegt würden. Nicht selten waren meuchlerische Überfälle; setzten sich die Deutschen zur Wehr und schlugen die Angreifer zurück, so machte man die ganze deutsche Gemeinde dafür verantwortlich. 17) Am Martiniabend 1331 kehrten einige deutsche Meister mit ihren Knappen vom St. Petershof, wo sie „ein Bier gekocht“ hatten, nach dem Gotenhofe zurück; sie wurden von Russen überfallen und übel zugerichtet. Auf ihren Hilferuf liefen die Deutschen mit Knitteln und Schwertern hinzu, auf beiden Seiten gab es Verwundete, ein Russe blieb auf dem Platze. Am nächsten Morgen strömte das Volk nach dem Jaroslawhof, wohin die Leiche des Erschlagenen gebracht worden war, und verlangte die Auslieferung des Mörders. Die Deutschen forderten Gericht nach den unter Kreuzeskuss beschworenen Bestimmungen, aber davon wollte die ausgeregte Menge nichts wissen. „Die Zeit ist gekommen — rief man ihnen zu — da ihr allzumal sterben sollt.“ St. Peters Umfriedung ward eingerissen; Alle drängten nach den Kleten, deren Warenlager geplündert wurden. Die Deutschen hatten sich in die Kirche ihres Schutzpatrons geflüchtet und standen bereit, ihr Leben zu verteidigen. Endlich erscheint ein fürstlicher Beamter zu ihrer Rettung. Nach einigem Weigern liefern sie den Schuldigen aus; damit aber ist das Volk nicht mehr zu beruhigen: fünfzig deutsche Männer verlangt es als Opfer seiner Rache. In dieser höchsten Not gelingt es den Bedrängten, ein ansehnliches Geldgeschenk dem Statthalter einhändigen zu lassen; er vermittelt und überredet die Angehörigen des Erschlagenen, sich mit einer Buße von achtzig Stück Silber zufrieden zu geben. Das Volk verwirft dieses Abkommen; abermals empfängt der Possadnik ein Geschenk von zwanzig Mark Silber und zwei Scharlachkleider, und er vermittelt von Neuem. Nach langem Feilschen über die Höhe des Lösegeldes wird ein Ausgleich vereinbart, der Totschläger freigegeben und allen an dem „Slachtinge“ beteiligt Gewesenen eine Buße von 180 Mark Silber auferlegt. 28)

Wenige Jahre später führte ein ähnlicher Fall zur Sperrung des deutschen Kaufhofes. Im November 1337 hatte ein gewisser Velebracht auf der Newa einen russischen Schiffer erschlagen und beraubt. Auf die Kunde von diesem Morde rotten sich die Nowgoroder vor St. Petershof zusammen, plündern die Lagerräume und bedrohen die Eingeschlossenen mit dem Tode. Drei Monate lang blieben die Deutschen von jedem Verkehr mit der Außenwelt abgeschlossen; endlich gab man auf die ernstlichen Vorstellungen der Städte Narwa, Reval, Fellin und Dorpat, dass die Kaufleute an der Tat des Velebracht unschuldig seiend St. Petershof wieder frei. 29) Aber der Verkehr nach Nowgorod wurde wegen dieser Vergewaltigung sobald nicht wieder aufgenommen. Im April 1338 versammelten sich zu Dorpat unter dem Vorsitze des Bischofs Bevollmächtigte Lübecks, Gotlands, des Großfürsten, Nowgorods und des Ordensmeisters, um in dieser Sache eine gütliche Einigung herbeizuführen. Nach längerer Beratung kamen sie überein: den Deutschen sei an dem Todschlag keine Schuld beizumessen; ihre Güter müssen ihnen zurückgegeben werden; die Sippe des Erschlagenen habe sich wegen Entschädigung an die Verwandten des Täters zu halten. Überhaupt müsse sich jeder Verletzte an seinem Gegner schadlos halten und dürfe man die Kaufleute für Todschlag und anderen Schaden nicht verantwortlich machen. Weiter ward beschlossen, dass in allen Kriegsfällen die russischen und deutschen Kaufleute zu Wasser und zu Lande einen freien ungehinderten Weg haben sollten. 30) Die Verhandlungen erstreckten sich auch auf die Herstellung eines Vergleichs wegen aller Schäden, die inner- und außerhalb Nowgorods und Pskows Menschen und Gütern zugefügt worden wären, aber man konnte über diesen Punkt zu einem Einverständnis nicht gelangen. Der in Dorpat vereinbarte Vertrag ward kurz darauf in Nowgorod angenommen und beschworen; nunmehr erging an die deutsche Kaufmannschaft die Anzeige, dass die Fahrt nach Russland wieder freigegeben sei.

Um diese Zeit erwarb Erzbischof Wassilij für die Kirche der heiligen Sophia „um hohen Preis“ ein herrliches Kunstwerk aus Deutschland: die berühmten Bronzetüren, 31) welche unter Erzbischof Wichmann, dem vielgenannten Anhänger Kaiser Friederichs I., zu Magdeburg von den Erzgießern Richwin, Awram und Weismut angefertigt worden und durch reichen figürlichen Schmuck und viele lateinische Inschriften bemerkenswert sind. Die Nowgoroder haben es aber vorgezogene den deutschen Ursprung dieses Kunstwerks zu verschweigen und dasselbe für eine Siegesbeute aus dem von den Russen 988 eroberten Cherson auszugeben, daher diese Türen bis auf den heutigen Tag die Chorssunschen — die Chersonesischen — genannt werden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutsche Hansa in Russland