Die Unterwerfung Nowgorods. Iwan III. im Bündnis mit Maximilian I.
Die Tage der Unabhängigkeit Nowgorods waren gezählt seit Iwan III. Wassiljewitsch den Thron Ruriks bestiegen hatte. Diesem Fürsten, der als Gemahl einer Nichte des letzten Griechenkaisers sich den Zarentitel beilegte und den Doppeladler als Reichswappen annahm, verdankt Russland seine Befreiung vom Joche der Tartaren, seine Einheit, sein geschriebenes Recht- und seine Knute; dieses Zähmungsmittel war bis dahin dem russischen Volke unbekannt geblieben, es rächte sich für das Geschenk an dem Gebern indem es ihm den Beinamen des „Furchtbaren“ (grosnij) anheftete. Durch List, Verschlagenheit und unbeugsame Härte erreichte er sein Ziel; seine Machtgier kannte keine Grenzen, alle seine Brüder und Verwandten schlug er in Fesseln und ließ sie im Gefängnis verschmachten.
Schon im zehnten Lebensjahre seinem Vater Wassilij Wassiljewitsch, der von einem seiner Neffen überfallen und geblendet worden war, als Mitregent beigegeben, übernahm Iwan nach dem Ableben Wassilijs 1462 im Alter von zweiundzwanzig Jahren die Regierung. Anfangs zeigte er Milde und Mäßigung, aber nach seinem ersten kriegerischen Erfolg über den Chan von Kasan begann er die Maske abzuwerfen. Zunächst traf fein Zorn das stolze Nowgorod, dem er schon einige Jahre zuvor einen Schlag versetzt hatten als er die Losreißung Pskows von dem Freistaat begünstigte. Jetzt forderte er die Nowgoroder auf, ihm zu huldigen: seine Vorfahren hätten den Titel „Großfürsten von Wladimir, Nowgorod und ganz Reußen“ geführt, daher habe sich ihm die Stadt zu unterwerfen.
Die Bürger lehnten diese Zumutung entrüstet ab und beschlossen, die Oberherrschaft über den Freistaat Kasimir, dem König von Polen und Großfürsten von Litauen zu übertragen.
Dieser nahm ihren Antrag an und verpflichtete sich, „nach den Grundsätzen der alten bürgerlichen Freiheiten“ zu regieren und untere zeichnete einen Vertrag, der auch folgenden Artikel enthielt: „Litauische Kaufleute dürfen nur durch Rowgorodsche mit den Deutschen Handel treiben. Der deutsche Kaufhof ist Dir nicht unterworfen. Du darfst ihn nicht schließen.“ Iwan III. ließ die Stadt nochmals zur Unterwerfung auffordern, sein Gesandter kehrte aber mit dem Rate zurück: nicht Worte und Briefen sondern das Schwert allein könne die Rowgoroder demütigen.
Beide Teile rüsteten zum Kriege, am 14. Juli 1471 kam es an der Schalona zur Schlacht, in der die verbündeten Moskauer und Pkower Sieger blieben. Nowgorod ergab sich nach kurzem Widerstande auf Gnade und Ungnade; es musste achtzig Pud Silber zahlen, sich zu einer Abgabe an den Großfürsten — „Kopf- oder schwarze Steuer“ genannt — verpflichten, die Verbindung mit Kasimir abschwören, die Volksgerichte aufheben und sich der Gerichtsbarkeit des Moskauer Herrschers unterwerfen. Noch blieb ihnen ein Rest von Unabhängigkeit, aber auch dieser erschien Iwan vom Übel. 1475 begab sich der Großfürst nach dem Wolchow, um über die Nowgoroder Bojaren ein furchtbares Strafgericht abzuhalten. Mit Gold und Schätzen reich beladen kehrte er nach Moskau zurück, durch kluge Unterwürfigkeit hatten die Bürger den ihnen drohenden Sturm noch einmal abgewendet. Aber als 1477 die Wetsche und der Erzbischof Gesandte an Iwan schickten, wurden diese durch Versprechungen und Geschenke dazu vermocht, den Großfürsten statt mit dem seit Alters gebräuchlichen „Gospodin, Herr“ mit „Gossudar, Herrscher“ von Nowgorod anzureden. Kaum hatte Iwan diese Anrede vernommene als er auch einen Bojaren an die Nowgoroder mit der Botschaft entsandte, sie möchten, nachdem sie ihm den Titel „Gossudar“ gegeben hätten, ihm nun auch als unumschränkten Gebieter, Richter und Gesetzgeber den Eid der Treue leisten. Nach stürmischer Beratung beschlossen die Bürger eine Adresse an den Großfürsten folgenden Inhalts: „Wir grüßen Dich, unsern Herrn und Großfürsten, aber Herrscher nennen wir Dich nicht. Du kennst die, welche Dir vorschlugen, Herrscher von Nowgorod zu sein, züchtige sie für den Trug. Wir strafen hier gleichfalls die treulosen Verräter. Vor Dir aber, Herr, werfen wir uns nieder, dass Du uns halten mögest nach alter Sitten nach dem Kreuzkuss.“
Des Großfürsten Antwort war eine Kriegserklärung; bereits am 17. November 1477 stand er vor den Toren der Stadt, deren Bürger die umfassendsten Vorkehrungen zur Verteidigung trafen. Die Bürgerschaft war aber in sich gespalten, während die Einen riefen: „In den Kampf. Lasst uns sterben für die Freiheit und die heilige Sophie!“ verlangten die Anderen Zeit zur Verhandlung mit Iwan. Diese behielten die Oberhand. Nach mehrwöchentlichen Unterhandlungen unterwarf sich die Stadt bedingungslos und war das Volk bereit, das Kreuz zu küssen, „Alles erwartend von dem Herrscher, wie Gott es ihm ins Herz gibt und schon kein anderes Vertrauen mehr nährend.“ Der Großfürst froh, ohne Schwertstreich Groß-Nowgorod unter seinen Willen gebeugt zu habend hielt ein mildes Strafgericht und kehrte mit einer Beute im Werte von vierzehn Millionen in seine Hauptstadt zurück. Nowgorods Kraft war für immer gebrochen. Jeder Versuch, das großfürstliche Joch abzuschütteln, ward im Blute seiner Urheber erstickt. Die Zähmung ihres Widerstandsgeistes vollendete die zwangsweise Massenübersiedelung ihrer Bürger in das Innere des Reiches; ihre Güter wurden an Moskauer Bojaren, Krieger und Kaufleute verteilt.1)
Die Bewohner der deutschen Kaufhöfe hatten in diesen Jahren schwere Drangsale zu erdulden gehabt; als Iwan vor Nowgorod lagerte, wurden sie ihres Eigentums beraubt und in den Höfen eingeschlossen. Der Gedanken den die Livländer fassten, sich an dem in Narwa aufgestapelten russischen Gut für die geraubten Waren schadlos zu halten, musste aufgegeben werden in Rücksicht auf die noch in Nowgorod festgehaltenen Kaufleute. Aller Handel nach Russland ward aber untersagt und die Insassen von St. Peter und St. Olav erhielten von Dorpat die Weisung,. Nowgorod zu verlassen, wozu Narwas Beihilfe erbeten wurde. 2)
Man erwartete einen Angriff des Großfürsten auf Livland, gegen welches er große Erbitterung zeigte, trotzdem es sich der Orden wie die Städte hatten große Summen kosten lassen, um seine ihm in Rom angetraute Gemahlin auf der Reise durch Deutschland, in Lübeck und Reval, mit fürstlichen Ehren zu bewirten. Aber sobald er die im Innern seiner Herrschaft widerstrebenden Kräfte niedergeworfen hatten beschäftigte ihn der Gedanken die Grenze seines Reiches bis an die baltische Küste auszudehnen. Der Orden rüstete bei Zeiten und rief die Hansastädte zum Beistand auf; sie sollten ihm 2.000 Mann Kriegsvolk stellen, bewilligten ihm statt dessen aber nur ein Prozent vom Kaufmannsgut auf Kriegsdauer, doch nicht über fünf Jahre. Die livländischen Städte sannen indes auf ein anderes Mittel, die fehlenden Kriegsleute aufzubringen: sie beschlossen, dass die in Livland sich aufhaltenden hansischen Kauffahrer aus dem Reiche zur Verteidigung gegen die Russen aufgeboten werden sollten. 3)
1480 beauftragte Lübeck die Livländer, in Nowgorod wegen eines zwanzigjährigen Friedens zu unterhandelnd in den aber der Großfürst von Moskau mit einbezogen werden soll. 1482 ward zu Narwa eine zehnjährige Waffenruhe zwischen Livland und den Russen vereinbart; da aber die Sicherheit des deutschen Kaufmanns durch diese Vereinbarung nicht genügend gewahrt zu sein schien, unternahm es Reval auf eigene Hand, den Frieden zwischen dem Kaufmann und Nowgorod herzustellen. Das lange Ausbleiben der Deutschen machte sich den Nowgorodern doch empfindlich bemerkbar, und erhielt daher Dorpat auf fein an die Nowgorod’sche Kaufmannschaft gerichtetes Ersuchen: sie möge den deutschen Kauffahrer seinen Hof und seine Kirche unter ihren Schutz nehmen — eine bereitwillige Zusage; denn so sei es altes Herkommen. 4)
Im März 1487 endlich kam ein zwanzigjähriger Friede zwischen den Hansestädten und dem Zaren (Keyser der Russzen) Iwan Wassiljewitsch und seinem Sohn Iwan Iwanowitsch zu Stande, den Namens der Hansa der Bürgermeister Tidemann Harke und Ratmann Johann Hacke von Dorpat der Bürgermeister Johann Retert und Ratmann Ludwig Krust von Reval unterzeichnet haben. Der Vertrag enthält die Bestimmungen des hansischen Verkehrs mit den Russen nach den alten Verbriefungen; neu ist die Bedingung, dass Russen und Deutsche ihre Güter gemeinschaftlich auf einem Schiffe verfrachten dürfen. 5)
Der großfürstliche Statthalter in Nowgorod legte jedoch dem Abkommen kein großes Gewicht bei; denn bereits im Dezember 1487 meldete Dorpat an Reval, dass er sich weigere, die Deutschen in alter Weise kaufschlagen zu lassen. Der Hofknecht Hans Hartwig ward daraus mit den entsprechenden Geschenken im Frühjahr 1489 nach Moskau entsendet, wo ihm der Großfürst geneigtes Gehör lieh und die Zusicherung gab, dass der deutsche Kaufmann nach altem Rechte am Wolchow sein Geschäft betreiben dürfe; er werde demnächst selbst nach Nowgorod kommen und die beiderseitigen Klagen anhören. 6)
Iwan hatte in dieser Zeit seine Aufmerksamkeit dem Westen zugewendet. Die Erzählungen seiner Gemahlin und einiger Griechen aus ihrer Umgebung von den Fortschritten der Künste und Wissenschaften in Europa regten seinen lebhaften Geist mächtig an; dazu kam, dass seit seiner Vermählung mit der griechischen Kaisertochter die europäischen Herrscher die Verbindung mit dem Fürsten im „mitternächtigen Moskowien“ suchten. Der erste, welcher sich um Iwans Gunst bewarb, war Matthias Corvinus, der sich zum Kriege gegen Kaiser Friedrich III. rüstete. Der Großfürst ging bereitwilligst auf des Ungarnkönigs Anerbieten ein, denn er hoffte auf diese Weise hinter das Geheimnis der Erfolge des großen Bezwingers der Türken, der Polen und des Kaisers kommen zu können. Zunächst sandte er seinen Staatsschreiber Fedor Kirizin nach Ungarn mit dem Auftrag, des Königs Politik zu studieren, und seine Verbindungen mit dem Sultan, mit dem Kaiser, mit den Königen von Böhmen und Polen zu erforschen. Er sollte weiter den König ersuchen, ihm Geschützgießer, Ingenieure, Baumeister und Bergverständige zu schicken. Matthias erklärte sich zu Allem bereit und es kam ein Vertrag zu Stande, in dem Iwan sich verpflichtete, den König von Polen in Schach zu halten. 7) So wurde es dem Ungarnkönige leicht, den Kaiser mit vernichtenden Schlägen zu treffen; Friedrich III. verließ in schimpflicher Flucht seine Erblande und 1485 fiel Wien in des Siegers Hände.
Diese Erfolge des Gegners glaubte man am kaiserlichen Hoflager vornehmlich dem Bündnisse desselben mit dem Zaren zuschreiben zu müssen und es lag nahe, den Versuch zu machen, den Moskowiter auf die Seite des Kaisers zu ziehen. Zunächst galt es, die Verhältnisse am russischen Hofe zu erkunden; eine hierfür geeignete Persönlichkeit fand sich in dem der slawischen Sprachen kundigen schlesischen Ritter Nicolaus Poppel, einem Mann von riesiger Körperkraft und umfassender Bildung, der England und Frankreich, Spanien und Italien bereist hatte und in diplomatischen Geschäften erprobt war.8)
Mit einem kaiserlichen Geleitbrief versehen, erschien Poppel, nur von zwei Dienern begleitet, im Winter 1486 in Moskau und erklärte den erstaunten Bojaren, dass ihn allein die Wissbegierde zu der weiten Reise getrieben habe. Dadurch machte er sich aber bei ihnen erst recht verdächtig; sie witterten in ihm einen Sendling der Polen und hielten das kaiserliche Handschreiben für gefälscht. Er ward genötigt, in ihrer Gegenwart die Namen der Reichsfürsten aufzuschreiben, damit sie erkennen könnten, ob seine Schriftzüge mit denen des Geleitbriefes übereinstimmten. Die Probe befriedigte sie aber nicht und Poppel ward, nachdem er zweimal im Kreml empfangen worden war, jedoch ohne Iwan vorgestellt zu werden, genötigt Moskau zu verlassen; schon im März 1487 treffen wir ihn wieder am kaiserlichen Hoflager. 9)
Poppel wurde in Nürnberg von dem Kaiser und dem römischen Könige Maximilian auf das Beste empfangen. Er musste ihnen während der Tafel Bericht erstatten und erhielt den Auftrag, abermals an den großfürstlichen Hof zu gehend diesmal jedoch als beglaubigter Kaiserlicher Gesandter. Diese Reise verzögerte sich aber durch eine gefährliche Krankheit Poppels um fünfzehn Monate; endlich genesen, machte sich der Ritter im Dezember 1488 auf den Weg. Das ihm von Friedrich III. und Maximilian ausgestellte Beglaubigungsschreiben datiert auf Ulm 26. Dezember 1488. Da die Sendung durchaus geheim bleiben sollte, gestattete der Kaiser dem Gesandten nur ein kleines Gefolge, dem Pappel erzählte, dass er durch das Land der Tartaren nach dem heiligen Grabe pilgern wolle. Erst in Nowgorod erfuhren seine Begleiter das wahre Ziel der Reise, die überaus schnell von statten ging; denn bereits gegen Ende des Januar traf man in der russischen Hauptstadt ein.
Schon nach wenigen Tagen wurde er im Kreml von drei Bojaren empfangen, ihnen gegenüber rühmte sich der Rittern vor dem Kaiser Iwans große Eigenschaften mehr gepriesen zu haben, als es einer der großfürstlichen Diener hätte tun können.
Als ihm der Staatssekretär Fedor Kirizin bemerkte, es solle ihn ein zarischer Gesandter an den Kaiserlichen Hof begleiten, entgegnete Poppel: er könne mit dem Gesandten in Deutschland nicht sicher reifen, auch wolle er den Rückweg über Schweden nehmen, da er bei dem Könige von Dänemark Geschäfte zu besorgen habe.
Bei dem zweiten Empfange redete Iwan den Ritter persönlich an. ,,So Gott will — sagte der Zar — werden wir unsere Gesandten an den Kaiser schicken, wir wünschen in Freundschaft und Liebe mit ihm zu stehen, dass Gesandte zwischen uns verkehren und von unserem gegenseitigen Befinden Kenntnis nehmen.“
Durch diese Ansprache ermutigt, trat Poppel nun mit den besonderen Anträgen, die ihm der Kaiser an den Großfürsten mitgegeben, hervor. Sie entsprechen ganz der von Friedrich III. begründeten österreichischen Hanspolitik, welche Matthias Corvinus so treffend gekennzeichnet hat in dem Distichon:
Bella gerant alii! Tu felix Austria nube!
Nam quae Mars aliis dat tibi regna Venus.
Der Kaiser bat um die Hand einer Tochter Iwans für seinen Neffen Albrecht von Baden; Poppel verlangte, die Prinzessin sehen zu dürfen, ward aber abgewiesen. Sodann entledigte er sich eines Auftrages des livländischen Ordensmeisters Freitag von Löninghof, welcher die von Pskow dem Orden abgenommenen Gebiete zurückverlangte; der Zar ließ ihm sagen, dass seine Vaterstadt sich den Rittern gegenüber durchaus im Recht befinde. Nun rückte der Gesandte mit seinem letzten Antrag heraus, durch den er sicher hoffte, Iwans Zuneigung zu gewinnen. Er sprach dem Staatssekretär den Wunsch aus, mit dem Großfürsten allein ohne Zeugen sprechen zu dürfen. Iwan ließ ihn rufen und gewährte ihm Gehör — abseits von den Bojaren, doch so, dass Kirizin Poppels Rede vernehmen konnte, die er aufzeichnen sollte, da der Ritter sich geweigert hatten durch Vermittlung eines Dolmetschers zu sprechen. Friedrich III. ließ dem Zaren den Königstitel anbieten, der Papst, von dem Iwan sich vor Jahren diesen Titel erbeten habe, könne denselben nicht verleihend das stehe nur bei des römischen Kaisers Majestät. Doch möge der Großfürst in dieser Sache das größte Geheimnis bewahrend da sonst der König von Polen alles hintertreiben werden der fürchte, dass, wenn Iwan den Königstitel erhalte, die zu Polen gehörenden russischen Provinzen ihm zufallen würden.
Iwan antwortete durch Kirizin, dass er eine solche Erhebung nicht begehrt habe und auch jetzt nicht begehre. Poppel brachte ohne Weiteres wieder die Heiratsangelegenheit zur Sprache: der Großfürst habe zwei Töchter, wolle er die eine nicht dem Markgrafen von Baden geben, so möge er sie dem Prinzen Johann von Sachsen vermählen, die andere dem Markgrafen Sigismund von Brandenburg. 10) Diesmal blieb die Antwort aus; damit war Poppels Sendung beendet. Im März 1489 trat er über Dänemark und Schweden die Rückreise an. Nach wenigen Tagen folgte ihm der Grieche Georg Trachaniotes, den Iwan als Gesandten an den Kaiser schickte. Der nahm seinen Weg über Narwa und Reval zur See nach Lübeck, wo er mit dem Ritter zusammentreffen wollte. 11) Der Zar hatte ihm Empfehlungsschreiben an die Bürgermeister der genannten Städte, außerdem zur Bestreitung der Reisekosten achtzig Zobel- und dreitausend Eichhornfelle (Grauwerk) mitgegeben, die er in Deutschland verkaufen sollte. Da Poppel in Lübeck in schwere Krankheit verfiel, musste Trachaniotes allein an das Hoflager des Kaisers gehen. Er wurde in Frankfurt am Main von Friedrich und Maximilian mit ungewöhnlicher Auszeichnung empfangen. Er hielt in italienischer Sprache eine Anrede, in welcher er auf Poppels Anträge Bezug nahm und bemerkt, dass der Zar gern dem Sohne des Kaisers die Hand feiner Tochter geben würde. Zum Schluss bat Trachaniotes um die Erlaubnis in Deutschland gute Künstler, Baumeister und Bergleute für den großfürstlichen Dienst anzuwerben.
Die Erlaubnis ward ihm nicht versagt; Kaiser und König verabschiedeten den zarischen Boten huldvollst, indem sie ihm die Hand reichten. Am 16. Juli 1490 verließ er Frankfurt in Begleitung Georg v. Thurns, der, des Slawischen kundig, in Moskau die Verhandlungen weiter führen sollte. 12)
Am 6. April 1490 war in Wien Matthias Corvin gestorben, Maximilian wünschte sich die Stephans-Krone auf das Haupt zu setzen und zu diesem Zweck ein Bündnis mit Iwan zu schließen. Thurn sollte dem Zaren den Besitz des südlichen Litauens zusichern, wenn er durch kriegerische Unternehmungen die Söhne Kasimirs von Polen, den Prinzen Albert und den König Wladislaw von Böhmen von der Bewerbung um den ungarischen Thron abhalten würde. Um den Moskowiter diesem Antrage geneigter zu machen, ließ der römische König durch Thurn für sich um die Hand einer Tochter des Großfürsten werben. 13)
Diese Werbung entsprach so ganz der gewissenlosen Politik Maximilians; denn er konnte gar nicht im Ernst an eine Vermählung mit der russischen Prinzessin denken. Im März 1490 hatte er seinen Bevollmächtigen nach der Bretagne gesandt, mit der Herzogin Anna einen Ehekontrakt abschließend deren Eid entgegenzunehmen und Alles zu vollbringen, was der König als Gegenwärtiger tun könne jusques à la consommation du dit mariage. 14)
Iwan und seine Gemahlin nahmen Thurns Werbung voller Huld an, erklärten aber, dass, bevor in dieser Angelegenheit weiteres geschehen können der römische König sich schriftlich verpflichten müsse, seiner Gemahlin die Ausübung des griechischen Glaubens gestatten zu wollen. Auf Thurns Entgegnung, dass er zur Abgabe einer solchen Verpflichtung nicht ermächtigt sei, ward diese Frage nicht weiter berührt.
Der Bundesvertrag kam dagegen ohne Schwierigkeit zu Stande; am 16. August 1490 erfolgte die Unterzeichnung. Das Schriftstück, auf Pergament mit dem goldenen großfürstlichen Siegel versehen, ist die erste Urkunde, welche zwischen Österreich und Russland ausgetauscht wurde. Iwan und Maximilian schwören sich ewige Liebe und Eintracht und gegenseitigen Beistand: Wie der Zar dem Könige beistehen wird, sobald er Kunde davon erhalten, dass der König von Polen und dessen Kinder ihn „um seines Erbes willen“ bekriegen, so wird der König dem Großfürsten „von Herzen ohne Trug“ beistehend sobald ihn dieser benachrichtigt, dass er nach dem Großfürstentum Kiew und den anderen Ländern, die Litauen beherrscht, zu trachten beginne.
Die Freude Iwans über den Abschluss dieses Vertrags gab sich besonders kund in den reichen Geschenken, mit denen er Thurn auszeichnete: ,,er machte aus ihm einen Goldträger“ bemerkt der zarische Geheimschreiber.
Drei Tage nach der Unterzeichnung kehrte Maximilians Gesandter nach Deutschland zurück in Begleitung von Trachaniotes und des Staatssekretärs Kuleschin, in deren Gegenwart der römische König die Urkunde bei Kreuzeskuss unterzeichnen und beschwören sollte.
Die Nachricht von dem Abschluss eines Bündnisses zwischen dem künftigen Kaiser und dem Moskowitern dessen Heere das deutsche Ordensland bedrohten, erregte in Deutschland, namentlich aber in Livland und Polens großes Missvergnügen. Iwan hatte an den Rat von Narwa und den von Reval seinen Boten Fedor Tschirka Surmin gesandt mit einem Schreiben, in welchem die Bürgermeister ersucht werden, die Gesandten Trachaniotes und Kuleschin sicher weiter zu befördern. Als sie aber in Lübeck glücklich angekommen waren, wussten sie dem Zar zu berichtend dass der König von Dänemark und die deutschen Fürsten auf Mittel und Wege gesonnen hätten, sich ihrer zu bemächtigen und dass sie nur durch Thurns Bemühungen sicher in der Trave gelandet wären. 15)
Am 22. April 1491 vollzog Maximilian zu Nürnberg den Vertrag in der von Iwan gewünschten Weise.
Die Heiratsangelegenheit durften die Gesandten nicht mehr zur Sprache bringen, denn sie erfuhren, dass der König im Dezember des vergangenen Jahres die Ehe mit Anna von Bretagne durch den Marschall Wolfgang von Polheim habe vollziehen lassen, der in Gegenwart des Hofes das festlich geschmückte Hochzeitslager bestiegen hatte, um symbolisch den rechtlich erforderlichen Vollzug der Vermählung anzudeuten. 16)
Die beiden Gesandten trafen im August 1491 in Moskau wieder ein, und schon im November desselben Jahres erschien auch Georg von Thurn abermals vor dem Zaren. Maximilian hatte die Notwendigkeit erkannt, sich bei Iwan wegen der ihm gespielten Komödie zu entschuldigen, daher Thurn beauftragt war, dem Großfürsten ein Märchen zu erzählen, dem zufolge sich in Deutschland das Gerücht verbreitet haben sollte, Thurn sei mit seiner Begleitung bei der Seefahrt ertrunken, der König hätte nun angenommene der Großfürst habe von seiner Bewerbung noch nichts erfahren, daher er dem dringenden Wunsche des Kaisers und der Reichsfürsten, sich mit der Herzogin von Bretagne zu vermählen, nachgekommen sei.
Als Thurn diese Erzählung dem russischen Herrscher vortrugt war Maximilians Ehe bereits durch den Papst für ungültig erklärt und gelöst worden; am 6. Dezember 1491 feierte Anna zu Longeais in Touraine ihre Vermählung mit Karl VIII. von Frankreich. 17) Iwan nahm die Entschuldigung des Königs schweigend an, um so eifriger hörte er auf die Eröffnungen über Maximilians geheime Anschläge gegen Polen, die ihm der Gesandte im Auftrage seines Herrn zu machen hatte.
Der römische König hatte, um Polen von einer bewaffneten Teilnahme an der Bewerbung um die Stephanskrone abzuhalten, den Meister des deutschen Ordens aufgefordert, das Lehnsjoch der Polen abschütteln; aber sowohl der Hochmeister als auch der Meister von Livland erklärten sich dazu nur unter der Bedingung bereit, dass der König ihnen den Beistand des Großfürsten von Moskau zusichern könnte. Thurn ersuchte nun den Zaren, er möge dem Orden einen ewigen Frieden gewähren und ihn in seinen Schutz nehmen.
Iwan traute jedoch Maximilian nicht mehr, seitdem er auf Umwegen erfahren hatten dass dieser den ungarischen Thron an Wladislaw abzutreten willens sei. Er habe selbst, äußerte er zu dem Gesandten, das Ross zur Unterstützung des Königs besteigen wollen, doch da dieser sich mit seinem Gegner ausgesöhnt, bleibe ihm nichts mehr zu tun übrig. Den Ordensstaat wolle er in seinen Schutz nehmen, doch könne er in den Wunsch des Meisters von Livland, welcher in den Verträgen das Wort „Fußfall“ durch ,,Flehen“ ersetzen wolle, nicht willigen; habe man doch früher das freie Nowgorod „fußfällig“ gebeten, warum wolle man jetzt ein anderes Wort gebrauchen, wo der Meister mit zarischen Statthaltern, angesehenen Männern, unterhandle. 18)
Nach dem letzten unglücklichen Kriege gegen die Pskower, denen Iwan seinen ersten Feldherrn Daniel Chulmskij mit einer ansehnlichen Heeresmacht zu Hilfe geschickt, hatte der Meister von Livland einen Frieden auf zwanzig Jahre mit den Russen vereinbart, der im Jahre 1493 ablief. Iwan hatte in Rücksicht auf diesen Zeitpunkt 1492 Narwa gegenüber eine steinerne Veste mit hohen Türmen anlegen lassen, die er zur großen Besorgnis der Livländer nach sich Iwangorod nannte; dieselbe fiel zwar bald darauf den Schweden in die Hände, welche sie dem Orden abtreten wollten, aber da dieser aus Furcht vor dem Großfürsten das Anerbieten ablehnte, verließen die Schweden den Ort, den die sofort wieder in Besitz nahmen.
Schon vorher hatte der Ordensmeister die Erneuerung des Friedensvertrages von 1484 nachgesucht und um die Abänderung jener Ausdrücke gebeten, deren Iwan in seiner Unterredung mit Thurn gedachte. Wohl in Rücksicht auf sein Bündnis mit Maximilian willigte der Zar in die Verlängerung des Friedens auf zehn Jahre.
Die Verbindung mit dem deutschen Kaiser und römischen Könige hatte seinen Ehrgeiz mächtig angefacht. Kaum war Thurn im April 1492 nach Deutschland zurückgekehrt, als ihm auch schon wieder Trachaniotes mit dem Djäk Jaropkin folgte. Iwan sandte beide mit dem Auftrag, sich über Maximilians Politik zu unterrichten und sich nach einem geeigneten Fürsten für die zarische Tochter umzusehen: er warf sein Auge auf Maximilian selbst, auf dessen Sohn Philipp, auf den Kurfürsten Friedrich von Sachsen, jeder von diesen dreien schien ihm eine passende Partie zu sein. Dabei vergaß er aber nicht, seinen Boten einzuschärfen, für ihn tüchtige Handwerker in Deutschland anzuwerben. Dem Kurfürsten Friedrich übersandte er vierzig Zobelfelle zum Geschenk und ließ ihn ersuchen: er möge seinen Untertanen gestatten, sich in Russland anzusiedeln, wofür der Großfürst bereit sein werden ihm mit Allem zu dienen, was sein Land erzeugt.
Trachaniotes und Jaropkin konnten den Aufenthaltsort Maximilians — der König lag gegen Karl VIII. zu Felde, um ihn dafür zu strafen, dass er Anna von Bretagne zum Treubruch verleitet und sich mit ihr vermählt hatte — nicht erfahren und mussten daher einige Monate in Lübeck liegen bleiben. Sie ließen hier die ihnen mitgegebenen Schreiben und Instruktionen ins Deutsche übersetzen und durch den Buchdrucker Bartholomäus Ghotan, der sich eidlich verpflichten musste, ihren Inhalt an Niemand zu verraten, in Druck legen. 19) Endlich erhielten sie die Nachricht, dass der römische König in Kalmar sei. Sie eilten dorthin, fanden aber nicht die erwartete Aufnahme; denn für den an politischen Ideen und Entwürfen unerschöpflichen Erben der Kaiserkrone war die Kombination, in welcher er dem russischen Großfürsten eine ausschlaggebende Rolle zugewiesen, bereits gegenstandslos geworden. Iwans Gesandte hatten mit diplomatischem Spürsinn sich über Maximilians Stellung zu England, Schottland, Spanien, Portugal, sowie zu den Reichsfürsten unterrichtet, den geheimen Fäden seiner Politik nachgespürt und ihrem Herrn über Alles Gesehene und Gehörte umständlich Bericht erstattet. Die an ihre Sendung geknüpften politischen Hoffnungen waren zwar nicht in Erfüllung gegangen, dagegen war es ihnen gelungen, geschickte Handwerker und Bergleute für den Zaren anzuwerben.
Von der Tätigkeit der Letzteren versprach sich Iwan besonders viel, und zwei derselben entsprachen auch seinen Erwartungen im vollen Maße. Johann und Victor, nur ihre Vornamen haben die russischen Annalen aufbewahrt, waren in Begleitung zweier Russen an die Ufer der Petschora gezogen, um Silber zu suchen; was sie hier nicht fanden, trafen sie dreihundert Werst südwestlich an der Zylma, einem Nebenfluss der Petschora. Auf einem Flächenraum von zehn Werst entdeckten sie eine Silber- und eine Kupfermine, deren Erträgnisse den Großfürsten bald in den Stand setzten, aus heimatlichem Silber Münzen schlagen zu können, während er bis dahin die Edelmetalle vom Auslande bezogen hatte. 20)
Sobald die Kunde von dieser Entdeckung sich verbreitete, trafen aus Europa abenteuerlustige Reisende in Moskau ein, die hier jedoch ihre Rechnung nicht fanden. Auch Erzherzog Sigismund von Tyrol sandte 1492 Michael Snups mit Empfehlungsschreiben Maximilians an Iwan: der Zar möge dem Überbringer erlaubend die russische Sprache zu erlernen und das Land bis an den Ob — dessen hier zum ersten Mal Erwähnung geschieht — zu bereisen. Die Erlaubnis ward aber nicht erteilt, Snups musste vielmehr nach kurzer Zeit Russland auf demselben Wege verlassen, auf dem er gekommen war; er durfte weder durch Polen, noch durch die Türkei zurückkehren — man hielt ihn für einen Kundschafter. 21)
Nachdem das Bündnis mit dem Kaiser und Maximilian für Iwans Wünsche ohne Ergebnis geblieben, zeigte sich der Großfürst den Livländern um so feindlicher gesinnt; Trachaniotes, der bei ihm in hoher Gunst stand, ermüdete nicht in seiner Schilderung von der unfreundlichen Gesinnung, welche die Ritter wie die Städter wegen der Verbindung des römischen Königs mit dem russischen Herrscher kundgegeben hätten, und von den Schwierigkeiten, die namentlich in Reval den zarischen Gesandten in den Weg gelegt worden wären. Iwan wartete auf die Gelegenheit, die Deutschen seine Überlegenheit fühlen zu lassen. Sie bot sich ihm bald. Er stand mit dem König Johann von Dänemark — der einige Jahre später mit russischer Hilfe den schwedischen Thron bestieg — in Unterhandlung wegen des Abschlusses eines Bündnisses zur Vertreibung der Schweden aus Finnland.
Johann, ein erbitterter Gegner der hansischen Kauffahrer, wusste sich geschickt Iwans Abneigung gegen die Livländer zu bedienen, um der Hansa einen empfindlichen Schlag beizubringen. Er machte den Abschluss des Bündnisses von der Bedingung abhängig, dass den Deutschen der russische Markt verschlossen und sie aus Nowgorod vertrieben würden. Am 3. November 1493 kam der Vertrag zu Stande, den geheim zu halten die Verbündeten sich verpflichteten. 22)
Die Revaler boten bald darauf dem Zaren den erwünschten Vorwand, seiner Verbindlichkeit gegen Johann nachzukommen und zwar mit der ihm eigenen Verschlagenheit und Hinterlist. Der Revalsche Rat hatte dem Gesetz gemäß zwei Russen, den einen wegen widernatürlicher Unzucht, den anderen wegen Falschmünzerei dem Feuertode überantwortet. Als einige Landsleute der Verurteilten über die Härte der Strafe Beschwerde führten, soll die Antwort erfolgt sein: ,,Wir würden auch euren Fürsten verbrannt habend hätte er bei uns dasselbe getan.“ Iwan zerbrach auf die Kunde von dem Vorgang im wildem Grimm seinen Stock und rief, die Stücke zur Erde werfend: „Gott entscheide meine Sache und strafe die Frechheit.“ Er forderte die Auslieferung der Revaler Richter; sie ward verweigert.
Schon im zehnten Lebensjahre seinem Vater Wassilij Wassiljewitsch, der von einem seiner Neffen überfallen und geblendet worden war, als Mitregent beigegeben, übernahm Iwan nach dem Ableben Wassilijs 1462 im Alter von zweiundzwanzig Jahren die Regierung. Anfangs zeigte er Milde und Mäßigung, aber nach seinem ersten kriegerischen Erfolg über den Chan von Kasan begann er die Maske abzuwerfen. Zunächst traf fein Zorn das stolze Nowgorod, dem er schon einige Jahre zuvor einen Schlag versetzt hatten als er die Losreißung Pskows von dem Freistaat begünstigte. Jetzt forderte er die Nowgoroder auf, ihm zu huldigen: seine Vorfahren hätten den Titel „Großfürsten von Wladimir, Nowgorod und ganz Reußen“ geführt, daher habe sich ihm die Stadt zu unterwerfen.
Die Bürger lehnten diese Zumutung entrüstet ab und beschlossen, die Oberherrschaft über den Freistaat Kasimir, dem König von Polen und Großfürsten von Litauen zu übertragen.
Dieser nahm ihren Antrag an und verpflichtete sich, „nach den Grundsätzen der alten bürgerlichen Freiheiten“ zu regieren und untere zeichnete einen Vertrag, der auch folgenden Artikel enthielt: „Litauische Kaufleute dürfen nur durch Rowgorodsche mit den Deutschen Handel treiben. Der deutsche Kaufhof ist Dir nicht unterworfen. Du darfst ihn nicht schließen.“ Iwan III. ließ die Stadt nochmals zur Unterwerfung auffordern, sein Gesandter kehrte aber mit dem Rate zurück: nicht Worte und Briefen sondern das Schwert allein könne die Rowgoroder demütigen.
Beide Teile rüsteten zum Kriege, am 14. Juli 1471 kam es an der Schalona zur Schlacht, in der die verbündeten Moskauer und Pkower Sieger blieben. Nowgorod ergab sich nach kurzem Widerstande auf Gnade und Ungnade; es musste achtzig Pud Silber zahlen, sich zu einer Abgabe an den Großfürsten — „Kopf- oder schwarze Steuer“ genannt — verpflichten, die Verbindung mit Kasimir abschwören, die Volksgerichte aufheben und sich der Gerichtsbarkeit des Moskauer Herrschers unterwerfen. Noch blieb ihnen ein Rest von Unabhängigkeit, aber auch dieser erschien Iwan vom Übel. 1475 begab sich der Großfürst nach dem Wolchow, um über die Nowgoroder Bojaren ein furchtbares Strafgericht abzuhalten. Mit Gold und Schätzen reich beladen kehrte er nach Moskau zurück, durch kluge Unterwürfigkeit hatten die Bürger den ihnen drohenden Sturm noch einmal abgewendet. Aber als 1477 die Wetsche und der Erzbischof Gesandte an Iwan schickten, wurden diese durch Versprechungen und Geschenke dazu vermocht, den Großfürsten statt mit dem seit Alters gebräuchlichen „Gospodin, Herr“ mit „Gossudar, Herrscher“ von Nowgorod anzureden. Kaum hatte Iwan diese Anrede vernommene als er auch einen Bojaren an die Nowgoroder mit der Botschaft entsandte, sie möchten, nachdem sie ihm den Titel „Gossudar“ gegeben hätten, ihm nun auch als unumschränkten Gebieter, Richter und Gesetzgeber den Eid der Treue leisten. Nach stürmischer Beratung beschlossen die Bürger eine Adresse an den Großfürsten folgenden Inhalts: „Wir grüßen Dich, unsern Herrn und Großfürsten, aber Herrscher nennen wir Dich nicht. Du kennst die, welche Dir vorschlugen, Herrscher von Nowgorod zu sein, züchtige sie für den Trug. Wir strafen hier gleichfalls die treulosen Verräter. Vor Dir aber, Herr, werfen wir uns nieder, dass Du uns halten mögest nach alter Sitten nach dem Kreuzkuss.“
Des Großfürsten Antwort war eine Kriegserklärung; bereits am 17. November 1477 stand er vor den Toren der Stadt, deren Bürger die umfassendsten Vorkehrungen zur Verteidigung trafen. Die Bürgerschaft war aber in sich gespalten, während die Einen riefen: „In den Kampf. Lasst uns sterben für die Freiheit und die heilige Sophie!“ verlangten die Anderen Zeit zur Verhandlung mit Iwan. Diese behielten die Oberhand. Nach mehrwöchentlichen Unterhandlungen unterwarf sich die Stadt bedingungslos und war das Volk bereit, das Kreuz zu küssen, „Alles erwartend von dem Herrscher, wie Gott es ihm ins Herz gibt und schon kein anderes Vertrauen mehr nährend.“ Der Großfürst froh, ohne Schwertstreich Groß-Nowgorod unter seinen Willen gebeugt zu habend hielt ein mildes Strafgericht und kehrte mit einer Beute im Werte von vierzehn Millionen in seine Hauptstadt zurück. Nowgorods Kraft war für immer gebrochen. Jeder Versuch, das großfürstliche Joch abzuschütteln, ward im Blute seiner Urheber erstickt. Die Zähmung ihres Widerstandsgeistes vollendete die zwangsweise Massenübersiedelung ihrer Bürger in das Innere des Reiches; ihre Güter wurden an Moskauer Bojaren, Krieger und Kaufleute verteilt.1)
Die Bewohner der deutschen Kaufhöfe hatten in diesen Jahren schwere Drangsale zu erdulden gehabt; als Iwan vor Nowgorod lagerte, wurden sie ihres Eigentums beraubt und in den Höfen eingeschlossen. Der Gedanken den die Livländer fassten, sich an dem in Narwa aufgestapelten russischen Gut für die geraubten Waren schadlos zu halten, musste aufgegeben werden in Rücksicht auf die noch in Nowgorod festgehaltenen Kaufleute. Aller Handel nach Russland ward aber untersagt und die Insassen von St. Peter und St. Olav erhielten von Dorpat die Weisung,. Nowgorod zu verlassen, wozu Narwas Beihilfe erbeten wurde. 2)
Man erwartete einen Angriff des Großfürsten auf Livland, gegen welches er große Erbitterung zeigte, trotzdem es sich der Orden wie die Städte hatten große Summen kosten lassen, um seine ihm in Rom angetraute Gemahlin auf der Reise durch Deutschland, in Lübeck und Reval, mit fürstlichen Ehren zu bewirten. Aber sobald er die im Innern seiner Herrschaft widerstrebenden Kräfte niedergeworfen hatten beschäftigte ihn der Gedanken die Grenze seines Reiches bis an die baltische Küste auszudehnen. Der Orden rüstete bei Zeiten und rief die Hansastädte zum Beistand auf; sie sollten ihm 2.000 Mann Kriegsvolk stellen, bewilligten ihm statt dessen aber nur ein Prozent vom Kaufmannsgut auf Kriegsdauer, doch nicht über fünf Jahre. Die livländischen Städte sannen indes auf ein anderes Mittel, die fehlenden Kriegsleute aufzubringen: sie beschlossen, dass die in Livland sich aufhaltenden hansischen Kauffahrer aus dem Reiche zur Verteidigung gegen die Russen aufgeboten werden sollten. 3)
1480 beauftragte Lübeck die Livländer, in Nowgorod wegen eines zwanzigjährigen Friedens zu unterhandelnd in den aber der Großfürst von Moskau mit einbezogen werden soll. 1482 ward zu Narwa eine zehnjährige Waffenruhe zwischen Livland und den Russen vereinbart; da aber die Sicherheit des deutschen Kaufmanns durch diese Vereinbarung nicht genügend gewahrt zu sein schien, unternahm es Reval auf eigene Hand, den Frieden zwischen dem Kaufmann und Nowgorod herzustellen. Das lange Ausbleiben der Deutschen machte sich den Nowgorodern doch empfindlich bemerkbar, und erhielt daher Dorpat auf fein an die Nowgorod’sche Kaufmannschaft gerichtetes Ersuchen: sie möge den deutschen Kauffahrer seinen Hof und seine Kirche unter ihren Schutz nehmen — eine bereitwillige Zusage; denn so sei es altes Herkommen. 4)
Im März 1487 endlich kam ein zwanzigjähriger Friede zwischen den Hansestädten und dem Zaren (Keyser der Russzen) Iwan Wassiljewitsch und seinem Sohn Iwan Iwanowitsch zu Stande, den Namens der Hansa der Bürgermeister Tidemann Harke und Ratmann Johann Hacke von Dorpat der Bürgermeister Johann Retert und Ratmann Ludwig Krust von Reval unterzeichnet haben. Der Vertrag enthält die Bestimmungen des hansischen Verkehrs mit den Russen nach den alten Verbriefungen; neu ist die Bedingung, dass Russen und Deutsche ihre Güter gemeinschaftlich auf einem Schiffe verfrachten dürfen. 5)
Der großfürstliche Statthalter in Nowgorod legte jedoch dem Abkommen kein großes Gewicht bei; denn bereits im Dezember 1487 meldete Dorpat an Reval, dass er sich weigere, die Deutschen in alter Weise kaufschlagen zu lassen. Der Hofknecht Hans Hartwig ward daraus mit den entsprechenden Geschenken im Frühjahr 1489 nach Moskau entsendet, wo ihm der Großfürst geneigtes Gehör lieh und die Zusicherung gab, dass der deutsche Kaufmann nach altem Rechte am Wolchow sein Geschäft betreiben dürfe; er werde demnächst selbst nach Nowgorod kommen und die beiderseitigen Klagen anhören. 6)
Iwan hatte in dieser Zeit seine Aufmerksamkeit dem Westen zugewendet. Die Erzählungen seiner Gemahlin und einiger Griechen aus ihrer Umgebung von den Fortschritten der Künste und Wissenschaften in Europa regten seinen lebhaften Geist mächtig an; dazu kam, dass seit seiner Vermählung mit der griechischen Kaisertochter die europäischen Herrscher die Verbindung mit dem Fürsten im „mitternächtigen Moskowien“ suchten. Der erste, welcher sich um Iwans Gunst bewarb, war Matthias Corvinus, der sich zum Kriege gegen Kaiser Friedrich III. rüstete. Der Großfürst ging bereitwilligst auf des Ungarnkönigs Anerbieten ein, denn er hoffte auf diese Weise hinter das Geheimnis der Erfolge des großen Bezwingers der Türken, der Polen und des Kaisers kommen zu können. Zunächst sandte er seinen Staatsschreiber Fedor Kirizin nach Ungarn mit dem Auftrag, des Königs Politik zu studieren, und seine Verbindungen mit dem Sultan, mit dem Kaiser, mit den Königen von Böhmen und Polen zu erforschen. Er sollte weiter den König ersuchen, ihm Geschützgießer, Ingenieure, Baumeister und Bergverständige zu schicken. Matthias erklärte sich zu Allem bereit und es kam ein Vertrag zu Stande, in dem Iwan sich verpflichtete, den König von Polen in Schach zu halten. 7) So wurde es dem Ungarnkönige leicht, den Kaiser mit vernichtenden Schlägen zu treffen; Friedrich III. verließ in schimpflicher Flucht seine Erblande und 1485 fiel Wien in des Siegers Hände.
Diese Erfolge des Gegners glaubte man am kaiserlichen Hoflager vornehmlich dem Bündnisse desselben mit dem Zaren zuschreiben zu müssen und es lag nahe, den Versuch zu machen, den Moskowiter auf die Seite des Kaisers zu ziehen. Zunächst galt es, die Verhältnisse am russischen Hofe zu erkunden; eine hierfür geeignete Persönlichkeit fand sich in dem der slawischen Sprachen kundigen schlesischen Ritter Nicolaus Poppel, einem Mann von riesiger Körperkraft und umfassender Bildung, der England und Frankreich, Spanien und Italien bereist hatte und in diplomatischen Geschäften erprobt war.8)
Mit einem kaiserlichen Geleitbrief versehen, erschien Poppel, nur von zwei Dienern begleitet, im Winter 1486 in Moskau und erklärte den erstaunten Bojaren, dass ihn allein die Wissbegierde zu der weiten Reise getrieben habe. Dadurch machte er sich aber bei ihnen erst recht verdächtig; sie witterten in ihm einen Sendling der Polen und hielten das kaiserliche Handschreiben für gefälscht. Er ward genötigt, in ihrer Gegenwart die Namen der Reichsfürsten aufzuschreiben, damit sie erkennen könnten, ob seine Schriftzüge mit denen des Geleitbriefes übereinstimmten. Die Probe befriedigte sie aber nicht und Poppel ward, nachdem er zweimal im Kreml empfangen worden war, jedoch ohne Iwan vorgestellt zu werden, genötigt Moskau zu verlassen; schon im März 1487 treffen wir ihn wieder am kaiserlichen Hoflager. 9)
Poppel wurde in Nürnberg von dem Kaiser und dem römischen Könige Maximilian auf das Beste empfangen. Er musste ihnen während der Tafel Bericht erstatten und erhielt den Auftrag, abermals an den großfürstlichen Hof zu gehend diesmal jedoch als beglaubigter Kaiserlicher Gesandter. Diese Reise verzögerte sich aber durch eine gefährliche Krankheit Poppels um fünfzehn Monate; endlich genesen, machte sich der Ritter im Dezember 1488 auf den Weg. Das ihm von Friedrich III. und Maximilian ausgestellte Beglaubigungsschreiben datiert auf Ulm 26. Dezember 1488. Da die Sendung durchaus geheim bleiben sollte, gestattete der Kaiser dem Gesandten nur ein kleines Gefolge, dem Pappel erzählte, dass er durch das Land der Tartaren nach dem heiligen Grabe pilgern wolle. Erst in Nowgorod erfuhren seine Begleiter das wahre Ziel der Reise, die überaus schnell von statten ging; denn bereits gegen Ende des Januar traf man in der russischen Hauptstadt ein.
Schon nach wenigen Tagen wurde er im Kreml von drei Bojaren empfangen, ihnen gegenüber rühmte sich der Rittern vor dem Kaiser Iwans große Eigenschaften mehr gepriesen zu haben, als es einer der großfürstlichen Diener hätte tun können.
Als ihm der Staatssekretär Fedor Kirizin bemerkte, es solle ihn ein zarischer Gesandter an den Kaiserlichen Hof begleiten, entgegnete Poppel: er könne mit dem Gesandten in Deutschland nicht sicher reifen, auch wolle er den Rückweg über Schweden nehmen, da er bei dem Könige von Dänemark Geschäfte zu besorgen habe.
Bei dem zweiten Empfange redete Iwan den Ritter persönlich an. ,,So Gott will — sagte der Zar — werden wir unsere Gesandten an den Kaiser schicken, wir wünschen in Freundschaft und Liebe mit ihm zu stehen, dass Gesandte zwischen uns verkehren und von unserem gegenseitigen Befinden Kenntnis nehmen.“
Durch diese Ansprache ermutigt, trat Poppel nun mit den besonderen Anträgen, die ihm der Kaiser an den Großfürsten mitgegeben, hervor. Sie entsprechen ganz der von Friedrich III. begründeten österreichischen Hanspolitik, welche Matthias Corvinus so treffend gekennzeichnet hat in dem Distichon:
Bella gerant alii! Tu felix Austria nube!
Nam quae Mars aliis dat tibi regna Venus.
Der Kaiser bat um die Hand einer Tochter Iwans für seinen Neffen Albrecht von Baden; Poppel verlangte, die Prinzessin sehen zu dürfen, ward aber abgewiesen. Sodann entledigte er sich eines Auftrages des livländischen Ordensmeisters Freitag von Löninghof, welcher die von Pskow dem Orden abgenommenen Gebiete zurückverlangte; der Zar ließ ihm sagen, dass seine Vaterstadt sich den Rittern gegenüber durchaus im Recht befinde. Nun rückte der Gesandte mit seinem letzten Antrag heraus, durch den er sicher hoffte, Iwans Zuneigung zu gewinnen. Er sprach dem Staatssekretär den Wunsch aus, mit dem Großfürsten allein ohne Zeugen sprechen zu dürfen. Iwan ließ ihn rufen und gewährte ihm Gehör — abseits von den Bojaren, doch so, dass Kirizin Poppels Rede vernehmen konnte, die er aufzeichnen sollte, da der Ritter sich geweigert hatten durch Vermittlung eines Dolmetschers zu sprechen. Friedrich III. ließ dem Zaren den Königstitel anbieten, der Papst, von dem Iwan sich vor Jahren diesen Titel erbeten habe, könne denselben nicht verleihend das stehe nur bei des römischen Kaisers Majestät. Doch möge der Großfürst in dieser Sache das größte Geheimnis bewahrend da sonst der König von Polen alles hintertreiben werden der fürchte, dass, wenn Iwan den Königstitel erhalte, die zu Polen gehörenden russischen Provinzen ihm zufallen würden.
Iwan antwortete durch Kirizin, dass er eine solche Erhebung nicht begehrt habe und auch jetzt nicht begehre. Poppel brachte ohne Weiteres wieder die Heiratsangelegenheit zur Sprache: der Großfürst habe zwei Töchter, wolle er die eine nicht dem Markgrafen von Baden geben, so möge er sie dem Prinzen Johann von Sachsen vermählen, die andere dem Markgrafen Sigismund von Brandenburg. 10) Diesmal blieb die Antwort aus; damit war Poppels Sendung beendet. Im März 1489 trat er über Dänemark und Schweden die Rückreise an. Nach wenigen Tagen folgte ihm der Grieche Georg Trachaniotes, den Iwan als Gesandten an den Kaiser schickte. Der nahm seinen Weg über Narwa und Reval zur See nach Lübeck, wo er mit dem Ritter zusammentreffen wollte. 11) Der Zar hatte ihm Empfehlungsschreiben an die Bürgermeister der genannten Städte, außerdem zur Bestreitung der Reisekosten achtzig Zobel- und dreitausend Eichhornfelle (Grauwerk) mitgegeben, die er in Deutschland verkaufen sollte. Da Poppel in Lübeck in schwere Krankheit verfiel, musste Trachaniotes allein an das Hoflager des Kaisers gehen. Er wurde in Frankfurt am Main von Friedrich und Maximilian mit ungewöhnlicher Auszeichnung empfangen. Er hielt in italienischer Sprache eine Anrede, in welcher er auf Poppels Anträge Bezug nahm und bemerkt, dass der Zar gern dem Sohne des Kaisers die Hand feiner Tochter geben würde. Zum Schluss bat Trachaniotes um die Erlaubnis in Deutschland gute Künstler, Baumeister und Bergleute für den großfürstlichen Dienst anzuwerben.
Die Erlaubnis ward ihm nicht versagt; Kaiser und König verabschiedeten den zarischen Boten huldvollst, indem sie ihm die Hand reichten. Am 16. Juli 1490 verließ er Frankfurt in Begleitung Georg v. Thurns, der, des Slawischen kundig, in Moskau die Verhandlungen weiter führen sollte. 12)
Am 6. April 1490 war in Wien Matthias Corvin gestorben, Maximilian wünschte sich die Stephans-Krone auf das Haupt zu setzen und zu diesem Zweck ein Bündnis mit Iwan zu schließen. Thurn sollte dem Zaren den Besitz des südlichen Litauens zusichern, wenn er durch kriegerische Unternehmungen die Söhne Kasimirs von Polen, den Prinzen Albert und den König Wladislaw von Böhmen von der Bewerbung um den ungarischen Thron abhalten würde. Um den Moskowiter diesem Antrage geneigter zu machen, ließ der römische König durch Thurn für sich um die Hand einer Tochter des Großfürsten werben. 13)
Diese Werbung entsprach so ganz der gewissenlosen Politik Maximilians; denn er konnte gar nicht im Ernst an eine Vermählung mit der russischen Prinzessin denken. Im März 1490 hatte er seinen Bevollmächtigen nach der Bretagne gesandt, mit der Herzogin Anna einen Ehekontrakt abschließend deren Eid entgegenzunehmen und Alles zu vollbringen, was der König als Gegenwärtiger tun könne jusques à la consommation du dit mariage. 14)
Iwan und seine Gemahlin nahmen Thurns Werbung voller Huld an, erklärten aber, dass, bevor in dieser Angelegenheit weiteres geschehen können der römische König sich schriftlich verpflichten müsse, seiner Gemahlin die Ausübung des griechischen Glaubens gestatten zu wollen. Auf Thurns Entgegnung, dass er zur Abgabe einer solchen Verpflichtung nicht ermächtigt sei, ward diese Frage nicht weiter berührt.
Der Bundesvertrag kam dagegen ohne Schwierigkeit zu Stande; am 16. August 1490 erfolgte die Unterzeichnung. Das Schriftstück, auf Pergament mit dem goldenen großfürstlichen Siegel versehen, ist die erste Urkunde, welche zwischen Österreich und Russland ausgetauscht wurde. Iwan und Maximilian schwören sich ewige Liebe und Eintracht und gegenseitigen Beistand: Wie der Zar dem Könige beistehen wird, sobald er Kunde davon erhalten, dass der König von Polen und dessen Kinder ihn „um seines Erbes willen“ bekriegen, so wird der König dem Großfürsten „von Herzen ohne Trug“ beistehend sobald ihn dieser benachrichtigt, dass er nach dem Großfürstentum Kiew und den anderen Ländern, die Litauen beherrscht, zu trachten beginne.
Die Freude Iwans über den Abschluss dieses Vertrags gab sich besonders kund in den reichen Geschenken, mit denen er Thurn auszeichnete: ,,er machte aus ihm einen Goldträger“ bemerkt der zarische Geheimschreiber.
Drei Tage nach der Unterzeichnung kehrte Maximilians Gesandter nach Deutschland zurück in Begleitung von Trachaniotes und des Staatssekretärs Kuleschin, in deren Gegenwart der römische König die Urkunde bei Kreuzeskuss unterzeichnen und beschwören sollte.
Die Nachricht von dem Abschluss eines Bündnisses zwischen dem künftigen Kaiser und dem Moskowitern dessen Heere das deutsche Ordensland bedrohten, erregte in Deutschland, namentlich aber in Livland und Polens großes Missvergnügen. Iwan hatte an den Rat von Narwa und den von Reval seinen Boten Fedor Tschirka Surmin gesandt mit einem Schreiben, in welchem die Bürgermeister ersucht werden, die Gesandten Trachaniotes und Kuleschin sicher weiter zu befördern. Als sie aber in Lübeck glücklich angekommen waren, wussten sie dem Zar zu berichtend dass der König von Dänemark und die deutschen Fürsten auf Mittel und Wege gesonnen hätten, sich ihrer zu bemächtigen und dass sie nur durch Thurns Bemühungen sicher in der Trave gelandet wären. 15)
Am 22. April 1491 vollzog Maximilian zu Nürnberg den Vertrag in der von Iwan gewünschten Weise.
Die Heiratsangelegenheit durften die Gesandten nicht mehr zur Sprache bringen, denn sie erfuhren, dass der König im Dezember des vergangenen Jahres die Ehe mit Anna von Bretagne durch den Marschall Wolfgang von Polheim habe vollziehen lassen, der in Gegenwart des Hofes das festlich geschmückte Hochzeitslager bestiegen hatte, um symbolisch den rechtlich erforderlichen Vollzug der Vermählung anzudeuten. 16)
Die beiden Gesandten trafen im August 1491 in Moskau wieder ein, und schon im November desselben Jahres erschien auch Georg von Thurn abermals vor dem Zaren. Maximilian hatte die Notwendigkeit erkannt, sich bei Iwan wegen der ihm gespielten Komödie zu entschuldigen, daher Thurn beauftragt war, dem Großfürsten ein Märchen zu erzählen, dem zufolge sich in Deutschland das Gerücht verbreitet haben sollte, Thurn sei mit seiner Begleitung bei der Seefahrt ertrunken, der König hätte nun angenommene der Großfürst habe von seiner Bewerbung noch nichts erfahren, daher er dem dringenden Wunsche des Kaisers und der Reichsfürsten, sich mit der Herzogin von Bretagne zu vermählen, nachgekommen sei.
Als Thurn diese Erzählung dem russischen Herrscher vortrugt war Maximilians Ehe bereits durch den Papst für ungültig erklärt und gelöst worden; am 6. Dezember 1491 feierte Anna zu Longeais in Touraine ihre Vermählung mit Karl VIII. von Frankreich. 17) Iwan nahm die Entschuldigung des Königs schweigend an, um so eifriger hörte er auf die Eröffnungen über Maximilians geheime Anschläge gegen Polen, die ihm der Gesandte im Auftrage seines Herrn zu machen hatte.
Der römische König hatte, um Polen von einer bewaffneten Teilnahme an der Bewerbung um die Stephanskrone abzuhalten, den Meister des deutschen Ordens aufgefordert, das Lehnsjoch der Polen abschütteln; aber sowohl der Hochmeister als auch der Meister von Livland erklärten sich dazu nur unter der Bedingung bereit, dass der König ihnen den Beistand des Großfürsten von Moskau zusichern könnte. Thurn ersuchte nun den Zaren, er möge dem Orden einen ewigen Frieden gewähren und ihn in seinen Schutz nehmen.
Iwan traute jedoch Maximilian nicht mehr, seitdem er auf Umwegen erfahren hatten dass dieser den ungarischen Thron an Wladislaw abzutreten willens sei. Er habe selbst, äußerte er zu dem Gesandten, das Ross zur Unterstützung des Königs besteigen wollen, doch da dieser sich mit seinem Gegner ausgesöhnt, bleibe ihm nichts mehr zu tun übrig. Den Ordensstaat wolle er in seinen Schutz nehmen, doch könne er in den Wunsch des Meisters von Livland, welcher in den Verträgen das Wort „Fußfall“ durch ,,Flehen“ ersetzen wolle, nicht willigen; habe man doch früher das freie Nowgorod „fußfällig“ gebeten, warum wolle man jetzt ein anderes Wort gebrauchen, wo der Meister mit zarischen Statthaltern, angesehenen Männern, unterhandle. 18)
Nach dem letzten unglücklichen Kriege gegen die Pskower, denen Iwan seinen ersten Feldherrn Daniel Chulmskij mit einer ansehnlichen Heeresmacht zu Hilfe geschickt, hatte der Meister von Livland einen Frieden auf zwanzig Jahre mit den Russen vereinbart, der im Jahre 1493 ablief. Iwan hatte in Rücksicht auf diesen Zeitpunkt 1492 Narwa gegenüber eine steinerne Veste mit hohen Türmen anlegen lassen, die er zur großen Besorgnis der Livländer nach sich Iwangorod nannte; dieselbe fiel zwar bald darauf den Schweden in die Hände, welche sie dem Orden abtreten wollten, aber da dieser aus Furcht vor dem Großfürsten das Anerbieten ablehnte, verließen die Schweden den Ort, den die sofort wieder in Besitz nahmen.
Schon vorher hatte der Ordensmeister die Erneuerung des Friedensvertrages von 1484 nachgesucht und um die Abänderung jener Ausdrücke gebeten, deren Iwan in seiner Unterredung mit Thurn gedachte. Wohl in Rücksicht auf sein Bündnis mit Maximilian willigte der Zar in die Verlängerung des Friedens auf zehn Jahre.
Die Verbindung mit dem deutschen Kaiser und römischen Könige hatte seinen Ehrgeiz mächtig angefacht. Kaum war Thurn im April 1492 nach Deutschland zurückgekehrt, als ihm auch schon wieder Trachaniotes mit dem Djäk Jaropkin folgte. Iwan sandte beide mit dem Auftrag, sich über Maximilians Politik zu unterrichten und sich nach einem geeigneten Fürsten für die zarische Tochter umzusehen: er warf sein Auge auf Maximilian selbst, auf dessen Sohn Philipp, auf den Kurfürsten Friedrich von Sachsen, jeder von diesen dreien schien ihm eine passende Partie zu sein. Dabei vergaß er aber nicht, seinen Boten einzuschärfen, für ihn tüchtige Handwerker in Deutschland anzuwerben. Dem Kurfürsten Friedrich übersandte er vierzig Zobelfelle zum Geschenk und ließ ihn ersuchen: er möge seinen Untertanen gestatten, sich in Russland anzusiedeln, wofür der Großfürst bereit sein werden ihm mit Allem zu dienen, was sein Land erzeugt.
Trachaniotes und Jaropkin konnten den Aufenthaltsort Maximilians — der König lag gegen Karl VIII. zu Felde, um ihn dafür zu strafen, dass er Anna von Bretagne zum Treubruch verleitet und sich mit ihr vermählt hatte — nicht erfahren und mussten daher einige Monate in Lübeck liegen bleiben. Sie ließen hier die ihnen mitgegebenen Schreiben und Instruktionen ins Deutsche übersetzen und durch den Buchdrucker Bartholomäus Ghotan, der sich eidlich verpflichten musste, ihren Inhalt an Niemand zu verraten, in Druck legen. 19) Endlich erhielten sie die Nachricht, dass der römische König in Kalmar sei. Sie eilten dorthin, fanden aber nicht die erwartete Aufnahme; denn für den an politischen Ideen und Entwürfen unerschöpflichen Erben der Kaiserkrone war die Kombination, in welcher er dem russischen Großfürsten eine ausschlaggebende Rolle zugewiesen, bereits gegenstandslos geworden. Iwans Gesandte hatten mit diplomatischem Spürsinn sich über Maximilians Stellung zu England, Schottland, Spanien, Portugal, sowie zu den Reichsfürsten unterrichtet, den geheimen Fäden seiner Politik nachgespürt und ihrem Herrn über Alles Gesehene und Gehörte umständlich Bericht erstattet. Die an ihre Sendung geknüpften politischen Hoffnungen waren zwar nicht in Erfüllung gegangen, dagegen war es ihnen gelungen, geschickte Handwerker und Bergleute für den Zaren anzuwerben.
Von der Tätigkeit der Letzteren versprach sich Iwan besonders viel, und zwei derselben entsprachen auch seinen Erwartungen im vollen Maße. Johann und Victor, nur ihre Vornamen haben die russischen Annalen aufbewahrt, waren in Begleitung zweier Russen an die Ufer der Petschora gezogen, um Silber zu suchen; was sie hier nicht fanden, trafen sie dreihundert Werst südwestlich an der Zylma, einem Nebenfluss der Petschora. Auf einem Flächenraum von zehn Werst entdeckten sie eine Silber- und eine Kupfermine, deren Erträgnisse den Großfürsten bald in den Stand setzten, aus heimatlichem Silber Münzen schlagen zu können, während er bis dahin die Edelmetalle vom Auslande bezogen hatte. 20)
Sobald die Kunde von dieser Entdeckung sich verbreitete, trafen aus Europa abenteuerlustige Reisende in Moskau ein, die hier jedoch ihre Rechnung nicht fanden. Auch Erzherzog Sigismund von Tyrol sandte 1492 Michael Snups mit Empfehlungsschreiben Maximilians an Iwan: der Zar möge dem Überbringer erlaubend die russische Sprache zu erlernen und das Land bis an den Ob — dessen hier zum ersten Mal Erwähnung geschieht — zu bereisen. Die Erlaubnis ward aber nicht erteilt, Snups musste vielmehr nach kurzer Zeit Russland auf demselben Wege verlassen, auf dem er gekommen war; er durfte weder durch Polen, noch durch die Türkei zurückkehren — man hielt ihn für einen Kundschafter. 21)
Nachdem das Bündnis mit dem Kaiser und Maximilian für Iwans Wünsche ohne Ergebnis geblieben, zeigte sich der Großfürst den Livländern um so feindlicher gesinnt; Trachaniotes, der bei ihm in hoher Gunst stand, ermüdete nicht in seiner Schilderung von der unfreundlichen Gesinnung, welche die Ritter wie die Städter wegen der Verbindung des römischen Königs mit dem russischen Herrscher kundgegeben hätten, und von den Schwierigkeiten, die namentlich in Reval den zarischen Gesandten in den Weg gelegt worden wären. Iwan wartete auf die Gelegenheit, die Deutschen seine Überlegenheit fühlen zu lassen. Sie bot sich ihm bald. Er stand mit dem König Johann von Dänemark — der einige Jahre später mit russischer Hilfe den schwedischen Thron bestieg — in Unterhandlung wegen des Abschlusses eines Bündnisses zur Vertreibung der Schweden aus Finnland.
Johann, ein erbitterter Gegner der hansischen Kauffahrer, wusste sich geschickt Iwans Abneigung gegen die Livländer zu bedienen, um der Hansa einen empfindlichen Schlag beizubringen. Er machte den Abschluss des Bündnisses von der Bedingung abhängig, dass den Deutschen der russische Markt verschlossen und sie aus Nowgorod vertrieben würden. Am 3. November 1493 kam der Vertrag zu Stande, den geheim zu halten die Verbündeten sich verpflichteten. 22)
Die Revaler boten bald darauf dem Zaren den erwünschten Vorwand, seiner Verbindlichkeit gegen Johann nachzukommen und zwar mit der ihm eigenen Verschlagenheit und Hinterlist. Der Revalsche Rat hatte dem Gesetz gemäß zwei Russen, den einen wegen widernatürlicher Unzucht, den anderen wegen Falschmünzerei dem Feuertode überantwortet. Als einige Landsleute der Verurteilten über die Härte der Strafe Beschwerde führten, soll die Antwort erfolgt sein: ,,Wir würden auch euren Fürsten verbrannt habend hätte er bei uns dasselbe getan.“ Iwan zerbrach auf die Kunde von dem Vorgang im wildem Grimm seinen Stock und rief, die Stücke zur Erde werfend: „Gott entscheide meine Sache und strafe die Frechheit.“ Er forderte die Auslieferung der Revaler Richter; sie ward verweigert.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutsche Hansa in Russland