Das Übergewicht der Livländer auf dem russischen Markte

Die den deutschen Kaufleuten von den Königen von Schweden und Dänemark erteilten Freibriefe für die Fahrt nach Nowgorod gereichten den livländischen Handelsplätzen zum erheblichen Nachteil; denn der Kauffahrer gab fortan dem Wege durch schwedisches und dänisches Gebiet den Vorzug vor dem durch Livland, in welchem ein selten unterbrochener Kriegszustand Leib und Gut gefährdete. Die Livländer bildeten in der deutschen Niederlage am Wolchow die Mehrzahl, konnten sie doch die russischen Märkte in so viel Tagen, als ihre Landsleute aus dem Reich in Wochen und Monaten, erreichen. Es war ihnen daher nicht schwer, im Hofe von St. Peter ihren Wünschen entsprechende Bestimmungen durchzubringen. Auf ihre Vorstellung beschlossen nun im Februar 1346 der Olderman und die ,,Weisesten“ des Hofes: Niemand dürfe mit Gut „um Land“ weder durch Preußen, Russland oder Schweden reiten, noch den unerlaubten Wasserweg nach Kurland oder Oesel nehmen. Jeder habe von Riga, Reval oder Pernau auszusegeln; wer gegen diese Gebote frevle, habe Leib und Gut verwirkt. Eine andere Verordnung bestimmte: fortan dürfe Niemand mehr als einmal im Jahre mit Gütern nach Nowgorod kommen, daselbst nicht mehr als für Tausend Mark Waren, gleichviel ob als Eigentümer, Teilhaber oder Beauftragter stapeln, bei Verlust des Gutes an St. Peter. Wer gekünsteltes Pelzwerk — außer Herbstfelle — in Nowgorod, Pskow, Polotzk oder wohin sonst Russen zu fahren pflegen, aufkauft, geht seines Gutes verlustig und büßt an zehn Mark Silber. Die Kaufleuten welche bei Schlittenbahn kommen, sollen auch zu Schlitten abfahren, für den Fall unvermeidlicher Hinderung aber mit dem ersten Wasser. Wer zu Schiffe kommt, hat auch auf diesem
Wege zurückzukehren. 1)

Später ergingen Verbote wider den Ankauf von „Overleyischen“ oder „derbenterischen Tuchen“, die in Flandern den in Comines und Verviers angefertigten ächten nachgemacht würden; wer solche flandrische Waren nach Gotland, Livland oder Russland ausführe, habe Verlust zu erwarten, da die Russen solche Tuche zurückwiesen. 2) Die deutschen Kaufleute in Flandern wurden beauftragt, darauf hinzuwirken, dass die Tuche wieder nach der alten Art zubereitet würden. Die Flanderer beschwerten sich dagegen bei dem Olderman und den Meistern von St. Peter über die Livländer, welche ihnen Marder- und Zobelfelle ohne Köpfe und Pfoten zuschickten.


War den überseeischen deutschen Kauffahrern in Nowgorod die Mitbewerbung der livländischen schon sehr unbequem, so erwuchs ihnen letzt in den preußischen Städten ein neuer leistungsfähiger Mitbewerber auf dem russischen Markt. Seitdem die Ordensstädte durch eine enge Verbindung unter einander zu größerem Ansehen gelangt waren, verlangten sie Gleichberechtigung mit Lübeck und Wisby in den Höfen zu Nowgorod und Pskow, aber ohne Erfolg. Sie wurden mit ihren „polnischen“ und einheimischen „oberländischen“ — Marienburger — Tuchen in die deutschen Niederlagen nicht eingelassen, weil nach der Erklärung der Vorsteher von St. Peter die Einführung verschiedenartiger Tuchforten dem Absatze des flandrischen Tuches in Russland schädlich sein würden wodurch sich jedoch, wie die Preußen hervorzuheben nicht ermangelten, die Lübischen Kaufherren nicht abhalten ließen, polnische Tuche in Nowgorod feil zu bieten. 3)

Der Verkehr mit den Russen erlitt in dieser Zeit häufiger denn vormals lange währende Unterbrechungen vornehmlich in Folge der anhaltenden Streitigkeiten der Ordensritter mit den russischen Machthaber. Hatten die Ritter zeitweilig die Oberhand, so hielten sich die Russen an den deutschen Kaufmannsgütern schadlos, belagerten wohl auch die Kaufhöfe und gaben die eingeschlossenen Handelsleute erst nach langen Unterhandlungen gegen schweres Lösegeld frei, wie es 1362 zu Pskow 4) und kurze Zeit nachher in Nowgorod geschah.

Um 1370 ward St. Petershof von den Deutschen wegen gegen sie verübter Gewalttätigkeiten geschlossen. Die Urkundentruhe und der Geldkasten wurden nach Dorpat gebracht, wo Sendboten aus Lübeck und Wisby anlangten, um neue Vereinbarungen für den Handel mit Russland zu treffen; zugleich hielt man es für angezeigt, die alte „Skra von Naugarden“ den veränderten Verhältnissen entsprechend umzuschreiben. 5)

Der Versuch, mit Nowgorod einen neuen Vertrag abschließend misslang, weil sich die Vertreter des Freistaats weigerten, allen lateinischen Kaufleuten zu Lande und zu Wasser freie Fahrt zu verbriefen; womit sie vornehmlich die livländischen und estländischen Städte zu treffen meinten.

Die überseeischen Kauffahrer hatten auch wenig Veranlassung, sich um deren Zulassung besonders zu bemühend denn die Livländer waren schon seit lange bestrebt, die Kaufleute aus dem Reiche von dem unmittelbaren Kaufschlag mit den Russen auszuschließen. Riga, Reval, Dorpat, Pernau befanden sich aber jetzt in großer Bedrängnis; denn ihre Speicher waren in Folge der Handelssperre gegen Russland mit Waren überfüllt und hatten die Vormächte das Verbot ergehen lassen, dass Niemand aus den inländischen Häfen russisches Gut verpachten dürfe. 6) Auf dringendes Ersuchen der Livländer fand im Jahre 1371 zu Neuhausen eine Zusammenkunft mit Sendboten Nowgorods statt, die jedoch nur zu einem Waffenstillstande führte, welcher indes auf Anraten Lübecks später verlängert wurde. 7)

Lübeck beobachtete in dieser Angelegenheit eine große Zurückhaltung; es waren beim lübischen Rat durch einen Abgesandten des Hofes von St. Peters den Johann Niebur, vielerlei Beschwerden über das Gebaren der Livländer vorgebracht worden: Einige hätten trotz der Sperre mit den Russen Kaufschlag getrieben; selbst Sendboten der Städte hätten versucht, auf eigene Rechnung Geschäfte zu machen. Gegen diese Ungebühr waren die Meister des Hofes eingeschritten, und sie hatten die Genugtuung, dass die zur Untersuchung der Anklagen an Ort und Stelle entsandten Boten von Lübeck, Wisby, Riga, Dorpat und Reval ihr Verhalten billigten. In der Folge erging das Verbot: Kein nach Nowgorod geschickter Städtebote darf weder für sich noch für die Seinigen Kaufmannschaft treiben; niemand darf sich Briefe auswirken, durch welche der deutsche Kaufmann beschwert werden könnte. Sodann ward die Anstellung eines zweiten Oldermans für den Hof beschlossen gegen die Stimme Rigas, dessen Vertreter die Ernennung von drei Olderleuten, davon einer rigischer Bürger sein sollte, beantragt hatten. 8)

Die Livländischen Städte waren mit diesen, von Lübeck und Wisby begünstigten Beschlüssen sehr unzufrieden, und nahm ihr Missvergnügen erheblich zu, als sie die Mahnung erhielten, die Kosten der aus ihren Antrag erfolgten Sendung der lübischen und gotländischen Sendboten zu erlegen. Sie mussten, da sie nicht zahlen konnten, 1381 an Lübeck eine Schuldverschreibung in Höhe von tausend Mark ausstellen 9) und als sie die Einlösung derselben hinausschoben, empfingen sie nach zwei Jahren einen dringenden Mahnbrief. 10)

Im Jahre 1385 wurden Pskow und Nowgorod von furchtbaren Feuersbrünsten heimgesucht; am Wolchow ward die ganze Handelsseite mit allen Warenlagern in Asche gelegte auch St. Petershof nicht verschont. Was die Flammen nicht zerstörten, fiel den Dieben in die Hände, welche namentlich die Deutschen ausplünderten. Da diese ihre Habe mit Nachdruck verteidigt hatten, gerieten sie in der Folge mit den Stadtbehörden in Unfrieden, zu dessen Ausgleichung es jahrelanger Verhandlungen bedurfte. Die Hansa ließ den Nowgorodern erklären, dass, wenn die ihren Kaufleuten erteilten Freiheiten und Vorrechte nicht fortdauern könnten, der Handel vom Wolchow nach Dorpat verlegt werden würde; diese Drohung verfehlte ihren Zweck. Die Russen weigerten sich, für die bei dem Brande gestohlenen Güter vollen Schadenersatz zu leisten: in Folge dessen verwarf der Städtetag zu Dorpat 1389 eine von den beiderseitigen Bevollmächtigten 1388 zu Nowgorod getroffene Vereinbarung und verbot die Fahrt nach Russland, namentlich aber die Ausfuhr von Gold und Silber dorthin. 12) Ein Kaufmanns der diesem Verbot zuwider auf dem Landwege Silber über die russische Grenze gebracht hatten wurde der hansischen Rechte für verlustig erklärt.

Die Russen hätten sich mit den überseeischen Städten gern ausgesöhnt, konnten sich aber mit den livländischen nicht verständigen. Auf dem im September 1389 in Lübeck abgehaltenen Städtetage erstattete der Sendbote Dorpats, Albert Oltbrekenvelt, Bericht über den Stand der Sache und die Versammlung erklärte, 18) man werde sich weiter äußern, wenn sich die Russen bereit finden ließen, den Livländern für die erlittene Schande und zugefügten Schaden Genugtuung zu geben. Noch zwei Jahre vergingen, bevor es zu einem Einverständnis kam. Im Oktober 1391 versammelten sich zu Isborsk Bevollmächtigte der Hansa und Nowgorods und vereinbarten namentlich unter dem Einfluss des inzwischen zum Bürgermeister von Lübeck erwählten Johann Niebur, einen Friedensvertrags der 1392 in Nowgorod von beiden Seiten unterzeichnet wurde. 14) Im Wesentlichen enthielt derselbe nur die Bekräftigung der früheren Verträge; beide Teile waren übereingekommene das Geschehene als nicht geschehen zu betrachten.

Die preußischen Städte, welche nicht als Mitglieder der Hansa, sondern als Untertanen des Ordens an den Verhandlungen mit den Russen teilnahmen, stimmten dem Vertrage nicht zu, 15) weil man sie nicht als Gleichberechtigte in Nowgorod aufnehmen wollte. Zwar hatte der Städtetag zu Stralsund 1385 erklärt, dass Jedem, der zur Reise gehöre in St. Peter gleiche Gunst widerfahren solle, aber dessen ungeachtet beschlossen die Städteboten zu Lübeck am 1. Mai 1388: die preußischen Kaufleute könnten zwar nach Nowgorod kommen, dürften aber weder Güter eines geistlichen oder weltlichen Herrn mit sich führen, noch mit Geldern von Nichthansen Handel treiben. Als nun Lübeck die Zustimmung der Preußen zu den von der Hansa verfügten Maßregeln wider die Russen verlangte, machten jene dieselbe davon abhängig, dass ihnen am Rechte in Naugard gleicher Anteil, wie den anderen gewährt und ohne ihr Wissen und Willen daselbst kein Gesetz und Gebot erlassen würden nur ein so vereinbartes Gebot — erklärten sie — wollen wir halten“. Sie misstrauten den Lübeckern derart, dass sie der offiziellen Mitteilung, in Isborsk sei die Gleichberechtigung der Preußen anerkannt worden, keinen Glauben schenkten. Die Ordensstädte verlangten Abschrift der neu erworbenen Privilegien, sowie der Skra, außerdem unbedingte Annahme der drei von ihnen schon so oft gestellten Forderungen: das Recht sowohl, einen eigenen Olderman wie einen Priestern die an allen Beratungen teilnehmen könnten, in Nowgorod einzusetzen; auch zu Lande dorthin Handelsfahrten unternehmen, und endlich gleich den Lübeckern polnisches Tuch einführen zu dürfen. Der Hochmeister erklärte seinerseits: er werde den Frieden nur dann genehmigen, wenn seine Diener, die des Ordens Güter verkauften, in Nowgorod das Kaufmannsrecht genössen. Lübeck ging auf diese Bedingungen nicht ein; die preußischen Kaufleute erlangten nichts weiter als die Erlaubnis, im Hofe von St. Peter Kaufschlag treiben zu dürfen, von der Verwaltung der Niederlage blieben sie ausgeschlossen, wie auch die handeltreibenden Diener des Ordens die Kirche von St. Peter nicht betreten durften. 16)

Der Vertrag von Isborst sollte den hanseatischen Kaufleuten infofern teuer zu stehen kommen, als die Städte durch ihre Sendboten in Dorpat beschlossen, zur Bestreitung der Unkosten für die Reise der dazu Bevollmächtigten jedem Besucher des Nowgoroder und Pleskower Kaufhofes einen Schoß aufzuerlegen, der bei dem ersten Wasser und zu Martini an die livländischen Städte entrichtet werden sollte. 17) Die Olderleute und Meister lehnten sich aber gegen diese Besteuerung auf und erklärten, den Schoß nicht eher abzuführen, bis die St. Peterskirche wieder unter Dach sei. Die Wiederherstellung der durch den Brand von 1385 zerstörten Gebäude nahm viele Jahre in Anspruch, in der Zwischenzeit hatten die Deutschen sich in dem von seinen Eigentümern nur noch spärlich besuchten Gotenhofe niedergelassen. 18) Die Gotländer aber scheinen damit nicht ganz einverstanden gewesen zu sein; auf Anregung Lübecks sandten Livland und Nowgorod Abgeordnete nach Wisby, welche sich mit dem dortigen Propst und dem Domkapitel über die Benutzung des Gotenhofes verständigen sollten, „damit derselbe nicht denen von Gotland oder den deutschen Kaufleuten abhanden komme.“ Am 24. Juni 1402 wurde folgende Übereinkunft getroffen: Die Deutschen bleiben noch zehn Jahre im Besitz des Hofes, wollen die Goten ihn dann wieder abnehmen, so haben sie und die deutschen Kaufleute je zwei Deutsche und je zwei Russen zu wählend um durch diese acht Personen die von den Deutschen aufgeführten und in Stand erhaltenen Gebäude abschätzen zu lassen und den abgeschätzten Preis dafür zu bezahlen. Gotischen Kaufleuten, die sich im Nowgorodschen Gebiet niedergelassen habend wird gestattet, schon innerhalb dieser zehn Jahre in dem Hofe ihren Stand zu nehmen.

Im Jahre 1414 bestätigte Olaf Thomassen, Bevollmächtigter der Goten und von ganz Gotland, dem Revalschen Rate den Empfang von vierzig Mark rückständiger Miete für den Gotenhof, auch schloss er mit dem Rate einen neuen Vertrag, welcher dem „gemeinen deutschen Kaufmann“ die Benutzung des Hofes um fünf Mark jährlichen Zinses zusicherte.

Die Russen hatten sich seit Jahrhunderten nicht mehr an der Kauffahrtei über See beteiligt, um so begreiflicher war das Befremden der Deutschen, als sich wieder russische Schiffe an den baltischen Küsten zeigten. In Preußen besonders konnte man sich der Besorgnis über die unliebsamen Ankömmlinge nicht entschlagen; im Dezember 1398 erging vom Hochmeister des deutschen Ordens das Ersuchen, den Russen, „welche gegen ihre frühere Gewohnheit mit ihrer Ware zur See zu fahren beginnen,“ die preußischen Häfen zu verschließen, dasselbe werde auch mit den livländischen geschehen, ,,um Verluste des deutschen Kaufmanns zu verhüten.“ 20) Sobald die Nowgoroder von dieser Maßregel hörten, bedrängten sie zur Widervergeltung die deutschen Besucher ihres Marktes und trieben, wie die Pskower, Kaufschlag, ohne sich an das „Kaufmannsrecht“ zu kehren. Um 1400 erging daher von Livland aus ein Verbot an alle Hansen, bei Leib und Gut, im Großen und im Kleinen, jeden Handel mit den Russen zu vermeiden. 21) Derartige Verordnungen hatten jedoch ihre Wirkung längst eingebüßt, seitdem sich immer mehr herausstellte, dass dieselben zumeist im alleinigen Interesse der Livländer erlassen waren. So hatten die preußischen Kaufleute, denen Lübeck und sein Anhang die Schifffahrt auf jede Weise erschwerte, nach Herstellung friedlicher Zustände in Litauen durch den Großfürsten Witowt, auf dem Landwege den Verkehr mit Russland zu unterhalten; sie waren über Memel und Polangen am Strande nach Riga und von dort nach Nowgorod gezogen, oder hatten auch, ohne Livland zu berühren, über Wilna die russischen Märkte zu erreichen gewusst. Diese Fahrten wurden ihnen jetzt von den Livländern untersagt, angeblich wegen Begünstigung der Einfuhr verbotener Waren nach Russland und weil sie dem herkömmlichen Tauschhandel zuwider ihre Einkäufe mit Gold und Silber bezahlten. Wurden hansische Güter auf dem Landwege betroffen, nahmen sie die Livländer in Beschlag.

Alle Versuche, auf gütlichem Wege die Aufhebung dieser Beschränkungen zu erzielen, blieben erfolglos; die preußischen Kaufleute sahen sich daher genötigt, auf die Landfahrten nach Nowgorod und Pskow zu verzichten, was später zur Folge hatte, dass der unternehmungslustige russische Kaufmann nach Preußen kam und seine Einkäufe machte. Danzigs verschlagene Bürger wussten die hansischen Sperrmaßregeln mit Hilfe ihrer Geschäftsfreunde in den schwedischen Hafenplätzen zu umgehen und betrieben auf diese Weise einen gewinnbringenden Schmuggelhandel mit Nowgorod. Der vorteilhafteste Verkehr mit Russland eröffnete sich jedoch für Danzigs seit der von dem Großfürsten Witowt begünstigten Errichtung des Kaufhofes zu Kowno (Kauen) in Lithauen, wo die Danziger lange Zeit ohne jeden erheblichen Mitbewerb blieben. 22)

Im Jahre 1406 war die Lage der Deutschen am Wolchow wieder derart gefahrdrohend, dass Dorpat es für geraten hielte die Vorsteher des Kaufhofes anzuweisen, den Kirchenschatz einzupacken und nach Reval in Sicherheit zu bringen. 23) Um die Russen zu täuschen, wurden „sankte Peters gesmide“ in eine Tonne gepackt, sie enthielt: 6 silberne Schalen, 4 silberne Becher, 1 goldene Dose, 16 Stück Silber, 6 Nobel, 1 Oronard, 4 Goldgulden, 1 rheinischen Gulden, 1 vergoldete „Busse“ vom heiligen Leichnam, 1 vergoldeten Kelch, 1 Chorkappe, 1 weißseidenes Chorgewand, 1 blauseidenes Chorgewand, 1 neues Goldgewand, 1 altes Chorgewand, 2 Ellen weiße Seide, 10 Kirchenbücher, 1 deutsches „Denkebok“, 1 Briefbuch, 1 russisches „Denkebok“, 1 Rechenschaftsbuch , 1 St. Petersbuch; 1 Schrein mit Briefen 24) von den Städten; die beiden Siegel St. Peters.

Die „besonderlichen leven Vrunde“ werden gebeten, Alles zu ,,trever Hand to des Kopmanns behof“ aufzubewahren, bis der Kaufmann es wieder begehrt, damit es nicht „verbistert“, zerstört werde. Nach kurzer Zeit ward das Siegel und die Skra von Dorpat zurückverlangt, doch während die Stadt noch mit Reval über dieses Verlangen Briefe austauschte trifft schon die Nachricht eine der Kaufmann habe den Handel mit den Russen abgebrochen, weil der Salzkauf in Nowgorod verboten worden sei wegen des in Livland üblichen schlechten Gewichts. Nicht lange darauf nahmen die Russen den Deutschen 11 Tonnen Pelzwerk weg und brachten sie in der Johanniskirche in Sicherheit; wegen dieser Gewalttat verhängten die Städte die Handelssperre, mussten aber zu ihrem Verdruss erfahrene dass sich die Beschädigten, ohne Rücksicht auf die hansische Verordnung zu nehmen, mit den Russen verglichen hatten. Nun hielten es die Olderleute und Meister des Hofes an der Zeit, St. Peters Geschmeide von Dorpat zurückzufordern. 25)

Der für den Orden so unglückliche Ausgang der Schlacht bei Tannenberg (15. Juli 1410) , in welcher die Blüte der deutschen Ritterschaft der Übermacht von Polens Litauern und Russen erlagt wirkte auch im hohen Grade nachteilig auf den Handel nach den slawischen Ländern ein. 26) Seit jenem Tage hatte der deutsche Kaufmann mehr denn je zuvor unter der Anmaßlichkeit und Wortbrüchigkeit der russischen, litauischen und polnischen Händler zu leiden. Nowgorod hatte sich zwar, entgegen einer früheren Übereinkunft mit dem Großfürsten Witowt, an dem Zuge nach Tannenberg nicht beteiligt, — es ward deswegen von Witowt mit Krieg bedrohte verständigte sich mit ihm jedoch gütliche wobei es sich ausdrücklich die Freiheit, nach eigenem Ermessen über Krieg und Frieden zu entscheiden, vorbehielt — aber dennoch merkten die Deutschen bald, dass die Niederlage des Ordensheeres auch den nationalen Hochmut ihrer nowgorodschen Geschäftsfreunde mächtig gesteigert hatte.

In diese Zeit fällt eine bedeutsame Neuerung in dem deutsch-russischen Handelsverkehr. Obwohl die Russen schon seit den Tagen Ruriks den Wert des Metallgeldes kannten, und, neben mohamedanischen und byzantinischen Münzen, auch Kiewer und Nowgoroder Griwnen, sowie Viertelgriwnen, Rubel genannte im Umlauf waren, so hielt das Volk doch mit Zähigkeit an dem uralten Ledergeld fest, daher denn die Prägung von Metallgeld auf lange Zeit unterblieben zu sein scheint. Erst im Jahre 1411 erhielten die Nowgoroder Kaufleute die Erlaubnis, deutsches Geld anzunehmen, und neun Jahre später ließ die Stadt wieder eigenes Metallgeld prägen, welchem Beispiel Pskow nach vier Jahren folgte. Aber auch dieses neue Zahlungsmittel sollte dazu betragene den Hass der Russen gegen die Deutschen noch zu schüren. Einige Jahre nach seiner Einführung ward von Livland aus die Pest nach Russland eingeschleppt, welche besonders Nowgorod und Pskow schwer heimsuchte. Die schnelle Verbreitung der Seuche ward dem Verkehr mit barem Gelde zugeschrieben. Das Volk verweigerte die Annahme solcher Münze und forderte die Beibehaltung des Ledergeldes, welches dann auch bis auf Peter den Großen im Umlauf blieb, der durch Ukas vom 8. März 1700 seine fernere Verwendung untersagte. 27)

Der durch die Einführung des neuen Zahlungsmittels verschärfte Unfriede zwischen den beiden Nationen führte 1417 zu neuem Abbruch aller Verbindungen; die Versuche, dieselben wieder herzustellen, scheiterten und 1418 untersagte die Hansa den Livländern streng, auf eigene Hand den Verkehr mit Russland wieder aufzunehmen, „weil die Russen die Deutschen in Nowgorod nicht leiden wollten, sollte auch in livländischen Städten bei Strafe von hundert Mark kein Russe geduldet werden. 28) Im folgenden Jahre ward endlich an den Ufern der Newa zwischen dem livländischen Ordensmeister und dem Statthalter von Nowgorod der Friede auf Grund der alten Vereinbarungen geschlossen. Die Narowa sollte fortan die Grenze zwischen dem deutschen und russischen Gebiet bilden; jenseits des Flusses war es den Deutschen verbotene Holz zu fällen oder Gras zu mähen; sie mussten sich verpflichten, weder Korn aus Wiborg und Reval zu Lande nach Russland einzuführend noch den schwedischen Gruppen den Durchzug zu gestatten; den russischen Kaufleuten ward für die Reise und den Handel nach Livland „ein reiner Weg bewilligt.“ 29)

Aber kaum war in Nowgorod die Vertragsurkunde ausgewechselt worden, als auch die Russen schon wieder zu neuen Gewalttaten schritten. Da hansische Kaper ein russisches Schiff „wegen gewohnheitswidriger Segelation“ aufgebracht und nach Wismar geschleppt hatten, überfielen die Nowgoroder St. Petershof, warfen einige Meister in Fesseln und nahmen deren Waren in Beschlag. 30) Ihre Wut war diesmal so hochgradig, dass sie einen der Ihrigen, der sich erboten hatten einen Brief des Kaufmanns Hans von Sundern nach Deutschland zu befördern, an den Türpfosten des deutschen Hofes aufknüpften. 31) Wieder vergingen einige Jahre bevor der Streit geschlichtet wurde; im Februar 1424 traf eine hansische Gesandtschaft am Wolchow ein, welcher von Seiten Nowgorods gegen die Herausgabe der in Wismar zurückgehaltenen russischen Güter die Freilassung der eingekerkerten deutschen Kaufleute, sowie Abhilfe der vorgebrachten Beschwerden zugestanden wurden. 32)

Ungeachtet dieser beständigen Gefahren und Hindernisse, denen der Handel nach Russland ausgesetzt war, wachten die Hansen mit eifersüchtigen Blicken über die Aufrechthaltung ihres Monopols. Keine andere Nation sollte zur See mit den Russen in Verbindung treten; besonders aber waren sie bestrebt, die Holländer von der Küste Livlands fern zu halten. Auf den Städtetagen von 1425 und 1426 ward beschlossen, dass kein Niederländer auf einem hansischen Kontor zugelassen, Keinem derselben in Livland die russische Sprache gelehrt, kein hansisches Schiff mit holländischem Gut befrachtet und das letztere in den Bundesstädten nicht verkauft werden dürfe. 33) Diese Beschlüsse entsprachen aber durchaus nicht den Interessen der Livländer, die nach Holland einen lebhaften Verkehr unterhielten, 34) den Lübeck indes mit allen Mitteln zu unterbinden suchte, indem es sich auf die alten Verbote berief, welche den ostseeländischen Kaufleuten die Fahrt über die Trave hinaus durch den Sund untersagten. So verschärfte sich die Rivalität zwischen der Mutterstadt und den Töchterstädten von Jahr zu Jahr; im Bewusstsein, dass ohne ihre tatkräftige Mitwirkung die hansischen Vorrechte auf dem russischen Markte nicht behauptet werden konnten, lehnten sich Riga, Dorpat, Reval immer entschiedener gegen die Bevormundung durch Lübeck und seinen Anhang auf. An der Trave musste man sich, wenn auch widerstrebend, in die Notwendigkeit fügen, den Livländern größere Befugnisse einzuräumen; denn man konnte sich der Einsicht nicht länger verschließen, dass die Eintracht mit den kriegsgerüsteten Ordensrittern, deren Meister für die Rechte des deutschen Kaufmanns den Russen gegenüber so oft eingetreten waren und mit den livländischen Städten die erste Vorbedingung für die Bewahrung des alten Übergewichts auf dem russischen Markte sei. Bei den veränderten Machtverhältnissen im Osten bedurfte es jetzt schnellerer Entschlüsse und rascheren Handelns als ehedem, und, wer war besser dazu geeignet, dem deutschen Kaufmann am Wolchow und an der Welikaja 35) im rechten Augenblick mit Rat und Tat zu Hilfe zu kommen als die livländischen Bundesstädte, die in wenigen Tagereisen von Nowgorod oder Pskow zu erreichen waren. 36) Die Livländer hatten in dieser Zeit vorwiegend die Unterhandlungen mit den Russen zu führen, fehlte es doch bereits 1435 in Lübeck an Ratsherren, die mit der Titulatur der nowgoroder Würdenträger bekannt waren. 36) Auf dem in diesem Jahre abgehaltenen Städtetage erhielten die livländischen Städte den Auftrag, mit Nowgorod wegen eines neuen Vertrages in Verbindung zu treten; doch sandte Riga seinen Vertragsentwurf an Lübeck mit der Bitte, denselben durchzusehen und zu verbessern. 37) Nicht lange darauf übertragen aber die zu Stralsund versammelten Ratssendboten die oberste Leitung der Nowgorodschen Angelegenheiten in aller Form der Vormacht an der Trave, welche indes im Jahre 1442 in richtiger Würdigung der allgemeinen Verhältnisse an die Olderleute und Meister von St. Peter die Weisung ergehen lässt: den gemeinsamen Anordnungen der Bundesstädte Riga, Reval und Dorpat unbedingte Folge zu leisten, in allen dringlichen Fragen aber die Meinung des Rates von Dorpat einzuholen. 38)

Die Livländer säumten nichts die ihnen solchergestalt eingeräumte bevorzugte Stellung zu ihrem Nutzen nach besten Kräften zu verwerten. Auch ohne Vollmacht trafen sie im Namen der dreiundsiebzig Städte Vereinbarungen mit den Russen, die vorwiegend ihrem Sonderinteresse entsprachen, schlossen und öffneten sie den Handel nach Russland, ohne Rücksicht auf die überseeischen Hansen. 39) Die Folge war eine fortdauernde Spannung zwischen den livländischen und den wendischen Städten, die von Zeit zu Zeit in schweren gegenseitigen Beschuldigungen nach Außen hin zum Ausdruck kam. Sie überbieten sich in Warnungen und Geboten wegen des Handels nach Russland; Lübeck erneuert sein von den Livländern so oft außer Acht gelassenes Verbot, bei Leibesstrafe nur bar gegen bar mit den Russen zu handeln. 40) Bald jedoch sahen sich die Städte genötigt, ihren inneren Hader fahren zu lassen und Schulter an Schulter gegen die Russen Front zu machen.

Die Nowgoroder gebärdeten sich in diesen Jahren herausfordernder denn jemals allen Fremden gegenüber und zwangen durch ihre Anmaßlichkeit und Ruhelosigkeit die benachbarten Fürsten zu kriegerischen Gegenmaßregeln. 41) Wie weit sie in ihrem Übermut zu gehen wagten, zeigten sie dem König Erich VII. von Skandinavien, von dem sie die Herausgabe aller von seinen Vorfahren den Russen abgenommenen, zum Christentum bekehrten Länder forderten; weigere er sich dessen und schlösse kein Bündnis mit Nowgorod, so habe er den Krieg zu gewärtigen.

Als Prinz Eberhard von Eleve 1438 von Livland aus durch Russland nach Palästina ziehen wollte und mit Empfehlungen des Hochmeisters an den Fürsten der Stadt sich Nowgorod näherte, zwang man ihn durch Beleidigungen und Drohungen zur schleunigen Rückkehr nach Riga. Im nächstfolgenden Jahre rottete sich das Volk vor dem Gotenhofe zusammen, weil der Knecht des Hofes bei Ausbesserung der Umzäunung die Türpfosten einen halben Schuh breit über die Grenze gerückt hatte: der Ärmste wird, weil er „ihnen auf schmähliche Weise die Erde abgestohlen“, ergriffen, um an dem Pfosten aufgehängt zu werden, als die Olderleute aus der Michaelerstraße sich seiner annahmen und ihm das Leben retteten, doch durfte er Monate hindurch sich ohne starke Bedeckung nicht über die Straße wagen. 42)

Durch zehnjährige Teuerung zur Verzweiflung getrieben, empörte sich das Volk im Jahre 1442; mit wahnsinniger Grausamkeit begannen die Unglücklichen gegen Jeden zu wüten, der ihnen den geringsten Verdacht an ihrem Elend schuld zu sein einflößte. Viele wurden der Mordbrennerei angeklagt und ohne Verhör zu qualvollem Tode verurteilt: ersäuft, gesteinigt oder lebendig verbrannt. „Wehklagen und Jammer, schreiben die Chronisten, ertönten auf den öffentlichen Plätzen und auf den Straßen. Wer es noch vermochte, ging, um dem Hungertode zu entfliehen, nach Litauen, Livland oder Pskow und verkaufte sich, um Brot zu habend in die Sklaverei. Kein Recht ward mehr gehandhabt, weder in den Gerichten, noch in der Stadt. Rechtsverdreher, falsche Zeugen, Räuber standen auf; unsere Ältesten verloren ihre Ehre und wir wurden den Nachbarn zum Spott.“ 43)

Die deutschen Kaufleute hatten ebenfalls die Volkswut erfahren, die Höfe wurden ausgeplündert und ihre Bewohner gefangen gesetzt. Das wirksamste Mittel, die Nowgoroder wegen der an den Deutschen verübten Gewalttätigkeiten zu strafen, wurde nun zur Anwendung gebracht. Der Ordensmeister Vincke, welcher noch die dem Prinzen von Eleve widerfahrene Unbill zu rächen hatten verständigte sich mit der Hansa, und es erging ein strenges Verbot, nach Nowgorod Korn einzuführen, auch jede Art von Kaufschlag mit den Russen zu unterlassen. 44) Bald knüpften die Nowgoroder mit dem Orden Friedensverhandlungen an, die sich jedoch zerschlugen, da jene die Ausnahme der dreiundsiebzig Hansastädte in den Frieden verlangten, was der Unterhändler des Ordens, der Comtur von Reval, nicht zugestehen wollte, da ihm die Vollmacht dazu fehlte. Der Ordensmeister hatte die Städte um ihren Rat wegen der Friedensbestimmungen ersuchen lassen, erhielt jedoch eine ausweichende Antwort, denn man wollte die Angelegenheiten der Städte nicht mit der Ordenssache vermengen 45) lassen.

So kam es 1444 zu einem zweijährigen Beifrieden zwischen dem Orden und Nowgorod, der Vincke jedoch nicht abhielt, alle nach Russland führenden Straßen zu sperren gegen den Wunsch der Livländer, die das Verbot der Pskowfahrt für untunlich und schädlich erachteten. Der Meister hatte sich aber des Beistandes von Dänemark, Schweden und Norwegen zu versichern gewusst, so dass der Freistadt am Wolchow auch von diesen Ländern jede Kornzufuhr vorenthalten blieb; Lübeck billigte Vinckes Maßregeln in Anbetracht, dass „dieselbigen Großnowgarter itczunt großen Hunger, smacht, Kommer und gebrech Kornes halber leden“ — und sich daher um so eher fügen werden. 46) Indess sah man sich in dieser Erwartung betrogen; denn das Jahr 1447 brachte einen erbitterten Krieg zwischen dem Orden und Nowgorod. Der Hochmeister wandte sich mit der Bitte an den Papst: er möge den Kampf zur Demütigung des ungläubigen Volkes mit dem im Ordenslande gesammelten Ablassgelde unterstützen. 47) In Deutschland wurden Fürsten und Ritter zum Heerzuge wider „die gottlosen Abtrünnigen an den Ufern des Wolchow“ aufgeboten. In allen Conventen des Landes wurden feierliche Gebete und Umzüge veranstalte, „auf dass Gott durch solch inniges Gebet gesanftmütiget den Seinen wider die abgeschnittenen Russen und des Kreuzes Christi Feinde seinen göttlichen Sieg verleihe.“ Aber noch bevor die Hilfe aus dem Reiche kommen konnte, waren die verbündeten Livländer, Preußen und Schweden überfallen und aufgerieben worden. 48)

Dieser unglückliche Ausgang des mit so großen Hoffnungen eröffneten Krieges ließ dem Hochmeister bereits keinen Zweifel mehr, „dass Livland sich allein gegen Russland nicht werde halten können.“ 49) Am 25. Juli 1448 ward der Frieden zwischen dem Orden, Nowgorod und Pskow auf fünfundzwanzig Jahre geschlossen; die Hansastädte hatten an den Verhandlungen nicht teilgenommen, weil sie durch unmittelbar mit den Nowgorodern und Pskowern geführte Unterhandlungen größere Vorteile für sich zu erlangen hofften. Aber der von den livländischen Städten von Narwa aus gemachte Versuch, zu einem Einverständnis mit den Russen zu gelangend scheiterte; in Folge dessen ward das Verbot der Nowgorodfahrt erneuert. Lübeck, welches das Vorgehen der Livländer gebilligt hatte, nahm jetzt aber die Verhandlungen selbst in die Hand. Unterm 9. November 1448 richtet es ein Schreiben an den Burggrafen, Herzog, Rat und Gemeinde zu Großnowgorod, in welchem es als „een hovet der tvende und sewentid stede“ unter Hinweis auf „de guden olden, de dat cruce gekusset hadden“ sich beklagt, dass der deutsche Kaufmann ungeachtet aller Kreuzküssung in Nowgorod niemals mehr Schirm und Schutz gefunden habe. Falls Nowgorod den „dutschen copmann bii der olden crutzenkussing vnde vryheyden laten wolle“, erklärt sich Lübeck bereit, Ratssendboten nach Livland zu schicken, die dort im Einvernehmen mit den livländischen Städten mit Abgeordneten Nowgorods unterhandeln und das Kreuz von Neuem küssen sollen. Mit diesem Schreiben ward der Bote Hartwig an den Wolchow gesandt; er überbrachte zugleich eine Abschrift davon dem Erzbischof von Nowgorod, den der Rat in einer besonderen Zuschrift vom 28. Oktober 1448 bat, er möge dem Überbringer einen Dolmetscher zu der Unterredung mit den Vertretern der Stadt mitgeben und die Antwort derselben auf das Lübische Anschreiben übersetzen 50) lassen. Dieses Hervortreten Lübecks missfiel aber den Livländern; ihre zu Wolmar versammelten Sendboten gaben die Erklärung ab, dass nach ihrer Erfahrung — na guder vorfaringe de wir darinne hebben — die in Aussicht genommene Gesandtschaft keinen Erfolg haben werden wenn nicht Vorbesprechungen stattfänden. Lübeck möge Nowgorod anzeigen, dass es um schwerer Fehde willen keinen Gesandten ausfertigen könne und die livländischen Städte mit den Verhandlungen betraut habe. 51)) Und wirklich erteilt Lübeck an Riga, Dorpat und Reval die erbetene Vollmacht, von der es auch den Erzbischof von Nowgorod in Kenntnis setzt. 52) Im Jahre 1450 vereinbarten die livländischen Sendboten 53) einen nicht allzugünstigen Beifrieden auf 7 Jahre mit den Nowgorodern, und treffen die Städte Anordnungen, um den neu eröffneten Handel mit Russland in die alten gesetzlichen Bahnen zu lenken. Im nächstfolgenden Jahr verständigt sich auch Lübeck mit den Livländern wegen der Nowgoroder Verhältnisse, namentlich in Betreff der nie aufhörenden Klagen von Russen und Deutschen über Lieferung gefälschter und zu schlecht gewogener Waren; an den Kaufmann ergeht die Weisung: die ergangenen „Ordinancien“ streng zu beobachten. 54) Im Jahre 1453 wurden beide Höfe, der von St. Peter und der von St. Olav durch Feuer zerstört und ward eine Besteuerung der Einfuhr zur Bestreitung der Kosten des Wiederausbaues beschlossen und an die bei der Rettung von St. Peters Kleinodien beteiligt Gewesenen eine Spende von fünfzig Stück Silber gezahlt. 55)

1457 lief der Beifriede ab und drängten daher die Livländer um Entsendung von Abgeordneten nach Nowgorod, „möge sie kostend was sie wollen; denn sonst werde der Hof geschlossen. Die Gesandtschaft, der zugleich aufgetragen wurden das Verbot des Dobbelspiels in die Skra einrücken zu lassen, erreichte nur die Verlängerung des Friedens um ein Jahr. Am 6. Februar 1458 erging in Folge dessen die Weisung an den Hofknecht Gottschalk von Harden, er möge die Kaufleute auf den zu Johannis erfolgenden Ablauf des Beifriedens heimlich aufmerksam machen und sie anhalten, dass sie Nowgorod, ohne Aufsehen zu erregen, verlassen; das nach Ostern ankommende Gut soll er in der Kirche bis zur Ankunft städtischer Gesandten bergen. 56)

Es bedurfte abermals langer Zeit, bevor sich die Städte wegen der Entsendung neuer Boten nach Nowgorod einigten; Lübeck stellte die Regelung der Angelegenheit den Livländern anheim und so beschloss der Städtetag zu Wolmar, dass die in Riga befindlichen russischen Vertragsurkunden von den durch Dorpat und Reval zu stellenden Dolmetschern verdeutscht werden sollen. 57) Die Beziehungen zwischen den Livländern und den überseeischen Hansen wurden von Neuem getrübt, als Riga ein Verbot erließ gegen den unmittelbaren Kaufschlag zwischen Gast und Gast, also verhinderte, dass die Kaufleute aus dem Reich in Livland mit den Russen ohne Vermittlung der Livländer Geschäfte machten. Lübeck verlangte die Zurücknahme der Verordnung, aber Riga lehnte eine solche Zumutung entschieden ab und hielt das Verbot allen Einwendungen zum Trotz aufrecht.

So trat der Widerstreit der Interessen zwischen den livländischen und den überseeischen Hansen wieder einmal offen zu Tage; Riga, Reval und Dorpat hielten die Zeit für gekommen, wo der Handel mit Russland ihnen als ihr ausschließliches Monopol zufallen musste. Aber von Moskau aus begann sich eine Umwälzung der staatlichen Verhältnisse innerhalb der russischen Grenzen zu vollziehen, welche auch dem Handel andere Bahnen wies und die deutschen Kaufhöfe an dem Wolchow und der Welikaja auf immer verödete.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutsche Hansa in Russland