Bemühungen zur Wiedereröffnung des St. Petershofes. Wassilij IV. u. Maximilian I.

Wassilij IV. Iwanowitsch trat ganz in die Fußstapfen seines Vaters, dessen Politik, Befestigung des Reiches im Innern und Erweiterung desselben durch Unterwerfung der schwachen Nachbarstaaten, er unentwegt weiter befolgte und sich dabei der gleichen Mittel wie dieser bediente: Überredung und Bestechung, List und Beschlagenheit. Wassilij zeigte einige Vorliebe für die Deutschen, deren er mehrere an seinen Hof zog; sie wurde gefördert durch Michael Glinski, einen litauischen Fürsten tartarischer Herkunft, der seine Jugend am kaiserlichen Hofe in Deutschland verlebt, an den Feldzügen Albrechts des Beherzten von Sachsen in Friesland teilgenommen und Maximilian auf dem Heerzuge nach Italien begleitet hatte. Glinski stand auf der Höhe der Bildung seiner Zeit, liebte den Umgang mit den Deutschen, von denen stets einige seine Umgebung bildeten, und wusste auch bei dem russischen Herrscher, unter dessen Oberherrschaft er sich mit seiner ganzen Verwandtschaft wegen Misshelligkeit mit dem König Sigismund von Polen gestellt hatte, Interesse für deutsche Art und Sitte zu erwecken. Sobald Kaiser Maximilian von dem Thronwechsel in Moskau Nachricht erhalten hatten sandte er Justus Kantinger abermals nach Russland mit einem lateinisch abgefassten Schreiben vom 25. März 1506, in welchem er den neuen Großfürsten um die Freilassung der gefangenen Ritter bittet und die Sache der Hansastädte befürwortet. Der kaiserliche Bote traf am 5. Oktober 1506 in der russischen Hauptstadt ein und wurde bald abgefertigt. Wassilij antwortete dem Kaiser ebenfalls lateinisch, die hansische Angelegenheit ließ er unberührt, die Befreiung der Ritter könnte erst nach abgeschlossenem Frieden erfolgen. 1)

Der zwischen Plettenberg und Iwans Bevollmächtigten 1503 abgeschlossene Waffenstillstand lief 1509 ab; im Februar dieses Jahres ging eine Gesandtschaft des Ordensmeisters, um die Verlängerung der Waffenruhe zu erwirken, nach Moskau ab. Der Zar wies sie an seine Statthalter in Nowgorod und Pskow, mit denen bereits am 25. März ein Beifrieden auf vierzehn Jahre vereinbart wurde. Die fünfundzwanzig Vertragsartikel enthalten im Wesentlichen Bestimmungen über den freien Handelsverkehr mit Nowgorod (Pskow) und Livland, gedenken jedoch der deutschen Kaufhöfe daselbst mit keinem Wort. 2) Wassilij, der nunmehr auch die Kriegsgefangenen freigab, bedurste des Friedens mit den Livländern, weil er die Eroberung Litauens plante; zu diesem Zwecke hatte er durch Glinski den Kaiser wissen lassen, dass er bereit sei, den zwischen Maximilian und Iwan aufgerichteten Bündnisvertrag, der dem Großfürsten einen Teil von Litauen zuerkannte, zu erneuern.


Des Kaisers Absichten auf Ungarn waren durch die Geburt eines Erben der Stephanskrone 3) vorläufig aussichtslos geworden und ging jetzt sein Trachten auf die Niederwerfung der Republik Venedig, die seiner Krönungsfahrt nach Rom unübersteigliche Hindernisse in den Weg gelegt hatte. Wassilij fand daher bei Maximilian kein Entgegenkommen ; jetzt um so wenigere als der Großfürst die wiederholte Vermittlung des Kaisers zu Gunsten der hansischen Kaufleute bisher unbeachtet gelassen hatte. Maximilian hatte auf den großen Nutzen hingewiesen, den Russland aus dem Handel mit der Hansa gezogen habe und hinzugefügt, dass die Städte bereit wären, das Kontor in Nowgorod wieder zu eröffnen, wenn den Lübeckern die ihnen von Iwan auf den Rat schlechter Menschen weggenommenen Güter zurückgegeben würden. Wassilij antwortete darauf: „Mögen sich die Lübecker und die zweiundsiebzig mit ihnen verbundenen Städte mit einer gebührlichen Bittschrift an meine Statthalter von Nowgorod und Pskow wenden, aus Freundschaft für Dich werde ich den Handel mit den Deutschen befehlen. Ihre Güter aber können, da sie eines Vergehens halber eingezogen sind, nicht zurückgegeben werden, wie Dir auch mein Vater schon geschrieben hat.“ 7)

Lübeck, von dem Inhalte dieses Schreibens in Kenntnis gesetzt, ließ ohne Verzug im Januar 1510 unter Führung seines Syndicus Johann Rode im Namen der Städte eine Gesandtschaft nach Nowgorod abgehen; aber sie fand bei dem dortigen Statthalter einen üblen Empfang und musste unverrichteter Sache umkehren. Maximilian, empört über diesem unwürdige Behandlung der auf seine Veranlassung abgeordneten Städteboten, richtete unterm 12. Oktober 1511 aus Silian im Pustertale ein geharnischtes Schreiben an Wassilij.

Derartiges habe er sich von seiner Liebe nicht versehen; „wäre Dein seliger Vater noch am Leben geblieben, so zweifeln wir nichts dass er den Unsrigen die Güter hätte ausfolgen lassen, wie er es auch geschrieben. Wir versehen uns zu Deiner Liebe nochmals alles Guten und bitten, Deine Liebe wolle bedenken und zu Herzen nehmend dass in einem christlichen Frieden, der auf das heilige Kreuz geküsst ward, den Unsern auf böser Leute Rat der Deines seligen Vaters Schuld nicht ist, in Deinem väterlichen Erbe, da dieselben von niemand beklagt wurden, sonder alle Schuld gefangen und ihres Gutes beraubt worden sind; sie hatten sich rechtlich gehalten und niemand Schaden getan, noch jemand betrogen. Man hatte auch von den gefangenen Leuten nichts Arges gehörte noch sind sie in bösen Sachen befunden worden. Es ist auch nicht wider sie gezeugt noch Recht über sie gesprochen worden; wären unsere Leute schuldig gewesene da hätte man nach Einhaltung des Kreuzbriefes verfahren sollen.“

Der Kaiser erinnert weitere wie er Freundschaft mit des Großfürsten seligem Vater gehalten habe und zweifelt nichts dass Wassilij in dessen Stelle treten und in allen Dingen Lieb und Freundschaft halten werde. „So wollen wir uns auch — fährt er fort — dazu gänzlich verlassen, wie wir auch nie zuvor Deiner Liebe lateinisch geschrieben haben, dass Deine Liebe uns zu Ehren und um unserer Bitte willen die Güter unsern armen und unschuldigen Leuten aus besonderer Gunst wiedergeben und verheischen möge, dass mit ihnen ein christlicher Friede nach alter Art gemacht werden so dass sie mögen die Einen zu den Andern zu Wasser und zu Lande kommen und kaufschlagen mit allerhand Waren und sonderlich mit dem Salze das eine Gabe von Gott ist, davon beide Lande Wohlfahrt und Nahrung zu haben pflegen.“

Auch die mit den Kauffahrern kommenden Leute und armen Gesellen, welche die Kaufmannschaft lernen, sollen zugelassen und den Kaufleuten soll gestattet werden, allerhand Waren aus Russland über alle deutschen Lande zu führen. Obwohl der Kaiser versicherte sich ganz darauf zu verlassen, dass der Großfürst um der gegenseitigen Liebe und Freundschaft willen „dem nachkommen“ werden begehrt und erbittet er doch eine schriftliche zuverlässige Antwort.

Die deutschen Kaufleute erfuhren auch nach diesem eindringlichen Schreiben Maximilians keine Besserung ihrer Lage in Russland; der Zar legte ihnen vielmehr noch größere Beschränkungen auf, angeblich wegen der Einfuhr unterwertigen und schlecht verarbeiteten Silbers. Erst unter dem Einfluss einer günstigen politischen Konstellation gelang es der Hansa, in Nowgorod wieder festen Fuß zu fassen.

König Sigismund von Polen beanspruchte einige dem Hause Habsburg gehörige Landschaften, auf welche seine Mutter Elisabeth von Österreich bei ihrer Vermählung nicht ausdrücklich Verzicht geleistet hatten und führte deren Wappen bereits in dem polnischen Kronsiegel. Kaiser Maximilian sann in Folge dessen auf Krieg gegen Polen, zum Vorwande dazu sollte aber der Streit dienen, in dem Sigismund mit dem Ordensstaate in Preußen lag, dessen neuer Hochmeister Albrecht von Brandenburg sich, wie sein Vorgänger Friedrich von Sachsens weigerte, den im Frieden zu Thorn 1466 festgesetzten Lehnseid zu leisten.

Um den Polen zu demütigen, plante Maximilian eine großartige Koalition. Es sollten sich zum Sturze Sigismunds verbünden: die Meister des deutschen Ordens, der König von Dänemark, die Häuser Sachsen und Brandenburg, der Fürst der Wallachei und endlich der Zar von Moskau. 7)

Wassilij der bereits den Krieg gegen Polen eröffnet, aber sich in Folge Mangels an tauglicher Artillerie und Ausbruchs schwerer Krankheiten in seinem Heere zur Aufgabe der Belagerung von Smolensk und zum Rückzuge nach Russland genötigt gesehen hatten nahm des Kaisers Antrag mit Freuden an. Maximilian hatte seinem Gesandten Georg Schnitzenpaumer von Soneg unterm 11. August 1513 den Auftrag erteilt, den Zaren zur Teilnahme an dem Bündnis wider Sigismund einzuladend aber ihn nicht bevollmächtigt, einen Vertrag abschließen. 8) Das freudige Entgegenkommen und die diplomatische Klugheit Wassilijs und seiner Räte verleitete jedoch Schnitzenpaumer, seine Instruktion zu überschreiten. Er arbeitete nach Vorlage der zwischen Friedrich III. und Iwan III. vereinbarten Urkunde den Entwurf zu einem Schutz- und Trutzbündnis aus und händigte den großfürstlichen Unterhändlern ein mit seiner Unterschrift und seinem Siegel versehenes Schreiben ein, in welchem er Namens des Kaisers und auf Kreuzkuss versprach, dass eine den Inhalt des Entwurfs von Wort zu Wort wiedergebende und vom Kaiser gefertigte Urkunde ausgestellt und dem ihn nach Wien begleitenden Gesandten des Zaren übergeben werden würde.

Wassilij schickte nun den Dimitri Laskirew und den Djäk Elisar Shukow an Maximilian mit der von ihm vollzogenen Vertragsurkunde. Als die kaiserlichen Räte dieselbe Wort für Wort prüften, waren sie im hohen Grade entrüstet über Schnitzenpaumers eigenmächtiges Verfahren. Nach einigem Überlegen rieten sie jedoch dem Kaiser, um den Gesandten vor den Russen nicht zu beschämen und die zarischen Boten nicht unverrichteter Sache zurückkehren zu lassen, das Bündnis zu bestätigen und durch Kreuzeskuss zu beschwören, aber unter dem ausdrücklichen Vermerk, dass der Großfürst diese auf oben angeführter Rücksicht vollzogene, ,,wider Kaiserlich Majestät und Gewissen“ aufgerichtete Urkunde gegen eine andere ihm später zu überschickende auszuhändigen verbunden sein solle, welche bis auf jene anstößigen Bestimmungen, die wegbleiben müssten, mit der ersten gleichlautend sein werde.

Unter diesem Vorbehalt wurde zu Gmunden am 4. August 1514 das mit dem russischen Text gleichlautende Schriftstück in lateinischer Sprache auf Pergament ausgefertigt, mit der goldenen Bulle versehen, von Maximilian durch Kreuzeskuss bestätigt und gegen das von Iwan vollzogene ausgewechselt. An demselben Tage unterzeichnete der Kaiser auch die nach dem deutschen Kanzleistil umgearbeitete und von den missfälligen Stellen gesäuberte Urkunde.

Während Schnitzenpaumer ein unbedingtes Schutz- und Trutzbündnis zwischen den beiden Herrschern allein und wider alle ihre Feinde, insbesondere aber gegen den König von Polen vereinbart hatte und zwar derart, dass die Eröffnung der Feindseligkeiten der Willkür eines jeden Bundesgenossen überlassen bliebe den andern aber dann die Verpflichtung zufiel, sofort mit ins Feld zu rücken, stellt der im Kaiserlichen Kabinett ausgearbeitete Entwurf neben dem Kaiser auch das Reich und die anderen Bundesverwandten als Mitkontrahenten auf und dehnt die Wirksamkeit der freundschaftlichen Verbindung auch auf die Kinder und Kindeskinder der vertragschließenden Fürsten ans. Das Schutzbündnis hielt er nur im Allgemeinen fest, erweitert dagegen aber die Bestimmungen wegen des Angriffs wider Sigismund, wobei indes vorbehalten wird, dass der König erst gütlich angegangen werden soll, den Forderungen der beiden Vertragsmächte und ihrer Bundesgenossen gerecht zu werden. Erst nach ablehnender Antwort soll am St. Georgstage 1515 der Krieg von beiden Seiten gegen Polen eröffnet und so lange fortgesetzt werden, bis man die gänzliche Befriedigung aller Teilnehmer erreicht habe. Keiner der Kontrahenten darf einen Waffenstillstand oder Sonderfrieden mit dem Könige schließen, und bleibt der Vertrag auch in Kraft, wenn von dem Könige volle Genugtuung erlangt worden sei. Zum Schluss wird den Untertanen, Boten und Kaufleuten aller Bundesgenossen gegenseitiger freier und sicherer Verkehr gewährleistet. 9)

Der Abschluss dieses Bündnisses, das ihm die Erwerbung Litauens in sichere Aussicht zu stellen schien, bewog endlich Wassilij zur Nachgiebigkeit gegen die Hanseaten. Schnitzenpaumer vermochte den Zaren, einer neuerdings nach Russland abgeordneten Städtegesandtschaft unterm 2. Januar 1514 Geleitbriefe auszufertigen. Er würden schrieb Wassilij dem kaiserlichen Gesandten, wegen seines Bruders Maximilian das „Hauptschlagen“ der Sendboten ansehen und die 73 Städte begnadigen, auch befehlen, dass sie in seinen Landen ohne alle Hindernisse Kaufmannschaft treiben, kommen und gehen können. 10)

Im Frühjahr 1514 wurden in Nowgorod die Verhandlungen zwischen den großfürstlichen Statthaltern und Bojaren einerseits, den hansischen Abgeordneten andrerseits eröffnet. Zunächst hatten die Letzteren alle Vorwürfe und Beschwerden zu hörend welche gegen den gemeinen deutschen Kaufmann die Russen schon so oft erhoben hatten. Dann suchte man sie unter allerhand Vorspiegelungen zu bewegen, dass die livländischen sowie alle Hansastädte sich von dem Ordensmeister und allen Herren, die Feinde des Großfürsten seien, lossagten: Wenn sie sich dazu vertragsmäßig verpflichten wollten, würde ihnen ein Frieden ans fünfzig oder sechzig Jahre bewilligt werden. Die Sendboten, denen bei der Anmaßigkeit und Rücksichtslosigkeit der Russen zuweilen die Geduld riss, sprangen mehrmals auf und wollten lieber sonder Frieden abgehen, als einen unter den ihnen vorgelegten Bedingungen annehmen.

Nach wochenlanger „swaren arbeide“ ward im Juni jedoch „ut werkinghe des hilligen Gestes“, unter Einwirkung des heiligen Geistes, wie die livländischen Boten an Meister Plettenberg berichten, ein zehnjähriger Friede von Himmelfahrt 1514 bis Himmelfahrt 1524 aufgerichtet und unterzeichnet; Namens des Zaren von dem großfürstlichen Statthalter zu Nowgorod Fürsten Wassilij Wassiljewitsch (Shuiski) und Iwan Gregorewitsch (Morosow), Namens der Hansa von den Sendboten Dorpats, Bürgermeister Johann Bulk, Ratmann Arend von Loen und dem als Schreiber dienenden Priester Matthias Lemkes sowie von den Vertretern Revals, Bürgermeister Johann Viant (Feind) und Ratmann Johann Retgers. 11)

Die Städte verpflichten sich in dem Vertrag, keine Gemeinschaft mit Sigismund von Polen und dessen Freunden zu unterhalten, sowie dem Großfürsten in allen Stücken willfährig zu sein. Dagegen überweist ihnen Wassilij alle den Deutschen gehörenden Höfe, Plätze und Kirchen in Nowgorod, erlaubt ihnen mit Salz, Silber, Blei, Kupfer, Zinn, Schwefel, Honig, Heringen und allerhand Handwerkerarbeit Handel zu treiben und verheißt ihnen im Falle eines Krieges mit Livland oder Schweden vollkommene Sicherheit in seinen Landen. Weiter ward festgesetzt, dass die Städte keinen ihre Satzungen übertretenden Russen höher als mit 10 Stück Silber schatzen dürfen; in Deutschland die Russen nach deutschem Rechte, in Russland die Deutschen nach russischem Rechte gerichtet und jene nicht ohne Vorwissen der großfürstlichen Statthalter, diese nicht ohne Zustimmung der Hansa bestraft werden, auch Niemand ohne Untersuchung seiner Freiheit verlustig gehen soll. 12)

Zwanzig Jahre war der Hof von St. Peter geschlossen geblieben; als er jetzt wieder dem hansischen Kaufmann geöffnet wurde, erkannten die „Ehrsamen Herren zu Lübeck und der anderen Städte Abgesandte und Befehlshaber“ die Notwendigkeit, eine neue Skra für die Niederlage aufzusetzen, welche den veränderten Verhältnissen Rechnung tragen sollte.

Als wesentliche Neuerung erscheint in dem umgearbeiteten Hofgesetz die Bestimmung über die Wahl der Olderleute: Sind nur zehn Kaufleute in dem Hofe, sollen sie sich zwei Vorsteher kiesen; kommen sie aber zu dreißig oder vierzig Mann, so haben sie, nach den vier Quartieren des Hansabundes, dem sächsischen, dem westfälischen, dem wendischen und livländischen, geordnet, je drei, im Ganzen zwölf, aus ihrer Mitte zu ernennen, welche die Olderleute wählen und einschwören. Der Schwur lautete: „Dat uns Gott help und S. Peters dat wy alle Sanct Peters Recht bewahren willen nach unser Conscientien und samptlichkeit, also wo in diesem Bocke geschrewen steit und helffen einen jeglichen zu seinen Rechten, als wy best können und mögen, und nicht durch Gift und Gawen richten nach Gnaden.“

Die alten Verbote, mit den Russen aus Borg kaufzuschlagen oder mit ihnen Handelsgemeinschaft zu machen, wurden erneuert, ebenso das gegen die Einfuhr gefälschter Tuche, „unbekannter oder unversiegelter Lakens; die städtischen Sendboten dürfen in Nowgorod auf eigene Rechnung kein Geschäft machen; Niemand soll über Jahr und Tag dort verweilen, kein Gut, das im Winter auf Landwegen gekommen ist, kaufen, oder Silber und Tuche zu Lande einführen; wer heimlich abreist, wird mit 10 Mark Silber gebüßt.

Im Hofe wohnte jetzt ein ständiger Priester, der 10 Mark Nowgorods Silber Lohn empfängt, frei Bier und von der Tafel des Hofknechts, dem dafür auf St. Peters Kosten 18 Denninge vergütet werden, freie Kost erhält. Wer in Gegenwart eines Russen aus den deutschen Städten angekommene Briefe liest oder dieselben aus der Hand gibt, wird mit 1 Mark Silber gestraft. Bei Verlust der Gerechtigkeit des Hofes ist es verboten, mit Kaufmannschaft über Nowgorod hinaus nach Moskau und dem übrigen Russland zu reifen. 13)

Die Hoffnung, welche die Hansa an den neuen Vertrag knüpfte, dass das Kontor am Wolchow in alter Herrlichkeit wieder erstehen werde, erfüllte sich aber so wenig wie die Erwartung, mit welcher der russische Selbstherrscher der Wirkung des mit Kaiser und Reich geschlossenen Bündnisses entgegensah. Gerade zu derselben Zeit, da die verbündeten Heere nach der Bestimmung des Kaisers sich gegen Polen in Bewegung setzen sollten, feierte Maximilian seine Versöhnung mit den Königen Sigismund und Wladislaw und die Wechselheirat seiner Enkelkinder mit den Kindern des Königs von Böhmen und Ungarn. Wassilij hatte es abgelehnt, die in der kaiserlichen Kanzlei umgearbeitete Vertragsurkunde entgegenzunehmen; gegen diese Weigerung ließ Maximilian in der Pfalz zu Augsburg durch seinen Prokurator Dr. Conrad Peutinger vor Zeugen und Notaren einen feierlichen Protest einlegen und erklären, dass es sein Wille sei, nur dem zweiten Bündnis und Einigungsbrief Folge zu geben und nachzukommen. 14) Während nun der Zar die bundesgemäße Hilfe gegen Polen von dem Kaiser verlangte, ließ ihn dieser durch seine Boten Pantaleon und Eder auffordern, sich mit Sigismund „einem edelmütigen und großherzigen Fürsten“ zu versöhnen. Wassilij antwortete mit lebhaften Beschwerden über des Kaisers Bundbrüchigkeit und der Versicherung, den Krieg gegen Polen beharrlich fortzusetzen. Wie den Moskowiter hatte Maximilian auch den Hochmeister Albrecht von Brandenburg im Stich gelassene nachdem er ihm kurz zuvor ,,bei seiner Ungnade und schweren Strafen“ verboten hatte, sich mit dem König von Polen zu verständigen. Albrecht sah sich so genötigt, bei dem russischen Großfürsten insgeheim Schutz für den Orden nachzusuchen. Wassilij erklärte sich gern dazu bereit und der Hochmeister sandte seinen besten Diplomaten Dietrich von Schönberg nach Moskau, dem es auch bald gelang, einen Bündnisvertrag abschließen. 15) Beide Teile verpflichten sich, „fest und ausdauernd“ wider den gemeinsamen Feind zu stehen und das Unternehmen in Einmütigkeit zu betreiben. Der Hochmeister sichert sodann den kaiserlichen und zarischen Gesandten zu Wasser und zu Lande freien Durchzug durch das Ordensgebiet, während der Zar den preußischen Kaufleuten ungehinderte Fahrt in Russland bewilligt. Auch erklärt sich Wassilij bereit, monatlich sechzigtausend rheinische Gulden zum Unterhalt von zwölftausend Mann Kriegsvolk an Albrecht zu zahlen unter der Bedingung, dass das Ordensheer Danzig, Graudenz, Thorn, Marienwerder und Elbing einnähme und auf Krakau vorrücke. Der Verlauf des ganzen Krieges machte diese Bedingung gegenstandslos; doch gelang es Albrecht nach unsäglichen Mühend von Wassilij zum Unterhalt von 1.000 Fußknechten zu drei verschiedenen Malen Hilfsgelder zu erlangen, im Ganzen etwa vierunddreißigtausend rheinische Gulden; das Geld wurde ihm von den zarischen Beauftragten mit der Hand vorgewogen, so dass manche hundert Gulden an deren Finger kleben blieben. 16)

Der Krieg gegen Polen lähmte die deutsche Kauffahrtei nach Russland sehr, und ließen es sich die Hansastädte angelegen sein, die Anstrengungen, welche Kaiser und Papst zur Herstellung des Friedens machten, nach Kräften zu unterstützen. Mit Freuden empfingen Meister und Knappen im St. Petershofe zu Nowgorod den zur Förderung des Friedenswerkes nach Moskau reisenden kaiserlichen Gesandten Sigismund Herberstein und stellten seinen Schlitten zum immerwährenden Gedächtnis in der St. Peterskirche auf. 17) Aber auch die Sendung dieses ausgezeichneten Diplomaten blieb ohne Erfolg und es bedurfte erst des Aufstandes der Kasaner und der Bedrohung Moskaus durch die Horden der Krim, bevor sich Wassilij ernstlich bereit zeigte, mit dem König von Polen einen Waffenstillstand abzufließen (25. Dez. 1522).

Inzwischen hatte der livländische Ordensmeister der Hansa den Vorschlag gemacht, die Höfe in Nowgorod aufzugeben und Narwa zum Stapelplatz für den russischen Handel zu machen. Aber Narwa war nicht Mitglied des Städtebundes, suchte vielmehr seine Aufnahme erst 1542 nach, konnte daher auf eine solche Bevorzugung keinen Anspruch erheben. Die livländischen Städte verwarfen 1521 auf dem Tage zu Lübeck den Plettenbergschen Antrag, doch einigte man sich nach lebhafter Auseinandersetzung endlich dahin: den Hof zu St. Peter Dorpat, das dort Priester und Knechte anstellen können zu überlassen, es aber jedem anheim zu geben, in Reval oder Dorpat mit den Russen zu handeln. 19) Mit diesem Beschluss war das seit Jahrhunderten eifersüchtig gehütete Monopol des Nowgoroder Kontors aufgehoben und konnte es ungeachtet jahrzehntelanger immer erneuerter Versuche nicht mehr hergestellt werden. Dorpat und Reval glaubten durch den Beschluss des Städtetages eine unabhängige Stellung im Bunde erhalten zu haben. Auf eigene Hand traten sie daher mit dem russischen Herrscher in Unterhandlung welche 1522 zum Abschluss eines Handelsvertrages führte, der neben mancher den Deutschen günstigen Bestimmung das Verbot der Einfuhr von Salz nach Russland enthielt, durch welches die Nowgoroder Salzwerke vor der deutschen Konkurrenz geschützt werden sollten. Die wendischen Städte versagten diesem Vertrage ihre Zustimmung, weil darin der St. Petershof keine Berücksichtigung gefunden und man die alten Freiheiten nicht gewahrt habe. Sie beschlossen ihrerseits eine Gesandtschaft an Wassilij abzuordnen, um von ihm die Erlaubnis zur Wiederherstellung des Kontors am Wolchow zu erbittert. Aber in Folge vielfach dagegen erhobener Bedenken kam der Beschluss nicht zur Ausführung; namentlich ward geltend gemacht, dass, nachdem sich die Nowgoroder einmal an den freien Aufschlag gewöhnt hätten, sie es ablehnen würden, sich wieder auf den Verkehr mit dem deutschen Hofe beschränken zu lassen. 20)

Die Frage wegen Erneuerung dieser Niederlage verschwand jedoch nicht mehr von der Tagesordnung der hansischen Versammlungen. Man erging sich bei Beratung des Gegenstandes zumeist in wechselseitigen herben Anklagen. Auf den Vorwurf der Lübecker, dass die Livländer es an gutem Willen fehlen ließen, nicht aufhörten, mit den Russen wider die Satzungen zu handeln und die alten Freiheiten preisgäben, antworteten die Boten Rigas: ,,Die Zeit und Welt, als die Privilegien gegeben wurden, seien viel anders als jetzt gewesen“; man wolle auf dieselben Rücksicht nehmen, wenn es ohne Verderb der livländischen Städte möglich wäre. Zugleich erklärte er, dass fortan der weiten Entfernung wegen nicht mehr jede Stadt für sich die Tagfahrt beschicken werde, sondern sie sich insgesamt durch eine vertreten lassen würden. 21)

Lübeck konnte jetzt auf die Nachgiebigkeit der Livländer um so weniger rechnen, als es auf Grund eines Vertrages mit König Friedrich von Dänemark den Versuch erneuerte, die Holländer, welche in Riga, Reval, Dorpat willkommene Gäste waren, von der osterländischen Seefahrt mit Stapelgut ganz auszuschließen. Im Bunde mit König Friedrich, Rostock, Wismar und Stralsund konnte es die Schifffahrt der Holländer brach legen; im Sommer 1532 ankerten 400 Kauffahrteischiffe ohne Fracht in den holländischen Häfen und 10.000 Bootsleute suchten Beschäftigung. Der Krieg schien unvermeidlich; Lübeck ließ die Kirchenschätze einschmelzen zur Bestreitung der Kosten für ein Geschwader, das sich 1533 in den Sund legte und die holländischen Städte rüsteten unter Berufung auf ihren Landesherrn, den Kaiser, eine Flotte zur Bestrafung derer von Lübeck „Seiner Majestät Aufrührer und Feinde“ aus. Da starb König Friedrich im April 1533 und sein Tod gab den Dingen eine andere Wendung. 22) Die Sperrung der Ostsee gegen die westlichen Nationen ließ sich auf die Dauer nicht mehr durchführen, das musste auch die hansische Vormacht erkennen. Vor Allem galt es ihr, von nun an sich auf dem russischen Markte den Vorrang nicht ablaufen zu lassen.

1538 erhielten die Livländischen von den Überseeischen die Aufforderung zum Zwecke der Wiederherstellung des Nowgoroder Kontors eine Gesandtschaft nach Moskau abzuordnen: sie seien dazu um so mehr verpflichtet, als vornehmlich durch ihr Verschulden die Niederlassung in Verfall geraten sei. Dieses Ansinnen blieb ohne Antwort. 1539 ward zu Lübeck die Wiederholung desselben beschlossen, zugleich aber die Abfassung eines Schreibens an den moskowitischen Herrscher, in welchem er ersucht werden sollte, den dreiundsiebzig Städten für Nowgorod die alten Freiheiten zurückzugeben in Anbetracht, dass dieses Kontor dem russischen Reiche so ersprießlich gewesen und durch die deutschen Kaufleute der russische Name zuerst in fremden Landen bekannt geworden sei. 23)

Nunmehr hielten die Livländer mit ihrer Antwort nicht zurück; ohne Rückhalt widersprachen sie jedem Antrage auf Wiederherstellung der Kaufhöfe in Nowgorod und Pskow. Seit dem Jahre 1494 hatte der Handelsverkehr mit Russland sich vorwiegend den livländischen Plätzen zugewandt und die dortigen Kaufleute waren entschlossene ihre bevorzugte Stellung gegen Jedermann zu behaupten. Sie untersagten 1539 unter Berufung auf den alten Rechtssatz, dass Gast mit Gast nicht handeln dürfen den Kauffahrern der überseeischen Städte den unmittelbaren Kaufschlag mit den Russen, und mit welcher unbarmherzigen Strenge sie die Übertretung ihres Gebotes ahndeten, erfuhr ein gewisser Hans Vegesack, den die Dorpater ohne Rücksicht auf die Fürsprache des Ordensmeisters, des Erzbischofs von Riga und ihres Bischofs enthaupten ließen, weil er ohne ihre Vermittlung mit den Russen in Geschäftsverbindung getreten war. Die von der lübeckschen Partei gegen dieses Bluturteil erhobenen Verwahrungen blieben unberücksichtigt. Auf dem 1540 an der Trave abgehaltenen Städtetag ward abermals die Abordnung einer Gesandtschaft nach Moskau beraten, aber die Sendboten Livlands lehnten jede Beteiligung daran ab. Der Vertreter Dorpats wies darauf hin, wie übermütig die Russen den Deutschen immer begegnet wären und wie wenig man ihnen trauen dürfe. Dagegen erhob sich der Bote Revals: nicht die Russen seien an dem Untergang des Nowgoroder Hofes Schuld, sondern der Eigennutz und das schlechte Benehmen der deutschen Kaufleute. Riga ließ sich auf weitere Erörterungen gar nicht ein und beschränkte sich auf die Erklärung: es sei unmögliche die Niederlage am Wolchow wieder herzustellen, daher unnötige eine Gesandtschaft an den Großfürsten abzuordnen. 24)

Die Mehrzahl der Städte war aber für die Gesandtschaft, sie bewarben sich um Geleitbriefe und als diese eintrafen, erging an Lübecks Hamburg, Danzig, Königsberg, sowie an Riga, Dorpat und Reval das Ersuchen, Boten zu ernennen; zur Bestreitung der Unkosten für die Abordnung ward die Erhebung eines Pfundzolles in Livland beschlossen. Die Livländer erlahmten in ihrem Widerstande nicht; sie verboten den Überseeischen, Zinn, Draht, Messing, Kupfer den Russen zuzuführen und erklärten, die Auflage eines Pfundzolles würde den Ordensmeister und den Erzbischof zur Nachahmung reizen. Die alten Freiheiten, fuhren sie fort, könnten in Nowgorod nicht wieder erlangt werden: es herrsche in Russland keine Ordnung, Statthalter und Bojaren beraubten die Fremden, der russische Kaufmann werde sich dem Stapelzwange nicht mehr fügend da er von dem Bauer unmittelbar das Pelzwerk kaufe.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutsche Hansa in Russland