Erste Fortsetzung

Es ist ja schon häufig vorgekommen, dass ängstliche und für sich selbst allzubesorgte Gemüter trotz aller vernünftigen Gegenvorstellungen Jahre lang sich einbildeten, sie seien leidend und der Tod gehe bereits, wie man sich gewöhnlich ausdrückt, mit ihnen herum. In Folge solcher stets gesteigerter Einbildungen kam schon Mancher vor der Zeit in die Grube, und wennschon bei allgemein günstigen Gesundheits-Verhältnissen die Einbildungskraft sich so verderblich zu äußern vermag, welch' eine vernichtende Kraft muss sie erst dann erlangen, wenn ein von Natur Ängstlicher die für ihn schreckliche Überzeugung gewinnt, der epidemische Stoff der herrschenden allgefürchteten Seuche habe plötzlich auch ihn befallen. Dieser Ängstlichkeit nun, welche sich gleich dem Alpdrucke auf das Gemüt legt, den klaren Gedanken trübt, sonst als herzhaft Bekannte zaghaft macht und dem Kranken das Vertrauen zu seinem Arzte raubt, suche ich in diesem meinem Broschürchen durch moralische Beweisgründe entgegenzuwirken und zwar um so mehr, als nach der Beobachtung der Ärzte sich herausgestellt, dass Angst und Schreck die vorzüglichsten Förderungsmittel für die herrschende Seuche seien.
Wir stehen Alle in Gotteshand; der Begriff dieses Satzes, mit Innigkeit empfunden, dürfte nach meinem Dafürhalten schon geeigenschaftet sein den wankenden Mut festzuhalten, denn wir werden in demselben an die Allmacht erinnert, vermöge welcher wir ins Dasein kamen und ohne deren Zulassung kein Haar von eines Menschen Haupt fällt. Da die herrschende Seuche ihre Opfer unter allen Konfessionen sucht, so rede ich in dieser meiner Ansprache an das Volk zuvörderst von jener Größe, zu welcher nicht nur der Christ, sondern auch der Türke und der Jude mit Ehrfurcht und Inbrunst betet. Diese heilige, allmächtige Größe ist jene Vorsehung, nach deren unerforschlichem Lenken selbst die Übel und Leiden des Lebens zu Bildungsmitteln für den Menschen werden und zur Veredlung seines Geistes und Gemütes wesentlich beitragen.

Mögen auch Spötter die Wahrheit dieses Satzes leugnen, so widerlegt sie doch gerade die jetzige Periode, denn gar Viele, die unter Geschäften oder unter ihren zeittötenden Tändeleien bis jetzt nie an den Tod dachten, denken nun wohl hundertmal des Tages an die eigene Hinfälligkeit. Dieser Gedanke, hervorgerufen durch das Auftreten der Seuche, dient sicherlich zur Veredlung der Herzen, denn wo das Zeitliche, das Dasein, an einem schwachen Faden hängt, der mit jedem Stundenschlage reißen kann, soll notwendig der Geist sich zu Gott erheben; wo nun diese Erhebung mit Innigkeit wirklich stattfindet, da entweicht sicherlich auch die feige entmannende Angst, wo aber dem Begriffe: „Morgen bin auch ich vielleicht schon der Seuche zum Opfer gefallen," der Glaube nicht als Schild dient, muss notwendig die Furcht stets wachsend im Gemüte sich entfalten oder jener Leichtsinn Platz greifen, der dem Abgrunde lächelnd den Rücken kehrt, statt nach moralischer Kraft nach Zerstreuungen haschet, von der Gefahr ergriffen aber ohne Mut und Trost — verzweifelnd endet. Statt sich moralischen religiösen Mut für die Stunden einer etwaigen schweren Heimsuchung oder gar eines raschen Todes zu sammeln, zerstreuen sich jetzt aber gar viele Leute, indem sie mit einer wahren Unersättlichkeit nach Vergnügungen haschen; sie wollen und können gar nichts von der herrschenden Seuche sprechen hören und halten dieses ihr Tun schon deshalb für äußerst klug, weil die Ärzte selbst die Ängstlichkeit für gefährlich erklären und Zerstreuungen anempfehlen.


Wie bei allen Dingen, so liegt nun wohl auch hier die Wahrheit in der Mitte, und das absichtliche Bemühen sich fort' während Zerstreuungen hinzugeben, um ja nie an die herrschende Seuche zu denken, ist eben so verwerflich wie das fortwährende Reden über die Cholera, das Studieren der Totenzettel und das Grauen, welches jeder über das Pflaster rasselnde Totenwagen einem zaghaften Gemüte einflößt.

Eine vernünftige Ängstlichkeit dürfte im gegebenen Falle in allen Familien Platz greifen und vom medizinischen Standpunkte beschränkt sich dieselbe auf das bereits in den Blättern des Tages zur allgemeinen Kenntnis gebrachte diätetische Verhalten; da nun aber, wie in diesem Broschürchen mehrfach erwähnt, selbst die geregeltste Lebensweise nicht immer vor der Seuche schützt, gegen welche es überhaupt gar kein Präservativmittel gibt, so dürfte auch eine gewisse religiöse Ängstlichkeit als gar segensreich zu empfehlen sein.

So verschieden auch die religiösen Glaubensformen sein mögen, so vereinigen sie sich doch alle in ein und demselben Gedanken, in dem tief in jeder Menschenbrust wurzelnden Glauben an ein höchstes Wesen und an die Fortdauer des Seelenlebens nach dem Tode.

Ein höheres Wesen ahnet Jeder, ja selbst Jene, die es zu leugnen sich anmaßen, und nach Unsterblichkeit der Seele sehnen sich alle mit Ausnahme Jener, die in Anbetracht ihrer fortwährenden Sünden und Laster, für welche sie keine Vergebung hoffen, sich die Vernichtung des eigenen Ichs wünschen. Lassen wir daher jedem Kultus seine besondere Art der Verehrung dieses höchsten Wesens und ehren wir unsere göttliche Abstammung durch den festen Glauben, dass die unübertreffliche wundervoll herrliche Weltordnung ohne einen allmächtigen Schöpfer nicht entstanden und ohne seine weise Lenkung nicht fortbestehen könne. In dem innigsten Zusammenhange mit diesem so schönen und erhebenden Glauben an Gott steht jener an die Unsterblichkeit der Seele fest und an diesem letzteren müssen sich nach meiner vollsten Überzeugung die Schrecken des Todes machtlos brechen.

Wie trostvoll ist auf dem Sterbebette der Gedanke: Wir gehen in ein besseres, vollkommeneres und schöneres Leben hinüber und es begleite uns bei dieser Wanderung das Bewusstsein unserer irdischen Lebensbahn. Was kann ein verscheidender Vater oder eine im Sterben liegende Mutter Denen, die weinend ihr Bett umstehen, Trostvolleres sagen, als: Es gibt nur eine kurze Trennung, glaubet, vertrauet und hoffet, drüben werden wir uns wieder sehen.

Wahrhaftig, die Religion allein vermag den Menschen bei plötzlich hereinbrechenden Schrecken und schweren Leidenstagen in seiner Schwäche und Hinfälligkeit aufrecht zu erhalten, und ich empfehle daher als einzig wahres Schutzmittel gegen Furcht und Angst vor der herrschenden Seuche ein inniges Festhalten an Gott, seinen Geboten und Verheißungen. Der religiöse Mut hat ja stets die Feuerprobe bestanden und von ihm erfüllt trotzet besonders der Krieger allen Gefahren und all' jenem menschlichen Elende, welches schon bei einem flüchtigen Blicke das Herz mit Entsetzen und Grauen erfüllt. Zwar hält den Soldaten auch die Ehre in den schwierigsten Dienstverhältnissen aufrecht, doch sie bleibt stets nur ein Nebenzweig, welcher, eingepfropft auf den Stamm der heiligen Religion, Nahrung von ihm erhält und erst mit ihr vereint Wunder wirkt. Wenn nun der Soldat vor der Schlacht voll heiligen Vertrauens das Auge zum Himmel aufschlägt, leise sprechend: „Herr, steh mir bei, und ist es dein Wille, dass ich fall«, so sei mir gnädig, Dir empfehle ich mein Schicksal!" wenn, wiederhole ich, diese mit Inbrunst gesprochenen Worte seiner Seele in Mitte der blutigen Schlacht Kraft und Stärke verleihen, so dürfte denn doch auch bei verminderter Gefahr während des Waltens einer Epidemie der Gedanke an Gott und Unsterblichkeit die unter dem Schutze der Gesetze in Städten und Dörfern geborgen Lebenden beruhigen, und statt über die Unzulänglichkeit der Arzneikunde und über die sogenannte Ohnmacht der Ärzte sich missliebig zu äußern, täten solche besser, wenn sie durch Anwendung religiöser Mittel ihr Gewissen beruhigten, und so die feige der Sterblichkeit in die Hände arbeitende Angst aus den Gemütern verscheuchten. Eine äußerliche Zerstreuung ist in den Tagen von so hohem Ernste zur Behauptung von Kraft und Mut im kritischen Falle nicht ausreichend, und wenn man bei einer Wanderung von Grund zu Grund aller Orten Leichen begegnet, so ist es nicht klug, sondern im höchsten Grade unvernünftig, wenn man nickt unter religiösen Empfindungen an sein eigenes, möglich baldiges Hinscheiden denkt. Wie die Ordnung im Geschäftsleben allein das gegenseitige Vertrauen und sozusagen die Staaten aufrecht zu erhalten im Stande ist, ebenso werden nur Jene mit gelassener Ruhe und durch hehres Gottvertrauen gestärkt in Mitte einer großen Sterblichkeit stehen, welche die Ordnung in ihrem Innern und im Kreise ihrer Familien so hergestellt haben, dass, wenn der Herr sie abruft, sie mit Ruhe sprechen können: „Dein Wille geschehe, nach kurzer Trennung folgt in besserer Welt das Wiedersehen."

Die Furcht Gottes ist der Anfang aller Weisheit; im innigsten Einklange mit diesem Satze empfehle ich wiederholt in dieser Periode, wo der Tod bald an die Türe eines Palastes, bald an die der hungernden und seufzenden Armut pocht, mit despotischer Gewalt und Laune seine Opfer fordernd, neben der vernünftigen diätetischen Ängstlichkeit auch jene religiöse, welche die Ordnung im Gewissen herstellt, Fassung und Würde bei jedem Unglücksfalle verleiht und die feige Angst durch die religiöse Überzeugung: „Nichts geschieht ohne Gottes Willen," vor die Türe bannt. Im Erkrankungsfalle wird jeder in diesem Sinne Handelnde Vertrauen zu seinem Arzte haben; statt im Bereiche der Schrecken zu wühlen, wird sich seine Phantasie zu dem Throne des Allbarmherzigen aufschwingen; kein Wunder wird ein Solcher von dem Doktor weder erwarten noch verlangen, und wenn die angestrebte Rettung misslingt, mit Ergebung denken: „Der Arzt ist ein Mensch und — kein Gott."

Obwohl man nun glauben sollte, jeder Kranke müsste während seines Darniederliegens von dieser vernünftigen Anschauungsweise ausgehen, so kommt es doch sehr häufig vor, dass gerade Leute, welche sich für sehr aufgeklärt halten und die selbst alle Wunder Gottes leugnen, im kritischen Falle Wunder vom Arzte — von einem Menschen — verlangen; in der Regel gilt Solchen auch der Charlatan mehr, wie der gewissenhafte bescheidene Arzt, denn das mit der Lärmtrommel Zumarkteziehen ärztlicher Schwindler und Spekulanten ist leider noch nicht aus der Mode gekommen, und findet noch immer sein Publikum, welches bereitwilligst der frechen Lüge das Ohr leiht, während es der Wahrheit dasselbe verschließt.

In treuer und gewissenhafter Übung seiner Kunst, ist der Arzt einer der verdienstvollsten Staatsbürger, und tief muss es ihn kränken, wenn er nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt und sich dennoch verkannt und das Vertrauen des Publikums durch die Ruhmredigkeit prahlerischer Schwindler zu ihm geschmälert sieht.

Der gewissenhafte wirklich gute Arzt ist lediglich ein Diener der Natur, welcher nur leitend verfährt, keineswegs aber ihr entgegen tritt; er sucht jede Krankheit auf dem einfachsten und mildesten Wege zu beseitigen, weshalb er auch die Regulierung einer angemessenen Lebensordnung in Krankheiten für den Hauptteil der Kur erachtet, wobei er natürlich auch nach Bestimmungen, welche ihm die Wissenschaft und die Erfahrung — Praxis — darbieten, die Zeitpunkte nicht unbeachtet und unbenutzt lässt, wo es darauf ankommt, durch ein rasches entschiedenes Einwirken der der Natur überlegen werdenden Krankheit eine andere, eine solche Richtung zu geben, die dem Kranken zum Heile gereicht.