Dritte Fortsetzung

Die Arzneikunst, wenn sie nicht anders in Charlatanerie ausarten soll, setzt gründliche Studien voraus, zugleich aber auch eine seltene Vereinigung physischer und moralischer Eigenschaften; sie hat nicht allein Heilung körperlicher Gebrechen, sondern als psychische Medizin auch geistiger zum Zwecke, und wo der dem Menschen inwohnende Verstand so sehr auf Abwege gerät, dass er sich in Handlungen äußert, die den Körper krank und in der Zeitfolge gebrechlich machen, genügt es nicht bloß die äußerlich wahrnehmbaren Schäden periodisch zu kurieren, sondern da ist es die Aufgabe des gewissenhaften Arztes dem Patienten jene psychische Medizin zu reichen, welche in sein Seelenleben eingreift und ihm statt eines Rezeptes die Achtung der göttlichen Gebote empfiehlt.

Eine wahre Herzstärkung muss es für einen Arzt sein, wenn er einen schon fast dem Grabe Verfallenen ins Leben zurückführt und ihn den Seinen gleichsam wiedergibt; ich wiederhole es, eine Herzstärkung muss es für ihn sein, wenn er ferner beobachtet, der Genesene befolge strenge jene Lebensregeln, die er ihm vorgezeichnet, und übertrage dieselben auch auf seinen Familienkreis. Das ist ein schöner Lohn, den hier der Arzt erntet, während die Verrichtungen seines Amtes ihm schmerzlich getrübt werden müssen, wenn er einem Menschen hilft, wieder hilft und öfters hilft, derselbe aber stets wieder, da er die Gelegenheitsursachen nicht vermeidet, ins Bett fällt, für eine Reihe unvernünftiger Unfolgsamkeiten Hilfe verlangend; da bleibt denn doch am Ende dem gekränkten Arzte lein anderer Ausspruch übrig, als frisch und ernst zu sagen: „Bessere dich und hilf so dir selbst, denn den Gehilfen für dein unvernünftiges wüstes Leben abzugeben, bin ich satt!"


Dieses angeführte Beispiel ist analog mit dem Ausspruche eines Beichtvaters, den er endlich an einen Menschen ergehen lassen muss, welcher ihm trotz allen Anleitungen und Zusprüchen immer und immer ein und dieselben Sünden beichtet. „Dein zur Beichtegehen hilft dich nichts," wird er eines Tages gezwungen sein ihm zu sagen, „denn seit zwanzig Jahren beichtest du mir dieselben Sünden; seit zwanzig Jahren hat die Krankheit deines Seelenzustandes sich nicht gebessert. Bringe durch den ernstlichen Vorsatz die Wunde zu vermeiden die Möglichkeit zur Genesung, die Teilhaftigwerdung der Gnade Gottes in dich selbst, denn wenn du fortwährend frevelnd zerstörst, wo ich heilend segne, verwandelst du den Segen dir zum Fluche und zum Verderben!"

Da nun selbst die heilige Kommunion nicht heilsam wirkt, wo die Reue fehlt und nicht in praktischen Taten, in der Vermeidung des Bösen, sich äußert, wie sollen da Medikamente einen Kranken gründlich heilen, der nach kaum erlangter Gesundheit denselben Gelegenheitsursachen sich überlässt, die seine Kraft brachen und ihn aufs Lager streckten.

So wenig nun ein Beichtvater beschuldigt werden kann, an ihm sei es gelegen, dass dieser oder jener plötzlich Sterbende, der oft zu ihm zur Beichte gegangen nie aber nach den an ihn gerichteten Ermahnungen handelte, ungeläutert, mit durch und durch kranker Seele aus dem Zeitlichen schied, eben so wenig ist ein Arzt zu bezichtigen, in Folge seiner unzulänglichen Behandlung sei ihm plötzlich ein Patient gestorben, dem er oft geholfen, ihn im letzten Falle aber, wie man sich ausdrückt, übersehen habe.

Es gilt dies nun bei allgemeinen Krankheitsfällen, und aus dem bereits Gesagten wird der Leser, der noch für ein gutgemeintes Wort empfänglich ist, erkennen, dass das Halten einer physischen Lebensordnung, ein stetes Reinhalten des Gewissens erforderlich sei, um dem Menschen das Gefühl von Kraft und von moralischem Mute zu verleihen. Unklug handelt der, welcher ordnungslos in den Tag hinein lebt, sich mit dem Gedanken tröstend: „Wenn ich krank werde, heilt mich der Arzt"; unkluger handelt aber Jener, welcher glaubt, es habe noch immer Zeit, dass er sich moralisch bessere, wenn er einmal alt und hoffnungslos krank werde; den Geistlichen könne er dann immer noch rufen lassen. Diese beiden irrigen Meinungen begehen ein Verbrechen gegen Gott und gegen sich selbst und verhängen über den, welcher sich mit denselben begnügt, eine entsetzliche folgenschwere Gefahr. Näher rückt nun aber diese Gefahr, eine verhängnisvolle Gestaltung annehmend, wenn plötzlich eine Epidemie herein bricht und der Tod mit einer oft unerbittlichen entsetzensvollen Raschheit seine Opfer heimholt.

Eine vernünftige Ängstlichkeit im diätetischen Verhalten im innigsten Einklange mit einer religiösen, welche Gewissenhaftigkeit erzeugt und hingehaltene heilige Pflichten nicht länger verschieben will, ist das Wesentlichste, was zum Schutze gegen die Epidemie, und wenn man von derselben befallen wird, zum Tröste gereicht; mit einem Worte man halte Ordnung im Körper und in der Seele.

Unter der früher angeführten dreifachen Assistenz, welche der Arzt bei Durchführung eines Heilplanes nötig hat, ist die der Krankenpflege von wesentlichem Belange, denn es handelt sich nicht allein darum, dass das geschieht, was der Arzt befiehlt, sondern, dass es rechtzeitig und pünktlich so geschieht, wie er es verordnet.

Da die herrschende Epidemie, Dank den wissenschaftlichen Forschungen der Ärzte, sich als nicht ansteckend bewiesen, so können die Familienglieder oder gedungene Wärter ohne Furcht und Angst sich der Pflege des Kranken hingeben, und schon der Umstand, dass ein von der Seuche Befallener seine Angehörigen furchtlos um sich beschäftigt sieht, gewährt ihm einen ungemeinen Trost, während es selbst in dem Gemüte des Herzhaftesten unangenehme Empfindungen erweckt, wenn er sich, gleichsam von den Seinen abgesperrt, verlassen und bezahlten fremden Leuten zur Pflege übergeben sieht. Traget Freud' und Leid mit einander, so steht es geschrieben, und alle Jene, welche nach diesem Ausspruche tun, werden eine seltene Beruhigung im Herzen empfinden, wie auch ihr Handeln auf den Darniederliegenden eine wohltätige erhebende Wirkung äußern wird.

Bei näherer Betrachtung der Ursache und Wirkung fällt überhaupt das Grauenhafte vor einem Cholerakranken ganz weg; die Ursache ist nämlich das eingeatmete Miasma oder eine Verkühlung, Diätfehler etc., wodurch der Ausbruch der Krankheit hervorgerufen wird, und die Wirkung äußert sich gewöhnlich in Durchfällen und im Erbrechen, was notwendig den Tod zur Folge haben muss, wenn man nicht im Stande ist, diesem Auflösungszustande zu wehren, bei welchem sich endlich der Eiweißstoff aus dem Blute scheidet und der zurückgebliebene Faserstoff hierauf dasselbe zum Stocken bringt; wird jedoch der Arzt rechtzeitig gerufen und von dem Patienten selbst nichts versäumt, so können die Durchfälle und das Erbrechen, wenn nicht anders die Epidemie zu plötzlich und allzu stürmisch auftritt, meistens gestillt und die Rettung erzielt werden, was täglich aus den Blättern des Tages zu ersehen ist, wo neben den Gestorbenen häufig doppelt soviel Genesene verzeichnet sind. Hier an dieser Stelle sehe ich mich verpflichtet, noch einmal zu wiederholen, dass es den rechtlichen Ärzten, welche gewissenhaft erklärten, es gebe kein in allen Fällen untrügliches Mittel gegen die Cholera, nicht an Kraft gebricht dieser Seuche oft Einhalt zu tun, da sie das aber nicht immer im Stande sind, so hatten sie die Stärke die teilweise Unzulänglichkeit ihrer Mittel einzugestehen, damit man nicht blindlings ihnen allein vertraue, sondern zu einem Aufblick zu Gott veranlasst werde. Wenn also der gebildete Teil der Ärzte nicht gleich ruhmrednerischen Charlatanen mit seinen Heilresultaten öffentlich prunkt, wenn er nicht jede zehnte Minute ein anderes Medikament verschreibt, wenn er ehrlich nach seinem besten Wissen und Gewissen die der Hilfe Bedürftigen behandelt und der Erfolg dennoch nicht immer ein glücklicher ist, dann tut es nach meinem Ermessen doch noch, dass der Mensch auch an die göttliche Vorsehung glaube. Von diesem moralisch religiösen Gedanken sind sicherlich auch jene Ärzte geleitet worden, welche ihr rechtliches loyales Bekenntnis, nicht in allen Fällen entschieden helfen zu können, veröffentlichten; sie taten das nicht, um die Menschen einzuschüchtern, sondern um das religiöse Vertrauen auf eine Vorsehung anzuregen, welches denn doch eine festere Stütze bietet, als alle Hoffnungen auf Rettung, die man selbst auf den gründlich gebildetsten Arzt, der doch immer nur Mensch bleibt, setzen kann.

Neben Jenen, welche die Arzneiwissenschaft schmähen, machen sich auch solche bemerkbar, die über die öffentlichen Anstalten sich missliebig äußern und nicht begreifen wollen, wie besonders in Krankenhäusern so häufige Choleratodesfälle vorkommen. Jene, welche die Möglichkeit dessen nicht einsehen, bedenken jedoch nicht, in welchem hoffnungslosen Zustande die von der Seuche Befallenen häufig in die Spitäler gebracht werden und beherzigen nicht, dass Viele schon halb tot dort anlangen, welche zuerst nach Hausmitteln und nach in öffentlichen Blättern angepriesenen Präservativ- und Heilmitteln griffen, die größtenteils in Tinkturen und Liqueuren bestehen, denen man eine besondere Heilkraft zuschreibt, die sich aber bis jetzt noch nie als probat bewiesen, während im Gegensatz die vorerwähnten marktschreierisch angepriesenen Heilmittel mehrfach die Initiative zu strafrechtlichen Renten gegen Jene gaben, welche sie gesetzwidrig verschleißen. Statt bei dem ersten Gefühle von Üblichkeit die von der Vorsorge des Staates menschenfreundlich gebotenen Hilfsmittel zu suchen, schleppen sich wieder Andere Tage lang, von dem Gedanken aufrechterhalten, herum: „Es war mir schon oft nicht wohl, und wie sonst, wird's mir auch diesmal wieder besser werden;" ja selbst wenn Durchfälle sich einstellen und kalte Fieberschauer sie schütteln, suchen sich manche durch Branntwein, mit Pfeffer gewürzt, zu erwärmen und werden so erst, wenn bereits die heftigsten Schmerzen ihre Eingeweide durchwühlen und sie unter Krämpfen im eigenen Quartier oder auf offener Straße zusammenstürzen, von sich ihrer Erbarmenden aufgerafft und in das Spital gebracht, wo sie, hätten sie rechtzeitig die Hilfe gesucht, dieselbe wahrscheinlich gefunden haben würden, nun aber, leider verspätet, dort nur anlangen, um ihren Geist auf- und zu dem Gerede Veranlassung zu geben, es sei im Spitale schon wieder Einer an der Cholera gestorben.

Das hier Gesagte gilt für viele Todesfälle dieser Art, wenn aber auch Andere, die nicht so unklug und hart gegen sich selbst waren, in den Krankenhäusern starben, so bildet auch das nach meinem Ermessen noch immer keinen rechtlichen Grund zur lieblosen Schmähung der zum Heile der Menschheit errichteten Anstalten, und jene, welche dieselben verwalten, können sich mit dem beruhigenden Bewusstsein trösten: „Wir haben das Unsrige getan!"

Wenn eine Behörde, frage ich, gegen Verheerungen von Feuer und Wasser die möglichst starken Dämme aufführen lässt, die besten Löschmittel besitzt, welche ihr die Wissenschaften der Technik und Hydraulik zur Hand geben, das Feuer und Wasser aber dennoch die Menschen wie ihre Habe verzehrt und hinwegrafft, wer wird dann die Behörde über Unzulänglichkeit ihrer Hilfsmittel anklagen? Wenn plötzlich in Folge der Schwingungen, welche ein Erdbeben unter Donner und Blitz hervor bringt, die Häuser zusammenkrachen und eine Stadt zur verödeten Ruine wird, die den Blick mit Grauen und das Herz mit Angst erfüllt, wer wird, frage ich da, die Baumeister anklagen, ihre fahrlässige schlechte Bauart und ihre Unzulänglichkeit in der Baukunst habe diese Katastrophe herbeigeführt?

Wie nun in den gegebenen Beispielen bald das Feuer, bald das Wasser, bald ein Erdbeben die träger der Verheerung waren, so ist es bei der Cholera - die Luft. Der sterbliche Mensch vermag wohl da oder dort die Elemente einzudämmen, zu dämpfen oder zu bekämpfen, aber unter allen Verhältnissen ihnen "Halt" gebieten, das vermag nur Gott allein.

Mehr als je tut es daher not, dass diese Anschauung eine allgemeine werde, . . . .