Die Choleraepidemie, oder Einzig wahres Schutzmittel gegen Furcht und Angst vor dieser Seuche.

Eine der Gefahr gegenüber Herz und Gemüt stärkende gemeinnützige Abhandlung
Autor: Ambach, Eduard von (?-?), Erscheinungsjahr: 1854

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Epidemien, Seuchen, Cholera, Choleraepidemien, Schutzmittel, Medizin, Mediziner, Ärzte, Krankenhaus, Ansteckung, Isolation, Quarantäne, Desinfektion, Händewaschen, Abstand, Kontakt, Wissenschaft, Impfstoff, Krankheit, Furcht, Ansteckung, Infektion, Ausgangsverbot, Ausgangssperre
Vorwort.

Während der 25 Jahre, seitdem die Cholera, von den sumpfigen Ufern des Ganges *) zu uns übersiedelnd, gewissermaßen die europäische Zuständigkeit erhalten, wurden alle Hilfsmittel der Medizin und der ihr verwandten Wissenschaften von den Ärzten gründlich und gewissenhaft studiert und alle dem menschlichen Verstande möglichen Versuche zur Abwehr dieser Weltseuche angestellt. Trotz all' den riesigen Fortschritten der pathologischen Anatomie, der Chemie und Mikroskopie, trotz all' den so schätzenswerten Forschungen über den theoretisch-wissenschaftlichen Teil dieser Krankheit bleibt die Praxis (die Kunst die Cholera zu heilen) doch weit hinter den Bemühungen der Ärzte und den Wünschen des mit Schreck erfüllten Publikums zurück, und wahrend Schwindler und Charlatane ihre unfehlbaren Mittel marktschreierisch ausposaunen, haben die ehrlichen Ärzte bereits die Stärke, die Schwäche ihrer medizinischen Wissenschaft in Anbetracht einer verlässigen Heilung der Cholera einzugestehen. Die Natur scheint hier wahrhaftig der Kunst ein: "Bis hierher und nicht weiter," gesetzt zu haben und der nachgrübelnde menschliche Gedanke scheitert an der Allmacht Gottes. —

*) Hauptfluss in Vorderindien, welcher den Hindus als heilig gilt; er entspringt auf den schneeigen Höhen des Himalayagebirges aus mehreren Quellen; man schüttet die Asche der Abgeschiedenen in seine Fluten, und viele Hindus enden in demselben ihr Leben, um nach ihrem Dafürhalten sicher selig zu werden.

Das ehrliche Geständnis gewissenhafter Ärzte: "Es ward bis zur Stunde kein verlässiges Präservativ gegen diese Krankheit und kein untrügliches Mittel sie zu heilen erfunden," ermutigte mich eine offene und gemeinnützige Ansprache an das Publikum in der Absicht zu richten, den moralischen Muth zu erregen und zu erheben, um so Furcht und Angst aus den Gemütern der Zaghaften zu verscheuchen. Wo Kunst und Wissenschaft keine sichern Garantien zur Abwehr eines das Leben urplötzlich bedrohenden Nebels bieten, ist nach meinem Dafürhalten der moralische Muth das beste Präservativ für Erkrankungsfälle, erzeugt von ohnmächtig feiger Angst, und da ich zunächst auf die Gemüter zu wirken und die Herzen zu stärken beabsichtige, und mich als Nichtarzt jeder medizinisch-wissenschaftlichen Abhandlung enthalte, so hoffe ich, kein loyaler Arzt werde in meiner Broschüre eine unbefugte Anmaßung erkennen, sondern vielmehr mit dem Gedanken, der mich bei Durchführung derselben leitete, sich einverstanden erklären; ich hoffe das um so mehr, weil ich glaube, ein Kranker, mit Angst und Grauen erfüllter Seele, alles moralischen Mutes bar, sei besonders für den Arzt eine jener Unerquicklichkeiten, die ihm die Pflichten seines ohnedies schweren und oft gar undankbaren Standes geradezu zur unerträglichen Bürde machen.
In der Annahme für die allseitig herrschende Furcht einen sicheren Ableiter gefunden zu haben, übergebe ich diese Broschüre mit dem Wunsche der Öffentlichkeit, es möchte dieselbe nicht, als Gelegenheitssache betrachtet, nur oberflächlich gelesen, sondern das in derselben Gesagte als Wahrheit im Herzen empfunden und in den Tagen schwerer Bedrängnis praktisch in Anwendung gebracht werden.
      Wien, im Oktober des Jahres 1854.
                  Der Verfasser
                              Eduard von Ambach.


      Bedenket, dass der Arzt ein Mensch und — kein
Gott ist."


Als die Cholera im Jahre 1830 ihre verderbliche Wirkung zum ersten Male auf europäischem Boden äußerte, wagten nur einige sogenannte medizinische Freigeister die entschiedene Contagiosität (ansteckende Kraft) dieser Krankheit in Abrede zu stellen. Jene aufgeklärten Ärzte, welche von einem Miasma *) und daher von der Nutzlosigkeit der Quarantäne sprachen, wurden als Ignoranten oder als übelwollende Menschen verschrien und statt durch Beweisgründe mit Schmähungen bekämpft. Jeder Ort, wo damals die Seuche auftrat, wurde förmlich abgesperrt, und Warnungstafeln hemmten den Verkehr der eingeschüchterten Leute. Durch hölzerne Panzer suchten sich die angrenzenden Länder vor dem Weitergreifen der Epidemie zu schirmen, und die Furcht der Menschen, durch solche auffallende Anstalten noch vermehrt, steigerte sich bis zur Gefühllosigkeit für die Leiben Anderer. Der Schreck bemächtigte sich so vollkommen der Gemüter, dass, wenn plötzlich die Seuche in einer Familie ein Glied ergriff, alle übrigen flohen und das der Pflege und des Beistandes bedürftige hilflos sich selbst und der Barmherzigkeit Gottes überließen; selbst viele sonst als tüchtig bekannte Ärzte kämpften vergebens gegen das Grauen, das ihnen ein Cholerakranker einflößte, und häufig fehlte es den unter den verderblichen Einflüssen dieser Epidemie Leidenden an ärztlichem Beistande, an liebevoller Pflege und an Allem, was für einen schwer Kranken wünschenswert ist. Die fieberhafte Aufregung, welche die Gemüter durchwühlte, rief in der nur von grauenhaften Bildern erfüllten Phantasie auch das Misstrauen und den Argwohn wach, und der auf Abwege geleitete Verstand glaubte Plötzlich den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben, indem er die Behauptung aufstellte, es existiere gar keine Cholera, und die häufigen Sterbefälle, die unter Erbrechen, Durchfall und Krämpfen erfolgen, seien lediglich das Resultat einer zur Dezimierung der Menschheit von dem Adel und den Ärzten angelegten Verschwörung; man bezichtigte die Letzteren der Brunnenvergiftung, und viele Schuldlose fielen als beklagenswerte Opfer, von dem durch Täuschung erregten Volkszorn ergriffen. Das Misstrauen ward so allgemein, dass selten mehr ein Kranker ein Medikament nahm, bevor es ihm nicht von dem Arzte vorgekostet wurde, und viele Menschen nahmen während der Dauer der Epidemie gar keine andere Nahrung zu sich, als sogenannte Präservativmittel. Durch das Geläute der Glocken und durch den Donner der Kanonen sollte in Folge der in der Luft hervorgebrachten Schwingungen die Cholera verscheucht werben, während man die von der Seuche Befallenen häufig durch das schmerzliche Peitschen mit Brennnesseln zu heilen versuchte.

*) In der Luft verbreiteter Seuchenstoff.

Indem ich durch diese kurzgedängte Schilderung die Leser zu einem Rückblicke in eine Zeit veranlasse, welche sich für eine hoch aufgeklärte hielt, kann ich mich nicht enthalten auszurufen: Wie unabsehbar ist die Kluft zwischen dem Damals und Jetzt — wie ungeheuer der Umschwung der Zeiten in Anbetracht wissenschaftlicher Begriffe und Anschauungen! —

Seit mehreren Wochen ist die Cholera nun auch in Wien, im Herzen der österreichischen Monarchie, aufgetreten, ohne dass man die Einwohner durch auffallende und einschüchternde Anstalten und Sicherheitsmaßregeln erschreckte, die man in früheren Zeiten gewöhnlich schon vor dem konstatierten Ausbruche einer Epidemie anzuordnen pflegte. Auch diesmal vermag die Wissenschaft über die Kraft und Dauer dieser Krankheit keine verlässige Prognose zu stellen; die Regellosigkeit gilt in Anbetracht ihres Wirkens als einzige Regel, denn nach dem Ergebnisse der statistischen und medizinischen Forschungen ist das Auftreten und die Dauer der Cholera völlig unabhängig von dem Wechsel der Jahreszeiten und von dem der Temperatur.

Die Wiener medizinische Wochenschrift spricht sich, diesen Punkt betreffend, also aus: „Die Cholera wütete in Konstantinopel bei 33° C Wärme und in Moskau bei 38° C Kälte. Sie folgt oft lange und regelmäßig den Ufern der Flüsse, überspringt wieder in geographischer Willkür größere und kleinere Strecken, und kehrt wieder zu solchen zurück, die sie früher übersprungen. Sie fordert ihre Opfer in trockenen und sumpfigen Gegenden, in kleinen Dörfern und großen Städten; sie befällt Arme wie Reiche, kränkliche wie gesunde Konstitutionen, Kinder und Greise, mehr das schwache wie das starke Geschlecht, oft aber auch wieder umgekehrt; sie herrscht ganz despotisch, ganz nach Laune und Willkür, ohne Norm und Regel. Alle statistischen Berechnungen und ärztlichen Beobachtungen der letzteren 10 Jahre werden vielleicht von der nächsten Epidemie des nächsten Landes, des nächsten Ortes zu Nichte gemacht."

Nachdem nun, wie ich in meinem Vorworte erwähnte, die rechtlichen Ärzte die Stärke hatten, die Schwäche ihrer medizinischen Wissenschaft in Anbetracht einer verlässigen Heilung der Cholera einzugestehen, deren eigentliches Wesen trotz allen angestellten Forschungen noch nicht wirklich ergründet ist, hört man jetzt häufig missliebige Äußerungen über die Unzulänglichkeit der Arzneikunst. Es ist dies nun nach meinem Dafürhalten eine grundfalsche Auffassung der ehrlichen gewissenhaften Erklärung der Ärzte gegenüber; diese Erklärung sagt ja nicht: „Wir können keinem von der Cholera Befallenen helfen," sondern es ist in derselben nur ausgesprochen, dass die Ärzte bis jetzt kein unter allen Umständen entschieden rettendes Mittel gegen diese Seuche erfanden. Das ist nun aber nach meinem Ermessen auch bei den meisten übrigen schweren Krankheiten der Fall, und ich frage: Ist Jeder, der von den Blattern, vom Nervenfieber oder vom Typhus befallen wird, zu retten? — Antwort: nein, denn für den Tod, der unter den verschiedenartigsten Krankheitsformen Beschlag auf sein Opfer legt, ist eben bis jetzt noch unter keiner Zone ein rettendes Kräutlein gewachsen und von den Naturforschern zur Abwehr der Sterblichkeit gepflückt worden.

Gehet hinaus auf die Friedhöfe, wo Grabhügel an Grabhügel sich wölbet, und stellet an euch die Frage: Sind die unter der geweihten Erde Ruhenden alle an der Cholera gestorben, oder erlöschte die Flamme ihres Lebens erst an der Grenze des Greisenalters? — Die Entgegnung, die ihr euch auf diese Frage selbst machen müsst, geht dahin, dass unter den Grabhügeln Leute von allen Lebensaltern ruhen, die unter den Einflüssen der verschiedenartigsten Krankheiten das Zeitliche segneten; allen — wenn nicht anders ein urplötzlicher Tod sie ereilte — ward vor ihrem Hinscheiden ärztliche Hilfeleistung zu Teil, und dennoch brach ihr Auge und verstummte ihr Herzschlag. Bilden nun, frage ich, diese Grabhügel einen rechtlichen Grund zur Klage gegen die Ärzte, welche die unter denselben Ruhenden in den Bereich des Moders sinken ließen, während Alters gemäß vielleicht bei den wenigsten die Frist des Lebens schon umgeflossen war? Welcher Mensch von gesunden Sinnen wird die Behauptung wagen, die Ohnmacht der Ärzte und die der Arzneikunst sei an all' diesen Todesfällen schuld. Da nun Niemand eine derartige Beschuldigung auszusprechen wagt und man es vielmehr als ganz natürlich findet, wenn täglich Leute an dieser oder jener Krankheit sterben, weshalb sollen dann gerade die durch die herrschende Seuche veranlassten Todesfälle einen rechtlichen Grund zu missliebigen Äußerungen gegen die behandelnden Ärzte bieten.

„Ei," wird da Mancher an dieser Stelle sagen, „man findet es wohl begreiflich, dass an verschiedenen Krankheiten täglich Menschen von verschiedenem Alter und Geschlechte sterben, die Cholera aber rafft eben zu Viele hinweg, was denn doch an der Behandlung liegen muss."

Hierauf entgegne ich als Laie, dass die herrschende Seuche, vermöge ihres gewöhnlich stürmischen Auftretens, nur einen gar beschränkten Zeitraum für die ärztliche Behandlung gestattet, und dass gerade deshalb eine rettende Wirkung der Medikamente schwierig und häufig ganz unmöglich wird. Diese Schwierigkeit wird in der Regel noch durch den Umstand gesteigert, dass ein Cholerakranker nur selten jene Ruhe im Gemüte sich bewahrt, wie ein an einem andern Übel schwer Darniederliegender, welch' letzterer in den meisten Fällen die Gefährlichkeit seines Zustandes gar nicht kennt und nicht selten noch einige Stunden vor dem Tode an eine mögliche Rettung glaubt. Anders verhält es sich nun aber bei einem Cholerakranken; sobald er weiß er sei von dieser Seuche befallen, überkommt ihn jene Angst, welche den Atem hemmt, das Herz krampft und ihn schon die Scheidungsglocke läuten hört, denn der Bereich der Ängstlichkeit ist unbegrenzt, und unerschöpflich die Phantasie eines Ängstlichen.

Da hat dann nun freilich der Arzt seine liebe Not; Bestürzung in der Miene drängen die Angehörigen des Kranken ihn zu Erklärungen; das Zusammenflüstern und die Aufregung, die sich in den Zügen Aller abmalt, erfüllt den Leidenden selbst mit neuer Herzenspein; das Vertrauen auf Hilfe und Rettung entschwindet seiner von grauenhaften Bildern durchstürmten Phantasie wie dem menschlichen Auge der Glanz der Sterne, wenn Nebel und Gewölke sie verhüllen. Denke man sich nun zu einem epidemischen Stoffe, der in seiner stürmischen Wirkung das Leben bedroht, noch eine betäubende Angst, so wird man wohl zugeben müssen, dass die unter so verderblichen Einflüssen dem Patienten gereichten Medikamente nur in höchst untergeordneter Potenz wirken können.

                        Fortsetzung folgt

Die Choleraepidemie oder . . . 1854

Die Choleraepidemie oder . . . 1854

Cholera Vorwort 1

Cholera Vorwort 1

Cholera Vorwort 2

Cholera Vorwort 2

Cholera Text 1

Cholera Text 1

131 Tobias heilt seinen Vater. (Starstich)

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111 Die Pest

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112 Die Pest in Neapel 1656. Von Micco Spadara

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113 Pest von Neapel 1656

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091 Der Aussätzige mit der mutilierten Hand. Detail von 090

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004 Schädel. Hans Holbein

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