Frühere Choleraepidemien, — Epidemie von 1859. — Einschleppung? — Vorausgehender Gesundheitszustand.

Auf dem ersten großen Zuge der Cholera durch Europa wurde Rostock im Jahr 1832 befallen. Am 21. Juli dieses Jahres kam nämlich, nachdem seit dem 16. mehrere hartnäckige Diarrhöen und Cholerinen voraufgegangen waren, die erste Erkrankung an der Cholera vor, welche auch einen tödlichen Ausgang nahm. Sie betraf einen Schneidergesellen, welcher in einem Hause der Trägerstraße in Arbeit stand, bereits seit dem März in Rostock gearbeitet und eben so wenig wie die übrigen Hausgenossen in einem infizierten Orte verkehrt hatte. Diesem ersten Falle folgten in den nächsten Tagen schon mehrere, anfangs in demselben Hause und in derselben Straße, bald aber in sehr verschiedenen Gegenden der Stadt. Jedoch wurde die Stadt nicht gleichmäßig von der Seuche heimgesucht, sondern vorzugsweise war der nordöstliche Teil derselben ergriffen und besonders diejenigen Straßen und Reviere, welche dem Wasser nahe lagen. Hier aber trat die Krankheit gleichzeitig an den entferntesten Punkten auf, so dass man durchaus nicht behaupten konnte, sie habe sich von einem Punkte und allmählich weiter verbreitet. Die in dieser Epidemie besonders stark mitgenommenen Stadtteile waren: Himmelfahrtstraße, Fischerstraße, Badstüberstraße, Lastadie, Sperlingsnest, die Strandstraßen, an der Grube, Harte Straße, Alter Markt, Fischerbruch, Molkenstraße, Wollenweberstraße, Fischbank.

Ganz verschont dagegen blieben folgende Stadtteile: Kröpelinerstraße, Hopfenmarkt, Blutstraße, Neuer Markt, Steinstraße, Große Wasserstraße, Kleine Wasserstraße, Hinter dem Rathause, Auf dem Schilde, Krämerstraße, Vogelsang, Schmiedestraße, Steintorvorstadt, Mühlentorvorstadt. Die Epidemie dauerte 11 Wochen, erreichte in der 5. Woche ihren Gipfel und führte zu 396 Todesfällen.*)


*) Spitta, die asiatische Cholera im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, im Jahre 1832, Rostock u. Schwerin 1833. p. 21 ff.

Eine neue Epidemie kam im Jahr 1850 zum Ausbruch. Der erste Fall ereignete sich in diesem Jahre am 26. Juli, blieb aber noch längere Zeit vereinzelt, denn erst am 4. August folgte ihm der zweite, am 6. die drei nächsten, und am 7. August war die Zahl der Erkrankungen schon bedeutend gestiegen. Bis zum 24. August blieb die Ausbreitung der Krankheit im Steigen, ließ dann bis gegen die Mitte des September bedeutend nach und beschränkte sich während der zweiten Hälfte dieses Monats und während des ganzen Oktobers auf einzelne zerstreute Fälle. Selbst im November kamen noch einige tödliche Erkrankungen vor.

Die Ausbreitung der Krankheit scheint in diesem Jahr eine weit heftigere gewesen zu sein, als während der ersten Epidemie. Völlig zuverlässige Angaben über die Zahl der Verstorbenen liegen zwar nicht vor, doch soll dieselbe mindestens 660 betragen haben. Die erste Erkrankung kam in diesem Jahr in einem Stadtteil vor, in welchem die Cholera niemals eine epidemische Ausbreitung gezeigt hat. Es erkrankte nämlich, und zwar mit tödlichem Ausgange, am 25. Juli in der breiten Straße eine Tags zuvor aus Hannover gekommene Dame, dann verstarb am 4. August am Burgwall ein kleiner Knabe, ein Enkel der Familie, in deren Wohnung die zuerst Erkrankte verstorben war; die nächsten Fälle kamen in der Wollenweberstraße und an der kleinen Lastadie vor, also in weit von einander entlegenen Gegenden der Stadt und wenige Tage später war die Verbreitung der Epidemie bereits eine sehr ausgedehnte.
Die besonders heftig ergriffenen Stadtteile waren in dieser Epidemie: Faulestraße, Hartestraße, Wollenweberstraße, Molkenstraße, Gärtnerstraße, Fischerbruch, Gärberbruch, an der Grube, Strandstraße, große und kleine Mönchenstraße, Koßfelderstraße, Grapengießerstraße, Lastadien, Fischerstraße, Brink. Verschont blieben zum Teil vollständig, zum Teil mit Ausnahme weniger Erkrankungen:
Kröpelinerstraße, Hopfenmarkt, Schwaansche Straße, Altbettelmönchstraße, Eselpföterstraße, Blutstraße, Buchbinderstraße, Kistenmacherstraße, Steinstraße, Neuer Markt, Vogelsang. *) Die Krankheit verbreitete sich also auch diesmal vorzugsweise in den tiefer gelegenen Teilen der Stadt.

Um die Zeit, als die Cholera im Jahre 1859 in Rostock zum Ausbruch kam, war Norddeutschland fast vollkommen frei von der Krankheit. Wenigstens haben die über diese Frage in einer Anzahl öffentlicher Blätter eingezogenen Erkundigungen zu dem Ergebnis geführt, dass vor dem 3. Juli (dem Tage der ersten Erkrankung in Rostock) nur in Hamburg und in Fuhlsbüttel Cholerafälle vorgekommen waren.

*) Physicatsbericht vom Jahre 1850

In Hamburg begann auch diese Epidemie, wie alle dort seit dem Jahre 1848 beobachteten Choleraepidemien, in den ersten Tagen des Juni, erreichte ihre Höhe am 24. Juli mit 89 Erkrankungen, nahm dann etwas ab, hielt sich vom August bis zum 1. September ziemlich gleichmäßig und nahm dann rasch ab, so dass sie im September schon viel geringer war und nur noch mit zwei Erkrankungsfällen bis in den Oktober hineinreichte. *) In Fuhlsbüttel, einem etwa 1 Meile nördlich von Hamburg an der Alster gelegenen Dorfe mit 400 Einwohnern kamen bereits im Monat Mai 10 und im Juni 13 Cholerafälle mit meistenteils tödlichem Ausgange vor, während die Krankheit in den späteren Monaten dort nicht mehr epidemisch war. **) Überall, wo die Krankheit noch sonst im nördlichen Deutschland vorkam, scheint sie später als in Rostock ausgebrochen zu sein. Insbesondere ist es von Lübeck konstatiert, dass die dortige, nicht besonders heftige Epidemie (178 Todesfälle) erst am 26. Juli ihren Anfang nahm.***)

*) Dr. Bueck sen. Die Choleraepidemie von 1859 in Hamburg. Hamburger Wochenblatt 1859. No. 11.
**) Briefliche Mitteilung des Herrn Dr. Kröger zu Fuhlsbüttel
***) Briefliche Mitteilung des Herrn Stadtphysikus Dr. Heyland zu Lübeck.


In Petersburg dagegen, mit welchem Rostock durch zwei Dampfschiffe einen regelmäßigen Verkehr unterhält, hat die Cholera seit dem Oktober 1852 bis gegen Ende des Jahres 1859 niemals vollkommen aufgehört. Während dieser Zeit kam sie in den kälteren Monaten stets nur in sehr vereinzelten Fällen vor, in den Sommermonaten dagegen steigerte sie sich regelmäßig zu einer kleinen Epidemie. Im Winter von 1858—1859 waren wiederum nur sehr vereinzelte Fälle vorgekommen, so dass man die Krankheit eine Zeitlang als Epidemie für erloschen hielt. Doch schon im März und April wurden wieder häufigere Erkrankungen beobachtet, die im Mai noch zahlreicher wurden und im Juli abermals eine kleine Epidemie bildeten, in welcher der Krankenbestand auf der Höhe (in der zweiten Hälfte des Monats) in den Hospitälern allein bis auf etwa 300 stieg. *)

Während der Dauer der mecklenburgischen Epidemie, als die Frage nach der Einschleppung der Krankheit viele Gemüter beschäftigte, ist wiederholt mit großer Bestimmtheit auch öffentlich **) die Behauptung ausgesprochen worden, die Cholera sei von Petersburg nach Rostock gekommen. Ein einigermaßen stringenter Beweis für diese Behauptung kann indes keineswegs geführt werden.

*) Briefliche Mitteilung des Hrn. Staatsrats Dr. Thielemann zu St. Petersburg.
**) u. A. von Boll im Archiv der Freunde der Naturgeschichte in Mecklenburg 13. Jahrg. Neubrandenburg 1859 S. 117 und von Drasche (die epidemische Cholera, Wien 1860) S, 115, welcher wörtlich sagt: „Von Russland aus überzog die Cholera (1859) einen Teil von Norddeutschland, namentlich Mecklenburg-Schwerin. Am 4. Juli ereignete sich zu Rostock der erste Cholerafall in einer Frau, welche mit einem Dampfschiffe von Petersburg angekommen war."


Freilich sind um die Zeit des Ausbruches der Cholera in Rostock mehrfach Diarrhöen auf den beiden Petersburger Dampfschiffen beobachtet worden, indessen nicht eben in bedeutenderer Ausdehnung, als zu anderen Zeiten und fast nur bei den Maschinenheizern, welche unterwegs in der Regel an Durchfällen leiden, während sie in den Tagen ihres Aufenthaltes am Lande gewöhnlich obstruiert sein sollen. Auf dem einen Schiffe („Großfürst Constantin") erkrankte während der Reise von Rostock nach Petersburg einer der Heizer an der Cholera und starb einige Tage nach seiner Ankunft, auf dem andern Schiffe („Erbgroßherzog Friedrich Franz") erkrankte zwischen Rostock und Warnemünde ein Matrose, welcher in Warnemünde ans Land gebracht wurde und dort verstarb. Aber beide Fälle ereigneten sich mehrere Wochen nach dem Beginne der Krankheit in Rostock und beide Personen erkrankten wahrscheinlich in Folge einer hier geschehenen Infektion. *)

*) Zum Teil nach mündlichen Mitteilungen der Kapitäne beider Dampfschiffe.

Neben dieser Meinung, nach welcher der Verkehr mit Petersburg als die Ursache der Cholera beschuldigt wurde, hörte man auch vielfach die Vermutung aussprechen, dass die Krankheit von Hamburg aus durch Personen verschleppt worden sei, welche zu dem vom 13—15. Juni dauernden Pfingstmarkt nach Rostock gekommen waren. Verdächtigende Vermutungen wurden besonders gegen die Mitglieder einer Reitergesellschaft laut, welche während der Marktzeit ihre Vorstellungen gab und selbst jetzt, nach Verlauf eines Jahres, hat man noch häufig genug Gelegenheit, die Behauptung zu hören, dass der erste Cholerafall bereits im Juni bei einem Mitgliede dieser Gesellschaft vorgekommen sei. Genaue Nachforschungen haben zu dem Ergebnis geführt, dass eine zu der Gesellschaft gehörige Frau von 60 Jahren allerdings am 3. Juli mit Erbrechen, Diarrhoe, Abnahme der Hauttemperatur und Wadenkrämpfen erkrankte, aber bereits am 4. sich bedeutend gebessert hatte und am 5. soweit hergestellt war, dass sie aus der Behandlung treten und am folgenden Morgen abreisen konnte. Die Frau lag während ihrer Krankheit in einem der großen Reisewagen der Gesellschaft, welcher mit mehreren ähnlichen ihr und einer Anzahl der übrigen Mitglieder als Schlafstätte diente.*) Diese Wagen standen auf dem Lazaretthof in der Nähe des nördlichen Endes der Grubenstraße. Ein zweiter Teil der Gesellschaft logierte dagegen in dem Hause Grubenstraße 27 und auch die in den Wagen schlafenden Personen verkehrten bei Tage viel in diesem Hause. Fast die ganze Gesellschaft war bereits am 10. und 11. Juni von Wismar eingetroffen, nur die am 3. Juli erkrankte Frau war einige Tage vor dem Ausbruch ihrer Krankheit von Lübeck, welches damals noch nicht infiziert war, gekommen. Ob sie vor ihrer Anwesenheit in Lübeck vielleicht in Hamburg gewesen war, hat nicht mehr ermittelt werden können. Übrigens klagten auch andere Mitglieder der Gesellschaft während ihrer Anwesenheit in Rostock vielfach über Verdauungsbeschwerden, Druck in den Präcordien, Übelkeit und leichte Diarrhöen. **)

*) Dr. Reder.
**) Dr. Passow.


Das Haus Grubenstraße 27, in welchem ein Teil der Reitergesellschaft logierte, wird außer mehreren Familien auch von dem Steinmetz L. und seiner Familie bewohnt. Der 5 1/2 Jahr alte Sohn desselben war wegen ungelegener Verhältnisse im Hause der Eltern bereits seit längerer Zeit bei seiner Großmutter (Faule Straße 14) einquartiert, hatte aber bei Tage häufig in dem Hause seiner Eltern verkehrt und während des Pfingstmarktes, sowie in der Zeit nach demselben bis zur Abreise der Reitergesellschaft oft in der Nähe ihrer Wagen auf dem Lazaretthofe umhergespielt. Der Knabe erkrankte am 3. Juli in der Faulenstraße 14 an der Cholera und starb daselbst am 5.*)

*) Dr. Dornblüth