Die Epidemie in der Kröpeliner Vorstadt.

Als am 18. Juli ein Cholerahospital eingerichtet wurde, hatte die Epidemie auf der Altstadt schon eine ziemlich bedeutende Ausdehnung. Es waren nämlich bis zu diesem Tage tödliche Fälle vorgekommen in der Faulenstraße, am alten Markt, am Gerberbruch, in der Wollenweberstraße, der kleinen Goldstraße, am Amberg, am Küterbruch, in der Wendenstraße, der Lohgerber- und Gärtnerstraße und die gesamte Totenzahl war bis zum 17. Juli incl. schon auf 35 gestiegen. Die Sanitätsbehörde scheint indes der Meinung gewesen zu sein, es werde die Krankheit sich nun nicht weiter verbreiten; denn das am 18. Juli eröffnete Cholerahospital konnte nur eine Anzahl von höchstens 10 Kranken beherbergen. Es ist nicht bekannt geworden, ob dieser Zufluchtsort andere Eigenschaften besessen, welche ihn für die Verpflegung armer Cholerakranken besonders geeignet erscheinen ließen. Seine bedeutende Entfernung von dem damaligen Herde der Epidemien machte aber die Vermutung rege, dass seine Wahl sich vermöge derartiger Eigenschaften besonders empfahl, da man sonst wohl der Einrichtung eines Hospitales auf der Altstadt oder in ihrer Nähe würde den Vorzug gegeben haben. Die Strecke vom alten Markt bis zu dem in der Nähe des westlichen Endes der Wismarschen Landstraße gelegenen Choleralazarett beträgt nämlich in gerader Linie 450 Ruthen oder etwas mehr, als eine Viertelmeile.

Schon einige Tage vor der Einrichtung dieses Hospitals waren in der Vorstadt einzelne tödliche Cholerafälle vorgekommen, eine größere Ausdehnung aber nahm die Krankheit erst gegen Ende des Monats an, etwa gleichzeitig mit der Verlegung des Krankenhauses in das West» ende der inneren Stadt.


Auf dem Barnstorfer Wege war nämlich bereits am 13. Juli der erste tödliche Cholerafall in diesen Gegenden eingetreten, jedoch verging noch ein ganzer Monat, bis auf diesen Fall der zweite und fast gleichzeitig mit ihm die epidemische Ausbreitung der Cholera in dieser und in den benachbarten Straßen folgte. Die Straße besteht aus 26 Häusern, welche auf der Südseite zum Teil ziemlich eng an einander liegen, auf der Nordseite dagegen größtenteils durch weite Höfe oder Gärten getrennt sind. Die Bewohnender Straße sind größtenteils Ackerwirte oder Arbeitsleute und die ersteren sammeln zu ihrem Betriebe auf den Höfen oft bedeutende Dunglager. Armut ist in dieser Straße nicht in besonders ausgedehntem Maße vorhanden, wenn auch die, gewöhnlich bei den Bemittelten zur Miete wohnenden Arbeiterfamilien hier und da in Dürftigkeit leben. Das Terrain der Straße steigt langsam gegen Westen und gegen Süden in der Richtung nach der Wismarschen Landstraße und die südliche Häuserreihe liegt zum Teil etwas höher, als die nördliche. Die Zahl der Verstorbenen ist eine relativ sehr bedeutende. Sie beträgt 23. *) Die Epidemie dauerte in der Straße bis zum 5. September, also kaum vier Wochen. Ihre größte Heftigkeit fällt in die Tage des 19 — 20. und des 27—28. August.

Fast gleichzeitig mit der Epidemie am Barnstorfer Wege ereignete sich eine ebenfalls sehr bedeutende Zahl von Todesfällen in der südöstlich von ihm verlaufenden Wismarschen Straße. Die Entwicklung der Krankheit zur Epidemie begann hier noch etwas früher (29. Juli), als dort, dauerte länger und führte demgemäß zu einer absolut wie relativ größeren Zahl von Todesfällen.

*) Eine genauere Eintragung der Todesfälle auf die einzelnen Häuser war wegen des Fehlens der Hausnummern in diesen und einigen anderen Straßen der Vorstädte nicht ausführbar.

Es kamen nämlich in der aus 22 Häusern bestehenden Straße nicht weniger, als 24 tödliche Erkrankungen vor, eine Zahl, welche im Verhältnis zu der Anzahl der Häuser nur von den am Brink und hinterm Krankenhause vorgekommenen Todesfällen übertroffen wird. Die Beschäftigung der Bewohner ist in dieser Straße ähnlich, wie am Barnstorfer Wege und veranlasst dieselben nachteiligen Einflüsse. Große Dunggruben, deren Abflusskanäle zum Teil direkt auf die Wohnungen zuführen, find auch hier in nicht geringer Zahl zu finden. Überdies befindet sich der unverdeckte Bretterverschlag für die städtischen Privetkarren in der Nähe der Straße und während der Dauer der Epidemie stagnierten die Abflüsse aus einer Anzahl von Häusern in einem an der Straße gelegenen Graben. Auch die Beschaffenheit des Terrains ist ähnlich, wie am Barnstorfer Wege. Etwa 30 Ruthen westlich von dem kleinen, die Warnow mit dem Vögenteich verbindenden Bache ist dasselbe beinahe eben, dann steigt es allmählich gegen Westen und Süden in der Richtung zum Friedhofswege und zum Friedhof. Die große Mehrzahl der Erkrankungen ist in den tiefer gelegenen Teilen der Straße vorgekommen.

Parallel mit der Wismarschen Straße, aber höher, als sie und durch zwei abschüssige kleine Querstraßen mit ihr verbunden, verläuft, gegen den Friedhof zu etwas emporsteigend, der Friedhofs weg mit 11 Häusern. Gleichzeitig mit der Dauer der Epidemie an der Wismarschen Landstraße sind hier 5 und in der westlichen Querstraße eben so viele Todesfälle vorgekommen.

Südlich von der Barnstorfer Straße verläuft in einer nach Westen hin von ihr divergierenden Richtung die Chaussee nach Doberan. An ihrer südlichen Seite befinden sich 21 Häuser, von denen in der Regel eine Anzahl von 3 — 6 unter einem Dache erbauet ist. Diese kleineren Gruppen sind dann aber gewöhnlich durch weite Gärten oder Felder von einander getrennt und die letzten Häuser der Doberaner Straße liegen daher schon in einer beträchtlichen Entfernung von dem Westende der inneren Stadt. Zu einer eigentlichen Epidemie hat die Cholera sich an dieser Straße nicht entwickelt; es sind freilich im Ganzen 5 Todesfälle in den Häusern derselben vorgekommen, aber ihre Eintrittszeiten waren wiederholt von langen Intermissionen unterbrochen. Das Terrain steigt von dem östlichen Ende der Straße ab allmählich in die Höhe, senkt sich aber nach beiden Seiten zu ziemlich rasch. In der Richtung nach Südwest führt ein Verbindungsweg zur Barnstorfer Straße. Die sechs an ihm gelegenen Häuser werden gewöhnlich unter dem Namen Neu-Bramow zusammengefasst. Sie liegen tiefer, als .der größere Teil der Barnstorfer Straße und in einem derselben sind zwei tödliche Cholerafälle vorgekommen.

Noch schneller und tiefer, als gegen Südwest senkt das Terrain sich von der Doberaner Straße aus gegen Nordost. Es wird hier am Fuße eines, etwa 30 Ruthen breiten Abhanges fast ganz eben und behält diese ebene Gestalt bis zu dem, etwa eben so weit entlegenen Ufer der Warnow, deren Spiegel hier kaum einige Fuß tiefer liegt, als das angrenzende Land. Dieses Land führt den Namen Alter Bramower Weg oder Neuer Werder und wird, wenigstens in seinen westlich gelegenen Teilen, ebenso, wie die Wismarsche Straße von kleinen Landwirten und Arbeitsleuten bewohnt. Die 28 hier gelegenen Häuser sind ebenfalls von großen freien Plätzen unterbrochen und jedes derselben umschließt in der Regel eine größere Anzahl von Wohnungen. Auch hier ist die Cholera auf drei Todesfälle beschränkt geblieben.

Eine etwas größere Verbreitung dagegen zeigte die Krankheit in der Häuserreihe, welche, in fast gleicher Richtung mit der Barnstorfer Straße verlaufend, als die östliche Fortsetzung derselben aufgefasst werden kann und den Namen bei der neuen Anlage führt. Die hier befindlichen 13 Häuser stehen auf einem nach Osten zu mäßig ansteigenden Terrain und werden größtenteils von gänzlich unbemittelten Familien bewohnt. Die Zahl der in ihnen vorgekommenen Todesfälle beträgt 5.

Unter ganz ähnlichen Verhältnissen leben die Bewohner in einer von Norden her auf die „neue Anlage" ausmündenden Häuserreihe, welche den Namen hinter dem Krankenhause führt und im Ganzen 8 Hausnummern umfasst. Hier ist die Verbreitung der Epidemie unter sämtlichen Straßen der Kröpeliner Vorstadt die relativ heftigste gewesen, denn es kamen in dieser kleinen Zahl von Häusern nicht weniger, als 10 Todesfälle vor, welche sich auf die kurze Zeit von etwa 20 Tagen zusammendrängten. Hier liegt auch das Haus des Arbeitsmanns T. in welchem allein 8 Erkrankungen vorkamen und welches überdies noch in so fern von Interesse ist, als durch eine diarrhoekranke Person, die in demselben gewohnt hatte, die Cholera nach Kittendorf bei Stavenhagen verschleppt wurde (vgl. unten Kittendorf). Dies geschah bereits gegen Ende Juli, zu einer Zeit, wo weder in dem genannten Hause, noch auf der Nachbarschaft desselben tödliche Cholerafälle vorgekommen waren.

Die Friedrichfranz- und Augustenstraße verlaufen in fast paralleler Richtung von der Gegend des Steintors aus nach Westen. Erst in der Nähe ihres westlichen Endes wendet die Augustenstraße sich mäßig gegen Norden und nimmt auf diesem ihrem veränderten Laufe die Friedrichfranzstraße in sich auf. Beide Straßen liegen in ihrer ganzen Ausdehnung auf einer beinahe gleichen Ebene. Der höchste Punkt der Augustenstraße liegt der Einmündungsstelle der Prinzenstraße gegenüber, 56 1/4' höher, als die Oberwarnow; der höchste Punkt der Friedrichfranzstraße liegt beim Hause Nr. 62, 1 Fuß tiefer, als der höchste Punkt der Augustenstraße. Nach Westen zu senken beide Straßen sich unbedeutend und die Höhe der Einmündungsstellen beider in einander beträgt 47 3/4'. Der bei weitem größere Teil beider Straßen ist von der Cholera epidemisch nicht ergriffen worden, ja es ist in demselben überhaupt nur eine einzige tödliche Erkrankung, und zwar im Hause Nr. 62 der Friedrichfranzstraße vorgekommen. Dagegen war die Ausbreitung der Krankheit an den nordwestlichen Enden beider Straßen eine sehr ergiebige und einzelne Häuser in dieser Gegend, wie das Haus Augustenstraße 22 i und Friedrichfranzstraße 37 haben eine sehr bedeutende Zahl von Todesfällen aufzuweisen. Das nordwestliche Ende der Augustenstraße umfasst, soweit es epidemisch infiziert war, eine Anzahl von 28 Häusern. In diesen sind 17 Todesfälle vorgekommen, welche sich auf 11 Häuser verteilen. Das westliche Ende der Friedrichfranzstraße besteht aus 20 Häusern, und die 13 hier vorgekommenen Todesfälle verteilen sich auf 5 Häuser. Dem Ausbruche der Epidemie in der Augustenstraße gingen lange Zeit hindurch, vom 15. Juli bis 23. August, vereinzelte Fälle voran, dann erst kam es, etwa gleichzeitig mit einer weiteren Verbreitung in der Friedrichfranzstraße, zu einer heftigeren Epidemie, welche in beiden Straßen bis gegen die Mitte des September dauerte. Am heftigsten zeigte die Krankheit sich in dieser Gegend im Hause Nr. 37 der Friedrichfranzstraße. Dasselbe ist ein gegen Osten frei liegendes Eckhaus. An feiner östlichen Seite befindet sich ein Flügel und an die Südseite dieses Flügels schließt sich wieder in der Richtung gegen Westen ein kleiner Anbau. Das Haus ist zwar einstöckig, hat aber im Frontispice und Giebel noch einige Zimmer. Es wurde beim Ausbruch der Epidemie von 7 Familien bewohnt, welche zusammen etwa 30 Personen stark waren. Die Zimmer sind klein und niedrig, besonders im Anbau, und das Haus ist mit Menschen überfüllt. Auf dem Hofe befindet sich, unter den Fenstern der Hofwohnungen, ein großer Düngerhaufen, neben ihm die Latrine mit einer Grube für die Ausleerungen. In den Düngerhaufen mündet ein offener Kanal für den Abfluss aus einem benachbarten Viehstall. Das Terrain senkt sich mäßig gegen Nordwest. Von den 6 im Hause vorgekommenen Todesfällen hat der südliche Flügel keinen, der östliche Flügel nur einen gehabt; es kommen also 5 Todesfälle auf das Haupthaus, obwohl die hygienischen Bedingungen in ihm anscheinend weniger schlecht sind, als in den Flügeln, seine Zimmer zum Teil auf die Straße sehen, geräumiger und luftiger sind und noch um einige Fuß höher liegen, als die äußerst niedrigen und kleinen Gemächer im Anbau. In demjenigen Teile dieser beiden Straßen, wo die Cholera eine epidemische Ausbreitung annahm, ist die Zahl der unbemittelten Bewohner eine überwiegende, während der ganze, östlich von diesem Teile gelegene Straßenabschnitt beinahe durchweg von der begüterten Klasse bewohnt wird.

Sechs Häuser der Augustenstraße liegen etwa 20 Ruthen von ihrem nordwestlichen Ende entfernt, und ziemlich isoliert unter einem Dache. Nur in einem dieser Häuser (Nr. 30), welche ebenfalls größtenteils von der ärmeren Klasse bewohnt werden, ist ein Todesfall vorgekommen.

Die gerade Fortsetzung der vor diesen Häusern verlaufenden Straße führt gegen Süden in den Pütterweg, in dessen 15 Häusern eine große Zahl von Todesfällen (14) vorgekommen ist. Die Straße liegt etwa in gleicher Ebene mit ihren Nachbarstraßen und wird größtenteils von unbemittelten Familien bewohnt. Die Häuser bestehen teilweise aus kleineren, unter einem Dache liegenden Komplexen und zwischen diesen befinden sich größere Feld- oder Gartenräume.

Von den Kranken und dem Personal des unweit vom Kröpeliner Tor gelegenen städtischen Krankenhauses*) wurden im Ganzen 5 Personen von der Cholera befallen. Alle diese fünf Fälle nahmen einen tödlichen Ausgang, zwei im Krankenhause selbst, drei nach ihrer Translokation ins Cholerahospital. Bereits um die Zeit des ersten Beginnens der Epidemie, als das Krankenhaus noch nicht infiziert war, hatte man drei, in der Stadt an der Cholera erkrankte Personen in die Anstalt aufgenommen und von diesen waren zwei daselbst verstorben, einer dagegen wurde genesen entlassen.

*) Ober-Med.-Rat Thierfelder. Dr. Fiedler.

Ein kurzer Überblick über den Verlauf der Cholera in der Kröpeliner Vorstadt führt zu dem nachfolgenden Ergebnis. Am Barnstorfer Wege und in der Augustenstraße waren bereits um die Mitte des Juli (13., 16., 21.) einzelne Todesfälle vorgekommen, als die Zahl derselben an der Wismarschen Landstraße anfing, sich mehr und mehr zu häufen. Indessen trat auch hier noch eine kurze Unterbrechung ein und erst um die Mitte des August kam es fast gleichzeitig in dieser Straße, am Barnstorfer Wege, der Augustenstraße und hinter dem Krankenhause zu einer epidemischen Verbreitung der Cholera. Die Heftigkeit der Epidemie erreichte am Barnstorfer Wege zuerst ihren höchsten Grad, später in der Augustenstraße, noch später an der Wismarschen Landstraße. An der Friedrichfranzstraße war die Epidemie in den ersten Tagen des September besonders heftig und dauerte bis gegen die Mitte dieses Monats in eine Zeit hinein, wo in mehreren Straßen der Vorstadt die Todesfälle bereits seit längerer Zeit aufgehört hatten. Am Pütterweg verlief die Epidemie in der kurzen Zeit vom 20. August bis 8. September, nachdem sie in den ersten Septembertagen eine für die Größe der Straße sehr bedeutende Höhe erreicht hatte. Die Epidemie in der ganzen Vorstadt schloss am 15. September mit einem Todesfall an der Wismarschen Straße.