Zweite Fortsetzung

In Altona datiert der erste sichere Fall vom 19. August, dessen Diagnose durch Weisser war am 21. so sicher, dass von Koch bereits am 22. August die Kulturen dieses Falles in Berlin demonstriert wurden, und dass die preußische Regierung schon unter dem 22. August alle erforderlichen Maßnahmen anordnete. Auch in Wilhelmsburg ist der erste Fall vom 19. August.

Die uns jetzt so wichtig erscheinende Diagnose der ersten Fälle begegnete besonderen Schwierigkeiten, weil die jüngeren Generationen der Ärzte in Deutschland seit 1866 resp. 1873 die Cholera klinisch nicht kennen, weil aus demselben Grunde die jüngeren pathologischen Anatomen auch bei den Sektionen nicht mit voller Sicherheit vorgehen konnten. In diesen beiden Punkten, der Klinik und Autopsie der Cholera, können aber außerdem Verwechselungen mit ähnlichen Krankheiten unterlaufen, so dass die bakteriologische Prüfung als Ergänzung erforderlich bleibt. Aber diese letztere dauert bisweilen zu lange, selbst wenn sie in 24 bis 48 Stunden entscheidend geführt werden kann. Außerdem kann sie, wenn es sich um die Untersuchungen des Stuhles handelt, versagen, wie ich in sehr zweifelloser Weise mich in einem ganz typischen Falle überzeugen konnte. Ist die Bakteriologie am sichersten, so hat sie doch, allein angewendet, die Dauer gegen sich, und weiter verbreitete Kenntnisse der Klinik der Cholera würden früher den Verdacht rege gemacht haben. Die Erkennung der ersten Fälle bei Befallen eines Landes wird oft schwierig bleiben.


Eine regelmäßige bakteriologische Kontrolle der Hamburger Wasserleitung bestand bis dahin nicht und im Elbewasser und in der Leitung sind vor, zu Anfang und auf der Höhe der Epidemie bis gegen Ende September Kommabazillen nicht gesucht und nicht gefunden worden.

Der bakteriologische Beweis kann übrigens nur dann als richtig erbracht gelten, wenn einmal vor einer Epidemie die Cholerabakterien ermittelt sind und sich an diese so nachgewiesenen Bakterien auch die Epidemie anschließt. Im Verlaufe einer Choleraepidemie müssen unter Verhältnissen, wie sie in Hamburg bestehen, Cholerabakterien sicher in die Elbe gelangen, da die anfangs, mindestens bis zum 25. August, ganz undesinfizierten Exkremente durch die Kanäle direkt in die Elbe gespült wurden.

Ist wenigstens dieser Beweis gelungen? Lubarsch glaubt ihn indirekt erbracht zu haben, nachdem er am 11. September in Boizenburg im Kielraumwasser (Bilgewasser) eines von Hamburg ausgegangenen Dampfers, auf dem am 8. September ein Kind an Cholera gestorben war, Kommabazillen nachgewiesen hat. Er glaubt als wahrscheinlich annehmen zu sollen, dass die Bazillen aus dem Elbewasser in Hamburg durch Undichtigkeiten von außen in das Bilgewasser gelangt sind und dass sie nicht unmittelbar von dem kranken Kinde auf dem Schiffe in das Schiff gelangten. Nach den von Lubarsch gegebenen Daten ist das mehr als unwahrscheinlich, und es ist deshalb aus dieser Beobachtung tatsächlich nichts weiter sicher zu entnehmen, als dass das Kielraumwasser eines Schiffes, wenn es Kommabazillen enthält, dieselben auch weiter transportieren kann, dass also die Cholera zu Schiffe reisen kann. Lubarsch hält dies übrigens selbst für das einzig Sichere bei seinem Falle.

Der zweite Beweis rührt sogar erst vom Ende des Monats Oktober her. Es soll, wie ich berichtet bin, gelungen sein, indirekt den Nachweis zu führen, dass im Filtersande des Altonaer Wasserwerkes Kommabazillen vorhanden waren. Da Altena sein Wasser unterhalb Hamburg und Altona bei Blankenese der Elbe entnimmt, so können sie nur aus dem aufgepumpten Elbewasser in die Filter gelangt sein. Diese ans dem Filtersande ausgewaschenen Kommabazillen sollen mit dem Abwasser der Filterwäsche und durch dasselbe Veranlassung zu einer isolierten Hausepidemie in Blankenese gegeben haben, durch die eben der Verdacht auf das Filterwaschwasser gelenkt wurde. Mit der Epidemie in Hamburg und Altona hat dieser Nachweis post festum nichts zu tun.

Endlich ist es C. Fränkel gelungen, im Hafenwasser von Duisburg am Rhein Kommabazillen nachzuweisen, nachdem vorher die Exkremente eines Cholerakranken in das Wasser gelangt waren. Eine Epidemie hat sich an diese Bakterien nicht angeschlossen, also das gerade Gegenteil des Erwarteten trat ein: der als „verseucht“ nachgewiesene Fluss hat keine Cholera veranlasst. Mit Kochs Fall, bei dem im Verlaufe einer lokalisierten Epidemie in einem Tank in Indien Kommabazillen gefunden worden waren, beweist dieser Fall zunächst gar nichts weiter, als dass man unter Umständen, aber nicht einmal sonderlich leicht, im Wasser, in welches Kommabazillen gelangt waren, auch gelegentlich Kommabazillen nachweisen kann. Fränkel gibt ausdrücklich an, dass er aus demselben Wasser 2 Tage später keine Kommabazillen mehr kultivieren konnte.

Er fand also, dass die Kommabazillen in diesem Nährboden der Konkurrenz mit anderen Mikrobien (wohl bei Zimmertemperatur des Laboratoriums) nicht gewachsen waren. Kraus hatte schon früher ermittelt, dass die Kommabazillen in dem nicht sterilisierten Wasser bei 10° rapide absterben. Ich selbst hatte gefunden, dass die Cholerabakterien sich in sehr schlechtem Wasser bei 16 bis 20° gelegentlich einmal, unter ständiger Abnahme der Zahl — nach späteren Versuchen aber auch wahrscheinlich unter Verminderung oder Verlust der Virulenz und Infektionsfähigkeit — bis zum 10. Tage nachweisen ließen trotz der Anwesenheit anderer Bakterien.

Außerdem reisten die Kommabazillen mit den Schiffen und in und mit den Schiffern von Hamburg vorwiegend stromaufwärts und nicht mit dem Flusswasser stromabwärts. Hiernach kann man ruhig behaupten, dass die Art, wie in diesem Jahre die großen Flussläufe als solche, aber auch ganz kleine reißende Gebirgsbäche wie die Nette, ein Nebenflüsschen vom Rhein, für „verseucht“ erklärt wurden, vielfach über das Ziel hinausgeschossen ist. Man wird vor dem Genuss eines solchen Wassers warnen, da sich ein Laie wenigstens vermutlich den Genuss von Kommabazillen nicht leisten will, aber man wird auch mehr zu beachten haben, dass es nicht sowohl das Flusswasser, als die auf demselben fahrenden Schiffe und Schiffer sind, die die Cholera verbreiten. Man sollte deshalb die Sache doch etwas reiflicher durcharbeiten, da die in hoher Blüte stehende gewohnheitsgemäße Unreinlichkeit, die für die Verbreitung der Cholera und für die Bildung von sekundären Choleraherden sehr wichtig sein dürfte, an den meisten Orten nur im Sommer durch die Flussbäder eine zeitweilige und sehr erwünschte Unterbrechung erfährt.

Da wir aus den Epidemien doch auch wissenschaftlich lernen müssen, so habe ich nur ehrlich einzugestehen, dass die Bakteriologie uns bei Gelegenheit der Choleraepidemie 1892 ätiologisch nicht weiter gebracht hat, soweit der Nachweis der Wasserinfektion zu führen war. Dies muss klar und unzweideutig bekannt werden, weil wir sonst der Gefahr einer bakteriologischen Mystik entgegengehen, die nicht geeignet ist, die bestehenden Unklarheiten der Epidemiologie zu beseitigen.

Lassen sich nun epidemiologische Beweise für die Beteiligung der Wasserleitung, sit venia verbo, also der Staats-Wasser-Kunst an der Epidemie in Hamburg beibringen?

Bei Gelegenheit der Typhusepidemie von 1885/86 hatte Simmonds gegenüber der damals in Hamburg allein herrschenden lokalistischen Auffassung mit Schärfe auf die Wasserleitung hingewiesen. Ich selbst hatte 1887, als ich Gelegenheit hatte, die Verhältnisse zu untersuchen, mich sehr entschieden für die Beteiligung des Wassers ausgesprochen, allerdings auch auf einige lokale Ausnahmen aufmerksam gemacht. Noch mehr tat dies letztere Reincke. Vor allem trat in Hamburg neben dem Wasser das lokale Moment stets so in den Vordergrund, dass man bei gleichem Wasserbezuge mindestens zwischen Marsch- und Geestboden unterscheiden musste. Das Wasser wirkte trotz seiner allgemeinen Schlechtigkeit auf Marschboden anders als auf Geestboden, trotzdem auf beiden Proletariat mit seinem sozialen Elend wohnt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Cholera-Epidemie in Hamburg 1892