Erste Fortsetzung

Zum Verständnis gebe ich zunächst eine Übersicht der Erkrankungs- und Sterblichkeitsziffern bis zum unverkennbaren Abfalle der Epidemie. In Folge von Nachmeldungen dürften vielleicht die letzten Zahlen später noch etwas geändert werden, ohne dass dies aber den Wert der Zahlen im Ganzen alteriert.

Erkrankungen: Todesfälle:
Bis 20. August 85 36
Am 21. August 83 22
Am 22. August 200 70
Am 23. August 272 111
Am 24. August 367 114
Am 25. August 671 192
Am 26. August 995 318
Am 27. August 1102 455
Am 28. August 1028 428
Am 29. August 980 393
Am 30. August 1081 484
Am 31. August 857 395
Am 1. September 842 394
Am 2. September 810 478
Am 3. September 780 439
Am 4. September 679 293
Am 5. September 580 281
Am 6. September 490 258
Am 7. September 422 225
Am 8. September 353 160
Am 9. September 402 155
Am 10. September 439 178
Am 11. September 354 150
Am 12. September 384 142
Am 13. September 293 129
Am 14. September 314 103
Am 15. September 316 141
Am 16. September 398 141
Am 17. September 337 117
Am 18. September 222 110
Am 19. September 233 110
Am 20. September 217 87
Am 21. September 194 79
Am 22. September 165 55
Am 23. September 138 67
Am 24. September 64 30
Am 25. September 70 31


Wenn eine Epidemie so explosionsartig auftritt, wie die Hamburger nach den vorliegenden Zahlen, so lenkt sich der Verdacht stets sofort auf ein so allgemein verbreitetes Medium wie das Wasser, trotzdem auch derartige explosionsartige Epidemien bekannt sind, in denen das Wasser als Infektionsvermittler ziemlich sicher ausgeschlossen werden konnte. Dieser Verdacht setzt voraus, dass die Infektion bei der Cholera vom Munde aus erfolgt und dies darf ich wohl trotz Emmerich als die allein zulässige Annahme bezeichnen. Für jeden Kenner der Hamburger Verhältnisse kam nun erschwerend der trostlose Zustand des Hamburger Wasserwerkes hinzu, welches seinen offiziellen Namen der Hamburger Staats-Wasser- Kunst daher zu führen scheint, dass es bei dem gegenwärtigen Zustande der Wassertechnik in der Tat eine Kunst ist, einer Stadt ein so unqualifizierbares Wasser zuzumuten und zuzufahren.

Welche bakteriologischen Beweise wurden nun geliefert, um die Infektion der Wasserleitung wahrscheinlich zu machen? Ich muss vorausschicken, dass nach der bis jetzt wahrscheinlichsten Annahme die ersten Cholerafälle in Hamburg gegen den 15. bis 16. August erfolgt sein dürften. Der Dampfer Moravia, welcher Hamburg in der Nacht vom 17. zum 18. August mit reinen Gesundheitspässen verlassen hat, kam in New-York mit Cholerakranken an. Die erste sichere Diagnose auf Cholera wurde bakteriologisch im Krankenhause erst am 22. August gestellt und hat der viel angegriffene Medizinalinspektor Kraus an diesem Tage amtlich dem Senat das Bestehen einer Choleraepidemie angezeigt. Wie es unter diesen Umständen möglich war, dass noch am 25. die „Normannia“ mit reinen Gesundheitspässen Hamburg verlassen konnte und dass die offiziellen Publikationen erst mit dem 25. August begannen, erscheint nachträglich unbegreiflich, war damals aber weniger überraschend, wenn man erfährt, dass zur Zeit der Höhe der Epidemie, am 27. August, noch Verhandlungen mit dem Polizeisenator über die Feier des Sedanfestes stattfinden konnten! Man hatte eben trotz der amtlichen Meldung der Fachorgane höheren und entscheidenden Ortes anfangs nicht das geringste Verständnis für die Bedeutung der Tatsache.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Cholera-Epidemie in Hamburg 1892