Die Brüderschaft der Zimmergesellen

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1929
Autor: Hermann Raillard, Erscheinungsjahr: 1929

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Zimmermann, Handwerksgenossen, Gesellen, Altgesellen, Meister, Brüderschaft, Zimmermannsprüche, Tradition, Volkslieder, Wanderschaft,
Als im Winter dieses Jahres die Zeitungen von einer blutigen Auseinandersetzung zwischen Zimmergesellen und jungen Leuten eines Vereins „Immertreu“ in Berlin berichteten, die einen aufsehenerregenden Strafprozess wegen Landfriedensbruchs zur Folge hatte, erinnerte sich wohl mancher, gelegentlich solchen seltsamen Burschen mit großen schwarzen Schlapphüten, zuweilen auch Zylindern, und unten merkwürdig breiten Hosen aus Manchestersamt mit schwarzen oder roten Biesensäumen begegnet zu sein. Junges Blut, mit Augen, aus denen der Übermut fackelt, und mit kräftigem Schritt! Unter dem Arm einen Segeltuchbeutel, den sogenannten „Berliner“, von einem Tuch überdeckt, und in den Händen den Knotenstock, den „Stenz“. Über dem weißen Hemdlatz — einen städtischen Kragen verschmähen sie — baumelt nichts weiter als ein schmales schwarzes Bändchen, auf das sie nicht wenig stolz sind. Und an den kurzen schwarzen Jacken leuchten die Perlmutterknöpfe. Hamburger seien die jungen Leute, hatte man auf Nachfrage gehört. Viel mehr nicht. Und wenn man sie selbst nach Herkommen ihres Brauchtums, nach Alter und Art ihres Verbandes, ihrer „Brüderschaft“, fragen wollte, würde man keinen befriedigenden Bescheid erhalten.

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Auf dem Rasen hat der lagernde Zimmergesell den „Charlottenburger“, das äußere Einpacktuch und darüber das Handwerkzeug, seinen „Berliner“, ausgebreitet. (Photothek)

Tatsache ist, dass sich in dieser ganz isolierten Verbindung der Zimmergesellen bis in unsere Zeit neben den Gewerkschaften und keineswegs in Widerspruch zu diesen eine durchschnittlich etwa zweitausendachthundert bis dreitausend Mitglieder zählende Hilfsgenossenschaft mit altem Brauch und sozialen Leitgedanken am Leben erhalten hat. Hilfe ist Bruderpflicht bei diesen jungen Handwerksgenossen, zünftige Ehrbarkeit ihr gemeinsames Ideal. Seltsam, dass sich in unserer nivellierenden Massenschiebung solche altertümlich anmutende Charakterhaftigkeit behauptet. Dass diese Brüderschaft der Zimmergesellen, auch Schächten genannt, in den Zünften, insbesondere in den weltlichen Brüderschaften des Mittelalters, ihre Vorbilder hat, ist zweifellos, aber wie sie nach dem Zerfall jener Einrichtungen und nach dem alles kulturelle Leben aushungernden Dreißigjährigen Krieg wieder neue Reiser treiben, alte Überlieferungen auffinden konnte, das ist schwer zu ergründen. Sie ist wie das an altem Stamm neu ausschlagende Laub etwas Naturhaftes und menschlich Beseeltes inmitten unserer seelenlosen künstlichen Überorganisation! Es wäre ebenso töricht, ihren praktischen Wert zu überschätzen, wie diese eigenwillige Lebenskundgebung des immer wieder grünenden Volkstums zu verkennen.

Ein Zimmergesell (links) und ein Maurer (rechts) in der Zunfttracht. Schwarze, unten weite Samthosen trägt der Zimmergesell, weiße Beinkleider der Maurer. Beide sind weithin kenntlich durch den großen Schlapphut und halten jeder unter dem Arm den „Berliner“, ihr Handwerkzeug. Handfest ist der „Stenz“, der gewundene Knotenstock, und am kragenlosen Hemdbund ist die „Ehrbarkeit“, das einfache schwarze Bändchen, befestigt. (Photothek)

Es ist ein auch sonst in der Geschichte erwiesenes menschliches Schutzbestreben, besonderes fachliches Wissen und Können mit einer gewissen feierlichen Heimlichkeit zu umgeben, in symbolischem Brauchtum, Grußformeln und Erkennungszeichen Verbindungen festzuketten, im Tragen eigentümlicher Landestracht Standesbewusstsein und Zusammengehörigkeitsgefühl zu festigen. Dafür, dass die gemeinsame Tracht einheitlich ihren Sondercharakter behält, sorgt auch die Zentralstelle, von der sie bezogen wird, aus kaufmännischen Gründen. Im Studententum finden sich viele Bräuche, die mit denen der Zimmergesellen unverkennbare Ähnlichkeit haben. In der Brüderschaft lebt traditionell übernommen die Hochachtung vor dem Stufenbau alles menschlichen Werdens als einer Naturgesetzlichkeit. „Gelernter“ oder „ungelernter“ Arbeiter, hier ist dies keine Gleichgültigkeit! Als Lehrling muss man lernen, als Geselle üben und das Gelernte beweisen, der Meister soll Neues ersinnen. Darum lassen die Zimmergesellen niemand in ihre Herbergen, der sich nicht ausweisen kann als ein „geschriebener Fremder“, das heißt einer, der in die Fremde gewandert — drei Jahre zu wandern ist Mindestpflicht — und dort sich hat beim Fach einschreiben lassen und der sich gründlich umgetan, etwas Tüchtiges zu lernen da draußen. Aufnahmesuchenden bringen die älteren Gesellen die Bräuche und Formeln bei und erkunden dabei gar bald, ob sie mit einem rechten „schaffigen“ Menschen zu tun haben, der an seinem Schaffen Freude hat und nicht nur aufs Geldverdienen ausgeht. An solchen Drückebergern liegt ihnen nichts. Auf dem Zimmermannsplatz kann man solche flauen Mitmacher nicht brauchen. Die Ehrbarkeit ihres Standes steht ihnen viel zu hoch.

Äußerliches Zeichen der Zugehörigkeit zur ehrbaren Gesellenbrüderschaft ist das schwarze Bändchen, das über dem Hemdlatz herunterbammelt. Diese Ehrbarkeit hat eine deutliche Ähnlichkeit mit der primitiven, die unter richtigen Jungens alleweil Geltung hat. Verprügeln geht nicht gegen solches Ehrgefühl, aber verraten oder auf Kosten anderer, etwa gar mit Hilfe von Geld heimlich sich Vorteile verschaffen, das ist ehrlos. Hat sich ein Zimmergeselle gegen die Treuepflicht vergangen, so wird sein buntes Band — ein jeder erhält eines bei seiner Aufnahme, dass unter den Zunftzeichen sorgsam verwahrt prangt — vor aller Augen zerrissen. Auch Schuldenmachen ist verboten. Von der Oberleitung, die sich in Bremen befindet, wird auf strenge Wahrung des Brauchtums und treue Befolgung der Gesetze gehalten. So wird es verständlich, dass sich die Gesellen handfest wehren, wenn sich Nachahmungen ihrer Brüderschaft breitmachen wollen, denen der gute Kern der straffen, ehrbaren Disziplin fehlt und denen es nicht so ernst ist um die Ehrbarkeit der Zunft, das heißt um die Tüchtigkeit und Vervollkommnung in ihrem altehrwürdigen Beruf. Äußerlich kennzeichnen sich die Mitglieder dieser traditionslosen Gesellschaften, wie zum Beispiel die „Freien Vogtländer“ und andere, durch buntfarbige Bänder, blau oder rot, zum Unterschied von den schwarzen Bändern der Zimmergesellen. Graue oder weiße Hosen tragen die echten Zimmerleute nicht, wohl aber die Rivalen. Bewusst ist den einzelnen das Erbe aus Vorzeittagen nicht, aber eingelebt darin haben sie sich doch. Und das ist der gesunde, wieder neues Leben bekundende Wesenszug deutschen Volkstums, wie es in der alten Zunft früherer Zeit sich offenbarte. Römer und Griechen hatten es einst in der Technik herrlich weit gebracht, aber ein Wichtiges kannten sie nicht, was erst die Handwerkerzünfte der aufblühenden deutschen Städte des Mittelalters als Höchstes erkannten, die sittliche Wertung des Werkes der Hände, der gewerblichen Arbeit! Darauf gründeten sich Ansehen und Selbständigkeit des freien bürgerlich ehrbaren Handwerkerstandes!

Ganz unpolitisch, auch gar nicht markiert patriotisch, aber kerndeutsch sind die Zimmerleute. Soweit die deutsche Zunge klingt, reicht ihre Heimat, und sind sie im Ausland, so reden sie Deutsch, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Deutsch ist ihre Wanderlust und deutsch ihre ganz volkstümlichen, zuweilen derben, nie aber lüsternen Lieder, die auf der Wanderschaft und vor allem auf den Herbergen gesungen werden. Das oft schon totgesagte Volkslied lebt und hat Brunnenfrische. Deutsch ist auch die Mischung von Ernst und Schalk in den Zimmermannsprüchen, den Rammliedern, denn dieses schwere Werk des Einrammens Stock für Stock des Hausbaus ist Zimmermanns Arbeit, ein Stück grundlegender Arbeit im Menschenleben. Und echtes deutsches Volksleben sprudelt in dem Humor der Mären und Geschichten, mit denen sie sich am Feierabend auf der Herberge zu überbieten suchen. Da treibt der „Lügenteufel“ wie in den uralten Sagen und Legenden sein Spiel, bei dem dann plötzlich Wahrheit und tiefe Weisheit wie Goldkörner aufleuchten, Erlebtes, Erlauschtes und Erlogenes wird aufgetischt, und die Phantasie und der Schalk des Erzählers haben die Zuhörer vergnüglich zum Besten, bis dröhnendes Lachen, zuweilen auch ein derber Schlag dem Lügenpeter quittieren für das Gegebene. Deutsch ist freilich auch die Untugend der Zimmergesellen, das unbändige Gefallen am Trunk in der Runde. Da kennen sie kein Maß, und Temperenzler richten nichts aus. Gar bald ist dann auch die Rauferei im Gang, und es kracht von Schlägen und zerschlagenen Stühlen. Leider sitzt gar manchem auch das Messer zu locker. Gewiss, viel rohes, ungefüges Wesen haben die Leute an sich, die ja auch in ihrem Beruf mit der Art schwere, harte, oft auch gefährliche Arbeit auf den Gerüsten tun. Aber sie haben auch ein ehrliches Herz unter ihren weißen Hemdlatzen. Das ist doch in unserer, nur aufs Erraffen eingestellten und von jedem windigen, modischen Geprahle eingefangenen Zeit etwas von reellem, gutem und sozialem Wert, dass das Starke und Tüchtige, das Gesunde und Aufrichtige, Ehrbarkeit und brüderliche Gesinnung, die Arbeit um ihrer selbst willen geliebt und hochgeachtet werden, so wie es schlicht in einem der Lieder der Zimmergesellen ausgesprochen ist:

Und reiche stets in Stadt und Land
In Mitgefühl die Bruderhand.
Wer in den Nöten sich befindet,
Bedenkt, was wir ihm schuldig sind!
Ein jeder tut, soviel er kann,
Das ist die wahre Tugendbahn.

Der Altgesell der Zimmerer prüft zugereiste Fremde, fragt nach Herkunft, nach Zugehörigkeit, Fremdenzettel und Begehr, worauf die jungen Leute in altgewohnter Spruchform Bescheid geben. (Photothek)

Ein Zimmergesellenbrauch. Durch Klopfzeichen auf dem Tisch begrüßt der „Fremde“ die Zünftigen in der Herberge, und diese antworten ebenfalls mit Klopfen. Den Hut behalten alle dabei auf dem Kopf

Ein Zimmergesell und ein Mauer

Ein Zimmergesell und ein Mauer

Auf dem Rasen lagernder Zimmergesell

Auf dem Rasen lagernder Zimmergesell

Der Altgesell der Zimmerer prüft zugereiste Fremde

Der Altgesell der Zimmerer prüft zugereiste Fremde

Ein Zimmerergesellenbrauch

Ein Zimmerergesellenbrauch

14 Der Zimmermann

14 Der Zimmermann