Die Braut von Oldenwöhrden

Eine Geschichte aus Dithmarschen
Autor: Willkomm, Ernst Adolf (1810-1886) deutscher Schriftsteller, Jurist und Philologe, Erscheinungsjahr: 1869
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Küste, Nordsee, Ditmarschen, Schleswig-Holstein, Nordfriesland, Land und Leute, Sitten und Gebräuche, Fischer, Seefahrt, Seeleute, Schiffs-Kapitän
Inhaltsverzeichnis
  1. Der Schiffbruch
Es ist bekannt, dass die fruchtbaren Marschländereien an den Küsten der Nordsee durch künstlich erbaute hohe Erdwälle, die man Deiche nennt, gegen den zerstörenden Einbruch der Meeresfluten geschützt werden. Geht man auf den Kronen solcher Deiche entlang, so bemerkt man nicht eben ganz selten teils unmittelbar hinter den gewöhnlich ziemlich steil abfallenden Böschungen derselben, teils in weiteren Entfernungen fast kreisrunde, mit sumpfigem Wasser gefüllte Vertiefungen von verschiedener Größe, in deren schilfigen Borden Rohrdommeln und andere Wasservögel sich aufhalten. Diese oft sehr tiefen Tümpel rühren von früheren Deichbrüchen her; sie fordern die Bewohner der Marsch täglich auf, wachsam zu sein und den außerhalb der Deiche lauernden Feind keine Stunde unbeachtet zu lassen. Zum Unterschiede von gewöhnlichen Teichen nennen die Söhne der Marsch diese von der hereinstürzenden Meeresflut ins Land gegrabenen Wasserbehälter Kolke.

Traurig reich an solchen Kolken ist insbesondere das Land Dithmarschen. Mancher große Hof liegt in unmittelbarer Nähe eines Kolkes, oder da, wo ehedem ein stattliches Haus glückliche Menschen beherbergte, pfeift jetzt der Wind in der unheimlichen Tiefe im Schilfe.

Da, wo jetzt die Deiche des Wahrdamms- und Friedrichsgabetoogs zusammenstoßen, erblickt man nicht fern von der Küste ein derartiges Wasser. Rundum liegen die prachtvollsten Äcker und saftigsten Weideplätze. Spuren früherer Gartenanlagen mit vereinzelt stehenden, meist verkrüppelten Obstbäumen sind noch sichtbar, und der um diese sich ziehende Graben lässt erraten, dass hier in früherer Zeit Menschen gewohnt haben. Auch die Bezeichnung des Ortes „spanischer Winkel“ deutet dies an.

Eines Tages, wo mich mein Weg nach einer längeren Tour durch die einförmige, dennoch aber interessante Marsch an den erwähnten Punkt führte, sah ich einen alten Mann auf der Deichkrone sitzen und mit seinen hellen, blauen Augen unverwandt auf das schmutzig graue Watt hinaus blicken, das die zurückweichende Flut bloßgelegt hatte. Nur an einzelnen Stellen blickten noch Streifen unruhigen Wassers, und an diesen spielten in der marinen Julisonne eine Menge Seehunde. Weiter draußen im Meerstrom der Miele, die ihre Wasser in den Meldorfer Hafen wälzt, lag ein Küstenfahrzeug vor Anker.

Dithmarscher alter Kleider-Tracht

Dithmarscher alter Kleider-Tracht