Die Börse und die Spekulation

Autor: Cohn, Gustav Dr. (1840-1919) deutscher Nationalökonom, Professor, Redakteur und Publizist, Erscheinungsjahr: 1868
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Börse, Spekulation, Spekulant, Börsenspekulation, Spekulationsgewinn, Spekulationsverlusst, Börsenberichte, Börsenkurs, Zahlungsversprechen, Bürgschaft, Kredit, Zinsen
Byrsa bedeutet bei den Griechen des Altertums das abgezogene Fell, im Latein des Mittelalters einen ledernen Beutel; Börse als Geldtasche und Versammlungsort der Kaufleute entspringt dem letzteren — nicht unmittelbar dem Griechischen. Das Wort hat eine wunderliche Geschichte. In dem ältesten uns überlieferten deutschen Studentenliede — aus dem fünfzehnten Jahrhunderte — heißt es:

Ich weiß ein frisch Geschlechte,
Das sind die Bursenknechte.


Und diese Bursenknechte sind die Bursche, die Studenten. Wer darüber Näheres wissen will, der lese Grimms Deutsches Wörterbuch nach: genug Bursch und Börse sind von Einem Stamme. — Die Zeit freilich hat die Stammverwandten einander entfremdet: wir gedenken nicht des leidigen Geldes und der dazu gehörigen Taschen; von jener andern Börse, die sich heute allerorten so stattliche Räume baut, weiß der Bursch noch viel weniger, und wollte er sich Belehrung holen bei seinen Meistern, die Herren Professoren der Staats- und Kameralwissenschaften wüssten nicht viel mehr davon als er selber.
    Die Börse und die Spekulation - Fortsetzung
Es ist aber vielleicht der Mühe wert, dem Gegenstande einige Aufmerksamkeit zuzuwenden; die Zeitungen schon drängen uns täglich die Börsenberichte, Kursanzeiger u. s. w. auf: es mag Manchem erwünscht sein, darüber ins Klare zu kommen, welche Bedeutung denn jene Börsen haben, welchem Zwecke sie dienen. — In gar zu kurzen Worten ist die Erklärung allerdings nicht zu geben, und diejenigen, welche die öffentlichen Spielbanken und Lotterien damit verteidigen, dass die größte Spielbank die Börse sei, sind doch ein wenig zu schnell mit dem Urteil bei der Hand; — und wenn sie verlangen, erst dieses große Spielhaus müsse unterdrückt werden, ehe man die kleinen schließe, so sollten sie füglich sich zuvor mit dem Wesen jenes Börsenspiels etwas vertraut machen; ob sie alsdann einen sonderlich höheren Begriff von dem Heer der Börsenspekulanten bekommen möchten, das wagen wir nicht zu sagen; aber mit ihren Vorschlägen werden sie vielleicht ein wenig zurückhaltender sein.

Es entzieht sich unserer Aufgabe, von den Börsen im Allgemeinen zu sprechen — nur die eigentümliche Gestaltung derselben, welche vornehmlich in unserer Zeit der Handel mit Wertpapieren und ähnlichen Gegenständen hervorgebracht hat, und die Erscheinungen, welche sich daran knüpfen, haben wir hier zu betrachten.

Alle Wertpapiere sind entweder Schuldscheine für eine dargeliehene Summe Geldes, und das Vertrauen in deren Rückzahlung neben dem inzwischen gewährten Zinsgenuss bestimmen die Höhe ihres Wertes, — oder sie sind Anteilscheine eines Unternehmens, und hier wird die Ergiebigkeit und Dauer desselben der Maßstab der Schätzung. Der ersteren Kategorie gehören alle Staatsanleihen, städtische Anleihen, Kreisobligationen, Rentenbriefe, Pfandbriefe, Eisenbahnobligationen an; der zweiten alle Aktien, also Eisenbahn-, Bank-, Bergwerksanteile u. s. w. Bei den ersteren wird das Zahlungsversprechen des Staates, der Gemeinde, des Kreises Gegenstand des Vertrauens, oder auch der Grundbesitz, die Eisenbahn u. dgl. zur Verbürgung der Rückzahlung und der Zinsen verpfändet; bei den letzteren wird die Teilnahme an einem industriellen Unternehmen, wie einer Bank, einer Eisenbahn, einem Bergwerk, eröffnet, und durch Zahlung eines bestimmten Anteils an dem dazu nötigen Kapital erlangt man einen bestimmten Anteil an den sich ergebenden Erträgen des Betriebes. Die Entwicklung der Industrie und des Kredits hat nun in unserer Zeit eine mannigfaltige Menge von allen diesen Papieren geschaffen, und wer ein Geldkapital auf Zinsen ausleihen oder in einem Aktien-Unternehmen anlegen will, hat die Auswahl unter der ganzen Zahl derselben. Der eine mag die größere Sicherheit betonen und dafür mit einem bescheidenen Zinsgenuss zufrieden sein; der andere wieder wird dem höheren Ertrage die ängstliche Besorgnis um die Anlage opfern; dieser wird um des hohen Zinses willen gern sein Geld der Union von Nordamerika leihen, jener will seine Habe nicht aus dem Vaterlande und nicht aus den Augen lassen. Manche möchten nun und nimmermehr einer Eisenbahn ihr Geld hergeben, andere sind zu jedem neuen Projekt bereit, das ihnen hohen Gewinn verspricht. Und innerhalb dieser verschiedenen Richtungen treten wiederum die abweichenden Urteile und Neigungen hervor, welche jedem einzelnen Wertpapiere im Hinblick auf alle etwa einflussreichen Momente eine wechselnde, unter einander keineswegs einhellige Schätzung entgegenhalten: hier werden gewisse Umstände für indifferent gehalten, die dort schwer ins Gewicht fallen; Sympathien und Antipathien mögen dem Kredite dieses oder jenes Staates oder Unternehmens sehr verschiedene Meinungen erzeugen — und das weite Feld der Vermutungen und Erwartungen künftiger Ereignisse obenein! Je mehr man durchdrungen ist von den vielfältigen Täuschungen, denen unser Erkennen unterworfen ist, je willkürlicher jeweilig aus diesen oder jenen Anzeichen auf Anderes, das ist oder sein wird, geschlossen wird: um so größer müssen die Schwankungen aller jener Schätzungen sein, einem Meere vergleichbar, auf dessen Oberfläche unablässig die Wellen Höhen und Tiefen hervorbringen. —