Die Börse und die Spekulation - Fortsetzung

Das Vielerlei der Meinungen aber wird gesammelt, wird vereinigt in einem Mittelpunkte, der Börse. Hier treffen die Anschauungen und die Neigungen zum Kauf oder Verkauf jedes Wertpapiers wie in einem Brennpunkte zusammen; für jedes Papier gibt es hier Käufer, für jedes Verkäufer; das Niveau, welches die Beständigkeit und Dauer des Verkehrs für die Schätzung derselben hergestellt haben mag, bleibt den täglichen Stößen der Ereignisse unterworfen, welche jene Schätzung ändern; die gesamte Menge der Papiere aber mag durch einen Zufluss oder Abfluss von Geldkapitalien im Kurse steigen oder sinken. Der Papierhandel ist nur der Vermittler aller derer, welche sich hieran beteiligen; wie aller Handel, sucht er einem später eintretenden Bedürfnis zuvorzukommen; er kauft, sobald er erwartet, dass gekauft werden wird; er verkauft, sobald er auf überwiegende Verkaufslust rechnet. Zum Anhalt für diese Erwägungen dienen ihm gewisse Anzeichen, Tatsachen, die jene erwarteten im Gefolge haben mögen: aus gegenwärtigem Bekanntem schließt er auf zukünftiges Unbekanntes, zukünftig wenigstens für sein Erkennen, oder doch nicht gegenwärtig — das aber ist die Spekulation; und vielleicht nehmen es die Philosophen nicht übel, wenn auch ihr Spekulieren mit dieser Definition abgefunden wird. — Im wirtschaftlichen Leben jedenfalls bedeutet Spekulation alle Berechnung kommender Erscheinungen und Zustände, die nicht bekannt, deren Eintreten ungewiss ist, — aus dem, was im gegebenen Moment erkennbar ist. — Für den Ausfall der Ernte mag etwa ein milder Winter ein günstiges Anzeichen sein; die Spekulation mag hieraus auf Überfluss an Korn, also auf niedrigere Preise rechnen; sie wird dahin wirken, dass der Vorrat des vorhandenen Getreides, soweit er über das Bedürfnis des Sommers hinausreicht, minder sparsam gehütet, der Preis schon jetzt ermäßigt werde. Umgekehrt erregt vielleicht ein Nachtfrost im Mai die ernstesten Befürchtungen; die Speicher werden spärlicher für das gegenwärtige Bedürfnis geöffnet, und der gestiegene Preis gebietet, sich auf ein mageres Erntejahr gefasst zu machen. In beiden Fällen, dort wie hier, ist die Täuschung möglich, um so wahrscheinlicher, je einseitiger die Indizien des Kommenden gewürdigt werden — aber es handelt sich eben darum, eine breitere Grundlage der Erfahrung und einen erweiterten Kreis der Urteile zu schaffen, damit die Spekulation sich so wenig täusche, als eben möglich. So gut nun, wie es von hoher volkswirtschaftlicher Bedeutung ist, dass Überfluss und Mangel der Ernten durch den Überblick der kaufmännischen Berechnung auf die verschiedenen Jahre und Länder verteilt werde; eben so wichtig, wenn auch der Nutzen minder handgreiflich, ist die angemessene Verteilung der Leihkapitalien über die verschiedenen Gewerbezweige und Konsumtionen, über die Staaten und die Zeiten.

Die wirtschaftlichen Anschauungen unseres Jahrhunderts verstehen nicht mehr die Beweggründe, welche Friedrich den Großen bestimmten, die ersten Vorschläge zu einem Pfandbrief-Institute zurückzuweisen: er wandte ein, wenn man die Schuldscheine für den Grundkredit verkäuflich mache, so würden sie ins Ausland gehen und jährlich eine Menge Zins verlangen, die dann der Staat verlöre. Wie wir heute auf einer Tafel die Gewürze der Tropen, den Wein von Spanien und Frankreich, den Kaviar von Russland mit dem Brot und Fleische aus dem Vaterlande verbinden; so vereint die Chatoulle eines Kapitalisten leicht die buntbedruckten Anleihescheine der Vereinigten Staaten und die Obligationen italienischer Eisenbahnen mit den Staatsschuldscheinen und Prämien-Anleihen der Heimat. Innerhalb vernünftiger Grenzen ist diese kosmopolitische Verbindung zum Austausche der Kapitale wie der Produkte eine respektable Tatsache der Gegenwart, ein Moment im Werke des Weltfriedens, dessen Ziel am Ende aller Dinge liegen mag, das aber darum nicht weniger gegenwärtig ist der Sehnsucht aller guten Menschen. — Es mögen manche Disharmonien entstehen zwischen dem Streben des Kapitals, das seine beste Verwendung sucht, und einem jeweiligen Interesse des Staats, dessen Bürger jene Kapitalisten sind — in wohlregierten Staaten freilich selten. Ein tüchtig verwaltetes Finanzwesen braucht nicht um das Vertrauen der Untertanen zu betteln oder mit Gewalt einzuschreiten; der schlechte Haushalter aber mag darin die Folgen der Misswirtschaft erleben. — Im Augenblicke der Not wird solche Einsicht freilich den Staat nicht retten, und neuer Unfug muss alten sühnen. — England hat ruhig sein Kapital auf das Festland wandern sehen, um Eisenbahnen zu bauen, Fabriken anzulegen, andern Regierungen Anlehen zu leisten, und beständig sucht englisches Kapital diesen Weg, um bessern Ertrag zu suchen, als die sicherere, aber minder ergiebige Anlage in der Heimat gestattet. In Holland liegt ein großer Teil ausländischer Staatsanleihen, namentlich derer von Österreich. In Deutschland verband sich zur Zeit des letzten Nordamerikanischen Krieges mit der Sympathie für den Norden der Ankauf von vielen Millionen Dollars seiner Anleihen; niemals ist Teilnahme am Unglück besser gelohnt worden; der Kurs jener Anleihen stieg, als der Sieg entschieden war in wenigen Wochen auf das Doppelte. — England findet einen Ersatz für die ins Ausland geliehenen Kapitalien an dem Zufluss der oft gewaltigen Summen, die lichtscheu vom Kontinent hinüberfliehen und sich bergen für die Tage der Stürme in dem Hort seiner Königlichen Bank.


Alles das zusammen ein beständiges Herüber- und Hinüberströmen, zeitweise ruhig und langsam in gleichmäßiger Bewegung, dann plötzlich in heftigeren Stößen und krampfhaften Zuckungen, je nach den bedingenden Tatsachen, welche im ökonomischen und politischen Leben der Völker sich vollziehen; hier auf der Warte zu stehen, die Signale zu begreifen, entschlossen zu handeln: das ist die Aufgabe der Börsen. Diese Aufgabe ist keine leichte, und wenn wir die intellektuellen Voraussetzungen derselben uns vergegenwärtigen und solchen Ansprüchen die Persönlichkeiten gegenüberstellen, welche wir etwa kennen als Große der Börse — so werden wir uns vielleicht eines gelinden Kopfschüttelns nicht zu erwehren vermögen. Was bedeutet es nicht, das unabsehbare Gewirre der zusammengreifenden Fäden aller der Tatsachen, Verhältnisse, Stimmungen zu überblicken, die hier in Frage kommen; welche kaum geahnten Folgen mag nicht irgend ein scheinbar geringfügiges Ereignis haben, das im Laufe der politischen Vorgänge ans Licht tritt; wie täuschen sich nicht selbst große Staatsmänner über das Kommende — und das sollten die Männer der Börse bewältigen, sie sollten alle das verstehen und auf dieses Verständnis ihre Spekulationen gründen! Oder ist es nicht vielmehr das blinde Ungefähr, das sie leitet, bestenfalls ein Instinkt? — Die Antwort hierauf ist schwer: vielleicht ist es hier richtig, „was Einer nicht weiß, wissen Viele“ — der Eigennutz verleiht einen Scharfblick, der jedes günstige Moment herauszuspüren weiß; verbinden sich nun hierin Tausende, die wiederum andere Tausende in entgegengesetztem Interesse gegenüber haben, so mag jeder Umstand, jedes Anzeichen ausgebeutet und mehr oder minder sicher für den Gang der Wertverhältnisse bestimmend werden. Die Aufregungen außerordentlicher Zeiten sind nicht stets an der Tagesordnung; es gibt lange Perioden, in denen eine ruhigere, weniger leidenschaftliche Erwägung der Zustände möglich ist, wo eingreifende Staatsaktionen ruhen und die festere Gewohnheit der rein wirtschaftlichen Betrachtungen ohne jene Störungen wirksam ist, um die Kapitalien dort abzuleiten, dort zuzuführen. —

Ein höchst bedeutsames Mittel hat unabhängig von der Intelligenz der heutige Papierhandel vor früheren Menschenaltern voraus: das ist der Telegraph. Dieser bewirkt, dass alles, was überhaupt gewusst wird, gleichviel, an welchem Ende der Welt, auch an jedem andern Punkte zugleich — wenige Stunden nur liegen dazwischen — aufgefasst und gewürdigt werde. Dieses gemeinsame Wissen verbindet nicht bloß Stadt und Stadt, Land und Land, Erdteil und Erdteil; es ist auch ein gemeinsames Wissen aller Beteiligten an jedem einzelnen Orte. Die geheimen Boten, die vor Zeiten dem Börsenspekulanten — oft einem recht hoch gestellten — eine Kunde brachten, deren Alleinbesitz ihm auf ein oder mehrere Tage die andern in die Hand gab, jene Voten kommen nicht mehr; das Telegramm gelangt an alle, oder doch an so viele, dass eine Ausbeutung anderer schwer, immer weniger möglich wird. Es mögen noch Fälle vorkommen, wo eine Nachricht von einem Einzigen genutzt wird, ehe sie den andern bekannt wird, und in Paris speziell sollen noch heute skandalöse Dinge derart passieren; aber sie sind selten geworden im Vergleich zu früheren Zeiten; derselben Nachricht harren viele Ohren und dieselbe Nachricht tragen viele Drähte nach allen Enden weiter. Wie viele vermochten denn auch sonst die Kosten einer Estafette zu tragen — und heute kostet in ganz Deutschland eine Depesche irgendwohin kaum über einen halben Thaler, in Frankreich, England gar nur wenige Silbergroschen; auch die internationalen Sätze werden allmählich ermäßigt und selbst nach den Vereinigten Staaten hin wird es mit der Zeit mildere Bedingungen geben. —

Es ist der Telegraph ganz besonders, der eine Form des Handels befördert hat, die öfter genannt als gekannt wird — nämlich die Differenzgeschäfte. Man hat ganz richtig bemerkt, wie sie bei den heutigen Spekulationen der Börsen in den Vordergrund treten; man ist aber zu weit gegangen, wenn man Differenzgeschäfte und Spekulation identifiziert hat. Wir brauchen nicht zur Bestimmung des Wesens der Spekulation gesagtes zu wiederholen; es ist aber wohl angemessen, uns über Natur und Charakter der Differenzgeschäfte etwas näher zu verständigen.

Es beruht auf den natürlichen Grundlagen des Verkehrs, dass man oft ein Gut kauft, welches im Augenblicke des Kaufes noch nicht zur Stelle ist, sei es nun unterwegs, oder liege es an einem andern Orte und müsse von dorther erst bestellt werden, oder sei es gar erst fertig zu stellen — es mag ebensowohl eine unterwegs befindliche Schiffsladung, als eine anderswo lagernde Menge Waaren, oder ein erst herzurichtendes Fabrikat, zu dem selbst die Rohmaterialien erst zu erwerben sind, gekauft und verkauft werden. Die öffentlichen Lieferungen an Lebensmitteln, Bauholz, dgl. sind ein Beispiel dafür, das sich täglich wiederholt: ein Unternehmer oder eine Gesellschaft von Unternehmern verpflichtet sich, zu gegebenen Terminen eine Quantität Getreide u. dgl. zu liefern zu verabredetem Preise, ohne andere Basis ihrer Zusage, als die Erwartung die zu liefernden Waaren zur rechten Zeit zu angemessenem Preise selber erwerben zu können, um damit die Verpflichtung zu erfüllen; es kommt wenig darauf an, ob der Unternehmer das, was er zu liefern verspricht, schon besitzt in dem Momente, wo er es zusagt — die Hauptsache ist, dass er richtig rechnet und dass die Voraussetzungen seiner Offerte hinterher eintreffen. Die Lieferungsverträge dieser Art werden notwendig sehr mannigfaltig sein, nach den Gegenständen und deren Eigenschaften, nach der Zeit der Lieferung, dem Strafgeld der Versäumnis u. dgl. m. Denken wir uns nun aber, dass sich in regelmäßiger Wiederkehr auf einem gegebenen Punkte den Lieferungsverträgen stets dieselbe Ware, unter gleichen Bedingungen der Frist, der Qualität u. s. w. unterbreite, dass nicht mehr die Mannigfaltigkeit der jeweiligen Umstände einen jedes mal eigentümlichen Vertrag mit eigentümlichen Anforderungen im besondern Falle hervorbringe — dass vielmehr alle Bedingungen stereotyp werden bis auf die Eine, den Preis; so haben wir das sogenannte Zeit- oder Termingeschäft, und wie sich hieran unmittelbar das Differenzgeschäft knüpft, werden wir sogleich sehen. Jeder, der einmal in die Lage gekommen, einen Lieferungsvertrag abzuschließen, wird das Unbehagen der vielerlei Bedingungen und die hinterher gar hervortretende Lückenhaftigkeit derselben erfahren haben; das Zeitgeschäft beseitigt diese Mühe, indem es sich durch die einmal erworbene Einsicht in die notwendigen Paragraphen des Vertrages ein feststehendes allgemeingültiges Schema geschaffen, in dem ein für allemal die entsprechenden Bedingungen festgestellt sind. Hier ist im Vorwege alles erledigt bis auf die stets wechselnde Ziffer des Preises, des Kurses — und auf diese allein richtet sich die Unterhandlung beim Abschluss eines Vertrages. Es ist klar, dass man nicht jede beliebige Ware in solch ein Schema bringen kann: es ist nötig, dass ein Quantum das andere von derselben Gattung vertritt; das ist zum Beispiel nicht der Fall mit einem Hause oder einem Pferde; ein Haus, drei Pferde mögen einen ganz andern Wert haben, als ein anderes Haus, als andere drei Pferde. Dagegen treffen jene Voraussetzungen zu bei den Wertpapieren; ein kurmärkischer Rentenbrief von tausend Thalern ist an Werte vollkommen gleich jedem andern kurmärkischen Rentenbriefe derselben Höhe; hundert Thaler in der zu fünf Prozent verzinslichen Anleihe des preußischen Staats sind jeden andern hundert Thalern dieser selben Anleihe gleich. — Ähnlich verhält es sich mit dem Korn, dem Mehl, dem Spiritus und einigen andern Produkten. Völlig identisch wird freilich niemals der Wert zweier gleicher Quantitäten Roggen sein, aber es ist wenigstens annähernd möglich, durch gewisse Bedingungen im Vorwege eine leidliche Gleichheit desselben herbeizuführen. Diese Eigenschaft der so wichtigen Erzeugnisse der Landwirtschaft jedes europäischen Landes trifft nun zusammen mit ihrer außerordentlich schwankenden Reichlichkeit; ihre Hervorbringung ist zum großen Teile der Natur unterworfen, und die Erträge der einzelnen Jahre weichen gar sehr von einander ab. Es kommt darauf an, das, was die Jahre einmal hervorgebracht, entsprechend zu verteilen, damit Milde und Strenge des Himmels ausgeglichen, Vergeudung des Überflusses sowohl als Entbehrung und Darben verhütet werde. — Korn ist das gemeinsame Hauptnahrungsmittel fast aller Völker europäischer Gesittung; der wachsende Verkehr dieser Völker ermöglicht einen gegenseitigen Austausch in beständig zunehmendem Maße; die Missernte des einen Landes mag, wo nicht Ersatz, doch Hilfe finden in dem andern. Hiermit ist eine ununterbrochene Verkettung der Interessen, eine fortwährende Mitteilung von Tatsachen und Erwartungen, Befürchtungen und Hoffnungen, untereinander gegeben; die Telegraphen verrichten hierbei den täglichen Dienst. Wenn wir in einer Zeitung die Börsendepeschen nachlesen, so finden wir regelmäßig neben den Kursen der Papiere die Preise des Korns, Mehls u. s. w., bei diesen meist auch die Windrichtung und das Wetter, angegeben. Beide Arten von Depeschen suchen ihre Vertretung in den Geschäften der Börse. Den oft in einer Stunde mehrmals sich ablösenden Botschaften der Telegraphen würde es nun kaum genügen, dass zu jedem besondern Abschlüsse eine längere Besprechung und Verhandlung über die mancherlei Bedingungen vorgenommen würde, noch weniger sind die Geschäfte, welche aus Anlass jedes Telegramms geschlossen werden, auf die gerade bereit liegenden Papiere oder Waren zu beschränken: schnell, wie der elektrische Funke springt, drängen die Geschäfte zum Vollzuge. Die Staatspapiere, die zu verkaufen ich mich auf eine Depesche hin entschließe, mögen in London liegen oder mögen verpfändet sein. Das Korn mag von New-York unterwegs sein; die Ankunft mag am Ende verzögert werden. Möglich, dass die Ladung auf See verloren geht und ich keine Ware zum Termin liefern kann, dass ich es vorziehe, statt andere kommen zu lassen, ein gleiches Quantum auf den gleichen Termin zu kaufen, meinem Käufer dieses zu überweisen und mich mit ihm lediglich über die Differenz der Preise, dessen, zu dem er von mir gekauft, und des andern, zu dem ihm von mir geliefert worden ist, — auseinander zusetzen. — Da sind wir aber unversehens in ein Differenzgeschäft hineingeraten; ich habe nicht die versprochene Ware geliefert, sondern nur eine Differenz gezahlt oder erhalten. Was bedeutet denn überhaupt ein Differenzgeschäft? Dass preußische Obertribunal antwortet darauf: „Reine Differenzgeschäfte sind solche, bei welchen das Kaufgeschäft nur die Form, die Gewinnung der Differenz aber das Wesen und der einzige Zweck des Geschäfts ist, wobei also auf die Differenz zwischen Schluss und Verfalltag spekuliert wird.“ Wie, wenn wir hinzufügten, bei allem Handel ist das Kaufgeschäft nur die Form, die Gewinnung der Differenz aber das Wesen und der einzige Zweck des Geschäfts; dem Juristen wird das vielleicht gewagt erscheinen, um so weniger dem Nationalökonomen. Jedermann weiß, ein Kaufmann ist derjenige, welcher kauft, um zu verkaufen, und der das zum Gewerbe macht; er sucht darin seinen Gewinn, er muss also niedrig kaufen und hoch verkaufen. Kein Kaufmann handelt anders; alle seine Berechnungen richten sich darauf, wie er möglichst niedrig seine Ware anzuschaffen, oder wie er sie möglichst hoch abzusetzen vermöge. Es ist eine segensreiche Tatsache, dass der Wetteifer aller einzelnen in diesem Bestreben dem Ganzen zu Gute kommt — wenigstens in der Regel; aber der wesentliche Inhalt des kaufmännischen Tuns bleibt: billig kaufen und teuer verkaufen.

Es ist keine Frage, dass hiermit die Schattenseiten dieses Standes zusammenhängen. Freilich will jede andere wirtschaftliche Tätigkeit einen möglichst hohen Lohn, so gut wie jene; aber es verbindet sich damit regelmäßig eine handgreifliche Leistung, ein Handwerk, eine Kunst: der Landwirt, der Fabrikant, der Tischler, der Schuster, sie alle bringen etwas hervor, das sie ihr Erzeugnis nennen, sie sprechen sich eine Art von Vaterschaft zu — mit Stolz zeigt wohl ein Gutsherr auf die Pferde, die er gezüchtet, ein Goldschmied gar auf einen Schmuck, den er gearbeitet. Anders der Kaufmann: je schneller er die Ware „umsetzt“, um so mehr dient es seinem Zwecke, und wenn er einen Stolz auf ein eignes Erzeugnis gleich jenen andern Gewerbetreibenden hat, so ist es der wohlgefällige Blick auf die Zahlen seines Hauptbuchs, wenn sie am Jahresschlusse ihm sagen: du hast billig gekauft und hoch verkauft. —

Und so mag ein gut Stück des Odiums, das auf den „Differenzgeschäften“ lastet, dem Handel überhaupt zukommen; das wolle man erwägen. Gewiss aber ist es unstatthaft, die Differenzgeschäfte mit der Wette oder dem Spiel zusammenzuwerfen, und zwar deshalb unstatthaft, weil Wette und Spiel der wirtschaftlichen Arbeit fremd gegenüberstehen und unvermittelt neben dem industriellen Leben herlaufen, während jedes Geschäft der Börse, gleichviel in welcher Form es erscheint, unmittelbar eingreift in den Verkehr. Das Spiel veranstaltet Zufälle, die dem einen nehmen, was sie dem andern geben, während die Spekulation umgekehrt die Zufälle, die im wirtschaftlichen Leben störend hereinzubrechen pflegen, aufzuheben tendiert, indem sie ihr Eintreten vorher berechnet. Die Wette hat ihr Charakteristisches, mit dem Spiel verglichen, in dem intellektuellen Moment, in dem Wissen oder vielmehr der Meinung, vielleicht Überzeugung von einer nicht veranstalteten, sondern unabhängig sich erzeugenden Tatsache, mag diese der Vergangenheit oder der Zukunft angehören. Spiel und Wette aber befinden sich in gemeinsamem Gegensatze zur Arbeit, zu welcher begriffsmäßig ein Aufwand von Mühe gehört; sie haben beide nichts zu tun mit der erwerbenden Tätigkeit der Gesellschaft. Wie aber die Spekulation, insonderheit vermöge der Formen, welche sie im Börsenhandel annimmt, produktiv in die Volkswirtschaft eingreift und wie das speziell durch die Differenzgeschäfte geschieht — das wollen wir, so kurz als möglich, erläutern.

Es ist klar, dass jedes Gut dort am wünschenswertesten ist, wo es das stärkste Bedürfnis befriedigt, wo es den höchsten Wert hat. Der Handel, dessen spekulativer Blick diese Punkte in Zeit und Ort aufsucht, weil was den höchsten Wert hat, auch am besten bezahlt wird — führt, von der Spekulation geleitet, das Gut dahin, wo es dringender begehrt wird, und holt es von dort her, wo es minder geschätzt wird. Diese Tätigkeit mag zwischen Provinz und Provinz, Land und Land vermitteln, oder zwischen Monat und Monat, Jahr und Jahr. Wir haben nun oben gesehen, wie für den Verkehr mit Wertpapieren sowie mit Getreide und ähnlichen Produkten, sich die Form des Zeitgeschäfts eingestellt hat und jener Spekulation dienstbar wird. Wir dürfen auch an das vorhin gegebene Beispiel anknüpfen, welches den unmittelbaren Zusammenhang des Differenzgeschäfts mit dem Lieferungsgeschäft in jener Form darzulegen bestimmt war. — Wir fügen hinzu, äußerlich erfassbare Differenzgeschäfte, derart wie sie jenes Urteil des Königlichen Ober-Tribunals definiert, gibt es überhaupt nicht: alle Zeitgeschäfte werden auf wirkliche Lieferung geschlossen, und nur auf diesem Grunde entstehen die Differenzgeschäfte; sei das nun spontan, wie in jenem Beispiel, oder von vornherein beabsichtigt: — jedenfalls ist für die juristischen Anforderungen des erwähnten Urteils nichts Adäquates an den tatsächlichen Erscheinungen festzustellen. Es kommt aber darauf auch gar nicht an; wäre selbst das „reine Differenzgeschäft“ in jenem Sinne zu erfassen, es würde sich zu verteidigen wissen. Man stelle sich vor, die Absicht, niemals die auf Lieferung gekaufte Ware wirklich zu besitzen, sei in einem gegebenen Falle erwiesen — wie sie von dem Richter in der Tat nicht zu erweisen ist — es kaufe einer Papiere oder Korn auf Zeit in der Absicht, vor dem Lieferungstermin einen entsprechenden Verkauf zu bewirken, der ihm eine Gewinndifferenz gegen den Kauf abwerfe, — oder umgekehrt es verkaufe einer und erwarte, das Verkaufte später billiger zu kaufen und auf diese Weise eine Differenz zu gewinnen: im ersteren Falle wird à la hausse, wie man es nennt, im zweiten à la baisse spekuliert; der Spekulant sei gar nicht bemittelt genug, um zum Termine die Summe für das ihm zu liefernde zu bezahlen, er habe überhaupt niemals mit den Papieren oder den Waren selbst etwas zu tun: so mag er trotz alledem in eben so berechtigter, weil nützlicher, Weise auf die Bewegung der Preise wirken wie irgend ein anderer Kaufmann, der die Speicher mit Waren gefüllt oder die Schränke voll Papieren hat. Jeder Kauf und jeder Verkauf übt dieselbe Wirkung auf den Gang der Preise aus, gleichviel, ob der Käufer, der Verkäufer ein Differenzgeschäft machen will oder nicht. Wie bereits erwähnt, im Grunde handelt es sich für jeden Kaufmann nur um die Differenz, und erst wenn nachgewiesen wäre, dass die eigentlich oder im engeren Sinne auf Differenzen Spekulierenden schlechter spekulieren als die andern, die man ihnen oft als wahre Kaufleute entgegenhält: dann, aber nur dann, dürfte man sie von dem Anspruch auf Produktivität eher ausschließen als jene. Bisher hat nun keiner das nachgewiesen und es bleibt vorläufig unentschieden, wer nützlicher ist. Die Entscheidung wäre freilich zunächst nur für bestimmte Umstände, für eine bestimmte Börse zu liefern; und an sich wäre es da gar nicht unmöglich, dass unter gegebenen Verhältnissen die kapitallose Intelligenz der Differenz-Spekulanten weitaus die spekulativen Leistungen der andern überträfe. Korn heranbringen und Korn aufspeichern, das kann jeder Schiffer, jeder Sackträger, wenn es einmal bezahlt ist: aber ihm den rechten Wert bestimmen, die kommenden Preise herrannahen sehen und die Dinge danach einrichten: das ist die Frucht einer eigentümlichen Einsicht und Direktion. —

Wir möchten nun nicht behaupten, dass jene Möglichkeit gerade irgendwo verwirklicht ist; aber wir besitzen einige in dieser Richtung höchst beachtenswerte Ergebnisse, die hier wohl hervorgehoben werden dürfen, obschon sich einige statistische Ziffern dabei nicht vermeiden lassen. — An dem Getreidehandel der Berliner Börse beteiligen sich gegenwärtig etwa zweihundert verschiedene Firmen, von denen achtzig notorisch nichts mit dem Korn selber zu tun haben und es nur auf dem Papier sehen; die andern hundert und zwanzig beschäftigen sich zwar gelegentlich mit Heranbringung, Kauf, Verkauf oder Fortschaffung der Ware, ihr Hauptgeschäft aber sind Differenzgeschäfte in Korn, teils für ihre eigene Rechnung teils für auswärtige Auftraggeber; unter den ganzen hundert und zwanzig gibt es nur wenige Ausnahmen solcher, die lediglich mit der Ware zu tun haben und gar keine Differenzgeschäfte machen. Dieser Stellung der persönlichen Verhältnisse entspricht die Thatsache, dass nach ungefährer Schätzung etwa zur Höhe von zwei Millionen Mispeln Roggen in jedem Jahre Differenzgeschäfte geschlossen und abgewickelt werden, während kaum hunderttausend Wispel im Durchschnitt jährlich nach Berlin kommen; das Verhältnis der Differenzgeschäfte zu dem Quantum der effektiven Ware ist etwa wie Zwanzig zu Eins; und jene Schätzung ist eine sehr mäßige und ruht auf guten Grundlagen. Jene Proportion war aber nicht immer eine so hohe; sie ist das eist im Laufe des letzten Jahrzehnts geworden: die Entwicklung der Differenzgeschäfte in Korn ist in Berlin überhaupt kaum viel älter als zwanzig Jahre. Ist es nun aber nicht ein frappierendes, den sonstigen Ansichten stracks zuwiderlaufendes Ergebnis, dass eben während dieses letzten Jahrzehnts, in dem die Differenzgeschäfte hier einen vielfach so anstößigen Aufschwung genommen, die Preisschwankungen des Getreides geringer geworden sind, mit andern Worten, dass die Spekulation produktiver geworden ist? Eine statistische Untersuchung hat ergeben, dass der Unterschied zwischen den Spekulationspreisen, die ein Halbjahr vorher bezahlt sind, und den wirklich hinterher zum Termin eingetretenen, in den Jahren 1859 bis 1867 wenig über zehn Prozent des letzteren Preises betragen hat, während er in den vorangehenden Jahren von 1850 bis 1858 über vierzehn Prozent betrug. Mit andern Worten: in letzterem Zeitraum hat man sich, wenn man im Frühjahr für den im Herbst zu liefernden Roggen fünfzig Thaler bezahlte, durchschnittlich um sieben Thaler geirrt, der Preis im Herbst wurde 43 oder 57 Thaler; in jenem Zeitraum dagegen entsprechend nur um fünf Thaler, der Preis wurde 45 oder 55 Thaler. — Mit diesen Zahlen ist vielleicht manch Räsonnement über die Wirkung der Differenzgeschäfte erledigt.

Sind wir nun aber schon am Ende und dürfen wir, in ökonomische Harmonien gewiegt, unsere Fragen verabschieden und behaupten, was jemals wider Börse und Spekulation gesagt ist, sei eitel Torheit und Verblendung? Es muss doch wohl etwas dahinter sein, wenn eine Meinung im Leben und in der Lehre mit solcher Entschiedenheit auftritt, wie es in diesem Falle seit Jahrhunderten unerschütterlich bis zur heutigen Stunde geschieht; wenn nicht bloß das Gefühl der Menge, das Dafürhalten des gebildeten Publikums, sondern auch das Urteil der Gelehrten, in deren Gebiet diese Betrachtungen gehören, mögen sie sonst völlig freier Bewegung im wirtschaftlichen Leben zugetan sein, wider die Spekulation der Börse sich laut erklärt und in Übereinstimmung mit der Regierung Verbote oder Strafen will, die jenes Wesen zu unterdrücken bestimmt sind. Ja, sollte hier nicht selbst die laute Polemik der Sozialisten einen wunden Punkt treffen, der ein wirkliches Symptom krankhafter Zustände in der Verfassung unserer Gesellschaft ist?

Ein neuerer französischer National-Ökonom macht zum Motto seines Lehrbuchs die Worte Hiobs: „l'homme naît, pour le travail“ und verwandelt damit den Stoßseufzer des armen Geplagten „der Mensch wird zum Leiden geboren“ in ein großes Schlagwort zur gelegentlichen Verwendung für pathetische Bedürfnisse seiner Landsgenossen. Ihm scheint nicht gegenwärtig zu sein, dass „travail“ so wie „Arbeit“ in der Sprache früherer Jahrhunderte die Qual, die Mühe bedeutet. Der Sinn, den unsere Zeit ihnen beilegt, ist erst auf jenem Grunde erwachsen und dieser Zusammenhang besteht noch ungetrennt fort und soll ferner fortbestehen. Hat eine gestiegene Gesittigung den Begriff der Arbeit durch die Einfügung eines edleren Moments erweitert, so zeigen die Erscheinungen der Gegenwart doch noch weithin, wie die Mühe der Arbeit gemieden, jener Fluch des ersten Menschenpaares noch heute als Fluch gilt. Und diejenigen, auf denen schwer die Mühsal des täglichen Broterwerbs lastet, die am Webstuhl des Elends kauern ihr Leben lang, um dürftig ein trauriges Dasein zu fristen — wie sollten sie anders die Arbeit kennen denn als Qual und Plage? Wie sollte der Segen der Arbeit hier gefühlt werden, wo sie in unablässiger Drangsal als Dienerin der harten Notwendigkeit vor die Unglücklichen hintritt und die Sklavenpeitsche schwingt. — Ein ganzes Leben voller Arbeit und dafür ein Lohn, der im besten Falle hinreicht, nicht sterben zu lassen — niemals, um leben zu lassen, leben wie es eines Menschengeschöpfes würdig, dass es inne werde dessen, was es ist und was es soll. — Solchen Tatsachen gegenüber nun eine Welt, in der das Ungefähr des Augenblicks alles, die Arbeit nichts zu schaffen scheint; Reichtümer, die spielend erworben scheinen, man weiß nicht mit welchen Mitteln, mit welchem Recht! Da sieht man eine Jammergestalt an Geist und Körper, die unfähig ist, teilzunehmen an jeglicher tüchtigen Arbeit der Gesellschaft, sei das nun ein Handwerk oder eine Kunst, der Beruf eines Gewerbes oder eines Amtes — zum Nabob emporgeschossen in wenigen Jahren durch das Glück der Börse! Wer bringt das in Einklang, oder gibt es hier überhaupt einen Einklang? Dort allein die Qual, hier allein der Gewinn; dort die Arbeit ein Gefängnis für Lebenszeit, hier die Mühe nie gekannt, ihre Fesseln abgeworfen und ein Lohn, wie keine Arbeit ihn gewährt! —

Diese Gegensätze sind da und es ist vergeblich sie zu leugnen. — Wir können freilich nicht anders, als die Bedeutung der Spekulation in der Volkswirtschaft nach ihrem Werte anzuerkennen und wir haben oben gesehen, was sie leistet; aber das darf uns nicht blind machen gegen jene menschliche Seite der Frage, die mit Recht sich täglich erhebt und keineswegs erledigt ist. Wenn jene Reichtümer der Börse das Resultat gescheiter Spekulationen sind, so wird man im Allgemeinen sagen müssen: wer dies leistet, erwirbt mit Recht seinen Lohn; jeder Andere mag es ihm nachtun, der die gleichen Fähigleiten besitzt: es ist eine intellektuelle Tätigkeit eigentümlicher Art, die hohen Lohn bringt, wie manche andere, und so lange wir die Welt nicht in Fouriers phalanstère sperren, wird es dabei bleiben, dass die selteneren wirtschaftlichen Fähigkeiten und Leistungen höheren Ertrag bringen als die gemeinen. — Es fragt sich aber, sind in den wirklichen individuellen Fällen die Gewinne regelmäßig die Folge scharfblickender Spekulation; war die Intelligenz des Gewinnenden immer eine höhere als die des Verlierenden, hat jener notwendig besser, weitaussehender berechnet als dieser? Wir antworten darauf: Nein. Es mag einer neun und neunzig Momente richtig erwogen und darauf seine Spekulation begründet haben; ein einziges, hundertstes, das er nicht erwartet, nicht hat erwarten können, führt den entgegengesetzten Erfolg herbei, und ein Anderer, der nichts von alledem, weder die neun und neunzig Gründe noch den hundertsten, erwogen, mag gewinnen, was jener verliert. Wenn die äußeren Verkehrsmittel und die weiterblickende Einsicht mehr und mehr die Anzeichen des Kommenden zum Verständnis bringen, so wächst andererseits beständig das Maß dessen was zu überblicken ist; mit der Erweiterung der internationalen Beziehungen mehrt sich die Zahl der einwirkenden Verhältnisse für jeden gegebenen Ort. Und so behauptet hartnäckig und unüberwindlich der blinde Riese, der Zufall, sein Reich — hier wird ihm ein Stück genommen, dort wächst ein anderes hinzu: nach seiner Laune wirft er dem unwürdigen Glückspilz Schätze zu und lässt den Besseren mit leeren Taschen hingehen. Hier, in der Macht dieses Herrschers, liegt eine wunde Stelle; mag die Macht auch keine absolute sein, aber ihre Beschränkungen vermögen weitaus zu wenig; es bleibt am Ende nur ein Schein-Konstitutionalismus, ein gebrechlicher Zustand des öffentlichen Rechts; die Kammerreden werden im besten Falle angehört, aber selten beachtet.

Und die Fähigkeiten selber, die in beharrlicher Übung dem Spekulanten dienen, ihm den Blick öffnen — die eigentümliche Intelligenz, die ihm unter seinesgleichen den Ruf erwirbt, er spekuliere gut, er sei ein tüchtiger Spekulant? Wie steht es damit? Ohne Zweifel mag sich auf diesem Gebiete, wie anderswo, Geist und Wissen Geltung verschaffen; gewiss kommen Fälle vor, wo ein geschickter und erfolgreicher Spekulant auch ein einsichtsvoller, tüchtiger Mensch ist; aber es ist weitaus die Minderzahl. Nicht nur dass in dem Handel der Börse die Schattenseiten alles Handels in den hässlichsten Gestalten hervortreten und damit ein Zerrbild menschlichen Treibens sich darbietet wie sonst nirgends im Verkehr; es scheint oft auch geradezu, als seien hier Fähigkeiten, Fertigkeiten die nützlichsten, die sonst in keiner Weise menschlicher Bildung eigentümlich — als komme auf diesem Felde eine besondere Qualifikation in Betracht, die mehr mit dem Spürsinn der Tiere als mit dem menschlichen Intellekt gemein hat; eine instinktive Belauschung des Kommenden und die Zuspitzung aller Sinne auf diesen Einen Punkt, ähnlich wie wohl die Hunde ihren Geruch schärfen und weit sicherer riechen als irgend ein Mensch: der Mensch hat mancherlei Anderes, dem er seinen Geist zuwendet, der Hund wird nicht durch erhebliche sonstige Interessen von dem Einen Zwecke abgezogen. — Es ist begreiflich, wie der beständige Wechsel der Nachrichten, der in einem Tage, in wenigen Stunden oft vielfach verschiedene Anregungen gibt, die Leidenschaften unablässig wach erhält, hier die Stimmung steigert, dort sie herabdrückt; wie die entgegengesetzten Interessen und Affekte hart aufeinander stoßen, das Zusammentreffen der Gegensätze um so ungefesselter von der Leidenschaft bestimmt wird, je unbedeutender der geistige und sittliche Fonds der beteiligten Persönlichkeiten ist. Was muss das auch für ein Leben sein, in welchem Tag und Nacht der eine Gedanke, die eine ungeduldige Angst, das eine unaufhörliche Erharren der neuen Kurse den ganzen Seelenzustand bedingen — ein fortwährendes Fieber der Aufregung, ein Dasein gewiss nicht beneidenswert!

So zeigt sich Börse und Spekulation in den großen Mittelpunkten der Gegenwart, in London, Paris, Wien, Berlin u. a. Orten — nicht bloß in außerordentlichen Augenblicken, sondern täglich und unabänderlich, hier etwas ärger, dort leidlicher; hier die ganze Gesellschaft hineinziehend in ihren Kreis, wenigstens die ganze „gute Gesellschaft“, so in Paris, dort etwas abgelegener und mehr beschränkt auf bestimmte Kreise der Geschäftswelt. — Die Hauptstadt von Frankreich hat einen alten traurigen Ruf in jener Richtung, und die Tatsachen des zweiten Kaiserreichs haben ein nicht Geringes dazu beigetragen. Mit der Sozietät des Crédit Mobilier ist im Jahre 1852 ein Institut ins Leben getreten, das im Grunde keinen andern Inhalt hatte, als die Spekulation aufs heilloseste zu übertreiben, verwerflich im Prinzipe, in der Ausführung aber mit dem schweren Verdacht arger Misswirtschaft und Veruntreuung beladen — nach kaum fünfzehn Jahren, trotz höchster Protektion, dem Schicksal der Fäulnis verfallen, deren Keime es von Anfang in sich trug. — Hier darf, hier kann, hier soll die Staatsgewalt dazwischen treten, und dass nichts von alledem geschehen ist in Paris, ja dass man solch ein Institut befördert hat, das ist ein schlimmer Vorwurf für die Regierung dort.

Es fragt sich aber, kann die Gesetzgebung gegen den regelmäßigen Gang der Börse in den alltäglichen Äußerungen ihres Verkehrs etwas leisten, kann eine andere Gestaltung innerhalb der Börse an den gegenwärtigen Zuständen etwas bessern?

Dass Verbotsgesetze gegen die Differenzgeschäfte erlassen werden, können wir nach dem, was wir uns oben klar gemacht haben, schwerlich verlangen; es liegt auch eine sattsam ausgedehnte Erfahrung vor, dass solche Gesetze den erwarteten Erfolg gar nicht gehabt, ja nur noch geschadet haben. Die preußische Regierung selber hat im Jahre 1852 den Antrag zur Abschaffung der früher erlassenen Verbote den beiden Häusern des Landtages vorgelegt und diese nahmen ihn mit allseitiger Zustimmung an. Die bei jener Vorlage entwickelten Motive sind vortrefflich dargelegt und fallen teilweise zusammen mit der von uns vorhin gewonnenen Einsicht in die Funktionen der Spekulation und der Börsenvermöge der gedachten Formen. Man hat ähnlich in fast allen Ländern Versuche auf dem Wege der gesetzlichen Verbote gemacht, aber allenthalben umsonst; die Gesetze bestehen in manchen Staaten — auf dem Papiere — noch heute; in den meisten hat man sie aufgehoben. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika erließen im Jahre 1864 strenge Verbote gegen die Differenzgeschäfte mit Gold, sie drohten schwere Geldbußen und Gefängnis an — nach wenigen Monaten waren die Verbote aufgehoben. Und es ist erwiesen, an diesem Punkte ist der Schritt zur Besserung der Missstände nicht zu tun, wenn überhaupt ein solcher Schritt zu tun ist. Die Frage ist falsch gestellt, wenn es heißt: „Sollte man nicht die Differenzgeschäfte unterdrücken?“ Sie muss lauten: „Welche Einrichtungen sind geeignet, die Schäden zu heben, die im Zusammenhange mit der besondern Art der Börse, der Spekulation und ihrer eigentümlichen Geschäfte stehen, und die in diesem Gebiete des Handels stärker hervortreten, als in einem andern?“ und daran knüpft sich dann die weitere Frage: „Was hat hier der Staat und was hat der Stand selber zu tun?“

Wenn die Handwerks- und Handelszünfte in ihrer Zeit einen sittlichen Wert besaßen, und wenn die Auflösung derselben nach dieser Seite eine Lücke gelassen hat, die noch ihrer Ausfüllung wartet: so tritt dieser Mangel heute am entschiedensten an den Punkten hervor, wo eine besondere Intensivität des Interesses, des Eigennutzes, die anderen menschlichen Triebe in den Hintergrund drängt und ein freies rücksichtsloses Spiel hat, nicht achtend die Pflichten, die daneben stehen. Ohne Zweifel ist nun in der absoluten freien Konkurrenz der Börsen jene rücksichtslose und entfesselte Bewegung der Interessen in dem höchsten Maße gegeben, und wenn eine Organisation in unserer Zeit dringend Not tut, so ist hier ein Feld, das ihrer vor allem bedürftig ist. Die Wiederbelebung der Kaufmannsgilden liegt hier freilich fern; aber der Gedanke, auf dem Grunde eines gemeinsamen Standesbewusstseins eine korporative Geschlossenheit herbeizuführen, ist darum nicht minder bedeutsam für unsere Gegenwart. Je leichter die heutigen Verhältnisse des Verkehrs und des Kredits die Einzelnen gleich Atomen hin- und Herwerfen, je leichter zumal die Beteiligung an den Geschäften der Börse nach ihrer Natur für den ersten besten möglich ist: um so fester sollte sich der Kreis schließen, um so strenger sollte das Auge des Standes über alle Einzelnen wachen. Es fehlt nicht an guten Elementen unter denen, welche die Börse besuchen, es mögen auch manche vortreffliche Männer darunter sein: diese werden am tiefsten das Widerstreben empfinden, sich alltäglich zu mischen unter eine Menge von unberufenen, geistig und sittlich niedrig stehenden Menschen, die hier Geschäfte treiben. Darunter sind Viele, die in mannigfaltigen Unternehmungen gescheitert, zuletzt — wenn sie alles verloren außer der Hoffnung, noch einmal reich zu werden oder doch leichten Gewinn zu machen — an der Börse ihr Glück versuchen, das denn freilich oft genug trügt. Es steht Niemandem ein Hindernis entgegen, alle beliebigen Geschäfte an der Börse zu machen, wenn es ihm ein jährliches Eintrittsgeld von wenigen Thalern lohnt — so ist es wenigstens heute in Berlin. Sollten sich hier nicht die einwirkenden Bemühungen der Staatsregierung mit den Wünschen der besseren Männer der Börsenkaufmannschaft verbinden und darauf hinzuwirken suchen, dass eine Umbildung der bestehenden Zustände vorgenommen, eine Korporation mit korporativem Geiste geschaffen werde, die streng und gerecht über ihre Mitglieder wacht nach den Prinzipien, die dem Urteil aller Gebildeten und Gesitteten entsprechen? Sie müsste keinen zu dem Ihrigen machen, der nicht in dieser Tätigkeit, wie sie ja an sich notwendig und nützlich ist, so gut wie in jeder andern, Achtung und Anerkennung als ein förderndes Glied der besonderen und der gesammten Gemeinschaft verdiente; wer aber, nachdem er einmal der Korporation angehört, sich der ferneren Zugehörigkeit unwürdig erweist, müsste durch das Urteil der besten und gerechtesten seiner Genossen gerichtet und entfernt werden. Selbstverständlich müsste mit Strenge darüber gewacht werden, dass außerhalb der Börsenkorporation keine Geschäfte der Art getrieben würden.

Liegt hier eine besondere sittliche Anforderung an die Qualifikation des Zuzulassenden vor, ist die Gefahr des Börsenhandels für den Menschen und sein ganzes Wesen eigentümlich dringend, so ist es in gleicher Weise berechtigt, die Probe sittlicher Fähigkeit an dem Maßstabe des Urteils der einsichtigen und tüchtigen Standesgenossen zu fordern, wie für wissenschaftliche oder amtliche Befähigung eine Prüfung verlangt wird. Erst hierdurch, durch eine innere Umgestaltung der jetzigen Börsen in der angedeuteten Richtung, möchte Aussicht auf eine Beförderung des sittlichen Einklanges sein, der bis heute noch fehlt, zwischen der Börsenspekulation und der Arbeit der Gesellschaft.

Wir möchten nicht schließen, ohne einen Blick zu werfen auf die Geschichte jener Spekulationen, deren Natur wir betrachtet, namentlich auf den Ursprung des Papierhandels. Staatsanleihen scheinen nicht die ersten Gegenstände desselben gewesen zu sein; vielmehr waren es wohl die Aktien der im Jahre 1602 begründeten Holländisch-Ostindischen Compagnie, welche bereits in dem ersten Jahrzehnt des siebzehnten Jahrhunderts die lebhaftesten Spekulationen veranlassten; es traten dazu sehr bald auch die Aktien der Westindischen Compagnie. Die Schwankungen ihres Wertes waren notwendig bedeutend, da die einwirkenden Nachrichten von weither, selten, oft kaum verlässlich, eintrafen, Vermutungen und Gerüchte ein großes Feld fanden, und die Neigungen der Zeit ohnehin auf gewagte, weitaussehende, in die Ferne übers Weltmeer schweifende Unternehmungen sich richteten. Schon damals erscheinen Verbote der Generalstaaten, das erste ist vom Jahre 1610, das zweite vom Jahre 1621, um den Aktienhandel auf Zeit zu unterdrücken; das Motiv hierfür ist freilich nur das staatliche Interesse an dem Steigen des Kurses; man hatte bemerkt, dass häufig Verkäufe von Aktien stattgefunden, die der Verkäufer gar nicht besessen. Bei strenger Strafe werden diese „unwürdigen Mittel“ im Interesse des „Staates, des Kredits der Compagnie, sowie der Witwen und Waisen, die daran beteiligt sind“, verboten.

In die unmittelbar darauf folgende Zeit fällt die Episode des wunderlichen Tulpenschwindels. Die Tulpen haben vor Zeiten eine größere Rolle in der eleganten Welt gespielt, als in unsern Tagen. Sie waren um den Beginn des siebzehnten Jahrhunderts aus dem Orient zuerst nach Europa gebracht; die Neuheit, die Seltenheit, die Mannigfaltigkeit der Farben machte sie zu einem Liebling der französischen Mode und zu einem Hauptgegenstande des Luxus; man zahlte in Paris Hunderte, ja Tausende von Thalern für eine leicht verwelkliche Tulpe, um sie einer Dame zu verehren, die sie dann an den Busen steckte. Noch im achtzehnten Jahrhundert zahlte man in Harlem für eine einzige Tulpenzwiebel mehrere hundert Thaler und landläufig ist dort die Anekdote von dem Matrosen, der sein Frühstück mit ein paar tausend Gulden in Gestalt von solchen Zwiebeln würzte, ohne zu ahnen, was für Schätze er da verschlang.

Die Höhe dieser Tulpen-Liebhaberei fiel in die letzten dreißiger Jahre des siebzehnten Jahrhunderts. Es wurde mit einem Male in Holland aller Orten fixe Idee, an Tulpen reich zu werden; man zahlte im Winter 1636 ein paar Monate lang unsinnige Preise, alles auf Lieferung in dem Frühjahr; da waren Leute aus allen Ständen, davongelaufene Handwerker, Landleute, Tagelöhner, die taten sich in einer Schenke zusammen und handelten um Tulpen. Es war ein Schwindel, der nicht lange dauern konnte; mit einem Male war er zu Ende. —

Diese Erscheinung ist eine ganz absonderliche, in solcher Weise nirgends wiederholt. Bei den neueren Aktienspekulationen hat man wohl öfter an jenes Beispiel erinnert; an Verblendung und Unsinnigkeit ist es aber schwerlich von einer derselben je erreicht worden. Eher ist damit zu vergleichen die Projektenwut der Zeit John Laws. Law fand bekanntlich im zweiten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts in dem Paris der Regentschaft bereiten Boden für extravagante Finanz- und Kreditpläne. Die Neigungen der Zeit waren ihm dermaßen günstig, dass nicht bloß in Frankreich, sondern namentlich auch in England und Holland eine wahre Spekulationswut entstand. Bis in die höchsten Kreise drang jene Manie und es war nicht der stark parfümierte Hof des Regenten allein, auch die vornehmen Kreise Londons waren tief in die Spekulationen verwickelt, welche das Jahr 1720 bezeichnen. Die Gegenstände derselben waren Aktien zu allen möglichen Unternehmungen und zu vielen unmöglichen; sie verschwanden bald, aber der Handel mit den Staatspapieren wurde damals ein regelmäßiges Geschäft. In England legte bereits die Regierung Wilhelms III. den Grund dazu. Glorreich wie die Revolution und segensreich wie Wilhelms Regiment für den Staat sein mochte, die Finanzlage wurde eine äußerst bedrängte. Ein Schriftsteller der Zeit klagt: „die Regierung erscheint wie ein in Not geratener Schuldner, der durch die unmäßige Gier des Darleihers ausgepresst wird und ausgesogen zum Tode. Die Bürger geben ihr Gewerbe auf und werden Wucherer; sie ziehen ihre Kapitalien aus den Unternehmungen und borgen lieber der Regierung das Geld.“ —

In London entwickelte sich der Staatspapierhandel, dass Stocksjobbing, um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts zu bedenklicher Höhe. Verbote waren auch hier, das erste bereits 1734, erschienen, freilich ohne Erfolg. In Frankreich erweiterte sich gleichfalls während des achtzehnten Jahrhunderts der Verkehr mit den Staatseffekten. Ein Staatsratsbeschluss vom Jahre 1724 galt der Unterdrückung der „Agiotage“. Die Regierung Ludwigs XVI. zeigte sich besonders eifrig, in Erinnerung daran neue Verbote zu erlassen, die um so ohnmächtiger wurden, je höher die Finanznot stieg. Beim Herannahen der äußersten Bedrängnis schleuderte Mirabeau eine seiner glänzendsten Schriften, die Dénonciation de l’Agiotage, nach Paris zurückkehrend 1787 dem Donner seiner Reden wie einen Blitzstrahl voraus. Es folgten später darauf die Dekrete der Schreckenszeit. —

In Deutschland ist während des ganzen vorigen Jahrhunderts kaum eine erhebliche Erscheinung der Börsenspekulation zu bemerken; erst gegen Ende desselben scheint die Berliner Börse sich zu entwickeln, um dann in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts einen lebhafteren Aufschwung zu nehmen.

Der lange Krieg, der die beiden Jahrhunderte scheidet, hinterließ allen beteiligten Staaten eine schwere Schuldenlast, namentlich Frankreich selber. Die Masse der neu kontrahierten Kriegsanleihen und Kriegskostenanleihen vermehrte um ein Bedeutendes das Material des Börsenhandels. Allmählich traten hinzu die neueren Kreditpapiere, namentlich die Anteilscheine der Eisenbahnen und industriellen Unternehmungen. Der ländliche Grundkredit war schon seit den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts durch die Pfandbrief-Institute in Deutschland, namentlich in Preußen, zum Gegenstande des Handels gemacht worden. Der städtische Bodenkredit ist noch heute im Wesentlichen der Börse fremd und die neueren Institute, welche diese Vermittelung beabsichtigen, haben nur wenig bisher leisten können. —

Die Kapitalsummen, welche durch die Kreditpapiere unserer Börsen repräsentiert werden, mag man daraus angedeutet nehmen, dass z. B. die Pfandbriefe der Preußischen Provinzen sich allein auf nahezu zweihundert Millionen, die Aktien der Preußischen Eisenbahnen, die nicht vom Staate gebaut sind, sich auf vielleicht vier- oder fünfhundert Millionen Thaler belaufen; die Preußischen Staatsanleihen betragen mehr als zweihundert Millionen Thaler. Alle diese Papiere sind zum weitaus größten Teile im inländischen Besitz. Dazu aber treten die mannigfaltigen andern, vornehmlich Anteilscheine der Banken, Obligationen der Eisenbahnen, und in erheblichem Umfange die Menge der ausländischen Staats-, Eisenbahn- und Industriepapiere. So mag die Börse von Berlin das Zentrum für eine Kapitalanlage von einigen tausend Millionen Thalern sein. Viel höhere Summen werden durch die Börsen von London, Paris, Wien, New-York vertreten. Die Englische Staatsschuld beträgt rund fünftausend Millionen, die Aktienunternehmungen sind dort weit verbreiteter und ansehnlicher als bei uns.

Wir verzichten auf die weiteren Zahlen; die Flut der Millionen möchte uns verwirren oder berauschen. Mit seinem Reichtum aber ist unser Jahrhundert noch weit entfernt von dem Ziele, das für alle ein menschenwürdiges Dasein will; und sehen wir um uns, wie viel daran noch fehlt, so müssen wir mit Demut bekennen: Mit allen Schätzen sind wir erst am Anfange — nicht am Ende. —

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Börse und die Spekulation