Die Besitzergreifung des Königreichs Birma durch die Engländer 1885

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 15. 1886
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Birma, England, Kolonialmacht, Kolonialkrieg,
Während im November 1885 die Aufmerksamkeit aller kontinentalen europäischen Mächte auf die serbisch-bulgarische Verwickelung gerichtet war, hat sich England in aller Stille und mit größter Schnelligkeit des schon in Heft 12 erwähnten blühenden hinter-indischen Königreichs Birma bemächtigt, von dem unsere Leser auf S. 357 eine Karte finden, die zugleich, durch etwas andere Schraffierung, die schon früher von Birma losgerissenen Gebietsteile, das sogenannte Britisch-Birma, und das angrenzende Bengalen hervorhebt, während die westlichen Nachbarländer Siam und die chinesische Südprovinz Jünnan weiß gelassen worden sind.

*********************************************************
Das Königreich Birma umfasst ein fruchtbares, an Naturschätzen aller Art reiches Gebiet von 457.000 Quadratkilometern Flächeninhalt und nahezu vier Millionen Einwohnern indo-chinesischer Rasse, die klein, gut proportioniert, von hellbrauner Farbe, lebhaft, gastfrei und Anhänger der buddhistischen Religion sind. Hauptverkehrsader ist der Irawadi, der das ganze Land von Norden nach Süden durchströmt und bei gewaltiger Breite herrliche, unserem Rheine ähnliche Uferlandschaften besitzt. Die Engländer hatten bereits zweimal — 1824 und 1852 — gegen Birma Krieg geführt und es durch Abtrennung der Küstenländer, die unter dem Namen Britisch-Birma annektiert wurden, nicht nur auf die Hälfte reduziert, sondern auch gänzlich vom Meere abgedrängt. Jetzt nun, wo Birma Miene machte, sich an Frankreich anzulehnen, schien es ihnen an der Zeit, auch den Rest einzustecken, was bei dem unkriegerischen Sinn der Bevölkerung und dem Mangel an jeder nennenswerten Truppenmacht ein ganz ungefährliches Beginnen war.

Den Vorwand zum Kriege gab eine Streitigkeit zwischen dem König Thibo von Birma und der Handelsgesellschaft Bombay-Birma, die von der anglo-indischen Regierung geschickt ausgebeutet wurde, um den längst geplanten und vorbereiteten Schlag zu führen. Da König Thibo, wie vorauszusehen war, sich den Forderungen der Engländer nicht sofort fügte, so fiel Mitte November eine Streitmacht von 10.000 Mann anglo-indischer Truppen unter dem Kommando des Generals Prendergast in Birma ein. General Prendergast ging von Rangun aus in Dampfschiffen den Irawadi aufwärts; ein ernster Widerstand von Seiten der Birmanen wurde nirgends versucht, und wo sich eine kleine Schar derselben hinter ihren Pfahlverhauen dem Vordringen der Engländer zu widersetzen wagte, da brachten die Schiffskanonen derselben schnell den Kampf zu Ende.

Der Kriegszug glich einer Spazierfahrt. Als sich General Prendergast mit seinem Geschwader am 26. November bis auf 50 Kilometer der Hauptstadt Mandalai genähert hatte, kam ihm eine vergoldete Staatsbarke entgegen, die eine Waffenstillstandsflagge führte und den birmanischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten an Bord hatte, welcher um Einstellung der Feindseligkeiten bat. General Prendergast forderte jedoch bedingungslose Unterwerfung, die auch, als er weiter vorrückte, am nächsten Tage erfolgte, so dass der englische General am 28. November in die Hauptstadt Mandalai einziehen konnte. Noch am selben Tage wurde König Thibo als Gefangener an Bord des englischen Dampfers „Thooreah“ gebracht, der darauf nach Rangun abdampfte. Von dort führte man den hohen Gefangenen nach Madras, um ihn in dem kleinen indischen Städtchen Arcot zu internieren. Den so schnell seines Reiches und seiner Herrschaft beraubten Monarchen zeigt uns das Bild auf Seite 356 mit seinen beiden Frauen nach einer, letztes Jahr in seinem Palaste zu Mandalai aufgenommenen Photographie. König Thibo ist der Sohn Mendug-Men's, des verstorbenen Königs von Birma, und im Jahre 1858 geboren. Er war ursprünglich nicht zur Nachfolge bestimmt, sondern gelangte dazu im Jahre 1873 durch die Intrigen der Königin-Witwe Alainam Daw Pyah, deren zweite Tochter Soo Pyah Lat er zur Frau nahm. Dieser sehr hübschen, intelligenten und wie ihre Mutter intriganten Prinzessin, die wir links neben dem Könige auf dem Lager ruhen sehen, und dem mit ihr verbündeten ersten Minister werden jetzt die an des Königs Verwandten verübten Mordtaten zur Last gelegt, welche die Engländer fälschlich Thibo zuschrieben. Der junge, wohlgestaltete Monarch, dessen etwas schläfrige Züge aber wenig Geist und Energie verraten, scheint von diesen Beiden und der Königin-Witwe in steter Abhängigkeit gehalten worden zu sein. Im Jahre 1883 heiratete er noch die jüngere Schwester seiner Gemahlin, Soo Pyah Glay, welche als zweite Königin im Range der ersten nachsteht und links, etwas entfernt vom König, auf unserem Bilde sichtbar ist. Der entthronte Monarch wird sein Vaterland wohl nie wiedersehen, denn schon am 1. Januar 1886 wurde durch den Vizekönig von Indien die Einverleibung des Königreichs Birma in das indische Reich der Königin von England und Kaiserin von Indien proklamiert. Die Birmanen selbst stehen dem Wechsel der Herrschaft anscheinend mit großer Gleichgültigkeit gegenüber, denn nur im Norden des Landes führen noch kleine Trupps von Freischärlern einen Guerillakrieg gegen die Engländer, während das ganze Land sonst ruhig ist und sich bedingungslos dem Sieger unterworfen hat.

Birma - König Thibo mit seinen beiden Frauen im Palst zu Mandalai

Birma - König Thibo mit seinen beiden Frauen im Palst zu Mandalai

Birma - Karte des durch die Engländer eroberten Königreichs mit den angrenzenden englischen Besitzungen

Birma - Karte des durch die Engländer eroberten Königreichs mit den angrenzenden englischen Besitzungen