Die Berliner Volksküchen. 1878

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1878
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Armenspeisung, Armenküchen, Volksküchen, Unterstützungskassen, Konsumvereine, Speisegenossenschaften, sozial, Arbeiterstand
Die Bestrebungen zur Erleichterung des Looses der arbeitenden Klassen in den beiden jüngsten Jahrzehnten haben außer den Konsumvereinen, Spar- und Unterstützungskassen aller Art, der Errichtung von Arbeiter-Wohnungen und ähnlichen gemeinnützigen Einrichtungen auch das Institut der Volksküchen hervorgerufen, in welchen die arbeitenden Klassen um einige Pfennige eine große Portion nahrhafter warmer Speise verabreicht erhalten, welche zur Sättigung eines erwachsenen Menschen vollkommen ausreicht.

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Das Prinzip der gemeinsamen Unternehmung, welche z. B. den Konsumvereinen und den Speisegenossenschaften der englischen Arbeiter zu Grunde liegt, fehlt allerdings bei den Volksküchen, weil diese nicht mit den Mitteln der die Volksküchen benützenden Konsumenten errichtet worden sind, sondern meist entweder auf Kosten öffentlicher Körperschaften, oder durch das gemeinsame uneigennützige Zusammenwirken von wohlhabenden Personen geschaffen wurden, um für denjenigen Teil der ärmeren Bevölkerung, welche keine eigene Küche führen können, eine gute und nahrhafte Verköstigung mit warmen Speisen zu beschaffen. In den Volksküchen werden diese Speisen in großen Mengen zubereitet und portionsweise zum Selbstkostenpreise der Anstalt (ja sogar häufig noch unter demselben) an Jedermann verabreicht. Es bedarf keines näheren Nachweises über die ungemein segensreichen Wirkungen dieser Anstalten für die große Menge der arbeitenden Klassen, welche auf diese Weise regelrecht und billig ernährt werden, ohne dabei Zeit und Mühe für Besorgung der Küche zu verlieren; ursprünglich in Notzeiten eingerichtet, haben die Volksküchen ihren dauernden Nutzen so sehr bewährt, dass man sie auch nach
Beendigung des Notstandes im Gange erhielt und nach und nach in allen größeren deutschen Städten einführte. Die erste Volksküche ward 1851 in Leipzig eingerichtet; diesem Beispiele folgte dann die Volksküche des Maschinenfabrikanten Georg Egestorff in Linden bei Hannover, worin bald 2000 Personen täglich gespeist wurden. Der Notstand, welchen der Krieg von 1866 in Berlin hervorrief, veranlasste dort ebenfalls die Errichtung von Volksküchen, um deren Leitung, Förderung und Vermehrung sich insbesondere Frau Lina Morgenstern, welche auch mehrfach über diesen Gegenstand geschrieben, verdient gemacht hat. Gegenwärtig bestehen in Berlin eine größere Anzahl solcher Volksküchen in allen Stadtvierteln, wo an die Konsumenten eine reichliche Portion von Fleisch und Gemüse um 18—20 Pfennige, von Milchspeise oder Gemüse um 12—15 Pfennige in hellen reinlichen Lokalen verabreicht wird, und zwar so, dass die Konsumenten ihre Portion entweder sogleich im Lokal verspeisen oder für sich und die Ihrigen nach Hause nehmen können. Trotz der bekannten volkstümlichen Zweifel- und Tadelsucht der Berliner werden diese Volksküchen, deren Inneres unsere charakteristische Zeichnung auf S. 364 darstellt, doch von dem besseren Teil der Arbeiterbevölkerung recht fleißig benützt und als eine Wohltat anerkannt. Jeder Unbefangene, welcher die gereichten Speisen prüft, muss in der Tat anerkennen, dass die Verpflegung der Volksküchen in Quantität und Qualität allen billigen Anforderungen entspricht, und darum ist den genannten Anstalten auch fernerhin ein gedeihliches Weiterwirken zu wünschen.

Eine Berliner Volksküche

Eine Berliner Volksküche