Die Befreiung 1813 - 1814 - 1815. Teil 4

Urkunden Berichte Briefe mit geschichtlichen Verbindungen von Tim Klein
Autor: Wilhelm Langewiesche-Brandt, Erscheinungsjahr: 1913
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Indem ich mich von einer öffentlichen Meinung feierlich lossage, die mich umgibt, bin ich genötigt, sie in ihren Hauptzügen flüchtig zu berühren.

Die Meinung, daß man Frankreich widerstehen könne, ist unter uns fast gänzlich verschwunden. Man glaubt also an die Notwendigkeit . . . einer Unterwerfung aus Gnade und Ungnade, endlich einer Entsagung aus den Vorzug eines eigenen Fürstenhauses. Man gibt diese Gradationen der Übel mit Achselzucken zu und errötet höchstens, indem man die Augen niederschlägt.

Dies ist die allgemeine Stimmung. Einzelne zeichnen sich noch durch die Frechheit aus, mit der sie auf die Sicherheit und den ruhigen Genuss des bürgerlichen Eigentums pochen; auf die Notwendigkeit, diesem alles zu opfern, auch die Rechte des Königs, auch die Ehre des Königs, auch die Sicherheit und Freiheit des Königs!

Dies ist die öffentliche Meinung mit wenig Ausnahmen. Die Art, sie zu bekennen, ihr nachzuleben, unterscheidet die verschiedenen Stände und in den Ständen die Individuen. Die vornehmen Stände sind die Verderbteren; Hof- und Staatsbeamte die Verderbtesten.

Sie wünschen nicht bloß wie die andern Ruhe und Sicherheit, sie sind nicht bloß des Gedankens entwöhnt, unter Gefahren ihre Pflicht zu erfüllen, sondern sie verfolgen auch jeden mit unversöhnlichem Hass, der nicht verzweifelt.

Denn was ist es anders als verzweifeln, wenn man unsern Zustand und einen viel schlimmeren, welcher folgen wird, jedem Widerstände vorzieht?

Wer also nicht verzweifelt an der Erhaltung des Staates auf dem Wege der Pflicht und der Ehre, wer nicht glaubt, daß nur die bedingungsloseste schändlichste Unterwerfung Pflicht sei, und daß es der Ehre nicht bedürfe, der ist ein Staatsverräter, der darf sicher sein, von jenen pflichtvergessenen Staatsbeamten gehasst, verfolgt, vor dem Publikum verleumdet, vor dem Könige angeklagt und - dem Französischen Gesandten verraten zu werden.

. . . Doch wenden wir den Blick hinweg von diesen traurigen Zeichen der Nationalverderbtheit, die wie Geschwüre äußere Zeichen einer tiefen Krankheit sind, von der das Ganze nur allzu leicht untergraben, vergiftet und aufgelöst werden kann.

Alle diejenigen, welche nicht durch die Verderbtheit ihres Herzens und ihrer Grundsätze zu einen solchen Bekenntnis der Furcht und der Mutlosigkeit gekommen sind, wie es an der Tagesordnung ist, sind nicht auf immer verloren, sondern konnten und würden sich zu einem besseren Dasein erheben, wenn ihnen dazu die Hand gereicht würde.

Man kann es bei aller Anhänglichkeit an die Regierung sich nicht verhehlen, daß vorzüglich der Mangel an Vertrauen zu ihr die Quelle der allgemeinen Mutlosigkeit ist. Ebensowenig Vertrauen hat die Regierung gegen die Untertanen, ja sogar gegen sich selbst. Dieser gänzliche Mangel an Vertrauen auf Sich und andere ist die allgemeine Ursache unserer öffentlichen Meinung, das beständige Einwirken der Weichlinge, lasterhaften und Pflichtvergessenen auf diese Meinung ist die Ursache der öffentlichen Meinung.

Von dieser Meinung und Stimmung, womit man sich bei uns schmückt, als sei sie aus dem reinen Gefühl für das Wohl aller entsprungen oder eins mit demselben, sage ich mich feierlich los;

ich Sage mich los, von der leichtsinnigen Hoffnung einer Errettung durch die Hand des Zufalls;

von der dumpfen Erwartung der Zukunft, die ein stumpfer Sinn nicht erkennen will;

von der kindischen Hoffnung, den Zorn eines Tyrannen durch freiwillige Entwaffnung zu beschwören, durch niedrige Untertänigkeit und Schmeichelei sein Vertrauen zu gewinnen; von der falschen Resignation eines unterdrückten Geistesvermögens; von dem unvernünftigen Misstrauen in die uns von Gott gegebenen Kräfte; von der sündhaften Vergessenheit aller Pflichten für dos allgemeine Beste; von der schamlosen Aufopferung oller Ehre des Staats und Volks, aller persönlichen und Menschenwürde; ich glaube und bekenne, daß ein Volk nichts höher zu achten hat, als die Würde und Freiheit seines Daseins; daß es diese mit dem letzten Blutstropfen verteidigen soll; daß es keine heiligere Pflicht zu erfüllen hat, keinem höheren Gesetz zu gehorchen; daß der Schandfleck einer feigen Unterwerfung nie zu verwischen ist; daß dieser Gifttropfen in dem Blute eines Volks in die Nachkommenschaft übergeht und die Kraft später Geschlechter lähmen und untergraben wird; daß man die Ehre nur einmal verlieren kann; daß die Ehre des Königs und der Regierung eins ist mit der Ehre des Volks und das einzige Palladium seines Wohls; daß ein Volk unter den meisten Verhältnissen unüberwindlich ist in dem großmütigen Kampf um seine Freiheit;

daß selbst der Untergang dieser Freiheit nach einem blutigen und ehrenvollen Kampf die Wiedergeburt des Volks sichert und der Kern des Gebens ist, aus dem einst ein neuer Baum die sichere Wurzel schlägt;

ich erkläre und beteuere der Welt und Nachwelt, daß ich die falsche Klugheit, die sich der Gefahr entziehen will, für das Verderblichste halte, was Furcht und Angst einflößen können; . . . daß ich die warnenden Begebenheiten alter und neuer Zeit, die weisen Lehren ganzer Jahrhunderte, die edlen Beispiele berühmter Völker nicht in dem Taumel der Angst unserer Tage vergesse und die Weltgeschichte hingebe für das Blatt einer lügenhaften Zeitung;

daß ich mich reinfühle von jeder Selbstsucht, daß ich jeden Gedanken und jedes Gefühl in mir vor allen meinen Mitbürgern mit offener Stirn bekennen darf, daß ich mich nur zu glücklich fühlen würde, einst in dem herrlichen Kampf um Freiheit und Würde des Vaterlandes einen glorreichen Untergang zu finden!

Verdient dieser Glaube in mir und in den mir Gleichgesinnten die Verachtung und den Hohn unserer Mitbürger?

Die Nachwelt entscheide hierüber!

Auf dem heiligen Altar der Geschichte lege ich dieses leichte Blatt nieder in dem festen Vertrauen, daß, wenn der Sturm der Zeit es hinweggeweht, einst ein ehrwürdiger Priester dieses Tempels es sorgfältig aufheben und in das Jahrbuch des vielbewegten Völkerlebens einheften werde. Dann wird die Nachwelt richten und von dem Verdammungsurteil die aufnehmen, welche dem Strom der Verderbtheit mutig entgegengerungen und das Gefühl der Pflicht treu wie einen Gott im Busen bewahrt haben.

V. Die Zeichen der Zeit.
Aus den "Drei Bekenntnissen" von Clausewitz.
(Aus dem Jahre 1812.)