Stalgen, am 10. Dezember l812.

,,.... Ein Offizier, der von Wilna kommt, verbreitet unter uns Absurditäten über diese Stadt; er behauptet, daß er den Kaiser habe durchziehen sehen, um sich nach Kowno zu begeben. Und Ew. Exzellenz würden ihm folgen.

Ich kann nicht alles glauben was ich in den russischen Bulletins lese, die ich Ihnen schicke, obwohl man Personen zitiert, von denen ich weiß, daß sie zum zweiten und neunten Korps gehören; ich erwarte von einem Augenblick zum andern Aufklärung von Ihnen. Endlich ist die Bombe mit dem General Yorck geplatzt; ich glaubte mehr Festigkeit zeigen zu müssen bei den Zuständen unseres Heeres, welche die Herren vom preußischen Generalstab in Umlauf bringen, anstatt sie zu unterdrücken. Das Korps ist gut, aber man verdirbt es; der Geist hat sich zum Erstaunen verändert, aber einige Gnadenerweise und Belohnungen - und ich werde es leicht wieder zurecht bringen, vorausgesetzt, daß die Offiziere, die ich bezeichne, auf der Stelle entfernt werden; man wird sie nicht vermissen, zwei Drittel der Armee verabscheuen sie.“


Der erste dieser beiden Briefe würde einem Manne wie Yorck nicht imponiert haben, aber für eine militärische Scheinrechtfertigung, wenn der preußische Hof sich derselben gegen den französischen bedienen wollte, war es viel. Der zweite Brief mußte wenigstens in des Generals Yorck Seele alle Bitterkeit zurückrufen, die sich vielleicht seit einigen Tagen in dem Gefühl der eigenen Schuld gegen Macdonald vermindert haben mochte. - Als der Verfasser zum General Yorck ins Zimmer trat, rief ihm dieser entgegen: „Bleibt mir vom Leibe, ich will nichts mehr mit Euch zu tun haben. Eure verdammten Kosaken haben einen Boten Macdonalds durchgelassen, der mir den Befehl bringt, auf Piktupöhnen zu marschieren, um mich dort mit ihm zu vereinigen. Nun hat aller Zweifel ein Ende, Eure Truppen kommen nicht an, Ihr seid zu schwach, ich muss marschieren und verbitte mir jetzt alle weiteren Unterhandlungen, die mir den Kopf kosten würden.“ Der Verfasser sagte, daß er dem General hierauf nichts entgegnen wolle, daß er ihn aber bitte, Licht geben zu lassen, weil er ihm einige Briefe mitzuteilen habe: und da der General noch zu Zögern schien, setzte der Verfasser hinzu: ,,Ew. Exzellenz werden mich doch nicht in die Verlegenheit setzen wollen abzureisen, ohne meinen Auftrag ausgerichtet zu haben.“ Der General Yorck ließ hierauf Licht geben und aus dem Vorzimmer seinen Chef des Generalstabes, den Oberst Roeder, hereintreten. Die Briefe wurden gelesen. Nach einem augenblicklichen Nachdenken sagte General Yorck: „Clausewitz, Sie sind ein Preuße; glauben Sie, daß der Brief des Generals d’ Auvray ehrlich ist, und daß sich die Wittgensteinischen Truppen am 3l. wirklich auf den genannten Punkten befinden werden? Können Sie mir Ihr Ehrenwort darauf geben?“ Der Verfasser erwiderte: „Ich verbürge mich Ew. Exzellenz für die Ehrlichkeit des Briefes nach der Kenntnis, die ich von General d’ Auvray und den übrigen Männern des Wittgensteinischen Hauptquartiers habe; daß diese Dispositionen so ausgeführt sein werden, kann ich freilich nicht verbürgen, denn Ew. Exzellenz wissen, daß man im Kriege mit dem besten Willen oft hinter der Linie zurückbleiben muss, die man sich gezogen hat.“ Der General schwieg noch einige Augenblicke ernsten Nachdenkens, reichte dann dem Verfasser die Hand und sagte: „Ihr habt mich. Sagt dem General Diebitsch, daß wir uns morgen früh auf der Mühle von Poscherun sprechen wollen, und daß ich jetzt fest entschlossen bin, mich von den Franzosen und ihrer Sache zu trennen.“ Es wurde die Stunde auf acht Uhr morgens festgesetzt. Als dies feststand, sagte der General Yorck: „Ich werde aber die Sache nicht halb tun, ich werde Euch auch den Massenbach verschaffen.“ (Massenbach war General unter Yorck.) Er ließ hieraus einen Offizier hereintreten, der von der Massenbachschen Kavallerie und eben angekommen war. - ungefähr wie Wallenstein sagte er, im Zimmer auf und niedergehend. „Was sagen Eure Regimenter?“ Der Offizier ergoss sich sogleich in Enthusiasmus über den Gedanken, von dem französischen Bündnisse loszukommen, und sagte, so fühle jeder einzelne ihrer Truppen. „Ihr habt gut reden, Ihr jungen Leute, mir Alten aber wackelt der Kopf auf den Schultern!“ erwiderte Yorck. - Ganz beglückt eilte der Verfasser nach Willkischken zurück, und am andern Morgen begleitete er den General Diebitsch zu jener Mühle, wo sich der General Yorck in Begleitung des Obersten von Roeder und seines ersten Adjutanten, des Majors von Seydlitz, einfand. Außer dem Verfasser begleitete den General Diebitsch nur der Graf Dohna, so daß sich bei dieser Verhandlung lauter geborene Preußen befanden.

(Clausewitz, Der Feldzug 1812 in Rußland.)


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Befreiung 1813 - 1814 - 1815. Teil 2