II. Die Katastrophe in Russland.

Am 26. Juni 1812 überschritt Napoleon den Niemen, am 28.Juni zog er in Wilna ein. Er verhinderte die Vereinigung der beiden russischen Hauptarmeen unter Barcla de Tolly und Bagration, und erst als Napoleon nicht auf St. Petersburg, sondern geraden Wegs nach Moskau marschierte, trafen sich die russischen Heere anfangs August in Smolensk. Inzwischen waren die russischen Landwehren und die Kosakenheere ins Feld gerufen, feurige Proklamationen hatten den Krieg zum heiligen Nationalkrieg erklärt. Am Hofe Alexanders I. war der Freiherr vom Stein, in dessen Hand die Fäden der deutschen Befreiungsbewegung zusammenliefen, die Seele des Widerstandes. Die Stimmung des Volkes war derart, daß der Zar nicht daran denken durfte, nachzugeben. - Als auch Napoleon in Smolensk, am Eingangstor ins alte Russland, angelangt war, hatte er durch Hunger, Krankheit, Fahnenflucht, Marsch- und Gefechtsverluste von der Hauptarmee schon 100.000 Mann und 80.000 Pferde verloren. Die Disziplin des zusammengewürfelten Heeres war schon in bedrohlichem Maße gelockert. In der ersten großen Hauptschlacht des Feldzuges vom 15. bis zum 18. August wurde um den Besitz von Smolensk blutig gekämpft, die Stadt von den Franzosen in Brand geschossen. Der Plan der Russen, Napoleon immer tiefer ins Land zu locken, wurde durchgeführt, und die Russen zogen sich auf Moskau zurück. Am 20. August ersetzte der alte Feldherr Kutusow den bisherigen Führer Barclay de Tolly, und Kutusow stellte sich bei Borodino, westlich von Moskau, am 7. September zur Schlacht, der blutigsten dieses Krieges. „Hier ist auch nicht ein Fußbreit Erde, worauf ein Feiger sich bergen möchte.“ Napoleon brach sich Bahn und zog am 14. September in das heilige Moskau ein. Er war schon zu tief in den Herbst gekommen. Wohl fanden sich in Moskau viele Vorräte. Was aber die Franzosen brauchten, das waren Menschen. Die Stadt war menschenleer. Dazu begann sie schon am ersten Tag zu brennen. Napoleon konnte in Moskau nicht überwintern. Seine Armee war von 300.000 Mann auf 90.000 Mann zusammengeschmolzen seine Pferde zugrunde gerichtet, rechts von ihm stand eine 110.000 Mann starke feindliche Armee, um ihn herum brandete ein bewaffnetes Volk, er hatte keine Magazine, keine hinreichenden Munitionsvorräte, nur eine einzige, ganz verwüstete Verbindungsstraße mit seinem Reich. Seine Friedensangebote blieben unbeachtet. So gab er denn am 18. Oktober den Befehl zum Rückzug. nach anfänglichem Ausbiegen in südlicher Richtung betrat die „Große Armee“ am 29. Oktober den alten Leidensweg. Die schrankenlose Plünderung in Moskau hatte die Mannszucht de^ französischen Heeres aufgelöst. Regen, dann Kälte und Hunger, dazu die Kosakenschwärme rieben das Heer auf. Mit nur mehr 42.000 Mann kam napoleon am 10. November nach Smolensk. Am 26. November stand er trotz Verstärkung mit nur 11.000 Mann an der Beresina. Dort zeigte sich noch einmal die Größe seines Geistes, die kriegerische Tugend seinem Heeres in vollem Glanze. „Vous voyes, comme on passe sous la barbe de l’ennemi.“ (Sie sehen, wie man unter dem Bart des Feindes entwischt.) Er überschritt den Fluss. Am 2. Oktober war die Armee auf 9.000 zusammengeschmolzen. Trotz Verstärkung verließ sie Wilna am 11. Dezember nur 4.000 Mann stark. Beim Übergang über den Niemen am 13. Dezember betrugen die Überreste noch 1600 Mann Bewaffnete. Die Nachzügler und Waffenlosen überschritten nur in geringer Zahl die russische Grenze. Als sich Ende Januar die Hauptarmee hinter der Weichsel gesammelt hatte, betrug sie nur 13.000 Mann, darunter 2200 Offiziere, dazu kamen Macdonalds und Reyniers 10.000 Mann, die österreichischen und preußischen Truppen betrugen 35.000 Mann; der ganze Rest also etwa 58.000 Mann. - Mit Einschluss der Nachschübe war die ganze Armee 610.000 Mann stark gewesen, es waren also in Russland tot oder gefangen zurückgeblieben 552.000 Menschen. Die Armee hatte 182.000 Pferde bei sich gehabt. Bei dem Rest befanden sich noch 15.000, verloren waren also 167.000 Pferde. Sie hatte zuletzt 1372 Geschütze, der Rest hatte zurückgebracht 150, also sind über 1200 verlorengegangen. – Am 5. Dezember 1812 hatte Napoleon bei Smorgonji sein Heer verlassen, nachdem er im 29. Bulletin der „Großen Armee“ vom 3. Dezember mit dürren Worten der Welt von den Ereignissen Kunde getan. Er eilte, da und dort erkannt, aber nicht ergriffen, durch Deutschland nach Paris. Dort traf er am 18. Dezember nachts um 11 Uhr ein. Am 11. Januar 1813 stellte ein Senatsbeschluss dem Kriegsminister 350.000 Mann zur Verfügung, nämlich 100.000 Mann der im Land gebliebenen und dort ausgebildeten „Kohorten“, 100.000 bisher nicht einberufene Rekruten der Aushebungen von 1809, 1810, 1811 und 1812 und 150.000 Mann des Jahrgangs 1814. - Seine rheinbündischen Vasallen hielt Napoleon mit Versprechungen und Drohungen bei sich. Mit Österreich liefen Verhandlungen, in denen Graf Metternich, seit 1810 Leiter der österreichischen Politik, sich die Rolle einer bewaffneten Vermittlung unter den Mächten erhandeln wollte. Den verstümmelten Kleinstaat Preußen hielt Napoleon für unfähig, ihm zu schaden. ,,Die Preußen sind keine Nation, sie haben keinen nationalen Stolz, sie sind die Gaskogner von Deutschland.“ Inzwischen aber war an der russischen Grenze ein Ereignis eingetreten, das den Anstoß gab zur Erhebung des preußischen Volkes. General York erklärte das preußische Hilfskorps, das unter dem Marschall Macdonald auf dem linken Flügel der ,,Großen Armeen in den Ostseeprovinzen gestanden hatte, für neutral.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Befreiung 1813 - 1814 - 1815. Teil 1