Projektbeschreibung dritter Teil

Am 16. Januar 1876 wandte sich der mecklenburgische Kanalverein an das preußische Haus der Abgeordneten mit dem eingehend begründeten Ersuchen:
die vorstehend mitgeteilten Anträge dem Handelsminister zur
Berücksichtigung zu empfehlen.

In dieser Eingabe ward namentlich hervorgehoben, dass das Zustandekommen des Rostock-Berliner Kanals, dessen technische Projektierung vollendet, der von allen projektierten Kanälen am billigsten und leichtesten herzustellen ist, der Preußen für seine Strecke entweder überall keine, oder doch nur äußerst geringe finanzielle Opfer auferlegt, der für den Wohlstand der Provinz Brandenburg von größter Bedeutung ist, der Berlin die Rohprodukte der beiden Mecklenburg auf die billigste Weise zugänglich macht und die Hauptstadt des deutschen Reiches in fast gerader Linie mit der Ostsee in Verbindung setzt, — nicht bloß an und für sich selbst von dem größten wirtschaftlichen Wert, sondern auch zugleich für die Entwicklung eines deutschen Kanalnetzes von entscheidender Bedeutung sei. Wenn ein solcher mit allen modernen technischen Mitteln ausgerüsteter Kanal seine enorme Leistungsfähigkeit bewiesen haben werde, dann würde das Kapital sich auch den bisher so stiefmütterlich behandelten Kanälen zuwenden.


Diese Eingabe ward der Budget-Kommission überwiesen, welche am 17. Februar 1876 darüber verhandelte und den Abgeordneten Louis Berger zum Berichterstatter für das Plenum erwählte. Nach dem vortrefflichen und gründlichen Bericht dieses Abgeordneten vom 28. April 1876 hatte die Budget-Kommission dem Hause der Abgeordneten den Antrag, die Petition der Königl. Staatsregierung mit der Aufforderung zu überweisen, eine technische und wirtschaftliche Prüfung des Rostock-Berliner Kanals vorzunehmen, zur Annahme empfohlen. In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 21. Juni 1876 fanden nun sehr eingehende interessante Verhandlungen über diesen Antrag statt. Derselbe ward von dem Herrn Handelsminister Dr. Achenbach und dem Regierungs-Kommissarius, Herrn Geh. Oberregierungsrat Homeyer, bekämpft, wogegen die Herren Abgeordneten Berger, Dr. Hammacher und Dr. Dohrn denselben verteidigten. Kein Redner des Hauses trat gegen den Antrag auf und ward derselbe schließlich vom Hanse angenommen.

Wenngleich der Antrag vom Regierungstische aus bekämpft ward, so darf man doch das Ergebnis der Verhandlungen im Abgeordnetenhause als ein sehr erfreuliches und die Ausführung des Kanals förderndes ansehen.

Die Verhandlungen in der Budget-Kommission und im Hause, sowie der Beschluss des letzteren haben gezeigt, dass dasselbe die Überzeugung gewonnen hat, dass das Kanalprojekt von hoher Bedeutung für Preußen und insbesondere für die Provinz Brandenburg ist und dass es daher gründlich geprüft und gewürdigt zu werden verdient. Dabei ist zu beachten, dass das Heß'sche Gutachten dem Abgeordnetenhause noch nicht vorlag und dass letzteres daher noch nicht ermessen konnte, in welchem Maße die landwirtschaftlichen Interessen der Provinz Brandenburg durch die Ausführung des fraglichen Projekts gefördert werden. Wenn erst jenes Erachten zur Kenntnis des Hauses gelangen wird, so steht zu erwarten, dass das Interesse desselben für das Zustandekommen des projektierten Kanals sich noch erheblich steigern wird.

Aus den Verhandlungen im Abgeordnetenhause: ist auch zu entnehmen, dass die bisherige abwehrende Haltung des Herrn Handelsministers gegenüber dem Kanalprojekt hauptsächlich darin ihren Grund gehabt hat, dass die Lokalinteressenten sich noch nicht zu Opfern für die Ausführung des Kanals bereit erklärt haben. Se. Exzellenz hat das Komitee für den Rostock-Berliner Kanal aufgefordert, dass dasselbe, wenn die Lokalinteressenten und namentlich die Stadt Rostock sich bereit erklärt haben würden, Opfer für die Sache zu bringen, sein Gesuch erneuern möge, in welchem Falle der Herr Handelsminister sich in anderer Weise dem Projekte gegenüberstellen würde. Wir haben dies dankbar anerkannt, und der mecklenburgische Kanalverein hofft bald in der Lage zu sein, den geforderten Nachweis zu erbringen.

Da das vorhin gedachte hohe Reskript des Handelsministers vom 12. Juni 1875 auf das erwähnte Gutachten der genannten beiden Regierungs-Bauräte mitbegründet war, so erschien es zweifelhaft, ob der Ablehnung des Gesuches der beiden Komitees in Rostock und Neu-Ruppin vom 11. und 21. Februar 1875 bereits eine technische Prüfung des Projekts im preußischen Handelsministerium vorangegangen war. Wäre dies der Fall gewesen, so konnte das Gesuch vom 5. Oktober 1875 um eine erneuerte technische Prüfung des Projekts im Handelsministerium selbst schwerlich auf Erfolg rechnen. Aus den Verhandlungen in der Budget-Kommission und im Abgeordnetenhause geht aber hervor, dass bisher eine technische Prüfung nicht stattgehabt hatte. Der Regierungs-Kommissarius hat sich dahin geäußert, dass eine ausschließlich aus technischen Gründen erfolgende Verwerfung des Projekts nur unter Mitwirkung der für dieses Fach im Handelsministerium vortragenden Räte, nicht auf das Gutachten der Regierungsbauräte eintreten könnte. Der Handelsminister hat zugegeben, dass er gegenwärtig nicht zu entscheiden wüsste, ob die Ausstellungen der Techniker der Potsdamer Regierung wider das Projekt berechtigt seien oder nicht. Die Resultate dieser technischen Prüfung sind auch in der Budget-Kommission als zutreffend bestritten worden. Vom Regierungs-Kommissarius ward anerkannt, dass eine erneuerte technische Prüfung des Projekts neben dem eingehendsten Studium der umfangreichen Vorarbeiten eine spezielle Vereisung der verschiedenen in Betracht kommenden Kanallinien und des Sammelgebietes der Scheitelstrecke erfordern würde. Damit aber hat der Regierungs-Kommissarius selbst dem vom grünen Tisch aus abgestatteten Erachten der beiden Regierungsbauräte allen Wert abgesprochen. Rücksichtlich der Dimensionenfrage haben sich die Abgeordneten Berger und Dr. Hammacher auf Grund der Beschlüsse des im Jahre 1872 stattgehabten Technikerkongresses und auf Grund der in Frankreich, Belgien und Holland gemachten Erfahrungen für die auch für das Rostock-Berliner Kanalprojekt angenommene Minimal-Wassertiefe von 2 Meter erklärt. Der Handelsminister hat mitgeteilt, dass über die Frage der Dimensionen auf seine Veranlassung im Handelsministerium Beratungen stattgefunden hätten und dass die zusammenberufene Technikerkonferenz für größere Kanäle zu ähnlichen Resultaten gelangt sei, wie diejenigen sind, welche der Technikerkongress von 1872 festgestellt habe. Es stimmt dies mit dem S. 50 ff. meiner Broschüre über den Stand unseres Kanalprojekts gemachten Mitteilungen ganz überein, und es ist von dem größten Wert, dass jene für die deutsche Kanalentwicklung so bedeutungsvolle Entscheidung der vom Handelsminister berufenen Technikerkonferenz durch die Mitteilung des ersteren zur öffentlichen Kenntnis gelangt ist. Hiermit ist der von den beiden Regierungsbauräten wider das Kanalprojekt erhobene Haupteinwand, welcher unser ganzes, auf eine Wassertiefe von 2 Meter basierendes Unternehmen in Frage stellte, da unser Komitee fest entschlossen war, lieber das Projekt ganz aufzugeben, als in eine Verringerung der Fahrtiefe auf 1,25 Meter einzuwilligen, ein- für allemal beseitigt. Dem Regierungsrat Weishaupt, welcher sich nicht darauf beschränkt hat, eine Tiefe von 2 Meter mit Rücksicht auf den Rostock-Berliner Kanal zu bekämpfen, sondern welcher in seinem Gutachten als prinzipieller Gegner der von dem Technikerkongress für größere Kanäle angenommenen Dimensionen aufgetreten ist und denjenigen Technikern, welche seine Ansicht über die Dimensionenfrage nicht teilten, die Befähigung zur Abgabe eines sachverständigen Urteils abgesprochen hat, ist das entschiedenste Dementi zu Teil geworden, nachdem nunmehr amtlich konstatiert ist, dass die Wasserbautechniker seiner vorgesetzten Behörde sich für die von ihm in so geringschätzender Weise bekämpfte Ansicht entschieden haben. Auch in der technischen Presse werden keine Stimmen mehr laut zu Gunsten kleinerer Dimensionen für größere Kanäle. Das einstimmige Urteil derselben geht dahin, dass größere Kanäle eine Wassertiefe von mindestens 2 Meter haben müssen. Die beiden Regierungsbauräte befinden sich also mit ihren Anschauungen über eine Fahrtiefe von 1,25 Meter in vollständigster Vereinsamung.