Die Baukunst des Altertums

Autor: Noack, Ferdinand Prof. Dr. (1865-1931) deutscher Klassischer Archiologe und Publizist, Erscheinungsjahr: 1910
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Prof. Ferdinand Noack, Baukunst, Altertum, Archeologie, Heraion, Olympia, Kreta, Knossos, Phaistos, Tiryns, Mykenä, Athen, Poseidontempel, Parthenon, Delphi, Edfu
Durch einen Rückblick in die Vergangenheit die Grundlage der gegenwärtigen Zustände zu erkennen, um von ihnen aus die Erfordernisse der Zukunft nach Kräften bestimmen zu können. Dr. W. Herbst 1852
I. Das Heraion in Olympia und die Vordorische Baukunst.

In ihrer Architektur schaffen sich die Völker den monumentalen Rahmen für den Inhalt ihres Lebens. Architekturformen sind Daseinsformen der Menschen. Viele Gedanken und Ansprüche, die ihrem Leben die Richtung gaben, konnten fruchtbar werden und wirken erst als die Baukunst ihnen die Stätte gab, die ihrer Eigenart entsprach. Durch die Ideen hervorgerufen, sind die Monumente auch wieder ihre starken Helfer und Bewahrer. Nach ihren Zeiten geordnet und in Beziehung zu einander gestellt, sind sie in Steinen redende Menschheitsgeschichte. Die Tempel, Paläste und Riesengräber der orientalischen Kulturen erzählen gewaltig von den Göttern und den Mächtigen der Erde. Die Theater und Gymnasien, Bäder und Brunnen, die in Griechenland neben den Tempeln für das ganze Volk entstanden, sind lebendige Zeugen für den ersten größten Wechsel in der Bewertung der menschlichen Person.

Architektur ist Raumkunst. Die Räume, die man will und braucht, werden durch Wände und Stützen, Dach und Decke begrenzt und abgesondert aus der unbegrenzten Weite. Aber von der Kunst zu bauen ist doch erst dann die Rede, wenn diese raumbildenden Mittel sich nach festen Gesetzen und Verhältnissen zusammenschließen, welche die Leistung jedes Teils abwägen und umgrenzen. Je nach dieser Leistung bestimmt sich für jeden Teil auch seine Gestalt und Form. Für die Kunst, die Räume bilden will, ist es also eine der wichtigsten Aufgaben, daß sie sich zugleich die Einzelformen schaffe, die imstande sind, diesen Räumen die gewollte Gestalt zu geben. Erst durch sinnvolle Formung der Einzelglieder wird sie Herr über das Material und gewinnt die Mittel, auch das Wesen des Raumes zu deutlichem Ausdruck zu bringen. Ein großer Teil antiker Baugeschichte ist Geschichte der Formen und einer sich immer mehr verfeinernden Proportionierung. An der ersten großen eigenen Raumform, mit der die europäische Baukunst in die Geschichte tritt, am Tempel der Griechen, sind alle entscheidenden architektonischen Einzelformen der Antike entwickelt und vollendet worden.

In den von den Dorern besiedelten Landschaften des Peloponnes haben die Anfänge dieser Entwicklung gelegen. Eine lebhafte und sehr selbständige Fortbildung frühdorischer Formen vollzog sich im Tempelbau der Kolonien, mit denen die Griechen vom achten Jahrhundert v. Chr. an von den Küsten Siziliens und Unteritaliens Besitz ergriffen; aber schließlich mündete auch sie in den kanonischen Stil, der in einer parallelen Entwicklung im Mutterlande seine Formulierung empfangen hatte. Dagegen haben die Bewohner der machtvollen äolischen und jonischen Kolonialstädte Kleinasiens in der engeren Berührung mit den Kulturen des Orients und nicht ohne den Einfluss lokaler Bauweise des Binnenlandes den Weg zu einem eigenen Baustil gefunden, der, mit reicheren Formen ausgestattet, sich einmal als der lebensfähigere erweisen sollte. Gleichwohl sind beide Stile nächstverwandt und nicht denkbar ohne eine gemeinsame VORDORISCHE UND VORJONISCHE TRADITION.

Abb. 01. Heraion, Ganzansicht, Olympia

Abb. 01. Heraion, Ganzansicht, Olympia

Abb. 08. Lichthof beim Treppenhaus, Knossos

Abb. 08. Lichthof beim Treppenhaus, Knossos

Abb. 10. Torturm, Tiryns

Abb. 10. Torturm, Tiryns

Abb. 13. Dromos zum Kuppelgrab, Mykenä

Abb. 13. Dromos zum Kuppelgrab, Mykenä

Abb. 16a. Wandbänke, Phaistos und H. Triada

Abb. 16a. Wandbänke, Phaistos und H. Triada