b) im Hafen und auf Schiff

b) Mit diesen Einrichtungen an der Grenze war die Fürsorge der Regierung noch nicht zu Ende. In den Hafenplätzen musste das Schlussglied dieser Kette von sanitären Maßregeln liegen. Von dem Augenblick des Übertritts der Auswanderer über die deutsche Grenze bis zu ihrer Einschiffung sollten sie selbst in jeder Weise geschützt sein, aber auf der anderen Seite wollte sich auch Deutschland vor jeder Einschleppung von Krankheiten sichern.

Wohl in allen Hafenplätzen sorgen die betreffenden Schifffahrtsgesellschaften für die Unterbringung ihrer Passagiere. Aber diese Fürsorge reicht im allgemeinen nicht allzu weit. Unter den Logewirten finden sich immer wieder Elemente, die die Unerfahrenheit der Auswanderer ausnutzen. Je größer die Zahl dieser Wirte ist, um so schwieriger gestaltet sich natürlich ihre Kontrolle. Da die Auswanderer auf diese Weise in verschiedenen Gasthäusern zerstreut untergebracht sind, ist auch eine ärztliche Kontrolle, während ihres Aufenthaltes im Hafen sehr schwer. Ferner muss man bedenken, dass der größte Teil der Auswandererherbergen in den dichtest bevölkerten Stadtgegenden liegen; die Gefahr der Einschleppung und Verbreitung einer Krankheit ist unter solchen Umständen doppelt groß. So waren die Zustände auch in den deutschen Häfen bis zum Ausbruch der Cholera in Hamburg. Die traurigen Erfahrungen des Jahres 1892 zeigen die unabweisbare Notwendigkeit, hier energisch einzugreifen. Wenn die beiden deutschen Schifffahrtsgesellschaften heute die besten Anlagen auf der Welt für die Unterbringung der Auswanderer haben, so ist das der Erfolg der unermüdlichen Arbeit, die die Schifffahrtsgesellschaften und Regierung seit jener schweren Zeit geleistet haben. Es dürfte von Interesse sein, diese Anlagen, die die schwierige Frage der Unterbringung der Auswanderer in den Häfen gelöst haben, ein wenig näher zu betrachten. Es handelt sich darum, den Auswanderern möglichst billige und gute Quartiere zu schaffen. Gleichzeitig aber sollte eine möglichst genaue ärztliche Kontrolle während des Aufenthalts ermöglicht werden. Es war daher natürlich, dass die Anlagen nicht in der Stadt selbst liegen konnten. Denn hier konnte man billige und gleichzeitig gute Unterkunft schwer schaffen. Nach vielen Versuchen entstanden nun in Hamburg und Bremen die jetzigen Auswandererhallen. Wir wollen hier hauptsächlich die Hamburger Anlagen, die die des Norddeutschen Lloyd übertreffen, betrachten. Im Jahre 1900/1901 schuf die Hapag Hallen zur Unterbringung von Auswanderern auf der Veddel bei Hamburg, auf einem vom Staate zum Teil unentgeltlich hergegebenen, zum Teil gepachteten Gelände. Im Jahre 1906/1907 wurden diese Anlagen erweitert und auf einer Fläche von etwa 60.000 qm mit einem Kostenaufwand von über 3 Millionen Mk. die jetzigen Auswandererhallen geschaffen. Die Hallen sollen hauptsächlich diejenigen Auswanderer aufnehmen, die in größeren Trupps oder aus gesundheitlich unsicheren Gegenden in Hamburg eintreffen. Man kann aber wohl sagen, dass fast alle ausländischen Auswanderer dort Unterkunft finden. Nur bei vereinzelt in Hamburg eintreffenden Auswanderern kann es vorkommen, dass sie in der Stadt verbleiben, Russische Auswanderer müssen stets in den Hallen untergebracht werden, da auch die amerikanische Regierung ihre längere ununterbrochene ärztliche Beobachtung verlangt.


Wir wollen nun auch hier, wie wir es schon an der Grenze getan haben, die Art und Weise der Behandlung und Abfertigung der Auswanderer betrachten. Wir werden dabei die Einrichtungen am deutlichsten kennen lernen.

Die Auswanderer, die von der Grenze in geschlossenen Zügen kommen, fahren gleich nach einem besonderen Bahnhof auf der Veddel. Dadurch entgehen sie der Gefahr, Bauernfängern oder Winkelagenten in die Hände zu fallen. Am Bahnhof werden sie erwartet und nach den Hallen, die eine Stadt für sich bilden, geleitet. Die ganze Anlage zerfällt in zwei gesonderte Abteilungen, in die Gesundheitsprüfungsabteilung, die sog. unreine Seite, für die neu angekommenen Auswanderer und die Wohnabteilung, die reine Seite, für die untersuchten, reisefertigen Auswanderer. Die in Hamburg neu angekommenen Auswanderer werden also zunächst nach der unreinen Seite geführt und müssen bis zur ärztlichen Untersuchung dortbleiben. Nach der ärztlichen Untersuchung findet ihre Abfertigung durch die Beamten der Gesellschaft statt. Es wird das von der amerikanischen Regierung verlangte Manifest, von dem später noch die Rede sein wird, aufgenommen; sie müssen die Papiere und Interims-Fahrkarten, die sie an der Grenze erhalten haben, abgeben, oder falls sie noch keine Schiffskarten besitzen, müssen sie die hier kaufen. Die Schiffskarten erhalten die Auswanderer erst bei ihrer Abreise, bis dahin erhalten sie nur Kontrollscheine. Diese Scheine sind von verschiedener Farbe; Auswanderer nach den Vereinigten Staaten erhalten weiße, nach Südamerika rote usw. Dadurch wird die Auseinanderhaltung der Auswanderer wesentlich vereinfacht. Sind die Auswanderer vom Arzt für gesund gefunden und haben Sie auch sonst alle Bedingungen erfüllt, dann kommen sie nach der sog. reinen, der Wohnseite. Hier verbleiben sie bis zu ihrer Abfahrt. 27 Pavillons dienen zur Aufnahme der Auswanderer. In der Mitte eines jeden Pavillons befindet sich ein Tagesaufenthaltsraum und an den Seiten sind die Schlafsäle. Nicht nur in gesundheitlicher Hinsicht ist dieses Pavillonsystem mit den größten Trennungsmöglichkeiten das richtigste, sondern man kann durch diese Trennung auch den sonst bei längerem Aufenthalt unvermeidlichen Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Nationalitäten und Bekenntnissen am besten Vorbeugen. In riesigen Speisesälen, die rings um die herrlichen Küchenanlagen angelegt sind, werden die Auswanderer früh, mittags, nachmittags und abends verpflegt. Das Essen ist reichlich und kräftig. Zur Hauptmahlzeit erhalten sie 1/2 Pfund Fleisch, Suppe und Gemüse, soviel ein jeder will. In den Kirchen, die sich gleichfalls in der Auswandererstadt befinden, wird jeden Tag Gottesdienst abgehalten. Eine Musikkapelle sorgt des Nachmittags für die Unterhaltung der Auswanderer. Auf den breiten Straßen, den schönen mit Gartenanlagen versehenen Plätzen, werden häufig unter den Klängen der Musik recht lustige Umzüge veranstaltet.

Obwohl die Auswanderer, die nach den Häfen kommen, schon an der Grenze vom Arzt untersucht sind, und falls es notwendig ist, schon dort desinfiziert wurden, befinden sich doch auch in den Hafenanlagen große Desinfektionsanlagen. Sie dienen hauptsächlich dazu, eine im Hafen erst ausbrechende Krankheit sofort zu ersticken. Zu demselben Zwecke ist eine besondere Beobachtungsstation, getrennt von den anderen Anlagen, errichtet, die so groß ist, dass die Bewohner selbst des größten Pavillons dort untergebracht werden können. Selbst die Abwässer der Auswandererhallen werden vor ihrer Ableitung einer besonderen Untersuchung unterzogen. Sie werden in große Reservoire geleitet, hier werden sie von allen etwa darin enthaltenen Krankheitskeimen befreit, dann auf ihre Reinheit chemisch untersucht und abgeleitet.

Ähnlich, wenn auch nicht in so großem Stil, sind die Anlagen in Bremen. Auch hier werden die russischen Auswanderer als die sanitär gefährlicheren unbedingt in den Auswandererhallen untergebracht. Ein großer Teil der anderen Auswanderer aber wird noch in der Stadt selbst untergebracht. Mehr und mehr sucht man aber auch hier möglichst alle ausländischen Auswanderer in den Hallen zu vereinen, und die Zahl der Wirte, die zur Unterbringung der Auswanderer herangezogen werden, schrumpft immer mehr zusammen.

Für den Aufenthalt in den Hallen beider Häfen zahlen die Auswanderer einschließlich völliger Verpflegung pro Tag 2 Mk. Russen, die ja unbedingt in den Hallen untergebracht werden müssen, zahlen eine Pauschalsumme von 8 — 10 Mk. Es ist das nicht zu hoch gegriffen, da die amerikanische Einwanderungsbehörde einen mindestens fünftägigen Aufenthalt unter ärztlicher Beobachtung vor der Abreise verlangt. Sollte ein Auswanderer ohne sein Verschulden längere Zeit in den Auswandererhallen verbleiben, so hat er für den weiteren Aufenthalt nichts zu bezahlen.

Man sieht also, dass die Hallen in jeder Beziehung ihren Zweck erreicht haben. Den Auswanderern stehen billige, schön angelegte und bequeme Unterkunftsräume zur Verfügung und auch die sanitäre Sicherheit vor Einschleppung von Krankheiten ist voll und ganz gewährleistet.

Aus den Hallen werden die reisefertigen Auswanderer direkt mit kleinen Dampfern nach den großen Überseedampfern gebracht. Auch hier stehen sie noch unter besonderem Schutze und besonderer Fürsorge, Reichskommissare für das Auswanderungswesen haben sich vor jeder Abreise davon zu überzeugen, ob die Auswanderer gut untergebracht sind, und ob alle Bestimmungen zur Beförderung von Zwischendeckspassagieren erfüllt sind. Freilich sieht es im Zwischendeck nicht so aus, wie in einem erstklassigen Hotel, und die Klagen, die so häufig über die schlechte Unterbringung dieser Passagiere erhoben werden, stammen meistens von solchen Leuten, die an eine bessere Lebenshaltung gewöhnt nun aus irgendwelchen Gründen die Reise als Zwischendecker machen müssen. Ich konnte mich persönlich davon überzeugen, wie zufrieden die Auswanderer mit ihrer Unterbringung waren. Sie werden auch hier wieder nach Nationalitäten und Bekenntnissen getrennt, sie haben bequeme Schlaf- und Aufenthaltsräume, die durch Seitenfenster erhellt und durch besondere Vorrichtungen gut gelüftet werden. Auch ein geräumiges Deck steht den Zwischendeckreisenden zur Verfügung. Für je 100 Personen ist ein Steward angestellt, außerdem werden unter den Auswanderern selbst Leute ausgesucht, die gegen besondere Bezahlung bei der Bedienung ihrer Mitreisenden und der Reinigung der Räume helfen, so dass auf je 50 Personen ein Diener kommt. Auch die Verpflegung der Auswanderer ist den Verhältnissen entsprechend gut und reichlich. Vier Mahlzeiten werden täglich verabfolgt, morgens Kaffee mit Milch und Zucker, Brot, Butter, Cornedbeef oder Käse oder Heringe, mittags Suppe, Fleisch und Gemüse, nachmittags Kaffee und Brot oder Kuchen, abends eine warne Speise, Brot, Butter und Tee. Die meisten Zwischendeckreisenden sind an ein derart üppiges Leben wohl kaum gewöhnt. Der Kapitän oder in seiner Vertretung der erste Offizier sind verpflichtet, jeden Tag das Zwischendeck zu besuchen und sich so von dem Befinden der Auswanderer persönlich zu überzeugen. Berechtigt ist die Klage der Auswanderer, dass sie das Essen nicht serviert erhalten, sondern dass sie es sich selbst holen müssen. Auf diese Weise entstünden leicht unangenehme Streitigkeiten. Wie mir versichert wurde, soll auch dieser Wunsch der Auswanderer erfüllt werden. Auf einigen neuen Dampfern ist die Bedienung bereits eingeführt worden. Bisher war es auf den älteren Dampfern nicht möglich. Neu ist auch auf den größeren Dampfern die Einrichtung einer dritten Klasse. Hier gibt es schon besondere Schlafkammern, einen großen Speisesaal, in dem das Essen an gedeckten Tischen verabfolgt wird, auf einigen Dampfern sogar einen besonderen Gesellschaftsraum. Die Fahrpreisdifferenz beträgt nur ungefähr 20 Mark.
Blick auf die Hamburger Binnenalster

Blick auf die Hamburger Binnenalster

Bremer Handelshaus

Bremer Handelshaus

Hamburger Börse

Hamburger Börse

Bremer Rathaus

Bremer Rathaus

Lagerhäuser im Hamburger Freihafen

Lagerhäuser im Hamburger Freihafen

Hamburger Hafenbilder

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