a) an der Grenze

a) Bis Anfang der 90er Jahre bestanden keine wesentlichen Einrichtungen auf diesem Gebiet. Im Jahre 1892 brach in Hamburg die Cholera aus, die zeitweilig bis zu 1.000 Toten täglich dahinraffte. Nach dem Gutachten der die Ursachen der Epidemie suchenden Ärzte, besonders des Geheimrats Professor Dr. Koch war die Krankheit durch russische Auswanderer nach Deutschland eingeschleppt worden, Preußen, das der Einschleppungsgefahr von Seuchen am meisten ausgesetzt war, verbot nach diesen Feststellungen den Eintritt und den Durchzug ausländischer Auswanderer gänzlich. Die anderen deutschen Bundesstaaten folgten diesem Beispiel, Das war ein harter Schlag für die deutschen Schifffahrtslinien, die dadurch einen großen, im Wachsen begriffenen Teil ihrer Passagiere verloren. Nach eifrigen Bemühungen gelang es einen Ausweg aus dieser schwierigen Situation zu finden. Die Bedingung, unter der der Eintritt und der Durchzug ausländischer Auswanderer wieder gestattet wurde, war die Errichtung von Kontroll- und Registrierstation. Von deren Errichtung machte das Ministerium im September 1894 die Erlaubnis abhängig. Mit großem Kostenaufwand errichteten daraufhin die beiden deutschen Schifffahrtsgesellschaften, die Hamburg-Amerika-Linie und der Norddeutsche Lloyd gemeinsam diese Stationen, deren Zweck und Tätigkeit ich sogleich schildern werde. Obwohl diese Einrichtungen lediglich auf Kosten der deutschen Schifffahrtsgesellschaften entstanden sind, dürfen sie auch von Passagieren auswärtiger Schifffahrtslinien, soweit sie in Deutschland konzessioniert sind, benutzt werden. Auch in den Häfen sind umfangreiche Anlagen für die Auswanderer geschaffen worden, doch davon später.

Laut Erlass des Ministeriums des Innern und für Handel etc. vom 20. IX. 1904 ist der Durchzug außerdeutscher Auswanderer durch Preußen (ähnlich ist es auch in den anderen Bundesstaaten) ohne Passieren einer Kontroll- oder Registrierstation nur unter folgenden Bedingungen gestattet: „Der Eintritt in das preußische Staatsgebiet ist nur dann zu gestatten, wenn die Auswanderer einen mit einer in Deutschland konzessionierten Schifffahrtsgesellschaft abgeschlossenen Passagevertrag zur Fahrt nach einem außerdeutschen Ausschiffungshafen, eine Eisenbahnfahrkarte bis zum Einschiffungshafen und ausreichende Barmittel besitzen, welche ihre Aufnahme an dem Reiseziel, oder im Falle ihrer dortigen Zurückweisung die Rückbeförderung in die Heimat gewährleisten. Hierzu ist, wie bisher, bei gesunden und nicht gebrechlichen Personen von mehr als 10 Jahren eine Summe von je 400 M., bei jüngeren Personen eine Summe von je 100 M. für erforderlich zu halten“. Das heißt, dass alle diejenigen, die wir als Auswanderer zu bezeichnen pflegen, die Registrier- oder Kontrollstationen passieren müssen. Andernfalls wird ihnen der Übertritt über die Grenze nicht gestattet, oder aber falls sie die Grenze schon überschritten haben, werden sie dorthin zurückgebracht. Die Stationen dienen Sanitäts-, armen- und sicherheitspolizeilichen Zwecken. Ihre Hauptaufgaben sind also:


1. Schutz des Durchzugslandes, also Deutschlands, der europäischen Einschiffungshäfen und des überseeischen Landes, das der Auswanderer sich zum Reiseziel gewählt hat, vor Einschleppung ansteckender Krankheiten. Wie wirksam die Stationen in dieser Beziehung sind, geht daraus hervor, dass jährlich 10 — 12.000 Personen in den Grenzstationen als krank erkannt und von der Weiterreise ausgeschlossen werden.

2. Schutz der Auswanderer selbst gegen Ansteckung. Die Passagiere, die eine Grenzstation passiert haben und mit in Deutschland konzessionierten Schifffahrtsgesellschaften reisen, sind sicher, nur in Gesellschaft sanitär unverdächtiger Personen zu fahren.

3. Prüfung der Beförderungsfähigkeit der Auswanderer. Das heißt der Auswanderer muss im Besitz einer Schiffskarte einer in Deutschland konzessionierten Schifffahrtsgesellschaft sein, da nur diese durch die für sie haftende Kaution die nötige Sicherheit bietet. Ferner wird soweit als möglich geprüft, ob die Auswanderer den Vorschriften des Einwanderungslandes entsprechen, ob ihnen die nötigen Mittel verbleiben, dass sie weder den Behörden Deutschlands noch des Einwanderungslandes zur Last fallen. Durch diese Prüfung sollen die Auswanderer davor geschützt werden, dass sie die Reise nach den Hafenplätzen zwecklos antreten. Können sie aus irgend einem Grunde die Reise nicht antreten, so wird ihnen das schon an der Grenze gesagt und sie werden so vor unnützen Kosten bewahrt.

Das sind in großen Zügen die Hauptaufgaben der Grenzstationen. Die Bestimmungen im deutsch-österreichischen und deutsch-russischen Grenzverkehr sind verschieden. Die russischen Auswanderer müssen sich strengeren Bestimmungen unterwerfen, da sie in sanitärer Beziehung für gefährlicher erachtet werden.

Nach dem Vorbilde Preußens wurden an der deutsch-österreichischen Grenze sogen. Registrierstationen errichtet, deren Betriebsanweisungen von den anderen Bundesstaaten den preußischen nachgebildet wurden. Solche Registrierstationen bestehen augenblicklich in Myslowitz, Ratibor, Leipzig, St. Ludwig und Bingerbrück. Die für diese Stationen augenblicklich maßgebenden Bestimmungen stammen vom 10. X. 1908. Nach diesen Bestimmungen haben die Polizeibehörden alle Auswanderer den Registrierstationen zuzuführen. Die Auswanderer werden hier von Ärzten, die zu diesem Zwecke angestellt und von der Regierung besonders bestätigt werden müssen, untersucht. Es wird geprüft, ob sie allen Beförderungsbedingungen genügen, und dann erklärt der von der Schifffahrtsgesellschaft beauftragte Leiter der Station, ob er die Auswanderer zur Beförderung übernimmt. Lehnt er die Beförderung ab, dann müssen die Leute wieder über die Grenze geschafft werden; wird die Beförderung übernommen, dann übernimmt die betreffende Schifffahrtsgesellschaft zugleich dem Staate gegenüber für alle durch die Auswanderer etwa entstehenden Kosten wie Verpflegung, Rückbeförderung, Beerdigung usw. die Verantwortung, Jeder Auswanderer muss registriert werden. Die Register werden täglich der Polizeiverwaltung vorgelegt, welche die Richtigkeit der geschehenen Eintragung unverzüglich zu prüfen und durch Unterschrift und Siegel zu bescheinigen hat. Jeder Auswanderer erhält darauf eine Legitimationskarte, damit vermieden wird, dass er während seiner Fahrt durch deutsches Gebiet etwa wieder angehalten oder zurückgewiesen wird. Darauf erfolgt möglichst unverzüglich die Weiterbeförderung nach den Häfen.

Das ist der Gang der Abfertigung österreichischer Auswanderer. Etwas strenger sind die Bestimmungen für die russischen Auswanderer. Für sie sind die sogen. Kontrollstationen an der preußischen Grenze errichtet worden und zwar in Bajohren, Tilsit, Eydkuhnen, Prosken, Posen, Illowo, Thorn, Ostrowo und Myslowitz. Für diejenigen Auswanderer, die die Grenze unter Umgehung einer der vorgenannten Stationen passiert haben, ist in Ruhleben bei Berlin eine Kontrollstation errichtet worden. Sie werden dorthin gebracht und müssen sich dort der Kontrolle unterziehen. Alle vorher erwähnten Bestimmungen für die Auswanderer aus Österreich gelten fast ebenso auch für die aus Russland. Nur in sanitärer Beziehung sind die Bestimmungen strenger, da die sanitären Einrichtungen Russlands weit mangelhafter sind als die Österreichs. Die Auswanderer müssen sich dementsprechend einer genaueren Untersuchung unterziehen. Bricht in irgend einem Teile Russlands eine Epidemie aus, dann ist natürlich doppelte Vorsicht am Platze. Es wird in diesem Falle die Desinfektion und völlige Absonderung der russischen Auswanderer von der Regierung verlangt. Die russischen Auswanderer werden dann an den Bahnhöfen oder, falls sie auf dem Landwege kommen, an der Grenze erwartet und in geschlossenen Trupps nach der Kontrollstation geführt. Hier findet unverzüglich eine ärztliche Untersuchung statt. Die Kranken und Krankheitsverdächtigen werden sofort in besondere Räume gebracht und verbleiben bis zu ihrem eventuellen Rücktransport dort unter ärztlicher Beobachtung, Alle anderen Auswanderer werden nun zunächst gebadet und ihre Sachen desinfiziert. Nachdem sie so von allen äußerlich anhaftenden Krankheitskeimen befreit sind, kommen sie nach der reinen, der Abfahrtsseite. Hier werden sie dann in ähnlicher Weise wie die österreichischen Auswanderer abgefertigt.

Besonders streng ist die Kontrolle der Aufenthaltsräume der Auswanderer. Große geräumige Hallen dienen zum Aufenthalt am Tage; praktisch eingerichtete Schlafräume stehen den Auswanderern zu geringem Preise (gewöhnlich 50 Pfg.) zur Nacht zur Verfügung, Auch eine Absperrung der Auswanderer, über die so häufig als eine Freiheitsberaubung geklagt wird, findet nur dann statt, wenn von der Regierung die Absonderung der Auswanderer aus sanitären Gründen verlangt wird. Auch für die Auswanderer ist diese Absonderung von großem Vorteil; denn sie werden auf diese Weise am besten davor geschützt, von den vielen dunklen Existenzen, die sich gerade an der Grenze überall umhertreiben, betrogen oder verschleppt zu werden.

Das Bestreben der Leiter der Grenzstationen ist auch darauf gerichtet, die Auswanderer so schnell wie möglich nach den Häfen weiterzuschicken, da dort weit größere Aufenthaltsräume zur Verfügung stehen. Alle Auswanderer reisen, soweit ihrer Beförderung nichts im Wege steht, am Tage ihrer Ankunft nach den Häfen weiter. Es handelt sich also meistens nur um einen Aufenthalt von einigen Stunden. Die Beförderung nach den Häfen erfolgt in Sonderzügen, oder, falls die Zahl dazu nicht ausreicht, in besonderen Wagen, um eine Berührung der Auswanderer mit dem anderen Publikum zu vermeiden. Die Auswanderer selbst erreichen so ihr Ziel schneller und bequemer, als sie es auf irgendeine andere Weise können.
032. Der Schneider

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033. Der Schornsteinfeger

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034. Der Schuster

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035. Der Seidenfabrikant

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036. Seifensieder und Kerzenfabrikant

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