5. Die tatsächlichen Verhältnisse im Auswanderungswesen dieser beiden Länder
Nachdem wir gesehen haben, wie das Auswanderungswesen rechtlich geregelt ist, wollen wir zunächst die tatsächlichen Verhältnisse bei der Auswanderung betrachten, um dann auf die Auswanderungspolitik überzugehen, d. h. auf die Einrichtungen, die zur Besserung der Lage der Auswanderer getroffen werden müssen. — Um die tatsächlichen Verhältnisse kennen zu lernen, wollen wir die Auswanderer auf ihrer Reise bis zur Grenze verfolgen, Soweit nationale Verschiedenheiten vorhanden sind, werden wir die russischen und österreichischen Auswanderer besonders betrachten.
Ein großer Teil der Auswanderer sind Analphabeten. Sie lebten und schmachteten in ihrem Elend ohne eine Möglichkeit zu kennen, sich daraus zu befreien. Es musste natürlich von außen her der Anstoß kommen, der all die Unglücklichen in Bewegung setzte. Sie konnten und können auch heute noch den Weg nicht allein finden nach dem Orte, wo ihre Arbeit verlangt wird und den erwünschten Lohn empfängt. So wurde im Anfang der Auswandererbewegung in den 50er u. 60er Jahren des 19. Jahrh. der Anstoß durch Agenten gegeben. Aber man kann sie dennoch für die Auswanderung nicht verantwortlich machen; denn der Grund zur Auswanderung war die unerträgliche wirtschaftliche Lage, und sie gaben nur den Anstoß. Nun kennen sie alle die Länder, in die sie wandern wollen. Es gibt wohl kaum noch einen Auswanderer, der ohne Adressen von Bekannten oder Verwandten die Reise antritt. Aber in ihrer Unbeholfenheit würden sie nie den Weg dorthin finden. Der Agent ist also heute ebenso notwendig wie früher und gerade in dieser Unentbehrlichkeit wurzelt seine Macht. Der Agent als solcher ist nicht derjenige Faktor, vor dem die Auswanderer, wie fälschlich immer angenommen wird, geschützt werden müssen, sondern die Art und Weise ist es, wie der größte Teil der österreichischen und russischen Agenten ihre Tätigkeit ausüben. Bei der großen Ausdehnung, die die Auswanderung genommen hat, gibt es in den Auswanderungsgegenden fast in jedem Dorf irgendjemanden, der Agenturgeschäfte betreibt, sei es nun der Gemeindeschreiber, der Wirt, ein Kaufmann, der Pfarrer, der Rabbiner oder irgendwer sonst. Es ist nun ganz natürlich, dass es unter dieser großen Menge unkontrollierter und unkontrollierbarer Existenzen viele finstere Gestalten gibt, die aus der Not und der Unwissenheit der Auswanderer Gewinn schlagen. An irgendeinen solchen Agenten wendet sich nun der Auswanderer im Geheimen natürlich, da er die Auswanderung für etwas Verbotenes hält. Er zeigt die Adresse seines Verwandten, zu dem er gern reisen möchte, Meisters weiß er auch den Hafen, über den sein Angehöriger gefahren ist. Über denselben Hafen will auch er fahren, und es wird dem Agenten schwer fallen ihn davon abzubringen. Der Agent hat von den verschiedenen Schifffahrtsgesellschaften, deren Agenten und Unteragenten Preislisten. Er sucht das für ihn günstigste Preisangebot heraus, lässt sich für seine Mühe eine Provision bezahlen und schickt den Auswanderer mit genauer Information zu der Agentur, mit der er selbst arbeitet; dort erst bezahlt der Auswanderer seine Überfahrt. So verläuft der erste Akt, wenn der Auswanderer das Glück hat, in ehrliche Hände zu fallen. Recht häufig schüchtert der Agent den Auswanderer noch mehr ein, als er es schon ist. Auf diese Weise hält er den Mann, der die Strafe fürchtet, völlig in der Hand. Er erklärt ihm, dass es gefährlich sei, mit Gepäck zu reisen, er kauft es ihm daher ab, Geld auf die Reise mitzunehmen sei nicht ratsam, man sollte es ruhig bei ihm lassen, es werde dann eher an Ort und Stelle sein als der Passagier selbst. Für die Höhe des Überfahrtspreises, den er fordert, ist das Preisangebot nicht weiter maßgebend, er nimmt so viel er erhalten kann. Nach dieser Ausplünderung wird der Auswanderer dann auf den Weg geschickt. Doch noch mancherlei Mühen hat er zu bestehen, bis er an sein Ziel kommt. Die Gebiete in der Nähe der Grenze wimmeln von einer Unzahl sog. Agenten und es ist den Auswanderern sehr schwer gemacht, diesen Gaunern zu entgehen, Bahnbeamte, Portiers, Finanzwachtleute, Gendarmen, Zollbeamte, stehen in großer Zahl im Dienste dieser Leute, und durch sic werden die armen Auswanderer in den Spießrutenweg hineingetrieben, aus dem ein Herauskommen mit heiler Haut sehr schwer ist. Mit Hilfe dieser Beamten wird den Auswanderern der staatliche Charakter der betreffenden Agentur vorgespiegelt. Irgendwelcher Betrug sei natürlich in einem staatlichen Büro völlig ausgeschlossen. Hat der Auswanderer das Geld bei sich, wovon man sich im Notfälle durch Leibesvisitation überzeugt, dann muss er den Überfahrtspreis nach Angabe der Beamten sofort bezahlen; hat er aber kein Geld bei sich, dann muss er nach Hause telegraphieren und es sich schicken lassen. Weigert er sich, so wird ihm mit Strafe und Zwangsschub nach der Heimat gedroht. Eine zwei- bis dreitägige Haft in irgend einem Stall macht selbst den Hartnäckigsten weich. Ist der Auswanderer nun bereit zu zahlen, dann wird er von einem sogen. Arzt untersucht, es wird mit Hilfe einer Weckuhr oder irgend eines anderen Instrumentes nach dem Hafen und, wenn es sein muss, auch nach Amerika telefoniert und auf diese Weise alles für den Auswanderer in bester Weise geordnet. Die Akten eines Prozesses, der vor einiger Zeit in Oswiecim stattfand, machen uns mit dem Geschäftsgebaren dieser Ausbeuter bekannt. Dass jeder Akt bei diesem Theater besonders bezahlt werden muss, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden. Sind die Auswanderer auf diese Weise ausgeplündert, dann dürfen sie über die Grenze Hier müssen sie dann häufig tagelang warten, bis es gelingt, für sie wenigstens so viel von dem Agenten herauszubekommen, dass sie die Reise antreten können. Fälle der geschilderten Art kommen fast täglich vor. Es gibt zwar in Österreich Kontrollbeamten für die Agenturen, der größte Teil von ihnen aber erfüllt seine Pflicht entweder zu lässig oder gar nicht, so dass solche Ausschreitungen möglich sind.
Noch schlimmer sind die Zustände in Russland. Hier ist die Macht der Agenten noch größer, weil es mit ihrer Hilfe meistens erst möglich ist, aus dem Lande zu kommen. Um aus Russland herauszukommen, muss man einen Pass haben. Viele sind aber nicht in der Lage sich einen solchen zu beschaffen. Sie müssen schnell abreisen und können nicht mehr auf die langwierige Ausstellung eines Passes warten, wie das häufig bei Judenverfolgungen vorgekommen ist. Auch die Kosten der Beschaffung sind für viele zu hoch. Um einen Auslandspass zu erhalten, muss man einen Inlandspass besitzen. Ist der betreffende in der Heimatsgemeinde bekannt oder im Melderegister eingetragen, so kann auf den Inlandspass verzichtet werden. Ein Pass kostet ungefähr 25 Rubel (15 Rubel für das Passbuch, 3 Rubel für den Stempel, 7 Rubel für Spesen und Schmiergelder), Frauen und Kinder müssen die Genehmigung ihres Mannes bzw. Vaters haben. Ist der Vater nicht am Orte, dann muss er, wem er im Inlande ist, die notariell bescheinigte schriftliche Erlaubnis erteilen; ist er im Ausland, dann muss er seine Genehmigung vom Konsul bescheinigen lassen. Außer diesem gebräuchlichsten gibt es noch zwei andere Arten von Pässen. Die Kaufmannspässe und die Arbeiterpässe, Kaufmannspässe sind Gildepässe. Sie werden an Kaufleute zweiter Gilde erteilt. Ein Kaufmann zweiter Gilde zahlt 75 Rbl. jährlich Steuern. Für 11 Rbl. erhält er einen Gildepass, der zum Unterschied von dem anderen zum ständigen Überschreiten der Grenze berechtigt, während die anderen nur ein einmaliges Hinüber und Herüber gestatten. Seit einiger Zeit gibt es nun auch noch Arbeiterpässe. Sie werden an Arbeiter im Grenzgebiet ausgegeben. Ihre Gültigkeit läuft nach 10 1/2 Monaten ab. Außerdem müssen die Arbeiter durch einen Kontrakt nachweisen, dass sie im Ausland bestimmt Arbeit erhalten. Diese Pässe sind auf Drängen der deutschen Landwirte zur Förderung des Saisonarbeiterverkehrs eingeführt worden, kommen den Auswanderern aber nur in geringem Maße zugute.
Ein großer Teil der Auswanderer muss nun die Reise ohne Pässe machen. Wird ein Auswanderer unterwegs abgefasst, so wird er zwangsweise nach der Heimat zurückgebracht, d. h. er wandert unter polizeilicher Bedeckung von Gefängnis zu Gefängnis, was bei den russischen Verhältnissen nicht gerade zu den größten Annehmlichkeiten zählt. An den einzelnen Orten muss er so lange warten, bis ein genügend großer Trupp zur nächsten Etappe zusammen ist. Aber auch der Agent, der den Auswanderer über die Grenze schickt, läuft Gefahr bestraft, ja sogar verschickt zu werden, wenn der Auswanderer unterwegs abgefasst und seine Mithilfe festgestellt wird. So kommt es, dass sich nicht gerade die Unbescholtensten mit diesem Geschäft befassen. Natürlich kommen auch hier dieselben Betrügereien vor, wie sie oben bei den Zuständen in Österreich geschildert wurden. Nur bieten die Schwierigkeiten über die Grenze zu kommen, reichlich Gelegenheit zu neuen Gaunereien. Je dringender einer über die Grenze muss und je wohlhabender er ist, umso höher ist der Preis, den der Schmuggler verlangt. An der Grenze gibt es eine Unmenge Existenzen, die von diesem Geschäft recht auskömmlich leben. An Plätzen mit großem Verkehr hat sich ein streng organisierter Betrieb zum Schmuggel von Menschen und Waren ausgebildet. Die Schmuggler mussten sich hier zusammentun, um erstens die noch größere Zahl von Unberufenen, die fortwährend als Denunzianten auftreten, abzuwehren und dann um die recht erheblichen Bestechungs- und Schmiergelder gemeinschaftlich aufzubringen. Auch ihre Arbeit haben sie unter einander geteilt. Ein Teil empfängt die Menschen, ein anderer die Waren; die einen bringen die Auswanderer über die Grenze, wieder andere besorgen die Bestechung, d, h, sie halten den Weg offen. An diese Schmuggler, die von den Inlandsagenten gekannt sind, werden die Auswanderer gesandt und mit deren Hilfe kommen sie über die Grenze, Natürlich ist es, dass die Auswanderer recht häufig bei den vielen Gaunern, die es unter den Schmugglern gibt, in die schlimmsten Gefahren gebracht werden; denn die Grenze ist scharf bewacht. Alle 200 Schritt bei Tage und alle 150 Schritt des Nachts steht ein Posten mit scharf geladenem Gewehr und es kommt nur zu häufig vor, dass ein hoffnungsfroher Auswanderer hier sein Leben lassen muss. Oder aber er wird von irgendeinem Betrüger, dem er sich zum Hinüberschmuggeln anvertraut hat, verschleppt und seiner Barschaft beraubt. Dass es hier noch viel schwieriger ist, dem Auswanderer sein Geld oder seine Habe, wenn sie ihm unterwegs abgenommen sind, zurück zu verschaffen, braucht nicht erst gesagt zu werden. So kann man denn an den Grenzstationen häufig die erschütterndsten Szenen gerade unter den russischen Auswanderern sehen, wie ganze Familien aller ihrer Habe beraubt nicht einmal mehr die Möglichkeit haben, nach ihrer Heimat zurückkehren zu können, da sie nach Russland nicht hinein können, wenn sie nicht Geld- und Gefängnisstrafen erdulden wollen.
Ein großer Teil der Auswanderer sind Analphabeten. Sie lebten und schmachteten in ihrem Elend ohne eine Möglichkeit zu kennen, sich daraus zu befreien. Es musste natürlich von außen her der Anstoß kommen, der all die Unglücklichen in Bewegung setzte. Sie konnten und können auch heute noch den Weg nicht allein finden nach dem Orte, wo ihre Arbeit verlangt wird und den erwünschten Lohn empfängt. So wurde im Anfang der Auswandererbewegung in den 50er u. 60er Jahren des 19. Jahrh. der Anstoß durch Agenten gegeben. Aber man kann sie dennoch für die Auswanderung nicht verantwortlich machen; denn der Grund zur Auswanderung war die unerträgliche wirtschaftliche Lage, und sie gaben nur den Anstoß. Nun kennen sie alle die Länder, in die sie wandern wollen. Es gibt wohl kaum noch einen Auswanderer, der ohne Adressen von Bekannten oder Verwandten die Reise antritt. Aber in ihrer Unbeholfenheit würden sie nie den Weg dorthin finden. Der Agent ist also heute ebenso notwendig wie früher und gerade in dieser Unentbehrlichkeit wurzelt seine Macht. Der Agent als solcher ist nicht derjenige Faktor, vor dem die Auswanderer, wie fälschlich immer angenommen wird, geschützt werden müssen, sondern die Art und Weise ist es, wie der größte Teil der österreichischen und russischen Agenten ihre Tätigkeit ausüben. Bei der großen Ausdehnung, die die Auswanderung genommen hat, gibt es in den Auswanderungsgegenden fast in jedem Dorf irgendjemanden, der Agenturgeschäfte betreibt, sei es nun der Gemeindeschreiber, der Wirt, ein Kaufmann, der Pfarrer, der Rabbiner oder irgendwer sonst. Es ist nun ganz natürlich, dass es unter dieser großen Menge unkontrollierter und unkontrollierbarer Existenzen viele finstere Gestalten gibt, die aus der Not und der Unwissenheit der Auswanderer Gewinn schlagen. An irgendeinen solchen Agenten wendet sich nun der Auswanderer im Geheimen natürlich, da er die Auswanderung für etwas Verbotenes hält. Er zeigt die Adresse seines Verwandten, zu dem er gern reisen möchte, Meisters weiß er auch den Hafen, über den sein Angehöriger gefahren ist. Über denselben Hafen will auch er fahren, und es wird dem Agenten schwer fallen ihn davon abzubringen. Der Agent hat von den verschiedenen Schifffahrtsgesellschaften, deren Agenten und Unteragenten Preislisten. Er sucht das für ihn günstigste Preisangebot heraus, lässt sich für seine Mühe eine Provision bezahlen und schickt den Auswanderer mit genauer Information zu der Agentur, mit der er selbst arbeitet; dort erst bezahlt der Auswanderer seine Überfahrt. So verläuft der erste Akt, wenn der Auswanderer das Glück hat, in ehrliche Hände zu fallen. Recht häufig schüchtert der Agent den Auswanderer noch mehr ein, als er es schon ist. Auf diese Weise hält er den Mann, der die Strafe fürchtet, völlig in der Hand. Er erklärt ihm, dass es gefährlich sei, mit Gepäck zu reisen, er kauft es ihm daher ab, Geld auf die Reise mitzunehmen sei nicht ratsam, man sollte es ruhig bei ihm lassen, es werde dann eher an Ort und Stelle sein als der Passagier selbst. Für die Höhe des Überfahrtspreises, den er fordert, ist das Preisangebot nicht weiter maßgebend, er nimmt so viel er erhalten kann. Nach dieser Ausplünderung wird der Auswanderer dann auf den Weg geschickt. Doch noch mancherlei Mühen hat er zu bestehen, bis er an sein Ziel kommt. Die Gebiete in der Nähe der Grenze wimmeln von einer Unzahl sog. Agenten und es ist den Auswanderern sehr schwer gemacht, diesen Gaunern zu entgehen, Bahnbeamte, Portiers, Finanzwachtleute, Gendarmen, Zollbeamte, stehen in großer Zahl im Dienste dieser Leute, und durch sic werden die armen Auswanderer in den Spießrutenweg hineingetrieben, aus dem ein Herauskommen mit heiler Haut sehr schwer ist. Mit Hilfe dieser Beamten wird den Auswanderern der staatliche Charakter der betreffenden Agentur vorgespiegelt. Irgendwelcher Betrug sei natürlich in einem staatlichen Büro völlig ausgeschlossen. Hat der Auswanderer das Geld bei sich, wovon man sich im Notfälle durch Leibesvisitation überzeugt, dann muss er den Überfahrtspreis nach Angabe der Beamten sofort bezahlen; hat er aber kein Geld bei sich, dann muss er nach Hause telegraphieren und es sich schicken lassen. Weigert er sich, so wird ihm mit Strafe und Zwangsschub nach der Heimat gedroht. Eine zwei- bis dreitägige Haft in irgend einem Stall macht selbst den Hartnäckigsten weich. Ist der Auswanderer nun bereit zu zahlen, dann wird er von einem sogen. Arzt untersucht, es wird mit Hilfe einer Weckuhr oder irgend eines anderen Instrumentes nach dem Hafen und, wenn es sein muss, auch nach Amerika telefoniert und auf diese Weise alles für den Auswanderer in bester Weise geordnet. Die Akten eines Prozesses, der vor einiger Zeit in Oswiecim stattfand, machen uns mit dem Geschäftsgebaren dieser Ausbeuter bekannt. Dass jeder Akt bei diesem Theater besonders bezahlt werden muss, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden. Sind die Auswanderer auf diese Weise ausgeplündert, dann dürfen sie über die Grenze Hier müssen sie dann häufig tagelang warten, bis es gelingt, für sie wenigstens so viel von dem Agenten herauszubekommen, dass sie die Reise antreten können. Fälle der geschilderten Art kommen fast täglich vor. Es gibt zwar in Österreich Kontrollbeamten für die Agenturen, der größte Teil von ihnen aber erfüllt seine Pflicht entweder zu lässig oder gar nicht, so dass solche Ausschreitungen möglich sind.
Noch schlimmer sind die Zustände in Russland. Hier ist die Macht der Agenten noch größer, weil es mit ihrer Hilfe meistens erst möglich ist, aus dem Lande zu kommen. Um aus Russland herauszukommen, muss man einen Pass haben. Viele sind aber nicht in der Lage sich einen solchen zu beschaffen. Sie müssen schnell abreisen und können nicht mehr auf die langwierige Ausstellung eines Passes warten, wie das häufig bei Judenverfolgungen vorgekommen ist. Auch die Kosten der Beschaffung sind für viele zu hoch. Um einen Auslandspass zu erhalten, muss man einen Inlandspass besitzen. Ist der betreffende in der Heimatsgemeinde bekannt oder im Melderegister eingetragen, so kann auf den Inlandspass verzichtet werden. Ein Pass kostet ungefähr 25 Rubel (15 Rubel für das Passbuch, 3 Rubel für den Stempel, 7 Rubel für Spesen und Schmiergelder), Frauen und Kinder müssen die Genehmigung ihres Mannes bzw. Vaters haben. Ist der Vater nicht am Orte, dann muss er, wem er im Inlande ist, die notariell bescheinigte schriftliche Erlaubnis erteilen; ist er im Ausland, dann muss er seine Genehmigung vom Konsul bescheinigen lassen. Außer diesem gebräuchlichsten gibt es noch zwei andere Arten von Pässen. Die Kaufmannspässe und die Arbeiterpässe, Kaufmannspässe sind Gildepässe. Sie werden an Kaufleute zweiter Gilde erteilt. Ein Kaufmann zweiter Gilde zahlt 75 Rbl. jährlich Steuern. Für 11 Rbl. erhält er einen Gildepass, der zum Unterschied von dem anderen zum ständigen Überschreiten der Grenze berechtigt, während die anderen nur ein einmaliges Hinüber und Herüber gestatten. Seit einiger Zeit gibt es nun auch noch Arbeiterpässe. Sie werden an Arbeiter im Grenzgebiet ausgegeben. Ihre Gültigkeit läuft nach 10 1/2 Monaten ab. Außerdem müssen die Arbeiter durch einen Kontrakt nachweisen, dass sie im Ausland bestimmt Arbeit erhalten. Diese Pässe sind auf Drängen der deutschen Landwirte zur Förderung des Saisonarbeiterverkehrs eingeführt worden, kommen den Auswanderern aber nur in geringem Maße zugute.
Ein großer Teil der Auswanderer muss nun die Reise ohne Pässe machen. Wird ein Auswanderer unterwegs abgefasst, so wird er zwangsweise nach der Heimat zurückgebracht, d. h. er wandert unter polizeilicher Bedeckung von Gefängnis zu Gefängnis, was bei den russischen Verhältnissen nicht gerade zu den größten Annehmlichkeiten zählt. An den einzelnen Orten muss er so lange warten, bis ein genügend großer Trupp zur nächsten Etappe zusammen ist. Aber auch der Agent, der den Auswanderer über die Grenze schickt, läuft Gefahr bestraft, ja sogar verschickt zu werden, wenn der Auswanderer unterwegs abgefasst und seine Mithilfe festgestellt wird. So kommt es, dass sich nicht gerade die Unbescholtensten mit diesem Geschäft befassen. Natürlich kommen auch hier dieselben Betrügereien vor, wie sie oben bei den Zuständen in Österreich geschildert wurden. Nur bieten die Schwierigkeiten über die Grenze zu kommen, reichlich Gelegenheit zu neuen Gaunereien. Je dringender einer über die Grenze muss und je wohlhabender er ist, umso höher ist der Preis, den der Schmuggler verlangt. An der Grenze gibt es eine Unmenge Existenzen, die von diesem Geschäft recht auskömmlich leben. An Plätzen mit großem Verkehr hat sich ein streng organisierter Betrieb zum Schmuggel von Menschen und Waren ausgebildet. Die Schmuggler mussten sich hier zusammentun, um erstens die noch größere Zahl von Unberufenen, die fortwährend als Denunzianten auftreten, abzuwehren und dann um die recht erheblichen Bestechungs- und Schmiergelder gemeinschaftlich aufzubringen. Auch ihre Arbeit haben sie unter einander geteilt. Ein Teil empfängt die Menschen, ein anderer die Waren; die einen bringen die Auswanderer über die Grenze, wieder andere besorgen die Bestechung, d, h, sie halten den Weg offen. An diese Schmuggler, die von den Inlandsagenten gekannt sind, werden die Auswanderer gesandt und mit deren Hilfe kommen sie über die Grenze, Natürlich ist es, dass die Auswanderer recht häufig bei den vielen Gaunern, die es unter den Schmugglern gibt, in die schlimmsten Gefahren gebracht werden; denn die Grenze ist scharf bewacht. Alle 200 Schritt bei Tage und alle 150 Schritt des Nachts steht ein Posten mit scharf geladenem Gewehr und es kommt nur zu häufig vor, dass ein hoffnungsfroher Auswanderer hier sein Leben lassen muss. Oder aber er wird von irgendeinem Betrüger, dem er sich zum Hinüberschmuggeln anvertraut hat, verschleppt und seiner Barschaft beraubt. Dass es hier noch viel schwieriger ist, dem Auswanderer sein Geld oder seine Habe, wenn sie ihm unterwegs abgenommen sind, zurück zu verschaffen, braucht nicht erst gesagt zu werden. So kann man denn an den Grenzstationen häufig die erschütterndsten Szenen gerade unter den russischen Auswanderern sehen, wie ganze Familien aller ihrer Habe beraubt nicht einmal mehr die Möglichkeit haben, nach ihrer Heimat zurückkehren zu können, da sie nach Russland nicht hinein können, wenn sie nicht Geld- und Gefängnisstrafen erdulden wollen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Auswanderung aus Österreich und Russland über die Deutschen Häfen
Wiener Kaufruf - Bierwirtsjung
Der Brigittakirchtag
Harvenisten
Der hohe Markt.
Der Obstmarkt auf der Freiung.
Sesselträger
Haus in Wien, IV., Lambrechtsgasse 8A
Eine Sicherheitswache, ein Lampenanzünder und eine Obstverkäuferin.
Wiener Kaufruf - Würsteverkäufer
Zeiselwagen
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Das Schottentor und die Schottenbastei.
Die Theaterenthusiasten.
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Der Michaelerplatz und das Burgtheater.
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Der erste Mai auf dem Tivoli.
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