Die Auswanderung aus Österreich und Russland über die Deutschen Häfen

In kurzer Übersicht soll in vorliegender Arbeit die Frage der Auswanderung aus Österreich und Russland erörtert werden. Ich habe versucht, den hauptsächlichsten Reiseweg, den über Deutschland, mit allen seinen Einrichtungen zu schildern. —

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Begriffsbestimmung und Umgrenzung des Arbeitsgebietes.

Der Begriff der Auswanderung, so klar er auch auf den ersten Blick scheint, ist doch kein feststehender und einheitlicher. Das deutsche Auswanderungsgesetz vermeidet eine Begriffsbestimmung: es sagt nur negativ, dass die Beförderung von Reisenden, die sich, wenn auch auf längere Zeit nach außerdeutschen Ländern begeben, nicht unter das Gesetz fällt. Das österreichische Auswanderungspatent vom 24. März 1832 betrachtet als Auswanderer denjenigen, der mit dem ausdrücklich erklärten oder durch seine Handlungen erkennbaren Vorsatz, nicht mehr zurückzukehren, sich in das Ausland begibt. Ein neuer Entwurf eines österreichischen Auswanderungsgesetzes will denjenigen als Auswanderer bezeichnen, der sich nach dem Ausland begibt, um dort Erwerb zu suchen. — Nach ungarischem Gesetz ist derjenige Auswanderer, der sich behufs ständigen Erwerbs für unbestimmte Zeit in das Ausland entfernt. — Eng fasst endlich das italienische Gesetz den Begriff. Es besagt, Auswanderer ist, wer sich in dritter oder gleichartiger Schiffsklasse nach Ländern jenseits des Suezkanals oder der Straße von Gibraltar (Europa ausgenommen) begibt.

Diese Definitionen ergeben kein klares Bild davon, was unter Auswanderung verstanden werden soll. In vorliegender Abhandlung soll lediglich die überseeische Auswanderung aus Russland und Österreich, die nach Amerika, behandelt werden. Die Wanderungen innerhalb Europas, so wichtig sie für diese beiden Länder sein mögen, bleiben außer Betracht. Die Hauptziele dieser kontinentalen Wanderungen sind Deutschland, Rumänien, Sibirien, Dänemark und in neuerer Zeit auch Frankreich. Hierbei ebenso wie beim Durchzug der überseeischen Auswanderer nimmt Deutschland die erste Stelle ein. Die deutsche Feldarbeiterzentrale, die diesen sogenannten Saisonarbeiter- oder Sachsengänger-Verkehr leitet und regelt, berichtet über die stets wachsende Zahl der Einwanderer. Nach ihren Jahresberichten betrug die Zahl der zum Aufenthalt in Deutschland an den Grenzen legitimierten Arbeiter in den letzten Jahren:

1908/1909
319.581

1909/1910
350.503

Man sieht also, dass das beträchtliche, erwähnenswerte Massenbewegungen sind. Da aber über diese Arbeiterwanderungen genaue Untersuchungen von den verschiedensten Seiten bestehen, brauche ich hier nicht mehr darauf einzugehen. Die Bedeutung Österreichs und Russlands auch an den überseeischen Auswanderungen wird die nachfolgende Statistik zeigen. Hier sei nur ein Beispiel zur Illustrierung angeführt, um zu zeigen, wie schnell und wie mächtig diese beiden Länder, die erst seit kurzer Zeit als Auswanderungsländer in Betracht kommen, in diesen Verkehr eingegliedert wurden. Bis zum Jahre 1880 bestand die Einwanderung in den Vereinigten Staaten zu 87 % aus Angehörigen der germanischen Rasse. Nur 13 % stammten aus Süd- und Osteuropa. Doch dieses Bild hat sich seither völlig verändert. Im Dezennium 1891 bis 1900 bestand die Einwanderung nur noch zu 46,2 % aus germanischen Auswanderern und zu 53,8 % hauptsächlich aus Angehörigen der slawischen Rasse und 1906 waren es 21,1 % zu 78,9 %. In den letzten Jahren ist der Prozentsatz der Slawen noch gestiegen.

Der größte Teil der russischen und österreichischen Auswanderer nimmt seinen Weg über Deutschland, und deshalb will auch ich diesen Weg verfolgen. Meine Aufgabe soll es sein, nach den Ursachen dieser Auswanderungsbewegung zu suchen und zu zeigen, welche Stellung Staat und Gesellschaft der verschiedenen in Betracht kommenden Länder dieser Auswanderung gegenüber einnehmen, und welche Ziele sich die Auswanderungspolitik stecken sollte.