Die Austern und ihr Fang.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 14. 1875
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Austern, Weichtiere, Muscheln, Leckerbissen, Römer, Austernzucht, Austerngärten, Austernbänke, Naturschutz, Aussterben, Raubfischerei, Überfischung, Golfstrom, Nordsee, Atlantik, Salzgehalt des Wassers,
Das zweischalige Weichtier, welches wir unter dem Namen Auster kennen und dessen Gestalt und Eigenschaften wir bei unseren Lesern als bekannt voraussetzen dürfen, ist schon seit unvordenklichen Zeiten den Menschen als eine schmackhafte und nährende Speise bekannt. Den alten Römern galten schon vor zweitausend Jahren Austern als ein so gesuchter Leckerbissen, dass sie diese Tiere einer künstlichen Zucht und Pflege unterwarfen, um sie in größtmöglicher Schönheit und Vollkommenheit auf den Tisch der Reichen zu bringen. Diese Pflege war im Lauf der Zeit verloren gegangen und hat erst wieder neu erfunden werden müssen, um die Märkte unserer Großstädte mit schönen und großen Austern zu versehen. Von dem Umfang des Verbrauchs der Austern mag die Tatsache zeugen, dass heutzutage in Paris allein jährlich gegen 80 Millionen Stück verzehrt werden, in London mindestens ebenso viel, in New-York nahezu das Doppelte

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Schon in grauer Vorzeit bildete die Auster ein Hauptnahrungsmittel jener skandinavischen Völker, welche uns die sogenannten „Kjökkenmöddinger“ oder Küchenüberreste*) hinterlassen haben, in denen man neben Fischgräten hauptsächlich Austernschalen, und zwar zum Teil von bedeutender Größe, findet. Der Golfstrom und die ruhigen Buchten und Fjorde Norwegens sind ja dem Fortkommen der Auster noch bis auf den heutigen Tag ungemein günstig. Austern finden sich außerdem nicht nur in allen europäischen Meeren, mit Ausschluss der Ostsee, deren geringer Salzgehalt ihr Gedeihen nicht erlaubt, sondern beinahe in allen Meeren der warmen und gemäßigten Zone, wo der Salzgehalt der See nicht unter 17 per Mille beträgt. Die Austern, welche im nördlichen Europa verspeist werden, kommen zunächst aus dem Atlantischen Meere und der Nordsee und werden gewöhnlich nur an den Küsten oder auf seichteren Stellen in einer Tiefe bis zu 20 Faden gefischt, denn in größerer Tiefe finden sie sich nur selten. Sind die gefangenen Austern groß und fett, so werden sie sogleich nach dem Sortieren in Fässer geschlagen und zu Markte gebracht, während man die schwächeren und mageren in künstlichen Seewasserbassins, sogenannten Austerngärten, mästet, ehe sie in den Handel kommen. Trotzdem, dass jede weibliche Auster ungefähr 1.200.000 Eier, resp. junge Austern bei sich trägt, die in erwachsenem Zustande 12.000 Fässer füllen würden, haben die Austern doch so viele Feinde und unterliegen — namentlich durch den übermäßigen Fang und die Nichtbeobachtung der Schonzeiten — einer solchen Verheerung, dass man z. B. an den französischen Küsten, in der Bretagne usw., bereits Vorrichtungen zur künstlichen Zucht treffen musste, um die Austern nicht aussterben zu lassen und deren Vermehrung zu fördern. Eine gute Austernbank darf weder zu tief, noch zu seicht liegen, denn im ersteren Fall sollen, wegen des starten Wasserdrucks, die Austern nur sehr langsam wachsen und nicht fett werden, und auf seichten Bänken werden sie bei der Ebbe trockengelegt und leiden im Winter durch die Fröste. Aus Austernbänken in einer Tiefe von 5 bis zu 20 Faden werden die Austern mittelst des in der kleinen Vignette unseres Holzschnittes S. 220 abgebildeten eisernen Korbrechens oder Kätschers gefangen, den man auf den Meeresgrund hinablässt, mit einer Leine am Boote befestigt, über die Bank hinschleppt und von Zeit zu Zeit heraufzieht. Die gefangenen Austern, welche die scharfe flache Kante des Rechens vom Grunde losgerissen hat, werden dann sogleich nach ihrer Qualität sortiert und die kleinen Austern wieder ins Meer geworfen gleich der jungen Brut. Was nicht sogleich zu Markte kommt, wird einstweilen in den künstlichen Meerwasserbassins, den Austernparks, aufbewahrt.

*) Kjökkenmöddinger, d. h. Küchenabfälle, nennt man in Dänemark und besonders am Kattegat längliche, aus Muschelschalen, Fischgräten, Tierknochen usw. zusammengesetzte Hügel, welche aus der sogenannten Steinzeit stammen und sich dort vorfinden, wo einst die Wohnsitze der von Jagd und Fischerei lebenden Menschen jener Periode standen.

Austernschlepper in der Nordsee_

Austernschlepper in der Nordsee_