Die erste Forderung des Arbeiterstandes ist: eine dem wahren Wert der Arbeit entsprechende Erhöhung des Arbeiterlohnes.

Diese Forderung ist im Allgemeinen höchst billig; auch die Religion fordert, dass die menschliche Arbeit nicht wie eine Ware behandelt und lediglich durch An- und Abgebot abgeschätzt werde.

Dahin hatten es die vorhin erwähnten volkswirtschaftlichen Grundsätze, die von jeder Sittlichkeit und Religion abstrahierten, gebracht. Die Arbeit wurde nicht nur als Ware, sondern der Mensch mit seiner Arbeitskraft überhaupt als Maschine betrachtet. Wie man die Maschine so billig wie möglich kauft und sie dann Tag und Nacht ausnutzt bis zu ihrer Zerstörung, so wird der Mensch mit seiner Kraft nach diesen Systemen gebraucht. Diese Entwicklung hatte in England bereits eine erschreckende Höhe erreicht. Dagegen entstanden vor allem die englischen Trades-Unions, welche bald eine sehr große Ausdehnung gewannen. Das Hauptmittel der Trades-Unions gegen Capital und gegen die großen Geschäftsunternehmer waren die Streiks. Man hat oft behauptet, dass diese Streiks durch die Störung des Geschäftes und durch die Entbehrung des Lohnes auf Seiten der Arbeiter, welche die Arbeit einstellen, den Arbeitern mehr geschadet als genutzt haben. Das ist aber im Ganzen und Großen unwahr. Die Streiks haben, wie dies soeben der Engländer Thornton überzeugend nachgewiesen, den Arbeitslohn bedeutend gehoben. Dieser ist in den letzten vierzig Jahren, seitdem die Trades-Unions ihre Tätigkeit begonnen, in einigen Gewerben um 50 Prozent, in manchen anderen um 25—30 und in allen mindestens um 15 Prozent gestiegen. Thornton macht auch darauf aufmerksam, dass zwar bei den Streiks die Arbeiter in der Regel scheinbar unterlegen seien, dass aber dennoch in Folge derselben überall bald nachher eine Erhöhung des Arbeitslohnes bewilligt worden sei, so dass die Niederlage nur eine scheinbare gewesen. Nach dem Vorbilde dieser Trades-Unions sind nun auch in Deutschland die Genossenschaften gebildet, denen nicht wenige unter euch angehören. Dieses Bestreben nach rechtmäßiger Erhöhung des Lohnes ist gewiss nicht verwerflich. Dass die menschliche Arbeit auch entsprechenden Lohn empfange, ist eine Forderung der Gerechtigkeit und des Christentums.


So sehr aber das Bestreben berechtigt ist, für die Menschenarbeit einen anderen Lohn zu erringen, als für Maschinenarbeit, was gleichbedeutend mit dem ist, der Menschenarbeit und dem Arbeiter seine Menschenwürde, zurückzugeben, die ihnen die Grundsätze der liberalen Volkswirtschaft geraubt hatten, so sehen wir doch schon hier, liebe Arbeiter, dass dieses Bestreben nur dann euch wahren Nutzen bringen und mir dann von bleibendem Erfolge gekrönt werden wird, wenn es im innigen Zusammenhang mit der Religion und Sittlichkeit bleibt. Das ergibt sich aber in doppelter Hinsicht.

Erstens könnt ihr euch darüber nicht täuschen, geliebte Arbeiter, dass auch die Lohnerhöhung ihre Grenzen hat und dass auch das höchst mögliche Maß derselben doch immerhin nur ein sehr bescheidenes Einkommen abwirft. Die natürliche Grenze des Arbeiterlohns liegt in der Rentabilität des Geschäftes, in welchem ihr arbeitet. Das geistige und materielle Kapital, welches in dem Geschäfte steckt, wird sich augenblicklich dem Geschäfte entziehen und einem anderen Industriezweige zuwenden, so bald die Lohnansprüche so hoch werden, dass es selbst keinen hinreichenden Gewinn mehr abwirft. Dann hört aber die Arbeit auf. Der Arbeiterlohn hat also trotz aller Verbindungen unter den Arbeitern seine Grenzen und es wäre für euch höchst verderblich, wenn ihr euch das nicht klar machen und glauben würdet in Folge maßloser Verheißungen, dass eine ungemessene Steigerung möglich wäre.

Selbst der höchste Lohn wird euch daher nur eine hinreichende und befriedigende Wohlfahrt gewähren, wenn große Mäßigkeit und Sparsamkeit die ganze Grundlage eures Lebens ausmacht. Und diese kostbaren Güter: Mäßigkeit und Sparsamkeit, wird der Arbeiterstand nur dann besitzen, wenn sein ganzes Leben ein wahrhaft und innig religiöses ist. Die Tatsache ist durchaus nachgewiesen, dass sich der Wohlstand der Arbeiter nicht allein nach der Höhe des Lohnes richtet; dass es vielmehr Gegenden gibt, wo Gewerke betrieben werden, die einen sehr hohen Lohn abwerfen, wo dagegen die Not unter den Arbeitern eine sehr große ist, und dass es andere Gegenden gibt, wo die Arbeiter bei geringerem Lohn es zu einem viel größeren Wohlstande gebracht haben.

Eine der größten Gefahren für den Arbeiter in dieser Hinsicht ist die Trunksucht, die Genusssucht, die genährt und gepflegt wird durch jene zahllosen Wirtshäuser und Schenken, die überall entstehen, wo eine große Arbeiterbevölkerung ist und deren Vermehrung in dem Maße von den Regierungen geduldet wird, als diese selbst den Sinn für Sittlichkeit und Religion verloren haben. Habe ich doch einmal von einem Beamten die Behauptung gehört, dass die Vermehrung der Wirtshäuser im Interesse des Staates liege, weil dadurch die Steuern vermehrt würden. Diese Wirtshäuser und Kneipen sind für den Arbeiter keine Blutaussauger, aber Geld-, Lohnaussauger; sie sind eine verwerfliche Spekulation, um dem Arbeiter den sauer verdienten Lohn aus der Tasche zu locken. Es genügt eine kurze Zeit, der Unmäßigkeit gewidmet, um den höchsten Lohn durchzubringen. Was hilft daher der höchste Lohn dem Arbeiter, der ein Knecht der Unmäßigkeit ist? Und dennoch welche sittliche Kraft gehört auf der anderen Seite dazu, wenn der Arbeiter sich vor jeder Schwelgerei und Unmäßigkeit hüten soll! Es hat vielleicht nie auf Erden eine solche angestrengte, eine so ununterbrochene, eine so ruhelose Arbeit gegeben wie die Fabrikarbeit. Die vielen Arbeiter, welche dieselbe Arbeit täglich in derselben Anzahl Stunden verrichten, kontrollieren sich gegenseitig. Jede Minute, wo die Hand ausruhen will, zeigt sich sofort. Wie leicht kann es da geschehen, dass der in denselben Arbeitsraum, auf demselben Stuhl, täglich die gleiche Reihe von Stunden immer an dieselbe mechanische Tätigkeit gebundene Mensch endlich, wenn er von dieser sauren Arbeit befreit ist, in Unmäßigkeit und Ausschweifung eine gewisse Entschädigung sucht. Es gehört daher eine hohe sittliche Kraft dazu, bei einem solchen Leben mäßig und sparsam zu bleiben und in etwas Anderem als in der Kneipe mit ihren niedrigen Genüssen Ersatz für dieses mühevolle Leben zu suchen. Nur die Religion vermag aber dem Arbeiter diese hohe sittliche Kraft einzuflößen, ihn mäßig und sparsam zu machen. Wenn daher die Lohnerhöhungen euch wahrhaft nutzen sollen, geliebte Arbeiter, dann müsst ihr wahre Christen sein.

Zweitens bedürft ihr der Religion und Sittlichkeit bei euren Bestrebungen um Lohnerhöhung, um in euren Anforderungen nicht das rechte Maß zu überschreiten. Wir haben schon gesehen, dass die Lohnerhöhung ihre Grenzen hat. Es ist daher in unserer Zeit, wo diese Bewegung unter den Arbeitern zur Verbesserung ihrer materiellen Lage immer stärker, immer allgemeiner wird, von der höchsten Bedeutung, dass diese Forderung ihr berechtigtes Maß nicht überschreite, dass die Arbeiter sich nicht als Mittel zu ganz anderen Zwecken missbrauchen lassen. Nicht der Kampf zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeiter muss das Ziel sein, sondern ein rechtmäßiger Friede zwischen beiden.

Die Gottlosigkeit des Kapitals, das den Arbeiter als Arbeitskraft und Maschine bis zur Zerstörung ausnützt, muss gebrochen werden. Sie ist ein Verbrechen am Arbeiterstande und eine Entwürdigung desselben. Sie passt nur zur Theorie jener Menschen, die unsere Abstammung vom Affen ableiten. Aber auch die Gottlosigkeit der Arbeiter muss vermieden werden. Wenn diese Bewegung nach Erhöhung des Arbeitslohnes ihr rechtmäßiges Maß überschreitet, so müssen zuletzt Katastrophen eintreten, deren nachteilige Wirkungen auch auf den Arbeiterstand mit ihrem ganzen Gewichte zurückfallen. Das Kapital kann zuletzt immer andere Wege finden, wenn auch das Geschäft ruiniert ist, in dem es bisher gearbeitet hat. Dafür hat ja schon das grauenvolle Schuldenwesen unserer modernen Staaten gesorgt, dass jeder Geldspekulant auf der Börse und in den Staatspapieren zuletzt noch ein unermessliches Gebiet für seine Operationen behält. Der Arbeiter kann dagegen nicht so leicht bei Geschäftsstockung einen anderen lohnenden Erwerb finden. Außerdem sind es nicht nur die großen Kapitalisten, die bei unbilligen Forderungen um Lohnerhöhung leiden, sondern auch die vielen kleineren Geschäfte, die in den Händen unseres mittleren Bürgerstandes sind, bis zu den Meistern und Handwerkern herab. Soll aber der Arbeiterstand bei seinen Bestrebungen das rechte Maß halten, soll er der Gefahr entgehen, bloß ein Mittel für die Zwecke ehrgeiziger Menschen zu werden, soll er selbst die Klippen einer ungeordneten Selbstsucht vermeiden, welche er bei dem Kapitalisten bekämpft, so muss er von einer hohen sittlichen Gesinnung erfüllt sein, so muss er ein braver, christlicher, religiöser Arbeiterstand sein. Die Geldmacht ohne Religion ist vom Bösen. Ebenso aber auch die Arbeitermacht ohne Religion. Beide führen zum Verderben.