Zweite Fortsetzung

In vielen sozialen Beziehungen erschien es wünschenswert, die Häuser so in den verschiedenen Stadtteilen zu verteilen, dass eine Vermengung der ärmeren Bevölkerung mit der wohlhabenden stattfinde, die Häuser mit nicht zu vielen Wohnungen einzurichten und Kellerwohnungen überhaupt auszuschließen. Im Frühjahre 1849 begann die Gesellschaft ihre Tätigkeit mit einem Kapitale von 71.000 Mark und im Jahre 1851 waren bereits 12 Häuser mit zusammen 130 Wohnungen und mehreren Werkstätten vollendet, so dass darin Mietsgenossenschaften aufgenommen werden konnten. Im Jahre 1852 schenkte Kaiser Nikolaus von Russland zum Geburtstage seiner Gemahlin Alexandra der Gesellschaft 1.000 Dukaten; diese verwendete man zur Gründung der Alexandra-Stiftung, deren Statuten nach langen Verhandlungen erst 1856 vom König genehmigt wurden. Inzwischen hatten sich aber die Verhältnisse der alten Gesellschaft allmählich geändert, indem die Abnahme der Aktien mit nur 4% Dividende nicht anders als ein Akt der Wohltätigkeit angesehen wurde, und die Gesellschaft konnte nur mit Hilfe eines Hypothekar-Anlehens von 1854 bis 1856 noch 4 Häuser ausführen, so dass sie zusammen 221 Wohnungen und 31 Werkstätten besaß. Die Häuser lieferten auch nicht mehr 6% Reingewinn, weshalb man im Verwaltungsrate geneigt war, die sukzessive Eigentumsübertragung ganz aufzugeben. Indes konnte man sich hierzu nicht sogleich entschließen, da gerade die Einrichtung, den kleinen Leuten zum Grundeigentume zu verhelfen, oder doch mit ihrem Mietsverhältnisse ein Sparsystem zu verbinden, etwas ungemein Segensreiches und für den Menschenfreund Anziehendes habe. Man kam nun zu dem vermittelnden Beschluss, die alte Gesellschaft unverändert zu lassen, für die neue Aktien-Baugesellschaft ,,Alexandra-Stiftung“ aber die Eigentumsübertragung nicht aufzunehmen, sondern deren Tätigkeit nur auf das Erbauen und Vermieten gesunder, kleiner Wohnungen zu richten.

Die Aktien der Alexandra Stiftung lauten auf 300 Mark; das Kuratorium derselben besteht aus dem jedesmaligen Vorstande der gemeinnützigen Baugesellschaft, so dass beide Gesellschaften in organischem Zusammenhänge stehen, und dem Kuratorium steht ein von den Aktionären gewählter Ausschuss zur Seite. Von dem Reingewinne werden 10% zur Amortisation der Aktien zu Gunsten der Stiftung verwendet, der endlich das gesamte Eigentum der Gesellschaft zufällt, während das Kuratorium 5% des Reingewinnes zum Vorteile der Mieter verwenden darf. Die neue Stiftung machte erfreuliche Fortschritte, wogegen die weitere Teilnahme für die gemeinnützige Baugesellschaft fast ganz aufhörte, so dass diese sich veranlasst sah, die Bildung von Mietsgenossenschaften so lange zu sistieren, bis die Gesamtheit der Gesellschaftshäuser wieder einen Reinertrag von 6% ergeben würde. Dies geschah im Jahre 1857, wo der aus dem Reinerträgnis von über 4% gebildete Reservefond die Höhe von 52.130 Mark erreicht hatte, der sich im Jahre 1866 bereits auf 158.250 Mark belief. Der Mangel von Interesse für die gemeinnützige Baugesellschaft erklärt sich dadurch, dass die Privatspekulation in letzterer Zeit so viele kleine Wohnungen geschaffen hatte und nun Überfluss daran vorhanden war. Vom Jahre 1867 an vermehrte sich die Bevölkerung Berlins aber derartig, dass nicht nur die leeren Wohnungen gefüllt wurden, sondern auch noch Wohnungsnot eintrat; binnen 10 Jahren hatte die Bevölkerung um 62 % zugenommen, die Häuser sich aber nur um 47 % vermehrt und die Miete war durchschnittlich um 92% gestiegen. Nun genoss jener Teil der Mieter, der zu Mietsgenossenschaften vereinigt war, den großen Vorteil, dass er zu dem vor Jahren festgesetzten Mietpreise, der um 50 bis 100% billiger war, wohnte und dabei noch 1/3 der Miete als Eigentumsanteil gut geschrieben erhielt. Aber auch die übrigen Parteien wohnten in den Häusern der Gesellschaft erheblich billiger als in anderen Miethäusern, und dabei gewährten beide Gesellschaften bei Vergebung von Wohnungen jenen Parteien den Vorzug, die am meisten mit Kindern gesegnet waren.


Welche große Bedeutung diese Gesellschaften für die Zukunft haben, lässt sich aus dem raschen Anwachsen des Vermögens derselben ermessen. Die regelmäßigen Einnahmen an Mieten, sowie die Verwaltungsüberschüsse fließen in den Reservefond und man kann annehmen, dass sich das Kapital alle 12 Jahre verdoppelt; dann wird das 542.364 Mark im Jahre 1866 betragende Vermögen beider Gesellschaften nach 50 Jahren, also im Jahre 1916, schon auf etwa 6.000.000 Mark angewachsen sein. Mit so bedeutenden Mitteln lässt sich zur Herstellung gesunder und zweckmäßiger Wohnungen für die arbeitenden Klassen schon segensreich wirken, zumal dadurch, dass der Privatspekulation heilsame Konkurrenz geboten und dem Verdrängen der kleinen Leute aus den besseren Stadtteilen entgegengewirkt wird. In vielen Städten Deutschlands haben sich dann auch gemeinnützige Baugesellschaften gebildet, und namentlich kam die preußische Regierung diesen Bestrebungen mit großer Teilnahme entgegen, indem sie ein Gesetz erließ, welches für alle gemeinnützigen Baugesellschaften Freiheit von Stempelgebühren und Gerichtskosten festsetzt.

Die Idee, durch Amortisation der Baukosten das Eigentumsrecht auf die Mieter der Wohnungen zu übertragen, dürfte sich in großen Städten im Allgemeinen wohl schwerlich durchführen lassen; dass diese Idee sich aber in kleineren Städten in einer sehr praktischen und einfachen Weise realisieren lässt, ist zuerst in Mühlhausen im Elsass bewiesen. Das von Prinz Albert 1851 auf der Londoner Ausstellung errichtete Modell eines Arbeiterhauses für 4 Familien veranlasste F. Zuber's Sohn, in einer im September 1851 an den Gewerbeverein von Mühlhausen gerichteten Eingabe die Erbauung von Wohnungen für die zahlreichen Arbeiter dieser Industriestadt zu beantragen, obgleich A. Köchlin hier schon im Jahre 1830 Wohnungen für die Arbeiter seiner Fabrik hatte bauen lassen. Durch das energische Streben des Groß-Industriellen Dollfus bildete sich nun eine Aktiengesellschaft, welche den Bau einer Arbeiter-Kolonie in Angriff nahm. Diese ,,Mühlhauser Gesellschaft für Arbeiter-Kolonien“ begann ihre Tätigkeit mit einem Vermögen von 300.000 Fr. = 240.000 Mark, welches später auf 280.000 Mark erhöht wurde. Das Kapital war in 60 Aktien à 5.000 Fr. geteilt und die Zahl der Aktionäre stieg von anfänglich 12 auf 21; alle Aktien waren mittelst Indossierung übertragbar.

Da die Aktionäre nur das Wohl der Arbeiter im Auge hatten und den Zweck verfolgten, ihnen nicht nur gesunde Wohnungen zu bieten, sondern auch den Ankauf der Häuser um den Kostenpreis zu ermöglichen, so berechtigte jede Aktie nur zu einer Verzinsung des Nominalkapitals mit 4%, von der Einzahlung an gerechnet, sowie zur Rückzahlung des gleichen Kapitals; die Aktionäre verzichteten also auf jeden Gewinn. In dem Maße, wie die Gelder in Folge der Vermietung oder des Verkaufes der Häuser flüssig wurden, erfolgte der Rückkauf einer oder mehrerer durch das Los bestimmter Aktien. Die Verwaltung der Gesellschaft bestand aus einem Komitee von vier Direktoren, welche bis zum freiwilligen Rücktritt oder bis zu ihrem Ableben ihr Amt inne hatten, keine Besoldung erhielten, sich nur über die Ausführung ihres Auftrages zu verantworten hatten, in Folge ihrer Handlungen jedoch keine persönliche Verpflichtung übernahmen. Jedes Jahr erwählte das Komitee einen Präsidenten und einen Sekretär. In der jährlich einmal stattfindenden Generalversammlung konnte sich ein Aktionär nur durch ein bevollmächtigtes Mitglied der Gesellschaft vertreten lassen; jede Aktie zählte, für eine Stimme, doch konnte kein Aktionär mehr als 10 Stimmen besitzen. Die Generalversammlung konnte auf Veranlassung des Komitees Änderungen an den Statuten vornehmen, neue Bestimmungen treffen und die Erhöhung des Stammkapitals beschließen; dieser Beschluss hatte nur dann Gültigkeit, wenn ¾ der anwesenden Mitglieder dafür gestimmt hatten.

Die Gesellschaft errichtete anfänglich Langbauten, wobei sich 4 Wohnungen eines Eckhauses auf 14.100 Fr. und 4 Wohnungen eines Zwischenhauses auf 13.500 Fr. stellten; später wurden nur isolierte Häuser mit 4 Wohnungen gebaut, die 12.400 Fr. = 9.920 Mark kosteten. Jede der letzteren Wohnungen besteht aus einem geräumigen Keller, im Erdgeschoss aus Küche und Wohnzimmer, im 1. Stock aus 2 Schlafzimmern und außerdem aus Bodenraum und Abort. Diese Häuser wurden um den Preis von 3.300 Fr. = 2.640 Mark pro Wohnung mit zugehöriger Gartenfläche an die Arbeiter verkauft. Dies geschah durch eine erste Einzahlung von 200 — 300 Fr. bei der Unterzeichnung des Kaufkontraktes und durch Erhöhung der Miete auf monatlich 25 Fr. = 20 Mark, während der Arbeiter nach den Mühlhauser Preisen in einem nicht von der Gesellschaft gebauten Hause 18 Fr. hätte zahlen müssen. Eine monatliche Mehrzahlung von 7 Fr. genügte also, um in etwa 17 Jahren Hauseigentümer zu werden. Die bedungenen Einzahlungen sind mit großer Regelmäßigkeit geleistet und oft entrichteten die Hauserwerber die ganze Summe noch vor Ablauf des Endtermins. Im Falle ein Arbeiter durch besondere Umstände verhindert war, die Zahlungen fortzusetzen, nahm die Gesellschaft die Häuser wieder zurück und berechnete dem Käufer den gewöhnlichen, in den nicht verkauften Häusern erhobenen Zins. Man einigte sich hierbei stets auf gütlichem Wege, ohne jede gerichtliche Einmischung.

Von 1854 bis Ende 1867 hat die Gesellschaft 800 Häuser erbaut und von diesen waren im März 1867 schon 700 verkauft und über 200 durch vollständige Bezahlung in den Besitz der Arbeiter übergegangen. Bis zum 30. Juni 1866 war, ohne die von den Käufern gezahlten 5% Interessen, für den Verkauf der Häuser die Summe von 1.262.870 Fr. eingegangen, und bis Ende 1867 war für Ankauf von Terrain und für die Bauten von der Gesellschaft eine Summe von 2.400.000 Fr. verausgabt.

In den Mühlhauser Kolonien werden den Arbeitern außer den gesunden und billigen Wohnungen noch andere Vorteile geboten; so besteht eine Kinderbewahranstalt für circa 300 Kinder von 3 — 6 Jahren; ferner ein Versorgungshaus für invalide Arbeiter, eine Brotbäckerei, ein Gasthaus, ein Verkaufsladen und zwei Bade- und Waschanstalten. Im Mittelpunkte der Kolonie befindet sich auch eine unentgeltliche Leihbibliothek, aus der im Jahre 1866 über 70.000 Bücher gelesen wurden; ebenso sind in der Nähe der Kolonie für die heranwachsende Jugend zwei große Primarschulen von der Stadt erbaut. Das Versorgungshaus wurde durch Subskriptionsgelder von der Gesellschaft errichtet und übernimmt nur solche Personen in Pflege, welche keine Familie haben, während die übrigen Invaliden bei ihren Familien bleiben können und jährlich einen Geldbetrag erhalten, der aus den Mitteln der Sparkasse genommen wird, worin die Mitglieder 1% der sämtlichen Löhnungen einzahlen. Die Bäckerei liefert billigeres Brot als die Stadtbäcker, und 5% von den gekauften Beträgen werden zu Gunsten der Konsumenten verwendet, indem sie 2,5% zurück erhalten, während 2,5% zur Bildung einer Vorschusskasse dienen. Der Gastwirt liefert ein gut bereitetes Mahl, aus Brot, Suppe, Rindfleisch und Gemüse bestehend, für 40 bis 50 Cent. = 0,32 bis 0,40 Mark. Ein Bad mit Wäsche kostet 15 Cent. = 0,12 Mark, ohne Wäsche 5 Cent. = 0,04 Mark. Die Wäsche im Waschhause zu reinigen und zu trocknen kostet pro Stunde 0,02 Mark.

Napoleon III. hatte schon als Präsident der französischen Republik im Jahre 1849 für die Verbesserung der Arbeiterwohnungen gewirkt und das 1. Arbeiterviertel in der Rue Rochechouart zu Paris, sowie einige Jahre später 3 Arbeiterkasernen auf dem Boulevard Mazas errichtet. Im Jahre 1852 wurden dann durch kaiserliches Dekret 1.500.000 Fr. dazu bestimmt, die Wohnungen der Arbeiter in den großen Manufakturstädten zu verbessern. Von dieser Summe kamen 300.000 Fr. durch Vermittlung des Herzogs v. Persigny der Mühlhauser Kolonie zu Gute, welche hauptsächlich für Kanäle, Gasleitungen, Brunnen, Baumpflanzungen etc. verwendet worden sind.

Die in Mühlhausen mit der steten Vermehrung der Arbeiterhäuser erzielten glücklichen Erfolge veranlassten die Bildung ähnlicher Gesellschaften in anderen Städten des Elsass; ferner legte die Steinkohlengewerkschaft zu Blanzy, sowie die franz. Firmen Brüder Scrive in Marq-en-Baroeud, Schneider & Comp. in Creuzot, Jappy & Comp. in Beaucourt und die Belgische Gesellschaft in Verviers Arbeiter-Kolonien an. In Deutschland erbauten A. Staub & Comp. zu Kuchen bei Geislingen in Württemberg ein Arbeiter-Quartier mit Restauration, Kasino, Bibliothek, Wasch- und Badehaus, Krankenhaus, Schule etc. Die Häuser wurden hier anfangs auf Kosten der Fabrik gebaut und den Arbeitern unter der Bedingung vermietet, dass sie sich der für das Quartier festgesetzten Ordnung unterwarfen. Später wurden die Arbeiter zum Bauen eigener Wohnhäuser ermuntert und von der Fabrik unterstützt, doch mussten sich die Eigentümer solcher Häuser verpflichten, dieselben an keinen anderen, als einen Arbeiter der Fabrik zu verkaufen und waren sie ebenfalls an die obige Ordnung gebunden. Unordnungen in den Wohnungen werden mit Lohnabzügen bestraft, während andererseits für ein Wohlverhalten Prämien gezahlt werden. Diese opulent ausgestattete Arbeiter-Kolonie hat einen Lese-, Gesang- und Musikverein, eine Krankenkasse, Sparkasse und Feuerwehr.