Vierte Fortsetzung

In Österreich sind namentlich in Böhmen von den Industriellen viele kleinere Arbeiter-Kolonien angelegt, doch bestehen hier die Wohnungen meistens nur aus einem Zimmer oder aus Küche und Zimmer. Als die zweckmäßigsten sind namentlich die Arbeiterhäuser der chemischen Fabriken in Aussig und Kralup, die von F. Leitenberger in. Kosmanos, die von der Maschinenfabrik zu Teplitz, diejenigen der Gesellschaft zum Bau von Arbeiterwohnungen in Bubna bei Prag und die Arbeiterhäuser von F. Schmitt in Podmoklitz bei Semil zu nennen. Eine große und in jeder Weise zweckmäßige Arbeiter-Kolonie hat die k. k. priv. Südbahngesellschaft im Jahre 1870 bei ihrer Haupt-Reparatur-Werkstätte zu Marburg in Steiermark mit einem Kostenaufwande von 400.000 fl. — 800.000 Mark angelegt. Die Kolonie enthält 12 Häuser für je 4 Familien, 28 Häuser für je 8 Familien und 4 Zimmer für je 2 Arbeiter. Ferner enthält die Kolonie ein Schulgebäude mit Turnanstalt für Kinder und Erwachsene und mit Lehrerwohnungen, dann ein Asyl für Kinder bis zu 5 Jahren, mit Wohnungen für die Aufseherinnen und ein Gebäude für einen Arbeiter-Konsumverein. Die 12 Häuser für je 4 Familien waren schon früher erbaut und sind in der obigen Kostensumme nicht mit enthalten. Zur Beschaffung der für die Kolonie-Erweiterung erforderlichen Geldmittel wurde mit dem Pensionsinstitute der Südbahnbeamten eine Vereinbarung in der Weise getroffen, dass derselbe 400.000 fl. gegen 6% Interessen und 1% Amortisation der Gesellschaft zur Verfügung stellte; das Baukapital amortisiert sich in 33 Jahren. Die Wohnungen werden hier nur an die Arbeiter vermietet und gehen nicht in deren Eigentum über. Die Maschinendirektion hebt die Mietzinse zu Gunsten des Werkstätten-Kontos ein, hat dagegen die 6% Verzinsung des Baukapitales, sowie die Erhaltungs- und sonstigen Unkosten zu bestreiten, während die Gesellschaft zur Tilgung des aufgenommenen Baukapitals von 400.000 fl. jährlich 1% Amortisation bezahlt.

Eine andere größere Arbeiter-Kolonie hat im Jahre 1871 die Firma Ritter, Rittmeyer & Cie. in Stracig bei Görz erbaut. Die Kolonie enthält 14 Häuser für je 2 Familien, 25 Häuser für je 4 Familien, 1 Haus mit Garten als Wohnstätte für 60 unter weiblicher Aufsicht stehende Mädchen, ein Bade- und Waschhaus nebst Kosthaus und Speisehalle, ein Konsumvereinsgebäude, ein Invalidenhaus mit Spital und 2 Gärten, ein Schulgebäude samt Kinderasyl, Wohnungen für Lehrer, Lesezimmer und Garten und ein Wächterhaus, welches zugleich für die Feuerwehr bestimmt ist. Die Häuser dieser Kolonie werden auch an die Arbeiter verkauft. Für die beste Pflege der Gärten, wie auch für die Reinhaltung der Wohnungen werden jährliche Geldprämien ausgeschrieben. Der Eindruck, den Jedermann beim Anblicke der Häuser und Wohnungen dieser Kolonie empfängt, ist der einer freundlichen Behaglichkeit, die ganz geeignet ist, die Liebe zum eigenen Herd bei den Arbeitern hervorzurufen und Sinn für Ordnung und Reinlichkeit zu wecken.


Ferner ist noch die Arbeiter-Kolonie der österr. Nordwestbahn hei der Central -Reparatur-Werkstätte in Nimburg zu erwähnen.

In Belgien, in Holland und in der Schweiz sind in neuerer Zeit ebenfalls durch Fabrikanten und Baugesellschaften viele Arbeiter-Kolonien erbaut. So gab die im Jahre 1866 auch in Lüttich auftretende Cholera, die unter den in engen, schlecht ventilierten Gassen in ungesunden Wohnungen untergebrachten Arbeitern große Opfer forderte, Veranlassung zur Gründung der „Société anonyme liégeoise des maisons ouvrières“, welche 1867 mit einem durch 1363 Aktien repräsentierten Kapitale von 681.500 Fr. ihre Tätigkeit begann. Das Unternehmen glückte über alle Erwartung und im Jahre 1873 hatte die Gesellschaft schon 123 Häuser vollendet, denen vom Staate eine 8jährige Steuerfreiheit gewährt wurde, während die Stadt Lüttich der Gesellschaft die sonst üblichen 2 Fr. pro 1 m2 für verschiedene Ausführungen erließ. Die von der Gesellschaft gewählten Bauplätze liegen in den verschiedenen Stadtteilen zerstreut, denn die Arbeiter waren bisher gewohnt, mit der übrigen Bevölkerung gemischt zu wohnen, und wenn die neuen Kolonien entfernt von den Arbeitsplätzen außerhalb der Stadt gelegen wären, hätten die Arbeiter wahrscheinlich die alten, ungesunden Wohnungen in den engen Gassen der Stadt vorgezogen. Jedem Hause wurde ein Hof und Garten beigegeben, so dass der Garten vor und an der Seite des Hauses, der Hof aber rückwärts liegt, indem die in die Augen fallenden Gärten gewöhnlich besser gepflegt werden und die ganzen Bauanlagen mit Vorgärten besser zur Geltung kommen. An den verkehrsreichen Straßen, wo der Baugrund teurer ist, wurden aber die Vorgärten weggelassen. In den Niederlanden besteht in Haag der „Verein zur Verbesserung der Arbeiterwohnungen“ und der „Verein zur Beförderung der Fabriks- und Handwerks-Industrie“, die beide für Erbauung von Arbeiterwohnungen viel geleistet haben.

In der Schweiz bildeten sich im Jahre 1860 in Zürich und in Lausanne Baugesellschaften zur Herstellung von Arbeiterwohnungen, während in Basel schon 1851 und in Locle 1855 ähnliche Gesellschaften Versuche in dieser Richtung angestellt hatten. Von 1870 — 1872 wurden dann noch derartige Gesellschaften in Basel, Zürich, Winterthur, Bern, Genf, Schaffhausen, Chur etc. gegründet. Indes war die Privattätigkeit der Fabrikbesitzer zur Abhilfe der Wohnungsnot weit wirksamer als die Tätigkeit der obigen Gesellschaften, indem die Großindustriellen bestrebt sein mussten, sich einen Stamm solider Arbeiter zu sichern. Das Hinströmen der ländlichen Arbeiter nach den Städten suchten sie dadurch aufzuhalten, dass sie ihren Arbeitern auf dem Lande Vorteile boten, welche dieselben in den Städten nicht finden konnten. Diese Vorteile bestanden in der Beschaffung billiger Wohnungen und in der Gewährung von Gartenland zum Nebenbetriebe der Landwirtschaft. Die Züricher Firma H. Kunz hat bei ihren 7 Spinnereien zusammen 219 Arbeiterwohnungen. Diese werden nur vermietet, ohne dass schriftliche Verträge abgeschlossen werden, da die Kündigung der Arbeit auch die Kündigung der Wohnung nach sich zieht. Der Mietzins beträgt für eine Wohnung mit 2 Räumen 60 Fr. und für eine Wohnung mit 3 Räumen 85 Fr. jährlich, wobei noch jeder Wohnung 720 — 1.350 m2 Ackergrund zur Gratisbenutzung beigegeben sind.

Die Firma J. J. Rieter & Comp., Baumwollspinnerei bei Winterthur, hat freistehende, mit Gärten umgebene Wohnhäuser erbaut, von denen jedes 2 getrennte Eingänge und 2 getrennte Wohnungen enthält; nur so glaubte die Firma den Sinn der Arbeiter für Ordnung, Reinlichkeit und Sparsamkeit fördern zu können. Jede Wohnung hat 1 Keller, zu ebener Erde 1 Stube und Küche, im I. Stock 2 bis 3 Schlafzimmer und im Dachraume 1 Kammer nebst Holzlage und Wäschebehälter. Die Grundfläche für Haus und Garten beträgt 220 m2, der jährliche Mietzins 180 Fr.; jeder Mieter muss sich verpflichten, jährlich wenigstens 50 Fr. in die Rentenanstalt zu Zürich einzuzahlen, damit nach seinem Tode der Familie ein Sparpfennig bleibt. In Basel, wo im Durchschnitte die Mietpreise für eine Arbeiterfamilie 200 — 250 Fr. betragen, machte die Firma Sarasin & Comp. die Erfahrung, dass ein Arbeiter mit demselben Gelde ein von der Firma erbautes Haus verzinsen, unterhalten und das Baukapital durch Annuitäten innerhalb 20 Jahren amortisieren könne. Das Hauptstreben dieser Firma war daher darauf gerichtet, die Arbeiter zu Hausbesitzern zu machen, und zu diesem Zwecke erbaute sie Doppelhäuser, sowie einfache Reihenwohnungen mit 6 Häusern nebeneinander, alle aus massivem Mauerwerk mit nur einer Etage. Jede Wohnung der letzteren Häuser enthält 1 Wohnzimmer von 15 m2, 1 Nebenzimmer von 9 m2, 1 Küche von 7,6 m2, ferner 2 Kammern, Keller, Boden und Abort. Vom Baumeister aus kosten diese Häuser je 3.115 Fr. und im Ganzen mit Terrain, Wegen, Gartenzaun, Brunnen etc. 3.500 Fr. = 2.800 Mark. Verkauft wurden diese Häuser mit einer Minimalanzahlung von 250 Fr., unter der Bedingung, dass mit der Verzinsung eine Amortisation in 20 Jahren eintritt, was einen jährlichen Betrag von ungefähr 234 Fr. erfordert. Die Doppelhäuser dieser Firma haben etwas größere Räume und noch ein zweites Nebenzimmer von 8 m2. Die Kosten betragen hier pro Wohnung vom Baumeister aus 3.870 Fr. oder im Ganzen 4.400 Fr. = 3.520 Mark.