Fünfte Fortsetzung

In England bildete sich schon im Jahre 1845 die „Society for improving the condition of the labouring classes“, welche wegen der damals noch bestehenden Handelsgesetze, wodurch eigentliche Aktiengesellschaften fast unmöglich wurden, einer besonderen Gesetzgebung bedurfte. Diese Gesellschaft hatte ein Kapital von 100.000 Pfund Sterling und mietete Gründe auf 99 Jahre, da der Kauf derselben damals noch sehr schwierig war. Auf diesen in den verschiedenen Stadtteilen Londons gelegenen Gründen baute sie eine Anzahl von Arbeiterhäusern, welche meistens 3 Stock hoch sind und bis jetzt schon weit über 1.000 Familienwohnungen enthalten. Die Wohnzimmer in diesen Häusern sind meistens nur 3,8 m lang, 3,4 m breit und 2,7 m hoch. Je 2 Wohnungen haben eine kleine Spülküche und ein Waterkloset gemeinschaftlich; knapp vor der Tür befindet sich ein Schlauch, der, im Niveau des Fußbodens mit einer eisernen, selbstschließenden Klappe versehen, alle Etagen kreuzt und den Kehricht bis in einen Behälter am Hofe führt , wo täglich der Mistwagen unterfahrt, um den Behälter zu entleeren. Für eine Wohnung mit 2 Zimmern ist wöchentlich eine Miete von 4 Mk. 25 Pf., für eine solche mit 3 Zimmern 5 Mk. 50 Pf. zu entrichten. Es ist nämlich in England gebräuchlich, dass diejenigen Arbeiter, welche nicht ein ganzes Haus vierteljährlich mieten können, ihre kleinen Wohnungen in den Einzelhäusern Anderer nicht monatlich, sondern wöchentlich zahlen. Die äußeren Mauern dieser 3 Stock hohen Gebäude sind nur 37 cm, die inneren Hauptmauern 23 cm und die Scheidemauern nur 11,5 cm stark in Ziegelrohbau, ohne jeden Verputz hergestellt. Das Reinerträgnis dieser Häuser stellt sich auf 5 ¼% des Anlagekapitals. Trotz der kleinen Dimensionen sind die mit Ventilationsröhren versehenen Wohnungen außerordentlich gesund und die Sterbefälle betragen kaum 1 % leider sind aber die Mauern auch im Innern der Zimmer nicht verputzt, sondern nur mit einem einzigen Anstrich von ganz ordinärer Farbe grob übertüncht, wodurch die Zimmer roh und unheimlich aussehen; außerdem bilden aber die kleinen Ritzen und Spalten in den Mauerfugen für Ungeziefer jeder Art eine Brutstätte. In neuerer Zeit hat diese Gesellschaft nur 1 Stock hohe, freistehende Häusergruppen für 2 bis 4 Familien erbaut. Zum Bau der Arbeiterwohnungen in den Ackerbaudistrikten Englands besteht die königl. „Windsor-Gesellschaft“.

Im Jahre 1863 wurde die „Improved Industrial-Dwellings-Company“ gegründet, die bis zum Jahre 1873 schon 1.268 Häuser erbaut hatte, welche für circa 6.000 Menschen Unterkunft gewährten. Diese Häuser kosteten mit Grund und Boden zusammen 235.268 Pfund Sterling. Durch Konkurrenzausschreibungen gelang es dieser Gesellschaft, sehr zweckmäßige Grundrissanordnungen für ihre Wohngebäude zu gewinnen.


Ferner sind die Firmen S. C. Hemming & Cie. in London und Bellhouse Cie. in Manchester zu nennen, die sich mit dem Bau von sogenannten „eisernen“ Arbeiterhäusern beschäftigen. Die Wände dieser Häuser bestehen der Hauptsache nach aus einem Holzgerippe, welches an den Außenseiten mit gewelltem und verzinktem Eisenblech verkleidet wird, wodurch die Wände eine große Steifigkeit erhalten. Zur Wärmehaltung wird noch ein besonderer filzartiger Stoff verwendet. Im Innern sind die Wände verschalt und mit Tapeten überzogen, so dass auch die circa 12 cm dicke Luftschicht zwischen dem Eisenbleche und der Schalung isolierend gegen die Einflüsse der äußeren Temperaturverschiedenheit wirkt. Die letztgenannte Firma hat für die Kolonisten in Kalifornien solche Häuser zu Hunderten ausgeführt und verschickt. Gerühmt wird namentlich die leichte Aufstellung und Zerlegbarkeit dieser eisernen Häuser.

Endlich ist noch die Firma Tall & Cie. in London, welche Arbeiterhäuser aus Beton herstellt, zu erwähnen. Diese Firma hatte im Jahre 1867 in der Avenue Daumesnil zu Paris zweistöckige Betonbauten mit den patentierten Apparaten von J. Tall ausgeführt; ebenso hat sie bei ihrer Fabrik ein circa 23 m hohes Wohnhaus mit Mezzanin und 4 Stockwerken, ganz aus Beton aufgeführt, wobei die nur 11,5 cm starken Scheidemauern durch die ganze Höhe des Gebäudes reichen. Später sind auch in Berlin und anderen Orten Deutschlands und Österreichs Betonbauten mit großem Vorteile eingeführt.

Das in England in hohem Grade ausgebildete Genossenschaftswesen hat dort auch bei Erbauung von Arbeiterwohnungen gute Früchte getragen und die sparfähigen Arbeiter haben durch die sog. Terminal-Baugesellschaften aus eigener Kraft ihre Lage verbessert. Jedes Mitglied einer solchen Genossenschaft zahlt nach einer geringen Einlage wöchentlich einen bestimmten Betrag. Hat sich in dieser Weise ein Kapital zum Ankäufe des Baugrundes gebildet, so kann auch das Bauen beginnen, und ist dann der Betrag für ein Haus beisammen, so wird das Haus verlost. Durch weitere Einzahlungen bildet sich bald das Kapital für ein zweites Haus, welches wieder verlost wird, und so geht es fort, bis alle Mitglieder ihr Haus erhalten haben, indem das bereits im Besitze eines Hauses sich befindende Mitglied an der ferneren Verlosung nicht mehr teilnimmt. Das Geld fließt also und wird verzinst wie in einer Sparkasse; Viele zahlen, ohne Rücksicht auf ein Haus, nur der guten und sicheren Zinsen wegen, und dadurch wird die Genossenschaft überhaupt eine wohltätige Vereinigung von Personen, die Kredit geben und nehmen. Wenn nun ein Mitglied, nachdem es schon mehrere Jahre eingezahlt und vielleicht schon ein Haus gewonnen hat, plötzlich stirbt und Witwe und Kinder nicht weiter zahlen können? Im schlimmsten Falle können die Erben ihren Eigentumsanteil verkaufen; darauf wird es aber ein Mitglied nicht ankommen lassen, sondern es wird sich für den Fall seines Todes auf den Betrag für das Haus versichern. Dies wird so gemacht: man zahlt auf ein Haus für eine bestimmte Summe ein; diese wird bei einer Lebensversicherung für einen ganz geringen wöchentlichen Betrag so versichert, dass im Todesfälle die Lebensversicherungsgesellschaft den Rest des Guthabens an die Baugenossenschaft zahlt und die Erben dadurch sofort in den schuldenfreien Besitz ihres Hauses eintreten, welches sie dann vielleicht mit 50% Gewinn verkaufen können. Hierdurch kann man die Seinigen auf die billigste Weise vor Verlust schützen und ihnen ein sicheres Heim gründen.

Solche Baugenossenschaften haben in England das Gemein- und Einzelwohl, durch Erziehung zahlreicher, unabhängiger Besitzer eigener Herde und unbeweglichen Eigentums, sehr gefördert. Es bestehen in England und Wales gegen 2.000 Baugenossenschaften mit 800.000 Mitgliedern, in Schottland 800 mit 22.000 Mitgliedern, in Irland 17 mit etwa 3.800 Mitgliedern.

In Deutschland bestehen nach dem Jahresberichte von Dr. Schulze-Delitzsch für 1873 nur 49 derartige Baugenossenschaften; von 12 dieser Gesellschaften, deren Rechnungsabschluss vorliegt, weist derselbe 1.598 Mitglieder nach. In Berlin bildete sich im Jahre 1871 die „Baugesellschaft für Mittelwohnungen“, die zwischen Berlin und Weißensee baute; dann der „Deutsche Zentral -Bauverein“, der namentlich bei Reinickendorf Bauten ausführte; ferner baute die „Aktien-Gesellschaft für Zementbau“ bei Rummelsburg Arbeiterwohnungen aus Zementbeton.

Im September 1871 wurde in Halle a. S. ein Bauverein unter dem Namen „Halle’scher Wohnungsverein E. G.“ ins Leben gerufen, der den Zweck haben sollte, gesunde und billige Mietswohnungen für die Genossenschafter zu erlangen; es zeigte sich aber sehr bald, dass diese nur durch selbstständige Neubauten erlangt werden konnten. Da aber die Anteile der einzelnen Genossenschafter nur je 30 Mark betrugen, so war bei einer Mitgliederzahl von 300 und bei vollständiger Einzahlung nur ein Kapital von 9.000 Mark disponibel. In den Statuten der Gesellschaft war der Modus enthalten, dass Bauvorschüsse von den Eigentumserwerbern eingefordert werden konnten. Diese wurden dann auch reichlich eingezahlt und so konnte schon im Januar 1872 ein Grundstück von 15.000 m2 angekauft werden. Die Wohnungsbedürftigen gruppierten sich nun in 3 Klassen, nämlich in:

1) Arbeiter, die außerhalb des Hauses arbeiten,

2) Handwerker, die im Hause arbeiten,

3) Volksschul- und Gymnasiallehrer, sowie kleinere Beamte.

Man beschloss, für diese 3 Klassen 3 besondere Kategorien von Häusern zu bauen, so dass bei günstigen Verhältnissen jeder ein Haus für sich bewohnen, bei beschränkten Verhältnissen der Erwerber aber die Möglichkeit der Aftervermietung vorhanden sein sollte. Bis 1. April 1873 waren schon 32 Häuser und bis 1. April 1874 weitere 28 Häuser erbaut und zwar 18 Stück I. Kategorie, 24 Stück II. Kategorie und 18 Stück III. Kategorie. Die Häuser I. und II. Kategorie sind nach dem Systeme der Vierhäuser erbaut; zwischen je 2 Komplexen ist ein Zwischenraum von 6 m, der durch die Stallgebäude ausgefüllt ist. Die Häuser der III. Kategorie sind Doppelhäuser und umgeben als Gürtel die in den Parzellierungsstraßen liegenden Vierhäuser; ihrer besseren Lage wegen ist der Grund und Boden teurer berechnet. Die Häuser sind massiv, teils in Putz-, teils in Rohbau erbaut und mit Dachpappe eingedeckt. Die beiden ersten Kategorien haben Türen von 0,9 m Breite und 1,85 m Höhe; deren Küchen und Kammern je ein Fenster von 0,9 m Breite und 1,5 m Höhe, ihre Stuben je ein Fenster von 1,6 m Breite und 1,5 m Höhe. Die Zimmer enthalten 15 m2, die Kammern 10 m2 Grundfläche. Die Etagenhöhe dieser Häuser ist überall 2,8 m. Bei der III. Kategorie sind die Tür- und Fenstermaße um 0,1 m größer und ihre Etagenhöhe beträgt 3,5 m.

Die städtische Wasserleitung ist allen Grundstücken zugeführt; die Abortgruben sind wasserdicht in Zementmörtel hergestellt, mit Schlauchreinigung eingerichtet und durch den Küchenschornstein, ventiliert. Die Einfriedigungen bestehen aus Rundeisenrahmen und Drahtgeflecht, die teils an massiven, teils an sauberen Holzpfählen befestigt sind. Der Grund und Boden war für 18.000 Mark angekauft worden und für die Pflasterung der Straßen, für Kanalisation und Wasserleitung verausgabte die Genossenschaft zirka 36.000 Mark.

Ein Haus der I. Kategorie bedeckt 34 m2 Fläche und besteht aus 2 Stuben, 2 Kammern und kleiner Küche; dazu gehört ein Stall von 9 m2 Grundfläche, ein Abort und ein kleiner Hof und Garten neben und vor dem Hause. Die Kosten betrugen für:

Wohnhaus mit 34 m2 Grundfläche im Jahre 1872 — 73 = 2.040 Mk.
Stall dazu mit 9 m2 Grundfläche im Jahre 1872 — 73 = 189 Mk.
Einfriedigung, Wasserleitung, Senkgrube etc. im Jahre 1872 — 73 = 200 Mk.
Grund und Boden von 107 m2 Fläche im Jahre 1872 — 73 = 241 Mk.
Zusammen = 2.670 Mk.

Der Verkaufspreis zur Deckung der Generalkosten wurde überall nur 3% höher als der Selbstkostenpreis normiert und sind sämtliche Häuser nur an Erwerber und ungeteilt vermietet. Der Mietpreis betrug 6% der Bau-, und 5% der Grund- und Bodenkosten. Das Einzelgrundstück wird Eigentum des Mieters, sobald derselbe 2 Jahre darin gewohnt und 2/5 des Kaufpreises bezahlt hat. Die Mieter der Häuser III. Kategorie hatten im Jahre 1875 schon mehr bezahlt als diesen Anteil, weshalb der Finanzzustand der Gesellschaft ein sehr günstiger war. In diesem Jahre repräsentierten die sämtlichen Grundstücke einen Verkaufswert von 328.125 Mk. und von den Genossenschaftern waren schon mehr als 120.000 Mk. bezahlt. Die Ausführung der Bauten leitete der Architekt Stengel, der die Arbeiten im Submissionswege vergeben hat.

Man sieht aus diesem Beispiele, wie außerordentlich segensreich solche Baugenossenschaften wirken können.