Deutschlands Herrlichkeit in seinen Baudenkmälern. - Der Limburger Dom.

Die Gartenlaube, illustriertes Familienblatt.
Autor: Kröner, Adolf von (1836-1911) deutscher Verleger und Vorsitzender des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Erscheinungsjahr: 1863
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Wenn uns die Kunst im Allgemeinen das treue Abbild des gesammten äußeren und inneren Lebens eines Volkes und einer Zeit gewährt, so gilt dies ganz besonders von der Baukunst. In feinen Bauwerken legt ein Volk ein in steinerner Sprache geschriebenes Zeugnis ab von sich und seinen Bestrebungen, von dem was es geahnt und gewollt, gedacht und gekonnt. So erzählen uns noch nach Jahrtausenden Griechenlands Tempel von der Griechen Herrlichkeit, Römerbauten von der Römer Stärke, und so erzählen uns heute noch auf deutschem Boden deutsche Bauten von deutscher Macht und deutscher Größe. Ein solches Denkmal deutscher Macht und Größe aber ist der Dom zu Limburg an der Lahn.

Deutschland stand unter der glänzenden Herrschaft der Hohenstaufen auf dem Höhepunkte seiner Macht, und zur selben Zeit bildete sich hier eine Bauweise aus, die eine durchaus nationale, deutsche genannt werden muss. Die Geschichte giebt ihr den Namen der romanischen, im Anschlusse an die Bezeichnung, welche für solche Sprachen, die aus der Verschmelzung römischer und germanischer Elemente zu jener Zeit entstanden sind, gebräuchlich ist. Der germanische Volksgeist ist es, der auf Grund altrömischer Tradition neugestaltend sich betätigt. Dem deutschen Volke aber war es vorbehalten, den neuen Baustyl in technischer und ästhetischer Beziehung zu einer Vollkommenheit zu erheben, die die gleichzeitigen Bestrebungen anderer Völker germanischen Ursprungs weit hinter sich zurücklässt. Hat aber die Geschichtsforschung den schönen Irrtum, als sei die gotische Baukunst eine Erfindung des deutschen Volles, unwiderruflich zerstört und ist es noch lange nicht entschieden, ob die deutsch-gotischen Bauwerke den gotischen Bauwerken Frankreichs, des Geburtslandes dieses Styles, ohne Weiteres voranzusetzen sind: so haben wir ein um so größeres Recht, den Styl, in welchem der deutsche Volksgeist am klarsten und lautersten und im vollen Bewusstsein seiner Individualität sich ausgesprochen, in welchem die hohe Zeit deutscher Macht und Herrlichkeit einen entsprechenden Ausdruck gefunden hat, als einen vorzugsweise nationalen, deutschen zu beanspruchen.

Die Kunst des romanischen Styles umfasst die Zeit vom 11. bis in die ersten Decennien des 13. Jahrhunderts. Von antik-römischen Grundformen ausgehend, weiß sie dieselben in eigenem Geiste umzuprägen. Strenge und Einfachheit sind den Werken der Frühzeit eigentümlich. Reicher, bewegter, phantastischer gestaltet sich der Bau im Laufe des 12. Jahrhunderts; die Zeit des Sturmes und Dranges, die über das Abendland hereingebrochen war, die der Kreuzzüge, spiegelt sich auch in den Bauwerken des Jahrhunderts. Am Schlusse desselben und zu Anfang des folgenden hat die romanische Kunst ihren Gipfelpunkt erreicht. Aber schon machen sich fremde Elemente, einer neuen Geistesströmung angehörig, geltend und bahnen den Übergang zu einer anderen Kunstweise.

Die romanische Kunst hat mit frischer Kraft und kühnem Geiste die altchristliche Kirchenform umgeschaffen. An Stelle der aus antiken Bruchstücken zusammengebauten Basilika setzt sie einen rhythmisch gegliederten, in ansteigender Bewegung der raumschließenden Wölbung entgegenstrebenden baulichen Organismus. Und für die innere Gliederung hat die romanische Kunst die entsprechende äußere Gestaltung gefunden und in dem jetzt organisch mit dem Langhause verbundenen Turmbau an der Westseite der Kirche, dem sich oft weitere Turmanlagen anschließen, die Höhenrichtung des ganzen Baues auch äußerlich machtvoll ausgesprochen. So erhebt sich, mannigfach gruppiert, in klarer übersichtlicher Gliederung, feierlich und ernst das Gotteshaus, weithin seine Bestimmung verkündend allem geistigen Leben, aller Kultur eine Pflegstätte zu sein. - Der romanische Styl wendet zur Überdeckung der Öffnungen den Halbkreis an, zu dem später der Spitzbogen als zweite Bogenform kam. Der Charakter des vollendeten romanischen Styles ist der eines durchgebildeten Wölbbaues.

Ein glänzendes Beispiel romanischer Baukunst aus der Schlusszeit der Epoche giebt der ums Jahr 1235 geweihte Dom zu Limburg an der Lahn. Die Grundform der Kirche ist die der gewölbten Basilika. Ein mächtiges Mittelschiff, von dem gleich hohen Querschiff durchschnitten, bildet den Mittelpunkt der ganzen Anlage. An dieses schließen sich die Seitenschiffe und der Chorumgang, über welchem sich Galerien, Emporen befinden. Das Licht wird dem Mittelschiff aus der Höhe durch Fenster, die über den Dächern der niederen Seitenschiffe angebracht sind, zugeführt. Zwischen den Fenstern und den Öffnungen der Emporen zieht sich eine zierliche Wandgalerie, das Triforium, hin. Der Innenbau, durch mächtigcenter aufstrebende Gewölbeträger und leichthin laufende horizontale Abschnitte glücklich gegliedert, gewährt eine ebenso würdevolle als imposante Erscheinung. Und das reiche Innere hat in einem glänzenden Äußeren Gestalt gewonnen. Seinen ganzen Reichtum, seine volle Pracht entfaltet der Styl an ihm, gleichsam als wolle er noch einmal seine ganze Herrlichkeit zusammenfassen in einem Werke. Und so strebt denn der Dom empor, malerisch aus einem Felsvorsprunge sich erhebend, siebentürmig, weithin sichtbar im deutschen Lande, ein Zeugnis deutschen Geistes, ein Denkmal deutscher Herrlichkeit.