Straßburg

Dagegen war um dieselbe Zeit in Straßburg der Beginn einer stetigeren und fortschreitenderen geschichtlichen Tätigkeit eröffnet worden.

In der städtischen Geschichte von Straßburg nimmt die Schlacht von Hausbergen, welche am 8. März 1262 zwischen dem damaligen Bischof Walter von Geroltseck und der Bürgerschaft geschlagen worden ist, und in welcher die letztere glänzend siegte, eine hervorragende Bedeutung ein. Die Ereignisse dieser Jahre haben sich überhaupt im Gedächtnis der Straßburger Bürger erhalten, als das Heroenzeitalter ihrer Freiheit. Unter den Verteidigern Straßburgs befand sich damals ein angesehener Bürger, Ellenhard, welcher am Tage der Schlacht Custos oder Wartmann, vermutlich der Wächter eines Wachtturms, gewesen war. Er wurde später vieljähriger Pfleger der Münsterfabrik und starb als solcher am 13. Mai 1304. Er war der Begründer einer umfassenden historischen Sammlung, und hat seine Vorliebe für geschichtliche Erinnerungen in der Anregung und teilweise eigenen Abfassung vieler historischer Werke*) beurkundet. Der große Ellenhard vor dem Münster, wie man ihn zu nennen pflegte**), fand in Straßburg eine Reihe annalistischer Aufzeichnungen, welche vor seiner Zeit gemacht worden und wovon uns gegenwärtig nur spärliche Reste übrig sind. Diese annalistischen Aufzeichnungen hat er wieder aufgenommen und hat vom Jahre 1208 bis 1297 eine Anzahl besonders Straßburg betreffende Nachrichten zusammengestellt***).


*) W. G. 478, V, 15. Ausgaben der von Ellenhard veranlassten Bücher nebst Vorbemerkungen: Code historique et diplomatique de la ville de Strasbourg I, 1. 3 ff. 2. 37 ff. und 221 ff. Böhmer, fontt. II, XV. 111—147, III, 120 —136. M. G. SS. XVII, 91 ff. Die Beschreibung des kostbaren Codex von St. Paul auch bei Pertz, Archiv I, 280. Gekannt haben denselben schon Pelzel und Martin Gerbert.

**) So übersetzt Closener, Bibl. des lit. Vereins v. Stuttgart I, 72, Ellenhardus Magnus, woraus zugleich der Beweis fließt, dass Magnus nichts als Beiname ist, also nicht Ellenhard Groß. Vgl. Böhmer, fontt. II, XV.

***) Dazu gibt Böhmer, fontt. III, 117—120 für die Jahre 1277 — 1338 eine Art Fortsetzung, welche ganz gewiss als Straßburger Aufzeichnung anzusehen ist, aber schwerlich in diesen Zusammenhang gehört, wie der Einblick in die Handschrift der W. Bibl. Cod. univ. 238 zeigt, und daher von Jaffé mit Recht abgetrennt worden ist.


Ungleich wichtiger aber für die Geschichtschreibung war, dass er etwa 30 Jahre nach der Schlacht bei Hausbergen auf die Niederschreibung jener denkwürdigen Ereignisse wenigstens einen hervorragenden Einfluss nahm, indem er die wichtigsten Mitteilungen darüber selbst gemacht und so allerdings dieses Geschichtswerk ermöglicht hat*). Wer es verfasst hat, lässt sich nicht mehr sicherstellen, nachdem eine späte Nachricht, welche einen Carmelitermönch Petrus nennt**), sich als durchaus unhaltbar erweist. Dass es aber auch Gotfried von Ensmingen, von dem noch später zu sprechen sein wird, nicht gewesen, wurde gleichfalls mit großer Sicherheit nachgewiesen. Das Büchlein über den Conflict von Hausbergen nimmt insofern eine epochemachende Stellung in der Geschichtschreibung ein, als es ganz geeignet war, wie es die bürgerlichen Interessen vertrat, auch größere bürgerliche Kreise für solche Geschichtswerke zu interessieren. Noch nach hundert Jahren haben bürgerliche Leute in Straßburg dringend eine Übersetzung davon gewünscht, um ihre Streitigkeiten mit den Bischöfen historisch zu begründen. Es ist daher eigentlich als das erste Beispiel einer acht bürgerlichen und städtischen Geschichtschreibung in Deutschland anzusehen. Die schlichte Darstellung der Ereignisse, aus einer ziemlich entfernten Zeit betrachtet, die genaue Erinnerung aller kleinen und kleinsten Umstände, und die stete Berücksichtigung beider kriegführenden Parteien lassen das Buch als ein Muster von Unparteilichkeit erscheinen; und es ist aus dem Unterschied, welcher in dieser Beziehung zwischen diesen und den andern Ellenhardschen Aufzeichnungen bemerkt werden konnte, geradezu geschlossen worden, dass unmöglich dieselbe Person, welche sonst als Gehilfe Ellenhards bezeichnet wird, auch diese Relation verfasst haben wird.

Indessen ist die Unparteilichkeit in der Darstellung des Walterianischen Kriegs doch nicht so zu verstehen, als wäre die Sache der Bürgerschaft nicht durchgehends als die allein rechtmäßige betrachtet. Es geht die Darstellung hierin doch so weit, dass selbst Kriegsbegebenheiten, wie etwa die Verbrennung von Bischofsweiler, völlig ungetadelt bleiben, wenn die Bürger daran Schuld haben. Man kann also nicht sagen, dass ein ganz neutraler Mann der Verfasser des Kriegsberichtes ist***).

*) Vgl. Tempeltey, De Godofredo ab Ensmingen ejusque, que feruntur operibus historicis. Dissert. Berolin. 1860.

**) Zuerst von Bruschius, Epitome de Germaniae episcopatibus fol. 67 erwähnt, von allen Neueren abgewiesen.

***) Über den Straßburgischen Krieg vgl. Kopp, Eidgen. Bünde II, 2. 607 ff. Bezeichnend spricht auch Jacob Twinger seine Auffassung auf Grund der vorliegenden Relation dahin aus, dass, wenn der Bischof die Rechte die er zu haben meinte erworben hätte, Straßburg sein eigen geworden wäre. Merkwürdig ist, dass in der ganzen Relation jedoch die Rechte (vgl. Schöpflin, Alsatia dipl. I, 433), um die es sich handelte, nirgends namhaft gemacht sind.


Im übrigen schließt sich das Buch auch so enge an den Complex Ellenhardscher Werke an und fügt sich in dieselben so sehr ein*), dass ein Gegensatz zwischen den einzelnen Teilen dieser Überlieferungen in politischer Beziehung gewiss nicht besteht. Wir finden vielmehr, dass schon der Walterianische Krieg gewisse Sympathien für das habsburgische Haus verrät, welche dann freilich in der Geschichte König Rudolfs und Albrechts noch viel deutlicher hervortreten.

Aus dem Werke, welches die Überschrift trägt: Gesta Rudolfi et Alberti regum Romanorum, wird man noch deutlicher über die Stellung der Parteien im Elsass und besonders wieder in Straßburg unterrichtet. Zu der Zeit als Ellenhard seine Geschichtswerke abfassen ließ, war die Partei, der er angehörte, durchaus im Übergewicht. Auf dem bischöflichen Stuhle behaupteten sich die Lichtenberger, Conrad und Friedrich, und diese standen einerseits mit der Bürgerschaft, andererseits mit dem habsburgischen Geschlecht auf dem freundlichsten Fuße; die Gründe, welche zu dem Bund Rudolfs von Habsburg mit der Stadt Straßburg gegen die bischöflichen Ansprüche geführt haben, fielen dadurch weg, dass das feindliche Geschlecht der Geroltseck verdrängt war, und die der Stadt befreundeten Habsburger nun gar Könige geworden waren. In dieser Zeit nun, denn Ellenhard ließ seine Aufzeichnungen noch beim Leben Rudolfs beginnen, gab es keinen Streit zwischen den früher sich hart befehdenden Parteien mehr. Eine Gereiztheit gegen das Bistum als solches durfte schon deshalb in den Ellenhardschen Aufzeichnungen nicht hervortreten, weil ja das beste Einvernehmen zwischen dem König, dem Bischof und der Stadt herrschte und sicherlich befestigt werden wollte.

Ihrer ganzen Natur nach haben die Gesta ein viel allgemeineres Interesse als die Relation über Hausbergen. Sie behandeln in hervorragender Weise die Reichsgeschichte und die großen historischen Begebenheiten der Zeit. Gleichzeitig mit der Abfassung jenes Berichtes wurde auch die Geschichte König Rudolfs von Habsburg in Angriff genommen**). Ellenhard gewann hiezu einen sehr ausgezeichneten Mann, den bischöflich Straßburgischen Notar Gotfried***), der zunächst bis zum Jahre 1290 seine Darstellung führte, und dann dieselbe mit der ausdrücklichen Nennung seines, als des Schreibers und des Namens Ellenhards, als Veranlassers der Chronik, schloss. Er erzählt noch die glänzenden Tage König Rudolfs in Erfurt, und wie dieser damals mit so lange ungewohnter Kraft seine Herrscherrechte geltend machte, dann aber schien ihm doch wünschenswert, als das Ende Rudolfs so rasch eingetreten war, die Ereignisse der Jahre 1291 und 1292 noch nachzutragen, obwohl in dem Codex inzwischen andere Notizen eingeschrieben worden sind, wie eine Beschreibung der in der Straßburger Kirche geschehenen Wunder der heiligen Maria und der Catalog der Straßburger Bischöfe.

Die Regierung König Adolfs bot wenig Anregendes für den habsburgisch gesinnten Ellenhard und er unterbrach wol seine historische Tätigkeit bis es dem Sohne Rudolfs gelungen war das Szepter wieder zu ergreifen. Was hätte da für Straßburg interessanter sein können, als die Ereignisse des Kriegs gegen König Adolf, an welchen Bischof und Stadt gleich eifrigen Anteil genommen haben. Im Februar 1299, nachdem Albrecht seine ersten königlichen Versuche glücklich gelungen waren, ist unser Verfasser in so heiterer Stimmung, dass er ausruft: Und es war aller Krieg beendigt und lebte die ganze Welt in Frieden. Zum Schluss ist nur angemerkt, dass Ellenhard die Aufzeichnung dieses Teiles veranlasst hat, nicht wer der eigentliche Verfasser sei, und da sich Gotfried nach seinem früheren Gebrauch gewiss sein Autorrecht gewahrt hätte, so ist wenigstens nicht wahrscheinlich, dass er selbst der Fortsetzer der Geschichte König Rudolfs war.

*) Post hec in quadragesima subsequente venerunt flagellatores, de quibus superius mentio facta est. Hinweisung auf die Annales Ellenhardi a. a. 1261, wie auch Jaffé annimmt.

**) Jaffé setzt die Abfassung des ersten Teils der Chronik auf das Jahr 1290, die Abfassung des bellum Walterianum auf 1291 — 92.

***) Meister Gotfried von Straßburg, Godefridus de Ensmingen, kommt bis zum Jahre 1294 urkundlich vor. Mit seinem großen Namensverwandten hat er das gemein, dass man von dem Leben des einen und des andern nicht viel weiß. Die elsässischen Gelehrten der neueren Zeit haben ihn gänzlich vernachlässigt. Alles irgend bekannte ist im Code historique et dipl. de Strasbourg zusammengestellt.


Zu dem gleichen Schlusse wird man gedrängt, wenn man auf den Geist und die Haltung dieser verschiedenen Teile der Chronik blickt. Denn die Geschichte Rudolfs mit der übersichtlichen Einleitung, die vorhergeht, ist ein Muster einer ruhig fortschreitenden Erzählung ohne alle Leidenschaft, die Geschichte Albrechts dagegen ist von Parteieifer erfüllt in dem was sie sagt und noch mehr in demjenigen, was sie verschweigt. Bezeichnend für den Standpunkt des Verfassers ist es, dass über den König Adolf nichts gesagt ist, als was durch die Geschichte Albrechts unumgänglich geboten schien. Ellenhards Aufzeichnungen sind es denn auch, welche hauptsächlich die Behauptung verbreitet haben, dass König Adolf dem Herzog Albrecht das Gift habe beibringen lassen, an welchem er angeblich erkrankt gewesen wäre. Doch wird hierdurch nicht ausgeschlossen, dass die Nachrichten, welche Ellenhard bringt, nicht auch in diesem letzten Teile sehr brauchbar wären. Vielmehr ist der Kampf um das Reich so detailliert und mit so viel Geschick dargestellt, dass wir keine ergiebigere Quelle für diese Ereignisse besitzen. Man sieht, dass die Straßburger, wie sie ja selbst eine wichtige Stellung in dem Kriege einnahmen, so auch von allen Einzelnheiten desselben genau unterrichtet waren. Nimmt unsere Quelle daher auch entschieden Partei für den Habsburger, was nicht zu verkennen ist, so ist sie doch nichtsdestoweniger über Tatsächliches meist genau und zuverlässig.

Und ähnlich verhält sich auch Ellenhards Werk zu der Geschichte König Rudolfs. Dessen Krieg mit König Ottokar von Böhmen wird fast aus denselben Gesichtspunkten dargestellt, wie in dem späteren nicht mehr von Gotfried beschriebenen Teile das Verhältnis zwischen Adolf und Albrecht. Gegenüber der Colmarer Chronik ist die Darstellung Gotfrieds insofern einseitig zu nennen, als jene uns Berichte von beiden Seiten gibt, während Ellenhard nichts aus dem Lager des Böhmen zu erfahren vermochte. Der Berichterstatter befindet sich offenbar in der Nähe König Rudolfs und bietet zugleich auch eine wünschenswerte Ergänzung zu den Aufzeichnungen von Colmar, da der Berichterstatter der letzteren mehr von dem Corps, welches der Pfalzgraf Ludwig führte, anzugeben weiß, als von demjenigen, das unter des Königs eigenen Befehlen stand. Die Details, welche Gotfried über entfernter liegende Ereignisse bringt, lassen überhaupt die Annahme nicht zu, dass die ganze Erzählung „von siebenzehn Jahren rückwärts her aus dem Gedächtnis geschrieben“ sei, denn es ist unmöglich, dass das Gedächtnis eines Mannes sich auf die Ereignisse in so vielen verschiedenen Ländern hätte erstrecken können. Vielmehr lagen dem Geschichtschreiber Berichte verschiedener Personen vor, die er aber sehr künstlich in einander verschlungen hat, und die sich gerade dadurch verraten, dass Gotfried bei seiner Zusammenstellung des verschiedenartigen Materials in einige nicht unerhebliche chronologische Irrtümer verfiel, welche der neueste Herausgeber des Werkes mit großer Sorgfalt bezeichnet hat.

Die Geschichtswerke, welche auf diese Weise durch Ellenhards Tätigkeit geschaffen worden sind, haben sich nicht in so zahlreichen Handschriften erhalten, wie man bei dem Interesse, das sie erweckten, erwarten müsste*). Vielleicht erklärt sich dies dadurch, dass sehr bald nach Ellenhards Tod in Straßburg bereits die Tendenz durchbricht, deutsche Geschichtswerke zu lesen und zu besitzen. Die späteren Straßburger Geschichtschreiber, welche Ellenhards Werke gründlich ausgenutzt haben, verdrängten zugleich den Vater der städtischen Historiographie, indem sie sich dem erwachten nationalen Bedürfnis unterwarfen und den beengenden Mantel der Gelehrtensprache abstreiften. Unter diesen letzteren ist Fritsche Closener der Zeit und wohl auch dem Werte nach gleich hier zu nennen.

Es ist nicht unsere Aufgabe hier die Geschichte von Straßburg eingehend zu verfolgen und zu zeigen, wie das gute Einvernehmen, welches zwischen Bürgerschaft und Bischof eine Zeitlang bestand, um die Mitte des 14. Jahrhunderts wieder getrübt erscheint**). „Unter den am Stadtregimente teilnehmenden Bürgern befand sich auch Johannes Twinger, der im Jahre 1357 regierender Städtmeister war und späterhin noch zweimal derselben Ehre teilhaft wurde“. Dieser Mann scheint in seiner Zeit die Rolle übernommen zu haben, welche Ellenhard früher spielte; er veranlasste den Closener zur Abfassung einer Übersetzung des Walterianischen Krieges, der gerade hundert Jahre vorher stattgefunden hat. Man weiß von Friedrich Closener nicht viel mehr, als dass er aus Straßburgischer guter Familie stammte, Geistlicher wurde, die Stelle eines Vicarius am großen Chor der Domkirche und später die einträgliche Pfründe an der Katharinencapelle, mit welcher zugleich ein vorzüglicher Rang unter den Mitgliedern des großen Chors verbunden war, erhielt. Über seine literarische Tätigkeit hat man mancherlei Notizen, ohne dass jedoch der Wert derselben kritisch durchaus festgestellt wäre; so heißt es, dass er ein lateinisch-deutsches Wörterbuch verfasst und ein Buch über die Ceremonien und Gebräuche in der Straßburgischen Kirche zusammengetragen habe. Bischof und Capitel beschlossen, wie es heißt, die in diesem letzteren Werke niedergelegten Forschungen zur allgemein giltigen Norm für den Kirchendienst der Straßburger Diöcese zu machen***). Beide Bücher sind indessen, wie es scheint, nicht mehr vorhanden.

*) Vgl. Potthast, von Ellenhard, wo jedoch ein Unterschied zu machen ist zwischen dem, was auf Veranlassung Ellenhards geschrieben ist und dem, was in dem Codex später eingetragen wurde, wohin die Annales hospitalis Argentinensis gehören; vgl. die ausdrückliche Bemerkung Jaffés S. 98 seiner Ausgabe. Es sind Notizen der Jahre 1279 — 1282 und 1372—1389.

**) Über die Straßburger Stadtgeschichte vgl. Arnold, Verfassungsgeschichte I, 85.

***) Über die Lebensverhältnisse Closeners handelt Strobel. Liter. Verein von Stuttgart I, Vorwort und Code historique de la ville de Strasbourg, Notice sur Closener et Twinger de Königshoven, p. 1 — 20, wo auch beide Werke abgedruckt sind. Die Einleitung und was über Leben und Familie Closeners zu sagen, findet sich weit besser im Code hist. von Schneegans dargestellt. Dagegen ist die Ausgabe von Strobel allein brauchbar, da im Code hist. Closener und Königshoven zusammengearbeitet sind. Die kleine Abhandlung Strobels, de Frid. Ciosneri presbyt. Argent. chronico Germanico, Argentorati 1829, enthält nichts, was nicht in den Ausgaben wiederholt wäre. Die bekannt gewordenen Handschriften verzeichnet vollständiger Potthast.


Wenden wir uns zu Closeners Geschichtswerken, so lässt sich aus dem Inhalt wohl mehreres auf seinen Charakter und seine Kenntnisse schließen. Zunächst beschränkt er sich darauf, eine Papst- und Kaiserchronik in deutscher Sprache zusammenzustellen mit den dürftigsten Angaben über die wichtigsten welthistorischen Ereignisse, aber mit desto genaueren chronologischen Daten über die einzelnen Päpste, welche ziemlich unkritisch den gewöhnlichen Papstkatalogen, wie sie seit Martin von Troppau bestanden, nachgeschrieben wurden. Bei einer Anzahl von Päpsten sind entweder schon in den Handschriften oder doch in den uns vorliegenden Drucken Fehler, da es wahrscheinlich ist, dass Closener einfach die Chronik Martins von Troppau excerpirte, wie denn auch die Päpstin Johanna auf diese Quelle hinweist*). Noch fehlerhafter ist die Reihe der römischen und byzantinischen Kaiser mitgeteilt, worauf Closener dann die Karolingischen Kaiser mit der Bemerkung anschließt: „Das Reich kam an die Franzosen“, eine im 14. Jahrhundert bereits als verhängnisvoll zu betrachtende Verwechselung von Franken und Franzosen, denn ohne Zweifel ist dies der erste Fall, dass in einem deutschen Buche Karl der Große als Franzose bezeichnet wird.

*) Die Übereinstimmung mit einem späteren Martin ist klar. Der Papstcatalog ist auch nur bis Clemens geführt, die Päpste von Avignon sind nicht mehr genannt. Die Stelle über die Päpstin Johanna S. 8 der Strobelschen Ausgabe. Im übrigen sind manche Ungenauigkeiten in der Angabe der Regierungszeit jedes Papstes. Rechnet man bis zu Clemens V. so bekommt man durch Addition das Jahr 1315.

Kann man auf diese Weise sagen, dass sich die allgemeinen Geschichtskenntnisse unseres Closener nicht über das dürftigste Material der damals herrschenden Schulbücherliteratur erhoben haben, so ist er auch da, wo er aus seinen Straßburgischen Quellen schöpfen konnte, durchaus unselbständig, selten mehr als ein Übersetzer. Nachweislich lag ihm jedoch neben den uns schon bekannten Straßburger Quellen auch die Weltchronik Eikes von Repkow und zwar in einer Gestalt vor, welche bereits Fortsetzungen mindestens bis zum Jahre 1300 hatte*). Die Tatsache der Verbreitung dieser niederdeutschen Chroniken im Elsass ist an sich interessant genug, sie wird es aber noch mehr dann, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Benutzung derselben gerade dort am stärksten ist, wo sie in der Zeit mit den einheimischen elsassischen Quellen konkurriert, ein Beweis, dass das Ansehn derselben ein ganz außerordentliches war. Was nun die Darstellung der letzten hundert Jahre in Closeners Aufzeichnungen betrifft, so ist sie ein ziemlich planloses Conglomerat der verschiedenartigsten Dinge. Nachdem die Chronik von der Zeit Rudolfs von Habsburg bis zum Tode Ludwigs des Bayern in ausführlicher Erzählung fortgeführt ist, folgt ein Bischofskatalog von Straßburg und hierauf die auf Veranlassung des Johann Twinger gemachte wörtliche Übersetzung des bellum Walterianum; dann eine ausführlichere Geschichte der Straßburger Bischöfe von 1262—1362 und verschiedene Straßburgische Merkwürdigkeiten; Geschichte der Geißelfahrer, Seuchen, Bürgerzwiste, Nachrichten über Bauten, Witterung und Naturbegebenheiten und endlich eine Geschichte der Hohenstaufen von Philipp bis auf Conradin, viel ausführlicher als die Erzählung in der vorangehenden Chronik war, auf welche jedoch wolbedacht Rücksicht genommen wird, und an deren Ende man ausdrücklich auf die Geschichte König Rudolfs in der Chronik verwiesen wird.

]i]*) Vgl. zum Jahr 1298 die Schlacht am Hasenbühel S. 46 mit Eikes von Repkow bei Schöne gedruckten Fortsetzungen: Die Repgauische Chronik S. 96. Zugleich weist aber gerade diese Stelle auch auf Ellenhard, so dass diese beiden hier besonders deutlich als Closeners Gewährsmänner erscheinen.[/i]

Was nun aber diese mannigfaltigen und ziemlich umfangreichen, den Wert der Chronik nach allen Seiten weit überragenden Nachrichten betrifft, so besteht einige Schwierigkeit über die Frage, wann dies alles abgefasst worden ist. Denn Closener erzählt uns, dass er die Übersetzung des Ellenhardschen Straßburger Krieges am 13. Juni 1362 beendigt habe und schon am darauffolgenden 8. Juli will er seine ganze Arbeit, deren einzelne Teile wir soeben angegeben, abgeschlossen haben*). Es ist klar, dass nicht innerhalb dieser wenigen Wochen alles dies geleistet worden sein kann, und es ist daher zu schließen, dass die verschiedenen Teile der Closenerschen Aufzeichnungen in anderen Jahren entstanden sind, als man nach unserer Ausgabe anzunehmen genötigt wäre, und dass die Voraussetzung, Closener habe gleichzeitig mit der auf Twingers Bitte veranstalteten Übersetzung die übrigen Aufschreibungen erst hinzugefügt, wol unrichtig sein muss. Darauf weisen uns auch die Notaten Closeners selbst, welche in ihren einzelnen Abschnitten selten über das Jahr 1360 hinausgehen und wahrscheinlich gleichzeitig aufgeschrieben worden sind, also sämtlich vor die Abfassungszeit der Übersetzung des Walterianischen Kriegs fallen. Ja selbst die Geschichte der Bischöfe schließt nicht mit dem Jahre 1362, sondern sie verschweigt uns die letzten Lebensjahre des Bischofs Johann von Lichtenberg und schließt mit einer Tatsache des Jahres 1358. Aus alledem geht hervor, dass die einzelnen Teile der Closenerschen Arbeit erst nachträglich in einem Bande vereinigt und in die zufällige Aufeinanderfolge gesetzt sind, in welcher wir sie jetzt besitzen. Über das Jahr 1362 hinaus hat er sich übrigens auffallender Weise nicht mehr mit geschichtlichen Studien beschäftigt, obwohl er noch bis zum Jahre 1384 gelebt und am 29. Oktober dieses Jahres erst gestorben sein soll**).

Während Closener als deutsch schreibender Historiker für die Kenntnis der Zeitgeschichte wirkte, hat ein Zeitgenosse von ihm ebenfalls in Straßburg mehr Ansehn durch ein gelehrtes Geschichtswerk errungen. Dasselbe ist unter dem Namen Alberts von Straßburg als eine der zuverlässigsten Quellen von Rudolf von Habsburg bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts mehr benutzt worden, als irgend ein anderes Buch. Gleichwohl ist nicht Albert der Verfasser desselben, sondern Matthias von Neuburg im Breisgau***). Er wird als Beamter des Bischofs Berchtold von Bucheck bezeichnet, und ist ohne Zweifel Procurator des geistlichen Gerichts in Straßburg gewesen. Er hinterließ einen Sohn Namens Heinzmann, der in die Händel des Jahres 1370 verflochten war und damals aus Straßburg verbannt worden ist. Zum Bischof Berchtold von Bucheck stand indessen Matthias von Neuburg in besonders nahen Beziehungen, wie er denn im Auftrage seines Herrn zweimal in Avignon war, und die schwierige Mission zu erfüllen hatte, seinen Bischof vor dem päpstlichen Stuhle darüber zu rechtfertigen, dass er sich dem im Banne befindlichen Kaiser Ludwig unterworfen und denselben anerkannt habe.

*) Tgl. S. 72 und 127. Die Linzer Handschrift schließt übrigens mit denselben Worten wie die Pariser. Vgl. Pertz, Archiv III, 76. Dennoch bleibt durch diese Daten aufrecht, dass wir hier nicht die Ordnung des Originals besitzen können.

**) Das Todesjahr ist ganz unsicher. Vgl. Code historique S. 11 Note 25.

***) Die erste Ausgabe unter dem Namen Albertus Argentin. ist von Cuspinian als Anhang zu seiner Schrift de consulibus Romanis, Basil. 15S3 u. Frankfurt. 1601. Dieser Ausgabe liegt ein Codex zu Grunde, der von Neueren nicht untersucht, aber zu vergleichen ist mit der Handschrift der Wiener Hofbibl. Cod. univ. 238, neu 578. Vgl. den Catalog, wo die Beschreibung mit derjenigen Wattenbachs fast gleich ist. Sehr wichtig ist der Codex schon deshalb, weil er die Continuatio nicht enthält und mit dem Jahre 1349, Studer S. 168, injecisset venenum schließt, woran sich nur noch eine Anzahl, aber zum Teil anderer Notizen anschließt, als in den anderen Handschriften. Im Ganzen ist der Text bedeutend gekürzt, — es sind nicht nur alle Lokalgeschichten weggelassen, sondern auch die allgemeine Geschichte ist zuweilen eingeschränkt. Ohne besondere Ankündigung beginnt es auf fol. 87 mit De ortu comitum de Habsburg bis Cap. 4. Ausgefallen ist Cap. 4 bis Cap. 7. Die Capitelüberschriften (in margine) sind zahlreicher als in den anderen Handschriften. Der Verf. hat allem Anscheine nach den Matthias von Neuburg excerpirt, aber er hatte eine Handschrift vor sich, in welcher noch keine Fortsetzungen sich anschlossen an denselben. Eine andere Handschrift hat Urstisius benutzt, der das ganze als das Werk Alberti Argentinensis herausgegeben hat, SS. II. Ferner ist in neuester Zeit eine vollständigere Ausgabe erschienen von Studer in Bern, nach der dortigen Handschrift bearbeitet: Matthiae Neoburgensis Chronica cum continuatione et vita Berchtoldi de Buchegg Ep. Av., Zürich 1867. Endlich erschien die Ausgabe von Huber im IV. Band der Fontes von Böhmer, 149 — 276. Huber hat in der Einleitung S. XXIV ff. alles auf das handschriftliche bezügliche Material auf das beste zusammengetragen, namentlich auch die Lesarten der Cuspinianischen Handschrift aus Wien benutzen können, nur konnte freilich dadurch an der von Böhmer einmal festgestellten Grundlage der Edition keine bedeutende Änderung mehr bewirkt werden. Die Continuationes 1350 —1355. 1356. 1365—1374. 1376 — 1378 S. 276—297. Die erste Continuatio möchte Huber noch dem Matthias zuschreiben, doch wagt er es selbst nicht.


Berchtold von Bucheck war Bischof in Straßburg vom Jahre 1328—1353, und war mit den Häusern Signau und Kiburg in Schwaben verwandt, denen er allerlei Begünstigungen zu Teil werden ließ durch Verleihungen von Pfründen und Domherrnstellen, wie denn ein Hauptbestreben des Adels dahin ging, sich die kirchlichen Einkünfte auf diese Art zuzuwenden. Bischof Berchtolds Regierung war unter solchen Umständen keine sehr ruhige, und sein Leben gestaltete sich auf dem bischöflichen Stuhle in Straßburg zu einem kriegerischen und bewegten. Dass Matthias von Neuburg die Geschichte desselben in seinem Werke ausführlich berücksichtigt, lässt sich erwarten. Es findet sich aber in der Straßburger Handschrift des Matthias ein besonderer Anhang, der eine Vita Berchtoldi de Buchegg enthält und in welchem viele Capitel der Chronik, die sich auf den Bischof beziehen, einfach wiederholt werden, woraus genügend erhellt, dass die Lebensgeschichte Berchtolds schwerlich von Matthias selbst hinzugefügt oder überhaupt besonders bearbeitet worden ist. Bleibt man den sicheren Überlieferungen treu, so umfasst das Werk des Matthias, wie uns die Handschrift in Bern zeigt, die uns auch allein den Namen des Verfassers unzweideutig mitteilt, die Geschichte der letzten hundert Jahre von den Zeiten Kaiser Friedrichs II. bis zur Erhebung Karls IV. (1245—1350 circa)*).

*) Auf den Namen des Matthias und dessen gesonderte Arbeit wurde man zuerst aufmerksam durch Engelhard in Pertz, Archiv I, 497; vgl. VI, 425. Die Berner Handschrift wurde aber bald als die wichtigere erkannt und von dem Grafen von Mülinnen collationirt. Ebd. III, 513. Eine frühere Collation von Oberlin, welche für Schöpflin gemacht worden war, liegt in Straßburg. Ebd. V, 654.

Wie es scheint hat Matthias seine Arbeit an kein früheres Annalenwerk angeschlossen, sondern seinen Gegenstand mit freier Wahl als eine Geschichte des letzten Jahrhunderts begrenzt, wobei er treu der in Straßburg vorherrschenden Tendenz das habsburgische Haus und dessen Schicksale in den Mittelpunkt der Erzählung zu stellen vermochte. Bezeichnend für die Absichten des Verfassers ist es, dass er die Herkunft der Grafen von Habsburg an die Spitze des Buches stellt, dann eine sagenhafte Geschichte von der Weissagung, welche dem Grafen Rudolf von Habsburg von Kaiser Friedrichs Astronom gemacht worden sei, hinzufügt, und die Geschichte des Zwischenreichs nur soweit erzählt, als es für das Verständnifs der Ereignisse unbedingt nötig ist, um sodann erst da ausführlicher zu werden, wo Rudolf von Habsburg bestimmter hervortritt. Er erzählt uns, der erste, von dem Ursprung der Habsburger aus Rom, er sammelt sorgfältig die Anecdoten, welche von Rudolf im Schwange gingen, die Geschichte von der Überlistung des Abts von St. Gallen, von der Reise des Erzbischofs Werner nach Rom und dem Geleite des Grafen Rudolf, welches die Ursache seiner Wahl geworden sei, von dem Ausruf des Bischofs von Basel, da er Rudolfs Erhebung zum Könige vernahm und vieles ähnliche. Alle diese Dinge haben der Chronik jenes heitere und unterhaltende Gewand verliehen, welches ihre Popularität zu erklären vermag.

Matthias lässt mit Vorliebe die Personen selbst sprechen und Bemerkungen machen, wie dies schon in der Colmarer Chronik als ein Merkmal des historiographischen Geschmacks bezeichnet werden konnte, wogegen die lehrhaften Beziehungen auf Classiker oder Bibelstellen fast ganz zurücktreten. Und nicht allein in den längstvergangenen Zeiten bewegt sich die Erzählung in dieser dramatischen Weise, sondern auch der näher liegende Kampf zwischen Ludwig und Friedrich und die Verhandlungen der Kurfürsten über die Reichsangelegenheiten im Jahre 1335 und 1344 werden ebenso behandelt, wobei es vielleicht nicht unbemerkt zu bleiben verdient, dass manche Personen gesprächiger sind als andere. Zu den ersteren gehören die Habsburger fast alle. Ihnen begegnet auch mehr, als anderen Leuten, dass sie Visionen und seltsame Abenteuer haben, wie z. B. Friedrich der Schöne im Kerker*).

*) Studer p. 73 und 74; vgl. auch die Weissagung p. 79. Und fast jedes Capitel enthält Beispiele für die geschilderte Art der Darstellung. Der historische Stil, der darauf aus ist, interessant und spannend zu sein, bedient sich der Methode, die Personen, für welche der Schriftsteller Sympathien hat, durch dergleichen Dinge den Lesern zu empfehlen, wie auch in Märchen und Legenden zu geschehen pflegt. Wir meinen, dass hierin wohl kein bloßer Zufall liegt.

Von urkundlichen Mitteilungen findet sich bei Matthias wenig; seine Geschichte Ludwigs des Bayern ist nicht ohne mancherlei Kenntnis diplomatischer Vorgänge und Ereignisse, aber seine Quellen reichen nicht weiter, als die Beziehungen des Straßburger Bistums zu den hervorragenderen Mächten der Zeit, worüber denn auch Matthias durch seine Stellung zu Bischof Berchtold aufgeklärt sein konnte. Vielleicht liegt auch gerade in der entschiedenen Parteinahme für diesen Fürsten ein Grund, warum Matthias um die Zeit als Bischof Berchtold starb seine schriftstellerische Tätigkeit abbrach. Denn auf Berchtold von Bucheck folgte ein Bischof aus dem Geschlechte von Lichtenberg, welches mit der vorangegangenen Regierung in fortwährender Fehde stand. Wenn man das Capitel über die Gefangennehmung des Bischofs Berchtold durch die Genossen des Conrad von Kirkel und des Johannes von Lichtenberg liest, und wie er im September 1337 erst nach dem Schlosse Waldeck und dann nach Kirkel gebracht worden sei, so empfindet man lebhaft, welche Erbitterung zwischen den adeligen Cliquen des Elsass bestanden hat, und wie schwer es gewesen sein mag nach dem Tode Berchtolds eine Stellung zu behaupten, in welcher Parteinahme unvermeidlich war. Jedesfalls reichten diese Familientraditionen weit über das Leben des Matthias von Neuburg hinaus, und 17 Jahre noch nach dem Tode des Bischofs Berchtold kam es zu einem Attentat des Dompropstes Johann von Kiburg auf den Domdecan Johann von Ochsenstein, welches eine Verbannung zahlreicher Parteigänger des ersteren aus Straßburg zur Folge hatte, unter denen sich auch der schon genannte Sohn unseres Geschichtschreibers, Heinzmann, befindet. Es läfst sich nun allerdings vermuten, dass sich diese vertriebene Partei der Zeiten des Bischofs Berchtold mit Schmerz erinnerte, sein Andenken daher hoch hielt und mit Zugrundelegung der gefeierten Chronik des Matthias eine selbständige Biographie jenes Berchtold verfasste, nur wird man schwerlich deshalb zu der gewagten Vermutung zu greifen brauchen, dass Heinzmann selbst der Verfasser der Biographie sein müsse*). Nur so weit ist der Zusammenhang sicher gestellt, dass in der Chronik wie in der Biographie ein und derselbe Parteistandpunkt hervortritt und dass der Verfasser der Biographie eben die betreffenden Capitel der Chronik einfach in seine Arbeit aufnehmen zu müssen glaubte. Ein Straßburger Emigrant mag es immerhin gewesen sein, welcher diese Umgestaltung des betreffenden Teiles der Chronik zu einer Biographie Berchtolds von Bucheck in einem noch bestimmteren panegyrischen Tone und mit offeneren Tendenzen vorgenommen hat.

Aber noch nach einer anderen Seite hat die Chronik des Matthias eine Erweiterung erfahren: sie wurde fortgesetzt bis zum Tode des Kaisers Karl IV. 1378. Diese achtundzwanzig Jahre der Zeitgeschichte, welche ein Fortsetzer beigefügt hat, unterscheiden sich schon in der Art der Darstellung sehr wesentlich. Sie sind kurz und dürftig behandelt im Vergleiche zur Darstellung des Matthias. Es wird weit weniger Rücksicht auf die lokalen Verhältnisse, auf die Parteistreitigkeiten von Straßburg und den benachbarten Herrengeschlechtern genommen; der Verfasser hat sich vielmehr die Aufgabe gestellt, die Reichs- und Papstgeschichte zu verfolgen. Man meint in neuerer Zeit, dass eben diese Fortsetzung von Albertus Argentinensis herrühre, dessen Namen man wohl auch so erklärt hat, dass der Mann nicht sowohl ein Straßburger als vielmehr ein Baseler aus dem Geschlechte de Argentina gewesen wäre**). Aber alle diese Aufstellungen sind höchst zweifelhafter Natur, glücklicherweise jedoch auch nebensächlich gegenüber den größeren Resultaten, welche sich aus der glücklichen Entdeckung der Handschrift in Bern ergeben haben, in der die Fortsetzung der Chronik vom Jahre 1350 ab noch nicht enthalten war.

*) Ebd. S. XXXVII und XXXVIII. Was aus den Beziehungen zu Speier hier geschlossen werden will, beweist höchstens, dass die Überarbeitung überhaupt von einem der Straßburger Exilirten herrühren könnte; dass aber Heinzmann selbst Schriftsteller gewesen wäre, zu dieser Annahme liegt wenigstens nicht der leiseste Grund vor.

**) Iselin, bist. Lexicon von Albert. Argent. und Rem. Meyer in den Baseler Beiträgen zur vaterl. Gesch. IV, 159 ff.


Blicken wir somit auf die Ergebnisse der neuesten Forschungen über dieses benutzteste Geschichtswerk des 14. Jahrhunderts noch einmal zurück, so wird man sagen müssen, dass es ganz und gar in den Anschauungen entstanden ist, welche die Regierung des Bischofs Berchtold von Bucheck bezeichnen, — der freundliche Charakter für das habsburgische Haus in Betreff der allgemeinen Reichsverhältnisse, die Parteinahme für Friedrich den Schönen, die entschiedene Stellung gegenüber den feindlichen Herren im Elsafs, der Hafs gegen die Herren von Kirkel, Kagenrik, Hohenstein u. s. w. Alle diese Dinge stimmen mit dem äufserlichen Anhaltspunkte des Abschlusses der Chronik mit dem Jahre 1350 in erwünschtester Weise überein. Matthias hat sein Werk in dem fünften Jahrzehent des 14. Jahrhunderts begonnen*) und mag wol bis zum Tode seines Gönners (1350) daran fortgearbeitet haben. Dann haben ihn jedesfalls äußere Umstände bestimmt seinen Griffel niederzulegen.

*) Huber hat in dem Vorwort S. 33 zur Ausgabe alle die speziellen Stellen gesammelt, welche die Abfassung im fünften Jahrzehent des 14. Jahrhunderts sichern. Dass die Jahre 1346 —1350 daher gleichzeitig aufgezeichnet sind, folgt von selbst daraus. Eine etwas abweichende Ansicht hat G. v. Wyfs im Jahrbuch f. Lit. d. Schw. Gesch., 1867, S. 39.

In seinem Sinne ist uns das Leben des Bischofs Berchtold nachher bearbeitet worden. Was sich als die Fortsetzung seiner Chronik äußerlich darstellt, steht in keinerlei innerer geistiger Verwandtschaft mit derselben und ist ein zufälliger Zusatz eines nicht sicher zu bestimmenden Verfassers. Die Geschichtschreibung seit dem 16. Jahrhundert hat das Werk des Matthias nach zwei Richtungen ausgebeutet und ihm in beiden einen großen Wert beigelegt: fürs erste in Hinsicht seines großen Details und seines Reichtums an individuellen Zügen oder richtiger Anekdoten, und sodann in Betreff der „Freimütigkeit, mit der es sich hier und da so wohl über kirchliche als politische Verhältnisse äußert“. Aber in beiden Beziehungen bedarf dieses überaus günstige Vorurteil einer gewissen Einschränkung. Denn von den anekdotenartigen Erzählungen, von welchen besonders der erste Teil des Werkes erfüllt ist, muss man gestehen, dass sie meistens späten Ursprungs sind, und eben durch den Umstand, dass sie gleichzeitige nur selten kennen, an ihrer Glaubwürdigkeit vieles verlieren; und die Freimütigkeit in kirchlichen und politischen Dingen entspringt nicht aus principiellen Erwägungen, sondern aus den Parteiinteressen, denen der Verfasser dient. So ist es bezeichnend, wenn er die Bettelmönehe tadelt, aber nur deshalb, weil sie Gottesdienst hielten, während die Stadt zu Gunsten des Bischofs sich im Interdict befand. Über ähnlichen Freimut erhebt sich die Chronik eigentlich kaum. Ihr Wert als historische Quelle ist daher nicht so unbedingt groß, als die neueren Darstellungen dieser Zeit, welche auf ihr fußen, häufig annehmen*), wohl aber ist es die literarische Bedeutung derselben besonders in der Beziehung, dass man daraus ersehen kann, was man sich im 14. Jahrhundert unter einem interessanten Geschichtswerk vorgestellt hat.

Die gesamte Tätigkeit auf dem historischen Gebiete in Straßburg erhielt am Ende des Jahrhunderts ihren Abschluss durch Jacob Twinger von Königshofen**). Er war Weltpriester zu Straßburg und ihm standen die reichen lateinischen und deutschen Quellen, besonders von Straßburg, in ausgedehntestem Maße zu Gebote; sein Werk, das in sehr zahlreichen Handschriften vorliegt, und welches seit Schilters erster Ausgabe unausgesetzt das Interesse der Sprachforscher und Historiker erregt hat, stellt sich als eine eigentümliche Verschmelzung von allgemeiner und spezieller Geschichte dar, ist aber leider noch entfernt nicht zu einem genügenden Drucke gelangt. Wenn wir hier darauf verzichten eingehender davon zu handeln, so geschieht es in der Rücksicht, dass die zu erwartende Ausgabe in den Städtechroniken die bisherigen Grundlagen der Besprechung völlig verändern wird.

Bei den historischen Aufzeichnungen des Elsass ist es auffallend, dass die eigentliche Annalistik nur spärlich vertreten ist. Außer dem was wir in Straßburg und Colmar davon fanden, und was zum Teil sehr persönlichen Ursprungs ist, haben sich nur die Marbacher Mönche einer fortgesetzteren annalistischen Tätigkeit beflissen. Dieselbe bricht aber schon vor der Mitte des 13. Jahrhunderts ab und nur einige dürftige Notizen des 14. Jahrhunderts schliefsen sich an die Marbacher Annalen an***). Diese hatten indessen ein großes Ansehen und wurden von Späteren vielfach als Quelle benutzt und abgeschrieben. Außer den Marbacher erstrecken sich nur die Aufzeichnungen des nordwestlich von Straßburg am Fuße der Vogesen gelegenen Klosters Maurismünster in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts hinein****). Sie sind dadurch nicht ohne Interesse, dass sie den Namen eines falschen Friedrich aufbewahren und den Sterbeort Heinrichs von Isny, des vertrauten Rates König Rudolfs, nennen.

*) Vgl. auch Hanncke, die Chronik Albrechts von Straßburg und Kaiser Karl IV., Forschungen zur deutschen Geschichte VII, 189 ff.

**) Über die Lebensverhältnisse ist die Einleitung zu Twinger im Code bist, et dipl. de la ville de Straßbourg von Schneegans noch immer das beste. Berichtigungen zu Schilters Text hat Molter in Pertz, Archiv II, 149, Mone ebd. m, 253 ff. Vgl. ebd. V, 505. 650, VII, 700.

***) Vgl. W. G. 504. Ausgabe von Wilmans nach dem Originalcodex in Jena Mon. SS. XVII, 142. Vgl. Böhmer, fontt. III, S. 66 und was über den Jenaer Codex in der Vorrede weiteres bemerkt wird ebd. S. XXII ff. Die Straßburger Handschrift des Matthias Neoburgensis enthält es auch und wurde darnach als Fragmentum incerti autoris von Urstisius S. 74 edirt. Vgl. Wilmans Aufsatz in Pertz, Archiv XI, S. 115.

****) Abgedruckt von Böhmer, fontt. III, S. 8 —10 mit der Annahme, dass das vorliegende ein Auszug aus größeren Annalen wäre, und von Jaffé in Mon. SS. XVII, 181.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter