Aus den schwäbischen Klöstern

Zahlreichere Aufzeichnungen finden sich dagegen in den Klöstern des Schwarzwalds, des oberen Rheines und Schwabens überhaupt. Hier wirkten noch die blühenden Zeiten der klösterlichen Annalistik in ermunternder Weise nach, ohne dass jedoch irgend etwas den früheren Jahrhunderten vergleichbares geleistet worden wäre. Die den Casus monasterii sancti Galli nachgebildeten Casus monasterii Petershusani haben keine so glückliche Fortsetzung gefunden*), wie sie uns in jenem Kloster entgegentreten wird. Auch in St. Blasien war die Geschichtschreibung verstummt und nur in Engelberg wurden das 14. und 15. Jahrhundert hindurch Aufzeichnungen an die alten St. Blasianischen Annalen angeschlossen, von denen sich vermuten lässt, dass sie großenteils gleichzeitig entstanden oder jedenfalls allmählich zugewachsen sind**). Etwas mehr bietet uns St. Georgen im Schwarzwald. Die Annalen dieses Klosters beginnen schon mit 1083 selbständig zu werden und reichen dann bis zum Jahre 1308. Wie sie ursprünglich beschaffen waren, lässt sich aus den erhaltenen Fragmenten eigentlich nicht beurteilen, zumal der historische Quellenwert der letzteren denn doch nur ein unbedeutender ist***). Nicht wichtiger ist, was im Kloster Lichtenthal geleistet wurde, und es ist wohl nichts unrichtiger, als die zerstreuten Aufzeichnungen, die da teils über die Gründung des Klosters, teils über die wichtigsten Ereignisse in der markgräflichen Familie gelegentlich gemacht wurden, mit dem Namen einer Chronik zu bezeichnen.

*) Chronicon Petershusanum bricht leider schon mit dem Jahre 1164 ab, woran sich nur noch eine längere Notiz zum Jahre 1249 anschließt. Vgl. W.G. 475, V, 15. Abgedruckt Mone, Quellensammlung I, 114, jetzt in M. G. SS. XX von Pertz. Vgl. Stälin, wirt. Gesch. II, 16.


**) Mon. SS. XVII, 275. W. G. 476, Note 4.

***) Mon. SS. XVII, 295. Nach den Auszügen von Gerbert und Ussermann. Vgl. Stälin, wirt. Gesch. II, 8. Potthast zitiert auch eine Schrift von Martini, Geschichte des Klosters und der Pfarrei St. Georgen, 1859, die ich nicht gesehen habe.


Es sind Anmerkungen, die sich in Nekrologien oder in Schenkungsbüchern finden, und die keinerlei Anhaltspunkte geben, auch nur auf einen früheren Bestand von Klosterannalen zu schließen*). In Lichtenthal war ein Frauenkloster Cistercienser-Ordens, welcher überhaupt keinen hervorragenden Anteil an der Literatur mehr nahm. Am wenigsten wurde neues produziert. Überarbeitungen älterer Stoffe oder Übersetzungen treten hier und da an die Stelle der älteren literarischen Tätigkeit in den Klöstern**).

Eine Ausnahme dagegen macht das Stift Sindelfingen, welches zwei ernstere Geschichtschreiber in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aufzuweisen hat: den Canonicus Heinrich von Möskirch und den Kellermeister Konrad von Wurmelingen. Wir haben es hier eigentlich nur mit dem letzteren zu tun. Wir besitzen ziemlich eingehende Nachrichten über den Mann. 1255 trat er in den Besitz einer Präbende an der Stiftskirche des heilg. Martin zu Sindelfingen, 1278 wurde er Diacon. Er genoss jedoch diese Einkünfte offenbar für das Kellermeisteramt, das er bei dem Kloster verwaltete ohne selbst dem Kloster anzugehören, denn er war Laie, hatte eine Frau und eine Tochter. 1295 im April (nicht 1294) ist er gestorben. Seine Arbeit umfasst die Jahre 1276—1294 und wird von allen Geschichtsforschern sehr geschätzt, obwohl man nur die Auszüge aus dem verloren gegangenen Original besitzt, welche Crusius und Gabelkover daraus gemacht hatten***).

*) Mone, Quellensammlung I, 190, vgl. 529, nimmt ganz willkürlich an, dass eine Klosterchronik bestanden habe, und gibt daher den von ihm zerstreut gefundenen Noten den Namen Chronik von Lichtenthal. Von Interesse ist bloß die Stiftungsgeschichte (1245), die folgenden historischen Bemerkungen bis 1257 sind untergeordnet, alles andere ist aus anderen Handschriften zusammengeleimt. Mone und Potthast beziehen sich auf Bader, kurzgefasste Geschichte des altbadischen Frauenklosters Lichtenthal. Altertumsverein des Großherz. Baden I, 121, aber hier findet sich keinerlei Andeutung über das Vorhandensein einer Chronik des Klosters.

**) Solche Übersetzungen und Bearbeitungen finden sich z. B. von dem Leben des Grafen Eberhart III. von Nellenburg und von dem Leben des heiligen Fridolin bei Mone I, 80—111. Die spätere Bearbeitung (B.) des Lebens des heil. Fridolins ist datiert: geschrieben von Johannes Gerster 1432.

***) Auf der Ausgabe von Haug, Chronici Sindelfingensis quae supersunt primum edidit, Tubingae 1836, beruhen die späteren Ausgaben von Böhmer, fontt. II, 464 und die vollständigere, als Annal. Sindelf., Mon. SS. XVII, 299. Wie schon Böhmer, fontt. II, XLVI bemerkt, hat Nauclerus, Chron. univers., noch das Original vor sich gehabt; doch ist die bezogene Stelle leider nicht derart, dass viel daraus zu gewinnen wäre. Nauclerus zitiert höchst oberflächlich und schreibt die Jahre, welche Wurmlingen behandelte, doch fast ausschließlich aus den Colmarer Aufzeichnungen ab.


Konrads Annalen sind sehr sorgfältig und tragen überall das Gepräge der Gleichzeitigkeit und der vollkommenen Trockenheit an sich. Ihn beschäftigen hauptsächlich die Angelegenheiten seiner Heimat. Über die Fehden und kleinen Kriege des schwäbischen Adels weiß niemand sonst so detailliert zu berichten, aber auch das Eingreifen des Königs Rudolf in die allgemeinen und speziell in die schwäbischen Verhältnisse wird aufmerksam verfolgt. Nichts destoweniger ist der bestimmte Standpunkt des Verfassers nirgends zu verkennen, denn er ist ein entschiedener Feind der Grafen von Wirtemberg, deren Wachstum und Machtzunahme seinen Beifall kaum zu haben scheint. In den originalen Aufzeichnungen wird das noch mehr hervorgetreten sein. Die Gelehrten aber, welche uns die vorhandenen Excerpte überliefert haben, mögen die Wirtemberg feindlichen Stellen vielfach getilgt haben, so dass uns nur wenige, aber immerhin deutliche Beweise für die Richtung Konrads von Wurmelingen stehen geblieben sind. Dahin gehört z. B. die Nachricht über die Schädigungen, welche Graf Eberhard von Wirtemberg dem Stifte angetan hat*). Überhaupt ist er ein großer Freund der Hohenbergischen Grafen, welche er mit ihren gesamten Parteigenossen besonders aufmerksam verfolgt und über die er nicht eine einzige ungünstige Nachricht bringt. Hieraus ergeben sich denn auch die Beziehungen zu dem habsburgischen Hause von selbst, dessen erneuerte Erhebung er nicht mehr erlebt hat, nachdem er noch im Jahre 1292 die Wahl Adolfs in kurzen Worten erwähnt hatte, aber zugleich die nicht unwichtige Mitteilung macht, dass Herzog Albrecht auf dem Wege nach Frankfurt in Grüningen geweilt habe**). Eine auffallende Ungenauigkeit findet sich noch zum Jahre 1293, wo Konrad den König Adolf einen Zug gegen Besancon unternehmen lässt, während von dem folgenden Jahre nur noch die Annäherung zwischen dem nassauischen Hause und dem von Wirtemberg erzählt wird. Jedenfalls war der Gang der öffentlichen Dinge schwerlich nach dem Wunsch und Geschmacke der Sindelfinger Canoniker, die denn auch das Buch Konrads nicht weiter fortgesetzt haben, und in der Literatur gänzlich verstummten.

*) Vgl. meine deutsche Geschichte im 13. und 14. Jahrhundert, Band II, S. 414.

**) Kopp, Gesch. der eidgen. Bünde III, 26.


Umständlichere Erzählungen als in den annalistischen Aufzeichnungen Konrads von Wurmelingen hat sein Landsmann Burkard von Hall hinterlassen, der sich nicht so strenge an die annalistische Form hält, aber dafür einzelne Ereignisse genauer erzählt und einen Anlauf zu einer eigentlichen Geschichtsdarstellung seiner Zeit zu nehmenscheint. Leider fehlt uns jede klare Einsicht in die Arbeit, da nur gelegentliche Excerpte daraus publiziert worden sind*). Der Verfasser aus schwäbisch Hall gebürtig, war Decan zu St. Peter in Wimpfen und wurde von einem Collegen unterstützt oder fortgesetzt, was nicht ganz deutlich hervorgeht, — Namens Dyther von Helmstädt. Dieser sagt, dass der treffliche Burkard die Geschichte fortzuschreiben unterlassen habe, weil er durch andere Geschäfte okkupiert gewesen sei, und dass er den Fußtapfen Burkards nun folge, gleichsam wie ein Schüler dem Lehrer. Daraus geht hervor, dass wenn Dyther, der doch damals schon Canonicus war, auch etwa der jüngere Mann gewesen sein mochte, beide doch Zeitgenossen und mit einander im Verkehre waren. Nach dem was in unseren Ausgaben gedruckt vorliegt, muss man Dythers Tätigkeit als die größere und umfassendere halten, gleichwohl hat man seine Beschreibung der Ereignisse vom Jahre 1298 mannigfach überschätzt; denn es sind eigentlich nur sehr äußere Nachrichten, die er hat, und die tieferen Vorgänge bei Albrechts Erhebung zum König, welche nach Dyther in Alzei geschehen sein soll, sind ihm unbekannt**). Burkard von Hall soll am 24. August 1300 gestorben sein. In den Aufzeichnungen des Stiftes wird er mehr darum gelobt, weil er in die Geschäfte Ordnung gebracht und sich um die Verwaltung der Güter und Einkünfte im hohen Grade verdient gemacht habe. Das Stift war, wie alle dergleichen, vorzugsweise Versorgungsanstalt für den Adel; so war vermutlich Burkard von Hall durch seinen Oheim, Konrad von Heilbronn hinein gekommen, der 1289 starb. Dyther von Helmstädt hatte einen Oheim gleiches Namens im Stifte, der am 12. Nov. 1294 starb, nachdem er 20 Jahre Propst war. Auch der Geschichtschreiber Dyther wird als Decan genannt und ist als solcher gestorben. Daraus geht zugleich hervor, dass er die Chronik noch in jüngeren Jahren als Canonicus schrieb, da er sich ausdrücklich als solchen bezeichnet, während er Burkard als Decan nennt. Vermutlich ist auch seine Tätigkeit später durch andere Geschäfte unter brochen worden. Annalistische Aufzeichnungen sind auch nicht weiter, soviel vorliegt, im Stifte St. Peter gemacht worden***).

*) Schannat, vindem. lit. II, p. 57 und Böhmer in den fontt. II, 473 ff. haben Auszüge gegeben, aber sehr ungenügend. Schannat ist vollständiger, doch ist auch hier nicht einmal der Umfang der Notae historicae ersichtlich. Dass dieselben von 1273—1325 reichen, ist nur mit Einschränkungen richtig.

**) Das ist nämlich sehr bezeichnend für die Kenntnisse des Verfassers: er weiß nur, dass Herzog Albrecht im Lager ausgerufen worden ist; eine Verlegenheit für den Geschichtschreiber, aus der er sich durch den möglichst allgemein gehaltenen Ausdruck hilft sublimarunt in regem. Er ist doch gescheit genug, um das was er darüber gehört hat nicht für die clectio zu halten.

***) Die Abhandlung von Baur, Archiv für hess. Gesch. III, 1 ff., Beiträge zur älteren Geschichte der vormals freien Reichsstadt Wimpfen am Berge und des vormals adligen Ritterstiftes ad S. Petrum zu Wimpfen im Tal, enthält in ihrem 2. Teile interessante Zusammenstellungen über die Pröpste und Decane des Stiftes, leider aber ist über das hier in Rede stehende Geschichtswerk darinnen nichts gesagt. Ebensowenig bietet in dieser Beziehung der bei Potthast zitierte Heber, die vorkarolingischen Glaubenshelden. Eine genauere Untersuchung über diese Wimpfener Quellen wäre am Platze, namentlich eine genaue Beschreibung der in Darmstadt liegenden Handschrift.


Den Stiftsaufzeichnungen von Sindelfingen und Wimpfen reihen sich diejenigen der Stuttgarter Stiftsherren an. Sie haben fast das gleiche Schicksal erfahren, wie die früher genannten Annalen. In vollständiger Weise sind sie uns nicht erhalten, und nur die fleißige und kunstvolle Hand Stälins vermochte aus verschiedenen Handschriften die ehrwürdigen Reste dieser Stuttgarter Annalen herzustellen, nachdem dieselben schon früher teilweise publiziert waren*). Die Annalen beginnen mit einer Notiz vom Jahre 1265 und sind lange Zeit, bis in die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, fortgesetzt worden, doch lässt sich bei den spärlichen Resten nicht bestimmen, in welchen Zeitabschnitten die verschiedenen Autoren der Aufzeichnungen eingetreten seien. Darüber ist jedoch kein Zweifel, dass die ältesten Teile schon im 14. Jahrhundert, wohl schon zu Anfang desselben abgefasst wurden, da die Notizen durchaus original sind und das Gepräge der Gleichzeitigkeit tragen.

Wie die Stuttgarter Annalen in ihren Anfängen bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts zurückreichen, so erstrecken sich andere schwäbische Jahrbücher in ihren Ausläufern bis in diese und die folgenden Zeiten hinein. So die Annalen des Klosters Neresheim, die Jahrbücher von St. Udalrich und Afra in Augsburg und des zum Augsburger Sprengel gehörigen Ottobeuern**).

*) Diese Jahrbücher wurden von den älteren wirtembergischen Geschichtschreibern als Anonymi chronicon Wirtembergicum manuscriptum oder ab Continuator Hermanni minoritae zitiert. Sie finden sich häufig im Anhange an die Flores temporum (vgl. weiter unten). Doch sind es Stuttgarter Jahrbücher, welche Mone im Anzeiger 1834 S. 137 nach einer Reichenauer Papierhandschrift druckte. Dann hat Stälin in den wirt. Jahrb. 1849 die volle Restituierung unternommen. Sonderabdruck Stuttgart 1851. Nach seiner Ansicht haben die Aufzeichnungen doch nicht vor Mitte des 14. Jahrhunderts begonnen. Vgl. Wirt. Gesch. III, 8.

**) Vgl. W. G. 474 und 475. Beachtenswert ist der Catalogus abbatum monasterii Sancti Udalrici et Afrae Auguatensis, herausgegeben von Steichele und das von demselben herausgegebene Schenkungsbuch des Klosters Ottenbeuern im Arch. der Gesch. des Bistums Augsburg, 1858, 2. Bd.


Eine literarische Berühmtheit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts war in Schwaben ein gewisser Hugo Spechtshart, Priester zu Reutlingen, der noch im Jahre 1358 73jährig lebte*). Dieser Mann ist für musikalische und grammatische Geschichte wichtiger, als für die politische, aber ohne seine Schuld, denn er hat neben den uns erhaltenen musikalischen und grammatikalischen Lehrgedichten auch ein großes in Hexametern abgefasstes kirchengeschichtliches Werk verfasst, welches er als eine Chronik bezeichnete, die von den ältesten römischen Königen, wie überliefert wird, angefangen haben soll, allein dieses Buch ist verschollen. Indessen sind die Werke Hugos von Eeutlingen schon bei Lebzeiten ihres Verfassers kommentiert worden, und so haben sich denn in einem Wiener Codex eine Anzahl von historischen Glossen zu der Chronik Hugos von einer unbekannten Hand herrührend erhalten, welche über die Jahre 1218 —1348 Nachrichten geben**). Von großem Werte sind die Mitteilungen des Glossators nicht und eigentlich nur dadurch von Interesse, dass sie einen ohngefähren Rückschluss auf den Umfang der metrischen Chronik zulassen. Dieselbe ist darnach wohl um 1348 vollendet worden, und da die Anfänge der Hexameter in der Wiener Abschrift der Glossen mitgeteilt sind, so wird jetzt die Auffindung des verlorenen Werkes jedenfalls sehr erleichtert sein, falls — wofür Anzeichen vorhanden sind — Fragmente davon in späteren Geschichtsbüchern sich finden sollten.

*) Stälin, wirt. Gesch. III, 757.

**) Herausgegeben von Huber in Böhmer, fontt. IV, 128 — 137 und die Vorrede S. XX. Doch ist keineswegs anzunehmen, dass der Dichter der Chronik diese Adnotationen selbst geschrieben habe; warum also der Titel und warum „Excerpta“? — Bei dieser Gelegenheit mögen die auch im vierten Band der Fontt. aus einem St. Galler und Weingartner Codex entnommenen Anmerkungen zu den Jahren 1262 und 1267, 1268, 1273 erwähnt werden; ebendas. S. 126. Notae historicae et Cunradino et Rudolfo. Außerdem wollen wir hier noch auf die Arbeiten über Besitzungen schwäbischer Klöster hinweisen: Mehreres in Mone's Zeitschrift, Güterbesitz von Salmansweiler 1251 —1280 III, 1 und von Salem III, 2; vom heiligen Kreuz in Donauwerd: Arch. für Gesch. d. Bistums Augsburg II, 3. Heft.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter