Görres Grabrede auf das Deutsche Reich

Sie erinnert durch die Fülle kecker Bilder und überraschender Einfälle an die Aufsätze seiner besten Zeit, die Zeit des Rheinischen Merkur, charakterisiert sich aber zugleich durch nichts schonenden Spott und empörenden Hohn recht eigentlich als Erzeugnis der Revolutionstage.

„Am 30. Dezember 1797,“ heißt es in derselben, [7]„am Tage des Überganges von Mainz, nachmittags um 3 Uhr, starb zu Regensburg in dem blühenden Alter von 955 Jahren, 5 Monaten, 28 Tagen sanft und selig an einer gänzlichen Entkräftung und hinzugekommenen Schlagflusse, bei völligem Bewusstsein und mit allen heiligen Sakramenten versehen, das Heilige Römische Reich. Ach Gott, warum musstest du denn zuerst deinen Zorn über dieses gutmütige Geschöpf ausgießen; es graste ja so harmlos und so genügsam auf den Weiden seiner Väter, ließ sich zehnmal die Woche abscheren, war immer so sanft, so geduldig, wie jenes verachtete, langohrige Lasttier des Menschen, das nur dann sich bäumt und ausschlägt, wenn mutwillige Buben ihm mit glühendem Zunder die Ohren versengen. Der Verblichene ward geboren zu Verdun im Juni des Jahres 842; als er das Licht der Welt erblickte, flammte im Zenit ein unglückschwangerer Perrückenkomet.


Die Hebamme war es, die denselben zuerst erblickte und die prophetischen Worte sprach: Ein Kindlein, unter diesem Gestirn geboren, liebt den Frieden, ist leidsam, wird derowegen von bösen Menschen verfolgt werden und das Zeitliche ruhig verlassen. Der Junge war übrigens bei seiner Geburt so wohl bei Leibe, dass alle Umstehenden ihre Freude daran hatten. Es wurde nun am Hofe Karls des Einfältigen, Ludwig des Kindes und ihrer Nachfolger erzogen; sobald der junge Prinz die Kinderschuhe abgelegt hatte, wurden ihm die Päpste zu Hofmeistern gesetzt, und diese bemühten sich, ihn in der gehörigen Gottesfurcht und allen seinem hohen Stande erlaubten Kenntnissen zu üben. Stolz sahen die Pädagogen zu Rom auf Ihren hoffnungsvollen Zögling, stolz sprachen sie: das ist unser Werk, lasst uns dasselbe vollenden und (unseren Geist ihm einhauchen. Sie sprachen es und kanonisierten ihn lebendigen Leibes, und er hieß nun das Heilige Römische Reich.

Aber sein Hang zum sitzenden Leben, verbunden mit seinem leidenschaftlichen Eifer für Religion, schwächte immer mehr seine ohnehin wankende Gesundheit; sein Kopf ward zusehends schwächer, seine Geisteskräfte nahmen von Tage zu Tage immer mehr ab, bis er endlich in einem Alter von etwa drittehalbhundert Jahren zur Zeit der Kreuzzüge wahnsinnig wurde. Starke Aderlässe und strenge Diät bewirkten seine Herstellung, aber Hektik trat an die Stelle des Wahnsinns; abgezehrt zum Schatten, schlich der Kranke Jahrhunderte hindurch umher, bis er zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges heftige Blutstürze bekam; als er sich kaum von denselben erholt hatte, kamen die leidigen Franzosen, und ein Schlagfluss machte seinem Leiden ein schnelles Ende.

Gewiss, Bürger, teilt ihr mit allen Angehörigen des Verstorbenen den gerechten Schmerz, der uns zu Boden drückt. Ach, er ertrug mit einer so echt christlichen Demut alle die Verfolgungen, die er sich gefallen lassen musste, weil seine Kränklichkeit ihn etwas unbehilflich machte. Er verzieh mit rührender Langmut allen denen, die ihn neckten und reizten, die seinen Tod wollten, um sich in seine Erbschaft zu teilen; er vergab allen diesen Todfeinden so gerne und so willig, hielt mit so lobenswertem Eifer auf alte Gebräuche und Herkommen, bewahrte seine Tugend so rein von den Flecken der Aufklärung, und ach, diesen Vater haben wir verloren.“[/i] — Görres teilt sodann den letzten Willen des Verstorbenen als ein unvergängliches Denkmal des Edelmutes und der Verträglichkeit desselben mit. „Der Verstorbene setzt“, schrieb er, „die fränkische Republik als einzige rechtmäßige Erbin des linken Rheinufers ein und bittet diese verehrliche Republik, das kleine, aber gutwillig gegebene Geschenk als ein Zeichen seiner Hochachtung und Liebe anzunehmen. Seine päpstliche Heiligkeit soll, nicht nur zur Wiederherstellung seiner zertrümmerten Finanzen die Reichsoperationskasse, sondern auch, um seine eigenen Bullen vergolden und denselben durch solchen äußeren Schimmer den in unserer verderbten Zeit verlorenen Kredit wieder verschaffen zu können, die goldene Bulle erhalten. Die Reichsarmee war dem Landgrafen zu Hessen-Kassel vermacht, um dieselbe nach England, Amerika oder Ostindien zu verhandeln; alle sich vorfindenden Perrücken sollen in der großen Perrückensammlung des Londoner Naturalienmuseums aufgehangen werden. Zum Testamentsexekutor wird Seine Exzellenz der Herr General Bonaparte ernannt.“

Fürst Kaunitz als Gesandter in Paris. Kupferstich von J. Schmuzer nach einem Gemälde von Tocqué

Fürst Kaunitz Kupferstich von J. Schmuzer 1765

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland im 18. Jahrhundert. Band 1
025 Fürst Kaunitz als Gesandter in Paris. Kupferstich von J. Schmuzer nach einem Gemälde von Tocqué

025 Fürst Kaunitz als Gesandter in Paris. Kupferstich von J. Schmuzer nach einem Gemälde von Tocqué

026 Fürst Kaunitz Kupferstich von J. Schmuzer 1765

026 Fürst Kaunitz Kupferstich von J. Schmuzer 1765

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