Deutschland ein geographischer Begriff, kein Politischer

Deutschland im 18. Jahrhundert! Kaum ein geographischer Begriff, sicherlich kein politischer. War das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ schon nach seiner Idee von jeher ein Wolkenkuckucksheim gewesen, ein Traumbild, zu schön, jemals Wirklichkeit werden zu können, so stellte es sich in dieser Zeit, nach einem Bestehen von tausend Jahren, vollends als eine Schöpfung dar, die nur aus Unmöglichkeiten und Widersprüchen zusammengesetzt erschien. Innerlich durch und durch vermorscht, bestand es zwar noch, aber nur weil sich niemand die Mühe gegeben hatte, es umzustoßen. Es besaß noch seinen Kaiser und seinen Reichstag, seine Reichsarmee und seine Reichsgerichte, aber sie glichen Leichensteinen auf einem Kirchhofe, sie bewahrten den Namen von Einrichtungen, die längst jeden Inhalt eingebüßt hatten.

Niemand wäre imstande gewesen, genau die deutschen Grenzen anzugeben, so unsicher waren die staatsrechtlichen Verhältnisse zu den außerdeutschen Nachbarn, so verworren und mannigfaltig die Beziehungen der deutschen Fürsten zum Auslande. Nicht nur dass das Reich der Form wegen längst verschollene Ansprüche auf Gebiete aufrecht erhielt, die nun schon seit urvordenklichen Zeiten der Krone Frankreichs gehörten, dass der Kaiser sich als Oberlehnsherrn auf italienischem Grund und Boden fühlte, dass die Habsburger die österreichischen Niederlande und Mailand besaßen, selbst das deutsche Sprachgebiet gehörte auch da, wo es deutschen Fürsten gehorchte, nicht immer zum Reich.


Preußen und Schlesien standen außerhalb des Reichsverbandes, Pommern war schwedisch, Oldenburg dänisch, und seit vollends die deutschen Fürsten nach fremden Kronen geizten, wurde der Zusammenhang des Reiches in Frage gestellt. Der Kurfürst von Sachsen war König von Polen, der Kurfürst von Brandenburg König in Preußen, der Kurfürst von Hannover König von England, der Landgraf von Hessen König von Schweden, die Herzoge von Holstein russische Zaren, und sie alle haben die Interessen ihrer deutschen Stammlande vielfach nach Gesichtspunkten orientiert, die mit deutscher Politik nichts mehr zu tun hatten. Das war ein Zustand, der sich im kleinen wiederholte, waren doch der schweizerische Fürstbischof von Basel und der französische Fürstbischof von Straßburg Stände des deutschen Reiches, weil sie diesseits des Rheins Besitzungen inne hatten, die dem Kaiser unmittelbar unterworfen waren.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland im 18. Jahrhundert. Band 1
Kaiser Franz I., Kaiserin Maria Theresia und ihre Familie. Miniatur von A. Pencini in der Sammlung des Großherzogs von Hessen. Titelbild

Kaiser Franz I., Kaiserin Maria Theresia und ihre Familie. Miniatur von A. Pencini in der Sammlung des Großherzogs von Hessen. Titelbild

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