Der immerwährende Reichstag in Regensburg

Die Verständigung zwischen Kaiser und Reich erfolgte auf dem Reichstage. 1654 war die Reichsversammlung unverrichteter Dinge auseinander gegangen, 1663 trat sie in Regensburg wieder zusammen, um von da an, 1 ½ Jahrhunderte lang als „immerwährender Reichstag“ beisammen zu bleiben.

Der Geschäftsgang war so, dass die Stände, welche das Recht der Vertretung auf dem Reichstag besaßen, drei Kollegien bildeten: das kurfürstliche, das fürstliche, dem auch die Prälaten, Grafen und Herren angehörten, und das reichsstädtische. Waren diese drei Körperschaften einmal einig, so wurde der von ihnen gefasste Beschluss dem Kaiser als Reichsgutachten übergeben und von ihm, war er einverstanden, als verbindlich anerkannt und zwecks Vollziehung in die Reichstagsabschiede aufgenommen. Die ganze Maschinerie war ungelenk, mehr zum Verhindern positiver Leistungen geschaffen als zum Hervorbringen solcher geeignet.


Der Reichstag hat sich denn auch nur im Verneinen stark bewiesen und die langen Jahrzehnte seiner Tätigkeit hauptsächlich mit dem Hadern über Formen und Formalien zugebracht. Die Etikette und alle Fragen, die mit ihr in Zusammenhang standen, spielten in den Verhandlungen zu Regensburg eine Rolle, von deren Wichtigkeit sich eine spätere Zeit kaum noch die gebührende Vorstellung machen kann. Die Zeremonien bei Besuchen und Empfängen, die Titulaturen, das Prädikat „Exzellenz“, lauter Quisquilien dieser und ähnlicher Art standen im Vordergrunde des Interesses der Gesandten. Wer ein zuverlässiges Bild von diesem Unwesen gewinnen möchte, der mag in Kayßlers 95. Schreiben aus Regensburg vom 11. Februar 1731 den „itzigen Zustand des Reichstags“ wahrheitsgetreu beschrieben finden.

Es ist sehr ergötzlich zu lesen, wie der Reisende, der diese Angelegenheiten übrigens selbst mit großem Ernst und in erstaunlicher Breite abhandelt, schließlich bemerkt, dass der französische Gesandte Chavigny, „ein listiger Mann, der nur seine Endzwecke zu erreichen sucht, sich aus allen dergleichen Zeremonien nichts macht“, und sogar mit kurfürstlichen und fürstlichen Gesandten umgeht, ohne Unterschiede zwischen ihnen zu machen. Statt sich aber an der Diplomatie des Franzosen ein Beispiel zu nehmen, haben sich die Gesandten je länger, je mehr in diese Fragen verstrickt, so dass Achatz Ferdinand von der Asseburg, den Katharina II. 1775 nach Regensburg schickte, wegen des gradezu unerträglichen Zeremoniells vorschlug, dort nicht als Gesandter, sondern nur als russischer Geheimrat auftreten zu dürfen.

Es kam so weit, dass die Geschäfte des Reichstages drei volle Jahre lang, vom Januar 1782 bis zum Februar 1785, völlig zum Stillstand kamen, weil man sich nicht darüber einigen konnte, ob die fränkischen und westfälischen Grafen protestantische oder katholische Gesandte nach Regensburg zu senden hätten. Wie weit bei einer solchen Denkart das sachliche Interesse in den Hintergrund trat, lässt sich denken. Als Pütter 1746 den Sitz der Reichsversammlung besuchte, klärte ihn ein Eingeweihter darüber auf, dass es beim Reichstage gar nicht darauf ankäme, wer recht habe, wer unrecht, sondern einzig und allein darauf, wer die Mehrheit der Stimmen zusammenbringe.

Kaiser Franz I. Kupferstich von Phil. Andreas Kilian nach dem Gemälde von Martin Meytens
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland im 18. Jahrhundert. Band 1
003 Kaiser Franz I. Kupferstich von Phil. Andreas Kilian nach dem Gemälde von Martin Meytens

003 Kaiser Franz I. Kupferstich von Phil. Andreas Kilian nach dem Gemälde von Martin Meytens

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