1.800 Souveräne, 10 Kreise

Da durfte man wohl zweifelnd fragen: wo fängt Deutschland an? wo hört es auf? und sich wundern, dass ein Reich, welches auf einen Umfang von 1.200 Quadratmeilen geschätzt wurde, auf denen um das Jahr 1800 etwa 24 Millionen Einwohner lebten, als ein Ganzes doch so machtlos dastand, dass die Deutschen sich seiner schämten und die Fremden seiner spotteten.

1.800 Souveräne teilten sich den deutschen Grund und Boden, so dass selbst von den Reichsständen, die über die Geschicke Deutschlands Beschlüsse zu fassen hatten, viele nicht einmal über eine Quadratmeile geboten. Man zählte 80 Territorien, die kleiner waren als 12 Quadratmeilen, und da die 1.475 unabhängigen Reichsritter zusammen nur gegen 200 Quadratmeilen besaßen, so entfiel auf jeden dieser Duodezmonarchen im Durchschnitt nicht mehr als eine achtel Quadratmeile. Dieses Konglomerat kleiner und kleinster Gemeinwesen, zu denen außer Reichsfürsten, Reichsgrafen und Reichsrittern auch einige Dutzend Reichsstädte und Reichsdörfer als unabhängige Republiken gehörten, ordnete sein chaotisches Beieinander in zehn Kreise. Es waren dies 1. der Österreichische, 2. der Burgundische, 3, der Kurrheinische, 4. der Fränkische, 5. der Bayrische, 6. der Schwäbische, 7. der Oberrheinische, 8. der Niederrheinisch-westfälische, 9. der Obersächsische und 10. der Niedersächsische Kreis. „Ordneten“ ist vielleicht zu viel gesagt, denn da die Gebiete der einzelnen Kreise nicht einmal geographisch zusammenhingen, sondern bunt durcheinander lagen, so konnte diese Kreisverfassung dem Ganzen um so weniger Halt geben, als große Teile des Reichs gar nicht mit inbegriffen waren. Böhmen, Mähren, die Lausitz und Schlesien fanden innerhalb der zehn Kreise keinen Platz, und auch die so ungemein zahlreiche Reichsritterschaft in Schwaben, Franken und am Rheinstrom gehörte nicht dazu.


Um die einheitliche Verwaltung gemeinsamer Angelegenheiten überhaupt möglich zu machen, stand jeder Kreis unter einem Fürsten, der die Interessen desselben derart wahrzunehmen hatte, dass er Kreistage ausschrieb, auf denen die Mitglieder ihre Ansichten austauschen und Beschlüsse fassen konnten. Da manche Kreise aber nicht ein Oberhaupt besaßen, sondern zwei, ein geistliches und ein weltliches, da die Kreistage nicht an gewissen Terminen stattfanden, sondern ganz unregelmäßig abgehalten wurden, so diente die Einrichtung, die die Einigkeit fördern sollte, im Grunde mehr zur Aufrechterhaltung eines ewigen Unfriedens; denn die aus den gegenseitigen Eifersüchteleien entspringenden Zwistigkeiten und Verdrießlichkeiten nahmen kein Ende.

Es war die Blütezeit des Partikularismus, der in tausend Sonderbestrebungen üppig in die Halme schoss, so dass Prinz Eugen von Savoyen 1733 mit Recht schreiben durfte: „Deutschland kennt kein anderes Interesse als das durch den westfälischen Frieden sanktionierte Gesetz der Uneinigkeit und Trennung.“ Das einzige Band staatlicher Einheit: der Reichsgedanke, hatte jede Kraft verloren, denn von dem Kaiserreich führte Deutschland nur noch den Namen.

001 Kaiser Karl VII. Schabkunst von J. A. Pfeffel nach dem Bilde von Desmarées
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland im 18. Jahrhundert. Band 1
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