Russland und das asiatische Weltverhängnis

Russland wird die Wiege des Menschengeschlechtes genannt. Die europäische Menschheit ist aus dieser Wiege herausgesprungen, ist hoch und mächtig auf die Beine gekommen und treibt seitdem ein tolles Wesen.

Der alte asiatische Geist sieht dies mit Zorn. Er gibt sich rastlos Mühe, das europäische Kind wieder in die Wiege hineinzuzwängen, um es in dumpfen asiatischen Schlummer einzuwiegen.


Das bunte und lärmende Treiben Europas stört die Altmutter Asia in ihrer beschaulichen Ruhe, deshalb sandte sie schon so oft ihre wildesten Söhne aus, um das in der Fremde entartete Kind zur Stille, zur asiatischen Einförmigkeit zu zwingen.

Wenn man das Verhältnis Asiens zu Europa auch ganz prosaisch betrachten will, so drängt sich doch eine ganz unheimlich verhängnisvolle Erscheinung vor. Durch die Geschichte der Jahrtausende zieht sich das grimmige Bestreben Asiens, Europa zu unterjochen, die europäische Bildung zu zertreten, Europa auch geistig und politisch zu dem zu machen, was es natürlich ist — ein Anhängsel Asiens. Wie fürchterlich waren die Einbrüche jener asiatischen Eroberer, unter deren Fußtritten das Gras verdorrte, welche europäische Städte so zerstörten, dass der Ort nicht mehr zu finden war, wo sie gestanden, welche der europäischen Menschheit wie eine Brut des Teufels erschienen und sich selber mit hochmütigem Wohlgefallen Geißel Gottes nannten. Aber nicht nur durch kriegerische, auch durch Naturkräfte suchte Asien Europa zu bezwingen. Die fürchterlichsten und scheußlichsten Krankheiten flogen aus Asien über Europa hin, um es zu entvölkern und in Verzweiflung zu stürzen. Auch mit geistigen Waffen griff Asien Europa an. Muhamed wollte seinen entnervenden Kultus mit Feuer und Schwert über Europa verbreiten lassen. Ja, selbst das Christentum sollte durch den asiatischen Dämon zum Verderben Europas entwickelt werden, sollte die europäische Menschheit zu indischer Weichheit und Feigheit herabstimmen, zu indischen Asketen und Büßern machen.

Allein der rege Geist Europas widerstand bisher allem Andringen Asiens. Jene wilden Eroberer verschwanden noch schneller, als sie gekommen. Muhameds Nachfolger konnten sich nur in der Asien zunächst liegenden Ecke unsers Weltteils behaupten, und selbst dort neigt sich ihr Reich dem Ende zu, und wäre längst schon gestürzt, wenn die weltherrschenden Diplomaten nicht eine Wollust daran empfänden, Leichname zu konservieren. Das Christentum aber, obwohl es in Konstantinopel und Rom zum wahren Dalai-Lamatum entartete, entwickelte dennoch in Geist und Gemüt des germanischen Kernvolkes Europas eine Kraft, die fortan das mächtigste Schutzmittel gegen asiatische Knechtschaft zu werden verspricht.

Aber Asias Grimm ist darum doch noch nicht versöhnt, das asiatische Weltverhängnis noch nicht überwunden. Es steht vielmehr eben jetzt drohender gegen Europa da als je zuvor. Sein Kämpfer ist jetzt Russland. Was den Attilas, Dschengis-Chans und Tamerlans nicht gelungen, das will jetzt Russland vollbringen.

Kaum erwachte dieses Reich zu einigem Bewusstsein, so flüsterte ihm schon der asiatische Dämon den Gedanken der Herrschaft über Europa ein. Schon im Jahre 1557 nennt sich Iwan den Herrn Europas und Asiens und schon Boris Gudunow ließ für sich als für den einzigen rechten Beherrscher der Christenheit beten. Unter Peter, den man den Großen nennt, weil man sich dem Wahn hingab, er wirke im Dienst der Humanität, durch ihn werde die europäische Bildung Asien erobern, unter Peter wurde das herrschsüchtige Bewusstsein Russlands klar und errang auch sogleich die großartigsten Erfolge. Der größte Erfolg war damals die vollständige Täuschung Europas und besonders Deutschlands. Die zivilisierte Welt schwelgte damals in der Idee des philosophischen Weltbürgertums und der Humanität. Peter erschien dieser schwärmenden Welt als ein Apostel der Humanität, während er doch nichts war als ein einigermaßen französisch dressierter und frisierter Nachfolger Tamerlans.[*] In den deutschen Schulen wird der russische Peter noch immer als ein Ideal von Würde und Größe dargestellt. Wie wenig er dies war, dafür hier im Vorbeigehen nur zwei Beispiele. Im Oktober des Jahres 1710 vermählte er seine Nichte Anna mit dem Herzog von Kurland. Bei dem Hochzeitsfest, welches damaliger Unsitte gemäß Wochen lang dauerte, zwang Peter den Herzog zu so unmäßigem Trinken, dass dieser schon im Januar 1711 daran starb. Nun schloss Peter den Bruder des Verstorbenen von der Nachfolge aus und nahm Kurland als Witthum der Großfürstin für Russland in Besitz. Die Leute viehisch trunken zu machen, war nicht bloß ein Vergnügen für den großen Peter, sondern auch in andern Beziehungen als der eben bezeichneten ein politisches Mittel. Die fremden Gesandten wurden durch die Gnade ausgezeichnet, mit dem Zar unmäßig Branntwein zu trinken, und während der Trunkenheit wurden ihnen Geheimnisse ihrer Staaten abgeschwatzt. Heutzutage macht Russland die Leute auf andere Weise trunken. Wir haben nacheinander deutsche Gelehrte, französische Legitimisten, ja sogar englische Diplomaten aus Russland heimkehren sehen, so trunken von russischer Gnade, dass sie über Russland lobhudelnde Bücher schrieben. — In neuester Zeit ist in Berlin wiederholt der Fall vorgekommen, dass Offiziere wegen Unzüchtigkeit an öffentlichen Orten kassiert wurden. Sie haben aber nur Peter den Großen nachgeahmt. Dieser verübte zu Berlin auf einem Hofball im Angesicht der allerhöchsten und höchsten Herrschaften an seiner Nichte, der Herzogin von Mecklenburg, eine Unzucht, wie sie von gemeinen Leuten höchstens nur bei Bordellfestlichkeiten vorkommt. Ungeachtet solcher und tausend anderer Schändlichkeiten und ungeachtet der gegen Deutschland treulos feindseligen und räuberischen Politik Peters bleibt dieser Peter für den kleinen Michel immerfort der große Peter. —

[*] Tamerlan, auch Timur - eine vorwiegend in Europa gebräuchliche Verballhornung von Timur Lenk (= Timur der Lahme), zentralasiatischer Eroberer am Ende des 14. Jahrhunderts und Gründer der Timuriden-Dynastie in Persien und Transoxanien.

Peter wurde ein besonders gefährliches Werkzeug des asiatischen Verhängnisses. Vor Peter brachen unsere asiatischen Feinde immer in unverhüllter Wildheit in Europa ein; seit Peter manövriert die asiatische Barbarei in europäischer Uniform, kommen die sibirischen Wölfe und Eisbären in Schafspelzen als russische Staatsräte nach Europa. Vormals erschienen die asiatischen Eroberer, wie gesagt, als eine Brut des Teufels; jetzt werden ihnen Hoffeste gegeben und offizielle Hurrahs gebracht. Allerdings ein bedeutender Fortschritt im Kosmopolitismus!

Dass Russland auf der ganzen Riesenfront seiner Stellung vom Eismeer bis hinab an die Mündung der Donau gegen Westen vorrücken will, ist gewiss, obwohl es die einlullenden offiziellen Zeitungsschreiber für ein Hirngespinst müßiger Skribenten ausschreien. Diese Leute werden so lang über die kindische Gespensterfurcht vor Russland spotten, bis wir die russische Knute empfinden werden. Ja geistig werden wir schon längst gut russisch geknutet. Jene Offiziellen freilich werden sich leicht zu helfen wissen. Sie werden über die Knutung triumphieren, wie sie jetzt über das Morden der galizischen Bauern entzückt sind. Sie werden sagen, die russische Knute sei die Hand Gottes, der endlich einmal das tolle revolutionäre Gesindel zusammenschlagen müsse. Wie schnell die offizielle Presse in Betreff Russlands umzusatteln versteht, ist eben jetzt durch ein lehrreiches Beispiel bewiesen. Vor dem polnischen Aufstand triumphierten alle Blätter über die Abweisung des russischen Heiratsantrages; jetzt verkündet man wieder mit Ehrfurcht die Erneuerung des russischen Bündnisses, rühmt die Großmut, mit welcher Russland, die Kränkung vergessend, dem bedrängten Österreich seine Hilfe anbot, und tröstet sich unverhohlen mit der Nähe der 20.000 Russen. Unsre Diplomaten horchen wieder katzenbuckelig auf das russische: „Das haben wir euch längst vorhergesagt,“ und die russische Politik wird wieder das Evangelium Preußens und Österreichs. Russland aber freut sich des neuen Sieges, den es durch diesen Polenaufstand erfochten, der seinen Angriffsplänen neuerdings feste Position in den Kabinetten von Wien und Berlin verschafft hat.

Es gibt mancherlei Gründe, welche Russland gegen Westen vorwärts drängen. Erbliche Ehrsucht und Habgier spielt darunter eine Hauptrolle. Aber vom russischen Standpunkt aus betrachtet, drängt auch ein politisches Bedürfnis nach Westen hin. Russlands Lage ist noch immer keine günstige. Es ist zu weit in den Winkel der Ostsee hineingedrängt, die Hauptstadt liegt zu nahe an der verführerischen Grenze Deutschlands, die polnische Position reicht noch zu wenig ins eigentliche Deutschland hinein, Österreich ist noch immer ein zu starker Stein des Anstoßes für die südlichen Projekte Russlands, und das schwarze Meer ist verschlossen. Überdies muss Russland seine Völker in fortwährender Spannung erhalten. Es muss sich ihnen gegenüber so stellen, als lastete die Sorge für die ganze Welt auf ihm, und als hätte es nur deshalb nicht Zeit, für das Beste des eigenen Volkes zu sorgen. Es muss diesem hart gedrückten und geknechteten Volke immer eine Hoffnung vorhalten. Dies tut es, indem es den Beruf Russlands, ein neues Weltreich zu stiften, preisen lässt, und den hungrigen Russen Aussicht auf die reichen Genüsse des Westens eröffnet. Russland ist ferner durch die geistige Entwicklung Deutschlands sehr beunruhigt; weit mehr als durch die Revolutionen Frankreichs. Ungeachtet der Grenzsperre und der berühmten Zensurschwärze gelangt doch sehr vieles von dem unwiderstehlich vorwärts wogenden Geistesleben Deutschlands nach Moskowien hinein. Der Minister des öffentlichen Unterrichts sagt freilich in einem seiner berühmten Berichte: „Die russische Zensur arbeite der durch die fremde Literatur hereingeschwemmten Sittenlosigkeit entgegen und bewahre den unverdorbenen, für würdige Taten stets bereiten Geist des russischen Volkes.“ Allein der würdigste Teil des russischen Volkes, der gebildete Kopf dieses Volkes ist eben deutsch gebildet und sehnt sich nach der deutschen Literatur und weiß sie ungeschwärzt zu bekommen. Dadurch verbreiten sich in Russland höchst sittenlose staatsrechtliche Begriffe, denen gegenüber das russische Swod, wie asiatisch heilig es auch immer sein mag, doch nur als ein Gesetzbuch des reinen Despotismus erscheint. Deshalb zürnt Russland gar sehr gegen Deutschland. Es ermahnt zwar die deutschen Regierungen fortwährend, ja doch die ausgelassene Presse zu zügeln, und unsre Regierungen bemühen sich auch sehr, der russischen Mahnung zu gehorchen; aber sie haben erstlich die Zügel doch nicht mehr recht fest in den Händen, und andernteils ist die deutsche Presse durch das viele Hin- und Herzügeln schon so hartmäulig geworden, dass sie ungeachtet alles Reißens und Zerrens doch dahin geht, wo sie eben hin will. Was sollen nun die Reiter tun? Absteigen wollen sie nicht, und sie wollen es auch nicht merken lassen, dass sie in vieler Beziehung nicht mehr reiten, sondern geritten werden. Daher lassen sie sich denn von der Presse dahin und dorthin tragen, und sind froh, wenn sie noch den Schein retten, als ob sie den Gaul wirklich noch lenkten. Aber wie gesagt, sie reißen ihn nur links und rechts hin und her, aber nicht von seinem Wege ab, so dass er, freilich langsamer und mühseliger, sich immer mehr dem Ziele nähert, welches er erreichen will. Auf diese Weise aber entwickeln sich trotz den russischen guten Lehren und Strafpredigten die öffentlichen Zustände Deutschlands zu einem immer schroffern Gegensatz zum russischen Despotismus, wodurch dieser nicht nur gekränkt, sondern bedroht ist. Also muss Russland in Deutschland vordringen. Weil die deutschen Regierungen nicht hören wollen, sollen sie fühlen müssen. Russland muss sie geradezu in Zucht nehmen, sonst geht das ganze patriarchalische Herrschaftsprinzip zum Teufel. Russland muss sich so schwer als möglich auf Deutschland werfen, damit der langatmigen deutschen Presse der Atem ausgepresst werde. Besonders die preußische Redseligkeit ist Russland im höchsten Grade zuwider. Das Petersburger Kabinett hat einige hundert Kurierpferde zu Tod gehetzt, um die oratorischen Übungen Preußens einzustellen. Namentlich über das kecke Königsberg war und ist man in Petersburg erbost. Aber diese vertrackten Königsberger sprachen auch an der Grenze Russlands so laut, dass selbst die Landjunker der Ostseeprovinzen aus ihrem russischen Dusel erwachten, aufhörten, anbetend nach Osten zu blicken und die Entdeckung machten, dass für sie die Sonne westlich aufgehe. Wie viele Feldjäger Russland gegen das Edelwild des Böttcher-Hölzchens losgelassen, weiß man nicht; so viel aber ist bekannt, dass die Volksversammlungen in Preußen verboten wurden. Doch das nützt nicht viel, und Russland ist auch nicht zufrieden damit. Es will ganz Deutschland zu der Stummheit bringen, an welche sich die russischen Deutschen schon so sehr gewöhnt haben, dass sie selbst im fernen Ausland viele Monate hindurch noch kein lautes Wort wagen.

Allein wie mannigfach auch die Beweggründe der russischen Eroberungslust sein mögen, neben allen und über allen übrigen waltet das alte asiatische Verhängnis. Wie sehr dieses will, dass Russland in Europa vordringe, scheint auch durch folgenden Umstand merkwürdig bewiesen zu sein. In Europa ist Russland seit Peter in allen Unternehmungen beispiellos glücklich; in Asien dagegen größtenteils unglücklich oder nur scheinbar glücklich. Der Zug nach Chiwa missglückte schmählich; im Kaukasus erleidet Russland Niederlage auf Niederlage und selbst die Siege sind dort Niederlagen; die Besitzungen in Persien sind unsicher, so lang der Kaukasus unbezwungen. Das asiatische Verhängnis will es nicht, dass Russland gegen Asien sich wende; Europa soll es knechten und Asien ähnlich machen.

Dass in Russland ungeachtet allen europäischen Scheines doch eine rein asiatische Wirtschaft herrscht, wird wohl nach den mancherlei Enthüllungen der neuesten Zeit nur von sehr Wenigen bezweifelt. Die auf Kosten des ganzen Reiches übermäßig prunkvolle Hauptstadt, der das Mark des Volkes aussaugende Hofstaat, das echt chinesische Beamten-Mandarinentum, die fürchterliche militärische Sklaverei, die rein orientalische Auffassung des Christentums, mit einem Priesterstand, der dem Bonzentum Asiens völlig gleich gestellt ist, die Herrschaft der unbeschränktesten Willkür und Laune eines einzigen Menschen; ferner unter einer europäischen Bevölkerung von 49 Millionen Menschen vier und vierzig Millionen Leibeigene; für diese alle kaum hundert Schulen im ganzen Reiche, die sie überdies nur mit besonderer Erlaubnis ihrer Herren besuchen dürfen; — dies sind ungefähr die Grundzüge zum asiatischen Charakterbild Russlands. Wie das gottlose Prinzip der Leibeigenschaft in Russland mächtig ist, beweist der Umstand, dass alle diejenigen, die sich mit Erlaubnis ihres Herrn einem bürgerlichen Geschäft gewidmet, mit ihrer ganzen Nachkommenschaft und mit all ihrem Vermögen Eigentum ihres Herrn bleiben. So hat z. B. Scheremeteff Leibeigene, die in Petersburg und andern Städten als Kaufleute und Fabrikanten leben und Millionen besitzen. Nach dem barbarischen Gesetz gehört dies ganze Vermögen dem Herrn. Er übt sein Eigentumsrecht dadurch aus, dass er sich eine jährliche Abgabe, den sogenannten Obrok zahlen lässt. Aber noch mehr; Scheremeteff kann die reichen Kaufherren nach Haus rufen und sie zwingen, ihm Haussklavendienste zu leisten! In dem ganzen riesigen Russland sind kaum 600.000 eigentliche freie Bürger. Wie schamlos die Regierung selbst das Volk rein als Nutztier gebraucht, beweist am besten das Branntweinregal. Der Zar von Russland selbst ist der große Geistbrenner und Schnapsschenker seines großen Reiches. Nur dem Adel ist gestattet, für seinen Hausbedarf den Branntwein selbst zu erzeugen; alles übrige Volk ist bei strenger Strafe verpflichtet, das physische und geistige Gift in den Krontrinkstuben zu kaufen, die von der Regierung an die Meistbietenden verpachtet werden! Im Jahr 1842 warf dieses Kaiserliche Fuselgeschäft eine reine Einnahme von 40.000.000 Thalern ab! Man schließe hieraus auf den Zustand des russischen Volkes, welches berufen sein soll, die Welt zu regenerieren.

Ähnliche patriarchalische Zustände *) sollen auch uns zu Teil werden, dann beginnt nach der Weissagung des russischen Ministers der russischen Aufklärung ein neues goldenes, oder wenn man will, ein juchtenes Zeitalter. Und der Herbeiführung und Vorbereitung dieser Zustände dient seit Peter ganz Europa und vorzüglich Deutschland. Dadurch ist eben das asiatische Verhängnis? jetzt gefährlicher als je. Es hat jetzt „in Europa selbst ein festes Lager, es hat in Wien und Berlin seine Vorposten, in allen europäischen Hauptstädten seine Trabanten, an allen deutschen Universitäten seine Spione. Alle bedeutendsten Kriegs- und Friedenstalente, die Russland groß gemacht, waren und sind Deutsche, und viele aus ihnen hat König Ludwig von Bayern in die deutsche Walhalla gestellt. Den Dank für diese Anerkennung hat Russland an Baiern in Griechenland abgetragen! Ein Teil der deutschen Presse arbeitet im Dienste Russlands, und die deutsche Zensur sorgt mit rührendem Zartsinn für das Interesse Moskowiens. Mit russischem Gold kauft der asiatische Dämon deutsche Seelen, durch Brillantringe gliedert Russland Ketten für Deutschland. Das glänzende Petersburg zieht fortwährend Deutsche in seinen Zauberbann, und ist ein solcher Deutscher erst russischer Staatsrat, dann übertrifft er an asiatischer Wut den eingefleischtesten Urrussen. Selbst der Repräsentant der deutschen Sturm- und Drangperiode, Klinger, schrieb in Russland, als russischer Großoffizier und natürlicher Blutsverwandter der Zarin Katharina, ein Buch: „Über das zu frühe Erwachen des Genius der Menschheit!“

*) Mancher Ähnlichkeit erfreuen wir uns ohnehin noch aus guten alten Zeiten her. Wir haben auch Branntweinregale und Lottobeutelschneiderei!

Die eigentlichen politischen, vorzugsweise die diplomatischen Mittel, mit denen das asiatische Verhängnis Europa und zunächst Deutschland durch Russland bekämpfen lässt, find folgende.

„Russland stellt sich den Mächten, besonders Preußen und Österreich, als letzte und mächtigste Stütze des Absolutismus dar. Ich bin das dauernde im Wechsel!“ spricht Russland. „Eure Throne stehen über Vulkanen,“ raunt es Österreich und Preußen in die Ohren,“ nur durch mein nordisches Eis kann die Glut dieser Vulkane gedämpft werden.“ — Und Österreich und Preußen glauben dies treuherzig. Sie erinnern sich nicht, auf welche fürchterliche Weise der russische Absolutismus beschränkt ist, durch Gift und Dolch der Bojaren, durch die Fäuste und Schärpen der Offiziere! Sie nehmen sich die russische Serailregierung zum Muster!

Russland hat ferner das von französischer Schlauheit erfundene Wort Legitimität zur geistbannenden Zauberformel erwählt. Die göttliche Legitimität muss aufrecht erhalten werden, sonst geht das Weltall in Trümmer. Und die Mächte sehen in Russland eine Stütze der Legitimität! Wie steht es aber mit der russischen Legitimität? Peter I. ließ seinen Sohn Alexis umbringen. Dessen Sohn Alexiewicz wurde gewaltsam ausgeschlossen und so das Haus Romanow verdrängt. Der erste Zar aus dem jetzt regierenden Hause Holstein - Gottorp, Peter II., wurde von seiner Gemalin entthront und ermordet. Ebenso wurde Iwan, der rechtmäßige Nachfolger getötet, und Katharina II. bestieg den Thron. Ihr Nachfolger, Paul II. wurde wieder ermordet. Wie ferner Alexander geendet und wie Nikolaus begonnen, ist bekannt. – Dies ist russische Legitimität, und auf diese sollen die deutschen Großmächte die ihrige stützen *)! —

*) Wie Russland von fremder Legitimität denkt, dies bewies Paul I. als er den Exkönig von Polen, Stanislaus August Poniatowski, — der freilich so ehrvergessen war, dass er seine Pension eben in Russland verzehrte, prächtig begraben ließ, die Kosten aber den ehemaligen polnischen Provinzen auflegte, weil ja der Verstorbene ihr Fürst gewesen!

Russland benützt ferner, wie einst und noch Frankreich, die Zerrissenheit Deutschlands. Es tritt als Beschützer der sogenannten deutschen Freiheit auf! Folgende Worte der „Pentarchie“ können nicht oft genug wiederholt werden: „Russland wird der Hüter der ächten deutschen Freiheit, der deutschen Sitte, Wissenschaft und Bildung werden, eine Bestimmung, welche des slavischen Heldenvolkes vollkommen würdig wäre. Russland hat durch Polen eine militärische Position errungen, welche Österreich und Preußen spaltet, und unschätzbar für Russland ist, wenn es zum Schutz, zur Rettung deutschen Geistes und Handels, als Hort der schwachen, kapitulierenden deutschen Mittelstaaten aufgerufen wird.“ — Solches muss sich Deutschland, nachdem es sich kaum der Franzosen erwehrt, nun von den Russen sagen lassen! Wie tief liegt Deutschland noch darnieder! Und dann wird uns von Frankfurt am Main die offizielle Weisung gegeben, die jetzige Verfassung Deutschlands sei das Produkt höchster politischer Weisheit und gnädigster landesväterlicher Fürsorge; der deutsche Bund sei kein Provisorium, kein Übergang zu bessern Zuständen, sondern der Inbegriff des Allerbesten, und an eine Verbesserung zu denken, oder über eine solche gar zu sprechen und zu schreiben, sei der gottloseste Undank, der strafbarste Hochverrat! Dieselben Worte, wie Russland durch den Pentarchisten, predigten die französischen Despoten seit Heinrich II. um ihre Raubzüge in Deutschland zu beschönigen. Und wie es damals verräterische Deutsche gab, welche die französische Lehre lobpreisend kommentierten, so schreiben und drucken jetzt Deutsche für Russland; und wie damals die verkehrte Politik der deutschen Fürsten der französischen Raublust in die Hände arbeitete, so fördern jetzt die alles deutschen Bewusstseins und Ehrgefühls ermangelnden Diplomaten die Zwecke Russlands.

Russland warnt Preußen vor Österreich, Österreich vor Preußen, die kleinen deutschen Staaten vor Österreich und Preußen, und Österreich und Preußen vor dem französischen Liberalismus der kleinen Staaten! Und überall findet es Glauben und Dank und untertänige Bitte um gnädigen Schutz! Es ist so weit gekommen, dass die kleinen deutschen Staaten eine Bittschrift nach Petersburg sandten, um sich dem Schutze Russlands zu empfehlen, dass deutsche Fürsten ihre Soldaten in russische Uniformen steckten, um ihre Demut vor dem russischen Schutzvogt der kleinen deutschen Freiheit zu beweisen. Wir sind so tief gesunken, dass, nachdem wir durch einen großen Heldenkampf die Franzosen aus dem Lande geworfen, die Russen die Garantie unsers Daseins übernahmen!*) Und dann tadelt man es, dass Held Blücher über die ehrlosen diplomatischen Federfuchser geschimpft! Und dann sollen wir jenen Kampf einen Freiheitskampf nennen! Wir wurden so tief entehrt, dass der erste Lehrer des neuen deutschen öffentlichen Rechtes, Klüver, dem Zar Alexander eine historisch-statistisch-politische Darstellung der Lage Deutschlands und Ideen über eine neue Gestaltung dieses Staatensystems vorlegen musste. — Wo und was war Moskowien, als Deutschland die Welt beherrschte, und wo und was sind jetzt wir? Und wir sollen zufrieden sein, wir sollen die Lehre Metternichs mit unserm Blut unterschreiben, die Lehre, die er 1820 gab: „Der Zweck, dem alle Souveräne und alle wohlmeinenden Staatsmänner nachzustreben haben, besteht in nichts anderem, in nichts mehr und nichts weniger, als in der Erhaltung des Bestehenden“ —? Wer mit diesem Bestehenden zufrieden sein kann, der lasse sich begraben, denn er ist bei lebendigem Leibe tot. Es gibt gar nichts Bestehendes in Deutschland; alles liegt darnieder, weil die deutsche Ehre darnieder liegt und von aller Welt, sogar von Russland mit Füßen getreten wird. —

*) Bekanntlich hat Russland den deutschen Zollverein nicht anerkannt und dies allen Mächten in stolzen Noten bekannt gegeben. Natürlich, der Zollverein ist ja auch ohne vorläufig eingeholte Erlaubnis Russlands gegründet worden. Auch hat Metternich in den Wiener Konferenzen von 1820 gesagt: „Ein Handelsvertrag zwischen den verschiedenen deutschen Staaten ist wohl nichts als ein Luftbild, das zwar verführerisch erscheint, dem aber keine Wirklichkeit gegeben werden kann.“ — nun ist aber bekanntlich Nesselrode ein Schüler Metternichs, er hält also den deutschen Zollverein noch immer für ein Luftbild.

Am mächtigsten wurde Russland über uns durch die Anmaßung, mit der es sich für unsern Retter aus der französischen Knechtschaft ausgibt. Und diese russische Anmaßung wurde und wird in Deutschland diplomatisch sanktioniert, sie ist für die armen Deutschen zum politischen Glaubensartikel gemacht worden. Und doch ist es die grundloseste hochmütigste Anmaßung. Nicht Russland hat Deutschland gerettet, sondern durch die Erhebung des deutschen Volkes wurde Russland gerettet. Wäre Deutschland nicht aufgestanden, so hätte Russland im nächsten Jahre einen neuen besser vorbedachten Besuch Napoleons zu erwarten gehabt. Dann würde er vielleicht die Türken aufgeregt und mit der Herstellung Polens Ernst gemacht haben. Dann wäre es aber um Russland geschehen gewesen. Napoleon hätte die Niederlage in Russland rächen müssen. Es war dies für ihn eine Notwendigkeit der Politik und der Ehre, die Bedingung seines Herrscherdaseins. Russland wusste dies, daher rief es die Deutschen so dringend zum Kampf auf. Aber es wusste mit allmoskowitischer Schlauheit seine Angst zu verbergen und die Hasenherzigkeit der deutschen Diplomaten zu benützen. So kam es, dass Deutschland die Kosacken als Freiheitsapostel begrüßen musste, dass die deutschen Großmächte in demütigen Proklamationen verkündigten, Russland ziehe zur Rettung Deutschlands heran! — Aber nicht das russische Feuer und nicht der russische Frost haben Napoleon gestürzt, sondern der Heldenkampf des deutschen Volkes. Die Russen aber haben durch ihre Teilnahme den Kampf mehr erschwert und gehemmt, als erleichtert und gefördert. Schon früher haben sie durch Ungeschicklichkeit und Anmaßung (Austerlitz und Suwarow geben Zeugnis) mehr für Frankreich als für uns gewirkt. Im sogenannten Freiheitskampf haben sie zwar viel Geld, Munition und Proviant genommen, die Arbeit aber größtenteils den Deutschen, zunächst den Preußen überlassen. Mit Ausnahme der Schlacht von Kulm weiß die Geschichte dieses Feldzugs wenig von russischen Heldentaten zu erzählen; und die Gefahr dieser Schlacht war durch russischen Ungehorsam herbeigeführt. Wie die Russen in diesem Kampfe gegen Deutschland dachten, dafür nur zwei Beispiele. Russland stellte als Bedingung seiner Teilnahme auf, dass Warschau russisch werde, Lothringen und Elsaß dagegen französisch bleibe! Das andere Beispiel betrifft die Erbin des deutschen Hansaruhmes, Hamburg. Bernadotte wollte nämlich Norwegen. Dänemark wollte es nur hergeben, wenn es dafür Hamburg (und auch Lübeck) bekäme. Russland billigte dies, denn Alexander und Bernadotte beteten sich gegenseitig an. In Folge dessen gaben die Russen damals Hamburg dem wütenden Räuber Davoust preis.

Auf dem Friedenskongress allerdings da spielte Russland eine sehr kriegerische Rolle und schlug die deutschen Diplomaten aus dem Felde, die lieber einem Kosacken den Steigbügel halten, als sich mit ihrem Volk aufs Ross schwingen und zur altdeutschen Kaiserhöhe hinansprengen wollten. —

Mit besonderem Glück beutet Russland gegen uns die Nationalität aus; und zwar in doppelter Weise.

Auf deutschem Boden und bei deutschen Familienschwierigkeiten gebärdet sich Russland deutsch. Da macht es seine deutsche Abkunft, sein deutsches Blut, seine deutschen Schwieger- und Gevatterschaften geltend. Auch dieses Verfahren ist schon alt in Moskowien. Ferdinand I. empfing zu Regensburg eine russische Gesandtschaft, deren Sprecher, der Metropolit Gregor, folgendes vortrug:

„Es sei eine große Liebe zu den Teutschen bei den Russen. Der Zar wisse auch, dass die Russen sambt den Teutschen aines Ursprungs und Herkumens seien, auch die Russen in Scythien und Sarmatien die Landt einhaben und besitzen, da vor alten Zeiten die ersten Eltern der Teutschen iren siz und wonung gehabt, derhalben heutiges tags vil russicher Städt, Schlösser, wasser, Perg und Hölzer teutschen Namen haben.“

Wie eben jetzt die Deutschheit Russlands in der holsteinischen Angelegenheit geltend gemacht wird, ist nur zu bekannt, oder wenn man will, auch zu wenig bekannt. Nur so viel ist gewiss und auch sehr lehrreich. Im russischen Staatskalender steht der Zar von Russland als regierender Herzog von Schleswig-Holstein angeführt. *)

*) In der Augsburger Allgemeinen Zeitung machte unlängst ein Korrespondent von der Eider den Vorschlag, in Kiel für die Herzogin Anna Petrowna, älteste Tochter Peters des Großen, deren Sohn Peter Ulrich den russischen Thron bestiegen, ein Denkmal zu setzen!

Nebst der deutschen steht Russland natürlich auch noch die slavische Nationalität zu Gebote. Wie sehr es dieselbe zu benützen weiß, empfindet namentlich Österreich, obwohl auch Preußen slavisch zerarbeitet wird. Man will uns freilich glauben machen, der Panslavismus sei nur ein Gespenst, aber dass dieses Gespenst derbes Fleisch und markige Knochen hat, ist wohl am besten durch die Schläge bewiesen, die es eben jetzt ausgeteilt hat. Und selbst wenn es wirklich nur ein wesenloses Gespenst wäre, so weiß man ja, dass man durch solche Gespenster wenigstens äffen und schrecken kann, und dass die Geschreckten dann gewöhnlich den Kopf verlieren und kopflose Streiche machen. Und ist dies nicht einigermaßen, ja sogar in bedeutendem Grade schon eingetreten?

Der wichtigste Schauplatz des russisch-asiatischen Krieges gegen Deutschland ist Polen und die Türkei.

Peter, der Großgenannte, hat freilich im Frieden am Pruth, den ihm seine Kathinka mit ihrem Geschmeide und mit ihrer Geschmeidigkeit erkaufte, schwarz auf weiß erklärt, dass, er diesen Frieden als eine Gnade des Padischahs annehme, und dass sich Russland für ewige Zeiten nicht mehr in die Angelegenheiten Polens und der Türken mengen werde.“

Wollte ich jetzt den politischen Praktikern eine rechte Herzensfreude machen, ihnen eine recht auffallende Veranlassung geben, mich wieder als einen Schwärmer zu belächeln, so müsste ich so moralisch beschränkt sein, hier die oben angeführten Stellen aus Peters Testament: „ diviser la Pologne en y entrtenant le trouble et des jalosies continuelles,“ und: approcher le plus possible de Constantinople“ zitieren und den großen Peter des Meineids beschuldigen. Allein ich mache den Praktikern diese Freude nicht. Ich will selber recht praktisch diplomatisch sein. Ich erkenne die hohe politische Weisheit des russischen Kabinetts vollkommen. Russland hat, um sich nicht in polnische und türkische Angelegenheiten zu mengen, diese Angelegenheiten gänzlich zu russischen gemacht. —

„Durch Polen hat Russland eine militärische Position errungen, welche Österreich und Preußen spaltet und unschätzbar für Russland ist,“ lehrt der Pentarchist. Mit tiefem Bedauern und mit leider unmächtigem Zorn muss man mit dieser Lehre völlig einverstanden sein.

Ebenso unschätzbar für Russland aber sind die „elenden Stücke“ von Polen, welche Österreich und Preußen besitzen, oder besser, von denen Österreich und Preußen besessen sind. Durch diese Stücke von Polen hat Russland beständig das Brecheisen, den Mauerbrecher am österreichischen und preußischen Staatsgebäu.

Polen und die Türkei benützt Russland vorzüglich dazu, damit sich Preußen und Österreich moralisch zu Grund richten. Und wie sehr Russland seinen Zweck erreicht, das ist eben jetzt vorzüglich in Betreff Österreichs durch traurige Tatsachen bewiesen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland, Polen und Russland