Österreich und Russland

Die Kaiserin Maria Theresia schrieb an die Zarin Elisabeth: „Meiner allerliebsten Frauen Schwäster allergethreyeste Freindin, aber mit meinem Willen niemals Nachbarin.“

In der kaiserlichen Hofburg zu Wien hat man die Zimmer der hochseligen Kaiserin und alles Geräte, das sie gebraucht, unverändert stehen lassen, — aber das Regierungssystem der großen Frau hat man aufgegeben. Maria Theresia hatte das Unglück und die Schmach des Belgrader Friedens erlebt, mit welchem ein unseliges Bündnis mit Russland endigte. Österreich musste alles zurückgeben, was es im Karlowitzer Frieden gewonnen, nämlich Belgrad, Schabacz, ganz Serbien, österreichisch Bosnien und die Walachei. Russland dagegen gewann Azow und rückte auf der ganzen südlichen Grenze vor.


Ungeachtet dieser Erfahrung ließ sich Joseph doch wieder in ein russisches Bündnis hinein diplomatisieren. Allein er war nicht so sehr mit Blindheit geschlagen, wie Karl VI. Er schreibt über diesen Feldzug: „Die Russen dringen mächtig gegen Konstantinopel vor; ich muss ihnen an der Donau zuvorkommen.“ — Unglück und Ungeschick vereitelten dieses Zuvorkommen; Österreich hatte auch aus diesem Russenbunde Schimpf und Schaden, und Russland triumphierte.

Dessen ungeachtet blieb Österreich seither fortan in der russischen Verstrickung, und Metternich hat hier Verträge geschlossen und schließen lassen, welche die Schmach des Belgrader Friedens noch übertreffen.

In Folge der unglücklichen Metternich'schen Politik ist es dahin gekommen, dass Russland von der Mündung der Donau bis ans schwarze Meer den Herrn spielt, dass unsre südlichen Grenznachbarn, die sich früher nach der österreichischen Herrschaft gesehnt, jetzt gegen Österreich erbittert sind, dass der Name Österreicher in der ganzen Türkei ein Gegenstand des Spottes und der Verachtung ist.

Diese unrühmliche Politik hat natürlich auch im Innern Österreichs sehr nachteilige Wirkungen. Die Österreicher schämen sich dieser Politik. Namentlich die Ungarn sind im höchsten Grab erzürnt über diese feige Politik; sie sehen dadurch die ungarische Krone, die ein historisches Recht auf die Länder bis an den Balkan hat, beschimpft, sie sehen sich durch das Vorrücken Russlands aufs äußerste bedroht.

An allem neueren Unglück Österreichs ist das Schwanken Metternichs zwischen der Furcht vor Russland und der Furcht vor der Freiheit schuld.

Metternich kennt die russische Gefahr, er sucht ihr entgegen zu arbeiten, er hasst Russland. Diejenigen, welche behaupten, Metternich sei von Russland bestochen, tun ihm gewiss unrecht. Schon im Jahr 1813 erklärte Metternich: „Wir fürchten Frankreich nicht mehr, sondern Russland.“ Allein wer an der Spitze eines Kaiserstaates von 36 Millionen tatendurstiger Menschen immer nur von Furcht spricht, und immer nur furchtsam handelt und daher mehr leidet als handelt, der taugt eben nicht zum Führer eines so großen kraftgesegneten Staates.

Metternich fürchtet Russland. Aber er brauchte es nicht zu fürchten, wenn er dem asiatischen Vordringen die entfesselte Kraft der Völker entgegenwirken ließe. Allein in seiner altfeudalistischen und stockaristokratischen Weltansicht fürchtet Metternich das freie Rechtsstreben der Völker noch mehr als die russische Eroberungssucht. Daher neigt er sich immer wieder zu Russland hin, sobald der Geist der Völker ein Lebenszeichen von sich gibt. Metternich demütigt sich vor dem verhassten russischen Feind, um mit zuversichtlicherem Hochmut dem Freiheitstreben der Völker entgegentreten zu können.

Natürlich kann bei solchem Verfahren keine ehrliche Entschiedenheit walten. Metternich will sich dem neuen Staatsbegriff nicht anschließen, er wagt es aber auch nicht, ganz russisch zu sein *). Daher die klägliche Unentschiedenheit der Politik Metternichs. Weil er Russland fürchtet, will er es mit den Völkern nicht ganz verderben, und weil er die Völker fürchtet, glaubt er sich auf Russland stützen zu müssen.

*) Die neueste Zeit macht eine Ausnahme. Gegen die Deutschkatholiken, gegen die Leipziger Buckhändler und die polnischen Patrioten wurde echt russisch verfahren, nur nicht mit derselben Klugheit, wie Russland zu verfahren pflegt.

Diese doppelte Furcht lähmt natürlich die Kräfte Metternichs, und daher ist auch, wie schon Stein sagte, seine Politik lähmend. Im Jahr 1813 schrieb Stein an Münster über Metternichs Politik ein Urteil, dessen Gültigkeit sich bis zum heutigen Tage fortwährend gesteigert hat. Aus Anlass des Beitritts Österreichs zur Allianz gegen Frankreich schrieb Stein: „Wir haben eine Vermehrung der Masse, aber nicht der Einsichten und der edlen kräftigen Gesinnungen gewonnen und die Früchte des seit 1810 in Österreich befolgten Systems kennen gelernt. Von 1806 bis 1809 arbeiteten die beiden Stadions daran, den Geist der Nation zu heben, die Armee zu verstärken und zu vervollkommnen. Beides mit Erfolg. Die Nation war begeistert, die Armee schlug sich tapfer. Das neue Ministerium Metternich strebte seit dem Frieden bis jetzt, den Cours zu verbessern, den Frieden zu erbetteln, die Armee zu desorganisieren, den Geist der Nation zu lähmen. Man hoffte durch allerlei diplomatische Künste das große Problem der Regeneration Europas zu lösen“ —

Das Ministerium Metternich befolgt dieses System seit dem Frieden bis jetzt, und dieses lähmende, desorganisierende, in aller Welt bettelnde System bat sich in der langen Friedenszeit recht breit gemacht. Dieses System hat dem Sultan gegen die Griechen gedient, hat den meineidigen Wüterich Don Miguel anerkannt, hat den kopf- und herzlosen Frömmler Don Carlos mit österreichischem Geld unterstützt, hat den Despotismus der italienischen Fürsten mit österreichischem Blute genährt, hat den Verfassungsumsturz in Hannover gutgeheißen und den Minister Schele mit dem österreichischen Verdienstorden des heiligen Leopold geschmückt!

Gegen Russland aber wagt Metternich kein anderes Verfahren als jenes, welches Napoleon treffend mit den Worten bezeichnet: „Monsieur de Metternich prend l’intrique pour la politique.“ Natürlich zieht dabei Österreich immer das Kürzere, denn Russland ist im Intrigieren unübertroffen und es hat zugleich den Mut, dort, wo die Intrige nichts nützen will, mit Gewalt drein zu schlagen. Diesen Mut aber hat Metternich nicht. Unter seiner Leitung wird das große kaiserliche Österreich alljährlich von bosniakischen und montenegrinischen Räubern beschimpft und geplündert, ohne dass diesem schändlichen Unwesen durch einen kräftigen Schlag für immer ein Ende gemacht wird. Ja Metternich wagt es nicht einmal, mit den räuberischen Nachbarn im Namen Österreichs für sich allein zu unterhandeln. Er bittet sich dazu immer einen russischen Kommissär aus.

Alles was Metternich gegen Russland unternommen hat, ist zum Nachteil Österreichs ausgefallen. Am deutlichsten bewies sich dies in der griechischen Angelegenheit.

Metternich fürchtete, der Griechenaufstand werde zu Gunsten Russlands ausfallen, werde die Türkei in die Hände Russlands bringen. Daher verfluchte er die Griechen, die doch für das Christentum kämpften, als Rebellen, dehnte das Prinzip der göttlichen Legitimität bis auf den türkischen Sultan aus und verband sich mit ihm gegen die Griechen. In der Staatskanzlei zu Wien wurden die türkischen Proklamationen gegen die Griechen verfasst, und auf österreichischen Schiffen, die bekanntlich mit religiösen Zeremonien getauft werden, wurden ganze Kisten voll Christenohren und Christennasen als Siegestrophäen nach Konstantinopel gebracht! — Und was war die Folge dieser unchristlichen Politik? — Die Griechen mussten endlich doch anerkannt werden; Russland hatte den Ruhm, sich ihrer angenommen zu haben, Österreich dagegen vor Gott und aller Welt die Schande, sich aus starrer Anhänglichkeit an das Prinzip des Absolutismus sogar mit dem Islam gegen das Christentum verbunden zu haben. Freilich war dies nicht also, sondern die Furcht vor Russland war der Beweggrund der türkischen Politik Metternichs; aber die Welt glaubte dies nicht, und das öffentliche Verdammungsurteil lautete und wird in der Weltgeschichte lauten: Österreich hat im Bunde mit dem Islam gegen die Christen gekämpft.

Und was erreichte Metternich durch diese Politik? Gerade das Gegenteil von dem, was er erreichen wollte. Russland ergriff nämlich dennoch die Waffen gegen die Pforte und drang siegreich gegen Konstantinopel vor. Mit aller Tätigkeit, die Metternich nun anstrengte, erreichte er nichts als den für Österreich ebenso schimpflichen als verderblichen Frieden von Adrianopel. Für die Griechen ist seit der Zeit Österreich der Gegenstand der Verfluchung. Sie sagen mit Grund: wäre Österreich nicht im Bunde mit dem Islam gewesen, so herrschte jetzt wieder das Kreuz in Konstantinopel. Aber auch die Türken wandten sich von Österreich ab. Sie sagten mit Grund: Österreich ist nur solang mit uns gewesen, bis es Ernst wurde; dann zog es sich zurück. — Und die Türken haben Recht. Metternichs Politik bewies nicht einmal die Konsequenz, die man ihr so sehr nachrühmt. Streng folgerichtig hätte Metternich die österreichische Armee mit der türkischen gegen Russland marschieren lassen müssen. Dazu hatte er aber doch nicht das Herz. Seitdem hat Metternich im Orient Niederlage auf Niederlage erlitten, die für Russland natürlich ebenso viele Triumphe bilden. Das alte Ansehen Österreichs in der Türkei ist gänzlich dahin und da die orientalischen Völker an der Grenze Siebenbürgens und Ungarns Deutschland beginnen lassen, so trifft die Verachtung, in welche Österreich im Orient gesunken, das ganze Deutschland. Der schlechteste Türke spottet jetzt über die Deutschen als über ein schwaches und feiges Volk; und diese Schmach verdankt Deutschland der furchtsamen Politik Metternichs.

Wenn aber Österreich ans diese Art seinen Beruf gänzlich verfehlt, wenn es Russland nicht zurückhält, sondern ihm die Wege ebnet, wenn es dem deutschen Volke die Tore des Orients nicht öffnet, sondern verschließt, wenn es den Namen Österreich zum Spott aller Welt, sogar der Bosniaken, Tartaren und Kalmücken macht, wenn es die Gewalt, die ihm verliehen, nur dazu gebraucht, die eigenen Völker und Deutschland überhaupt zu fesseln, jede neue Lebensregung zu zertreten, die neuen Lebenskeime mit Leichenmoder der Vergangenheit zu ersticken; wenn Österreich nach solchem System regiert wird, so muss es den Fluch der eigenen und aller fremden Völker auf sich laden, so muss sein Dasein als ein Weltunglück, so muss das Streben, Österreich aufzulösen, endlich als Pflicht erscheinen. Vieles davon ist bereits eingetreten und eben jetzt geht das schlimmste in Erfüllung; eben jetzt nämlich macht sich Österreich vor aller Welt zugleich verächtlich und lächerlich. — Ehrlich herausgesagt: Metternich führt das Haus Österreich einen Weg, wie ähnliche Minister das ältere Haus Bourbon geführt. — Wie in der Griechensache im großen, so war und ist Metternich in allen kleinern Kriegsmitteln gegen Russland unglücklich. Aus Furcht vor Russland sandte er einen österreichischen Erzherzog in türkischen Kriegsdienst und befleckte dadurch den Heldenruhm des Siegers von Aspern, verletzte dadurch das Ehrgefühl Österreichs *) und stellte den Genius der Geschichte auf den Kopf.

*) Oder glaubte Metternich wirklich, dass die Österreicher über die Heldentaten von Saida sich freuten, weil Leute wie Saphir lobhudelnde Gedichte brachten?

Aus Furcht vor Russland gab man der tollen Herrschsucht der Madjaren nach und verpflichtete zu Gunsten von vier Millionen Madjaren neun Millionen Deutsche und Slaven, sich binnen sechs Jahren in Madjaren umzuwandeln. Natürlich hat man dadurch nicht bloß die ungarischen, sondern überhaupt alle Slaven gekränkt und dem Einfluss Russlands in die Arme geschreckt.

Aus Furcht vor Russland und vermeintlich als Repressalie für die russische Grausamkeit gegen die Römischgläubigen versagte man in Österreich den nichtunierten Griechen Rechtszugeständnisse, die man eben den andern Akatholiken eingeräumt, wodurch man natürlich wiederum die Sympathie für Russland stärkte.

Während auf solche Art Metternich durch das, was er gegen Russland zu unternehmen glaubt, nur den russischen Interessen dient, lässt er sich zugleich auch von der Furcht vor dem revolutionären Zeitgeist wieder gänzlich in die russische Fessel jagen. Dies zeigt sich eben jetzt wieder in Polen. Kaum ist der Besitz eines Landes, über dessen Verlust wir triumphieren sollten, einigermaßen bedroht und schon eilt man reumütig in die russische Umschlingung zurück. Und mit welcher majestätischen Strenge nimmt diesmal Russland die Rückkehr Preußens und Österreichs auf!

Im Jahr 1831 hatte die Furcht vor Russland in Wien den schönen Gedanken aufgeregt, zu Gunsten Polens aufzutreten. Aber die Furcht vor dem neuen Zeitgeist überwältigte ihn. Man zagte und zauderte und reichte zuletzt Russland die Hand zur neuen Unterdrückung Polens. Welchen Aufschwung hätte Österreich genommen, welchen gefährlichen Streich hätte es Russland versetzt, wie hätte es sich die begeisterte Verehrung aller Völker gewonnen, wenn es jener Eingebung seines guten Geistes Folge geleistet! Aber Metternich ließ sich zurückschrecken durch den Gedanken, dass man mit der Befreiung Polens auch noch andere Reformen vornehmen, dass man das alte System aufgeben müsste. Dies wollte man damals nicht tun, wo es auf rühmlichstem Wege hätte geschehen können; jetzt wird man sich unrühmlich und gefährlich dazu gezwungen sehen, durch eine blutige Bauernrevolution!

So ist also eben Polen recht eigentlich der russische Pfahl im Fleische Österreichs.

Durch die dringendste Gefahr ist Österreich aufgefordert, ein dem russischen ganz entgegengesetztes System zu befolgen, um so Russland aus den vielen natürlichen und künstlichen Positionen zu verdrängen, die es mitten in Österreich bereits errungen hat. Durch Polen aber ist Österreich fortwährend gezwungen, mit Russland Hand in Hand zu gehen. Dadurch bekommt das ganze österreichische Regierungssystem einen vorherrschend russischen Charakter. Anstatt einen mächtigen Gegensatz zu Russland zu bilden, ist Österreich durch seine jetzige Politik vielmehr das Mittel, durch welches das asiatische Prinzip in Deutschland einbricht und Wurzel fasst. Der alte große deutsche Kaiserstaat erscheint als der Schauplatz, auf welchem Russland seine asiatischen Experimente mit Deutschland macht. Österreich, welches berufen ist, das Licht der deutschen Bildung gen Osten zu tragen, gebärdet sich völlig als Lehrling Russlands. Dies ist leine böswillige Übertreibung. Kam nicht Tengeborsky aus Russland nach Wien, um Österreich über das Finanzwesen zu belehren! Ein russischer Staatsrats erschien als Finanzapostel in Wien, Quellen wurden ihm geöffnet, die dem einheimischen Schriftsteller immer verschlossen bleiben, und die Augsburger allgemeine Zeitung pries in langen wiener Artikeln die Weisheit des russischen Buches und sprach den Dank der österreichischen Regierung für die heilsame Belehrung aus, die sie von dem Russen erhalten. Der österreichische Patriot aber, der gegen diese Beschimpfung des Vaterlandes mit edlem Eifer in die Schranken trat, Dr. Wiesner, wurde in derselben Augsburger Allgemeinen in langen wiener Artikeln verhöhnt und geschmäht! — So richtet man in Österreich offiziell das politische Ehrgefühl zu Grunde.

Die Gefährlichkeit dieses Verfahrens steigert sich ins hundertfache wegen der großen slavischen Bevölkerung Österreichs.

Wir können nur dann erwarten, dass diese Slaven gern mit uns verbunden bleiben, wenn sie unter österreichischem Szepter eine so hohe politische Ehre, eine so große Freiheit, eine so gesicherte Rechtsstellung haben, dass durch diese hohen Güter der Wunsch nach nationaler Selbständigkeit überwogen wird. Wenn nun diese Slaven einem Staat angehören sollen, der seine Völker zu einem gedanken- und tatenlosen Maschinenleben zwingt, der sich von allen andern Mächten überflügeln, bevorteilen, verhöhnen lässt, und in jeder Beziehung fast ganz nach russischem Prinzip herrscht, so muss sich natürlich das Ehr- und Nationalgefühl dieser Slaven gegen eine solche Staatsverbindung empören. Mit Recht werden sie dann sagen: „Wenn wir in der Verbindung mit einem deutschen Staat nichts von den geistigen Gütern Deutschlands genießen, eine verhöhnte politische Rolle spielen und völlig russisch beherrscht werden sollen, so wollen wir doch lieber wirklich Russen werden, wo wir dann doch einem slavischen Großstaat angehören, der dem Slaventum eine imponierende Weltstellung errungen hat.“ — Solche sehr gründliche Reden kann die österreichische Regierung nicht mir hören, sie kann sie sogar gedruckt lesen; und zwar in Schriften, denen ihre wollte Gott löbliche Zensur das Imprimatur erteilt, während sie den deutschen Österreichern bei Strafe verbietet, das Lied: „Was ist des Deutschen Vaterland,“ zu singen.

Der Panslavismus findet unter den österreichischen Slaven durch die falsche Politik Metternichs immer mehr Anhänger. Im 4. Gesang der „Slavi Dcera“ von Johann Kollar, Prediger der slavischen evangelischen Gemeinde zu Pesth, wird eine slavische Walhalla beschrieben und darin kommen auch Großfürst Constantin und Zar Nikolaus vor. — In der Zeitschrift Kols heißt es: „Das 19. Jahrhundert ist das Jahrhundert des Slavismus. So weit die Geschichte reicht, ist die slavische Welt noch nicht auf diesem Punkt gestanden, wenn man die Zeit Swatopluks ausnimmt, der alle Slaven unter seiner mächtigen Herrschaft vereint hat,“ — Kollar ruft aus: „Europa hat sich mit großem Eifer und großem Lärm der Griechen angenommen, aber die Bulgaren verdienen nicht die christliche Barmherzigkeit, weil sie Slaven sind! Da hilft nur die Allmutter Slava!“ — Gáj, der bekanntlich vom Kaiser von Österreich einen Brillantring erhalten, fordert seine Landsleute zur Erlernung der russischen Sprache auf, weil die politische Macht Russlands immer zunehme.

Ich führe diese Beispiele nicht an, um diese Männer anzuklagen oder zu verdächtigen. Ich begreife ihr Tun und Sehnen. Sie können nicht anders. Metternich zwingt sie durch seine russische Politik in den Rachen Russlands hinein.

Dadurch werden aber ferner auch die Madjaren aufgeschreckt und in Grimm versetzt, und wie klein ihre Zahl auch ist, so beweist doch die Geschichte in vielen sehr blutigen Beispielen, dass dieses feurige leidenschaftliche Volk sehr wohl im Stande ist, das ganze Österreich in die äußerste Gefahr zu stürzen. Die Madjaren sind durch den Panslavismus in ihrer Existenz bedroht, und Österreich befördert durch seine verkehrte Politik den Panslavismus. Dies entflammt die Opposition der Madjaren zur leidenschaftlichen Feindschaft gegen Österreich. Mit jedem Jahre wird es schwerer, diese Feindschaft zu versöhnen.

Die Madjaren sind aber ferner auch durch die Herrschaft, welche Russland in Folge der zaghaften Politik Metternichs in den untern Donauländern ausübt, sowohl bedroht als, wie bereits erwähnt, in ihrer historischen Kronehre gekränkt. Bei der Krönung des Königs von Ungarn werden die Fahnen von Bosnien, Serbien, der Moldau, Walachei, Herzegowina und Bulgarei vorgetragen und der Neugekrönte verspricht im Krönungseid, diese verlorenen Provinzen wieder mit dem Reiche zu vereinigen. Auch der jetzt regierende König von Ungarn hat diesen Eid geschworen.

Man wende hier, gegen die Tendenz dieser Schrift, nicht etwa ein, dass auch die Fahnen von Galizien und Lodomerien vorgetragen werden. Diese Fahnen würden die Ungarn recht gern weglassen. Sie haben dies im Jahre 1831 bewiesen und beweisen es auch setzt durch ihr laut geäußertes Mitgefühl für Polen.

In Betreff der Donauländer aber wünschen und hoffen die Ungarn, dass der Eid ihrer Könige erfüllt werden sollte, und sie wünschen dies nicht bloß im eigenen, sondern im Interesse der europäischen Zivilisation. Die Bewohner der Donauprovinzen haben früher oft dringend gebeten, mit Ungarn und Österreich verbunden zu werden, und um diesen Wunsch zu erfüllen, sind Hunderttausende von ihnen auf österreichisches Gebiet übergesiedelt. Jetzt freilich ist dies eben in Folge unserer unglücklichen Politik anders geworden. Jene Völker sehen mit Verachtung auf Österreich und tragen mit Stolz die russische Uniform. Dadurch wird eben Ungarn gekränkt und bedroht und die ungarische Opposition gegen Österreich erbittert. Der ungarische Reichstag hatte sich einst aus Misstrauen gegen die österreichische Politik das Recht errungen, einen eigenen Gesandten in Konstantinopel zu halten, um über die Rechte der Krone Ungarns zu wachen. Es wäre jetzt wahrlich notwendig, dieses Recht zu erneuern.

Die Verhältnisse Ungarns und Deutschlands zu den untern Donauländern sind so wichtig und sollen mit Gottes Hülfe noch so lebendig werden, dass es hier am Platz sein dürfte, einige geschichtliche Notizen darüber mitzuteilen. Ich beginne mit Bosnien


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland, Polen und Russland