Vorwort zu den Texten

Die beiden Bücher „Das Leben der Schwestern zu Töß“ und „Der Nonne von Engeltal Büchlein von der Gnaden Überlast“ erscheinen hier zum erstenmal vollständig ins Neuhochdeutsche übertragen. Die Urtexte sind in mittelhochdeutscher Sprache abgefasst und um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden.

Das Tößer Buch wurde zuerst von Fr. Vetter zusammenhängend herausgegeben nach Hs.. 633 der Stiftsbibliothek zu St. Gallen, in: Deutsche Texte des Mittelalters, herausgegeben von der Königl. Preuß. Akademie B. VI. Die Vettersche Ausgabe enthält ferner die aus der Nürnberger Handschrift entnommene Vorrede des Dominikaners Johannes Meier (um 1450), dessen Schlußwort, das Leben der Mutter des Seusen und das Leben der Prinzessin Elisabeth von Ungarn. Von diesen Stücken der Nürnberger Hs. fand in vorliegender Übertragung nur die Vorrede J. Meiers Aufnahme, da die das meist wörtlich nach Seuses Schriften zusammengestellte, anmutigschöne Lebensbild Elsbeth Stagels, der Verfasserin der Tößer Chronik, enthält. Aus diesem Lebensbild ergibt sich die eigenartige Höhe dieser Frau, ihr äußerster Läuterungswille, ihre gläubig begeisterte Hingabe an ihren geistlichen Führer, den berühmten Mystiker Seuse, und der adlerkühne Flug dieser beiden „im Luftmeer der Gottheit schwebenden“ Seelen mit solcher Klarheit, dass an dieser Stelle von allen biographischen oder charakterisierenden Angaben abgesehen werden kann.


Die Engeltaler Chronik wurde zum erstenmal von Karl Schröder in der Bibliothek des Literar. Vereins in Stuttgart C VIII, Tübingen 1871, S. 1—71, herausgegeben, und zwar nach einer Pergamenthandschrift des 14. Jahrhunderts, die bis zur Aufhebung des Klosters Engeltal (1565) in dessen Besitz verblieb und sich jetzt im Germanischen Museum befindet. Man vermutet in der Nonne Christina Ebner, deren in der Einleitung öfter zitierte „Offenbarungen“ uns auch erhalten sind, die Verfasserin des Büchleins.

Aus der Reihe der uns erhaltenen und bekannten Nonnenbücher jenes Jahrhunderts wurden gerade diese beiden Chroniken für die Aufnahme ins „Katholikon“ ausgewählt, weil sie einander aufs beste ergänzen. Das Tößerbuch ist gekennzeichnet durch Ernst, Geistigkeit, eine oft erstaunliche Gewalt in der Darstellung bedeutender innerer Zustände und Spannungen, vor allem aber durch den Reichtum an großen, einzigartig hohen Frauenpersönlichkeiten, die sich klargestaltet über den Durchschnitt erheben. Da ist die strenge Margret Willin, die sich ihr Leben lang gewaltig plagt, nie redet, nie lacht, nie ruht und erst auf ihrem Sterbebett in ein erschütterndes kindliches Glückslachen ausbricht. Da ist die große Minnerin Belinum von Sure, deren Leben ein einziges gottsehnendes Verströmen ist; die große Reuerin Sophia von Klingnau, deren Aufstieg vom tiefsten dunkelsten Miserere der Schuld bis zum höchsten Lichtglanz der Sündenvergebung und Gotteinung mit unvergleichlicher Schönheit vor uns entrollt wird; die uralte Elsbeth von Cellinkon, den Schwestern ein lebendiges Zeugnis aus der ersten Zeit der Klostergründung, ein Riesenbild an Leibverachtung, leidenschaftlicher Armut, Härte gegen sich und Milde gegen andere. Die einfältig-wohlgemute Mezzi Sidwibrin, der Christus allzeit nah ist wie ein liebes Gespiel, und die klare, gelassene, schrift- und redekundige Margret Finkin, die von Gott so lieblich und tröstlich zu reden wußte. Und endlich die Größte von allen: Jüzi Schulthasin, deren tiefmystische Wandlungen, Seelenqualen und Verklärungen uns zu innerst in die tragikdurchhämmerte Schmiede der Menschenheiligung schauen lassen.

Nach dem schwerblütigen Tößer Buch liest sich das Engeltaler Büchlein von der Gnaden Überlast wie ein schönes, leichtflüssiges Märchen. Wie Alheit von Trochau allen Engeln und Heiligen trotzt und von St. Johannes Baptista die rechte Taufe erzwingt (S. 277); wie die sterbende Gedraut von Hapurch sich unter den blähenden Apfelbaum tragen läßt und „gar sere wainen wart“, das sind Stellen, in denen sich jener Märchenton zu einer Schönheit verdichtet, die einem das Buch ganz herznah bringt. Menschlicher, kleiner sind ja diese Nonnen, wie lachende, weinende Kinder neben den hohen, ernsthaften Tößer Frauen. Aber heiter zu schauen wie freundliches Blütengelände neben dunkelgroßer Berglandschaft.

Die vorliegende Übertragung des Engeltaler und des Tößer Buches ins Neuhochdeutsche suchte folgenden Gesichtspunkten gerecht zu werden: 1. Wo irgend tunlich und das Verständnis nicht störend, wurden die alten Ausdrücke, Redewendungen und Satzbaueigentümlichkeiten beibehalten, andernfalls zum mindesten Wort- und Satzformen verwendet, welche die Einheit der Sprache nicht beeinträchtigen. 2. Zur Vermeidung von Einförmigkeit und Enge wurden einzelne Ausdrücke nicht immer durch dasselbe Wort wiedergegeben, sondern bald durch das eine, bald durch das andere, bald auch das ursprüngliche belassen, z. B. Krankenhaus, Siechhaus; völliglich, völlig, ganz, vollkommen usf. 3. Damit der Text möglichst unzerrissen von Anmerkungen und Einschaltungen bleibe, wurde die Erklärung bestimmter, häufig wiederkehrender Ausdrücke wie Venie, Komplet, Disziplin in das Einleitungskapitel „Umwelt der Nonne“ verlegt. 4. Bei Sinndunkelheiten und zweifelhaften Textstellen wurde meist, unter Anlehnung an den betreffenden Herausgeber, die glaubhafteste Form der Deutung angenommen und in freierer Wiedergabe versucht. Für fachliche Berichtigungen oder Verbesserungsvorschläge bin ich dankbar. 5. Leitgedanke bei der ganzen Übertragung blieb: gewissenhaft, aber nicht ängstlich, zeitgetreu, aber dem heutigen Ohr nicht befremdend, klarer Fluss der Erzählung, auf Sinn wie Schönheit gleicherweise bedacht.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben