Vorrede Elsbet Stagels

Estote perfecti sicut pater vester celestis perfectus est: Ihr sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist. Diese Worte sprach unter lieber Herr Jesus Christus, da er auf Erden war, zu seinen geminnten Jüngern und meinte auch mit ihnen alle seine Auserwählten, die seit jener Zeit gewesen sind und noch geboren werden sollen bis auf den jüngsten Tag. Und da er über aller Zeit und unzeitlich und ein Bewirker aller Vollkommenheit und seine natürliche Güte ohne Wandel ist, so ist es ihm gleich möglich, über tausend Jahre zu wirken, was er will, als vor tausend Jahren.

Dass er dies aber nicht allein als eine vermögende Gewalt inne hat, sondern es auch offenbarlich gewirkt hat und noch alle Zeit wirket, das mag man ausnehmend erschauen an dem brennenden Minnefeuer, unserem allerheiligsten Vater Sankt Dominico, der wohl 1215 Jahre nach Gottes Geburt in die ersten Fußstapfen der heiligen Zwölfboten trat, als er unsern heiligen Orden einsetzte, der da eigentlich gestaltet ist nach der heiligen jünger Leben.


Und in demselben heiligen Orden hat die ewig lebende Sonne, die in dessen Herzen so kräftiglich brannte, Wachstum gewirkt wie in einem köstlichen Obstgarten, in dem die edlen und hohen Bäume gestanden, die da mit der Blüte der süßen, himmlischen Lehre und mit ihren vollkommen hohen Werken aller Christenheit einen kräftigen göttlichen Geschmack gegeben haben und noch allzeit geben, gleichwie der fröhliche Mai alles Erdreich erneuert und fruchtbar macht.

Und wie das sei, dass unser Herr etliche besonders gewürdigt, so dass er sie der Christenheit als einen lautem Spiegel vorgehalten hat, wie den heiligen Sankt Peter und die leuchtende Sonne Sankt Thoma, durch die ein jeglicher Mensch billig zu Gott gemahnt werden soll: so sind auch in diesem Orden so manche hohe Heilige, die nicht gerühmt und erhoben werden, die aber um ihres Christenglaubens willen gemartert worden sind, wie besonders geschrieben steht von ihrer vierundneunzig, die im Anfang des Ordens gemartert wurden. Auch sind der andern Heiligen viel, beide, Frauen und Männer, die durch ihr hohes Leben verdienet haben, dass unser Herr bei ihren Lebzeiten und nach ihrem Tode so große Zeichen durch sie getan hat, dass alle Welt sich dessen wundem möchte.

Wie mannigfaltig nun auch der minniglich Gott mit seinen Gnaden in diesem heiligen Orden, in jedem einzelnen Kloster gewirkt habe, so hat er doch sonderliche Liebe diesem Kloster erwiesen, vom Anfang an, da es gestiftet ward, und will es noch für und für tun, sofern wir es durch unsere Schuld nicht verlieren.

Ehe dieses heilige Kloster errichtet ward, sah man zu weilen schöne, wonnigliche Lichter scheinen an der Stelle, wo dies Kloster jetzt steht. Nun hatte an dieser Stätte ein Müller gewohnt, der ward ungeduldig, dass er von seiner Mühle weg sollte und verhinderte es, wie er nur konnte.

Da hörte er eine Stimme, drei Nächte nacheinander, die sprach: „Warum störst du mich an der Stätte, da ich selber ruhen will?“ Und durch dieses Geschehnis und weil man die schönen Lichter sah, die durch Gottes Anordnung hier schienen, gewann er so große Gnade, dass er williglich von hinnen zog. Mit diesen geistlichen Lichtern bezeigte unser Herr, dass er diese Stelle den heiligen Personen ausersehen hatte, in denen er ewiglich leuchten wollte. Hienach ward dies Kloster angefangen, achtzehn jähre nachdem der Orden bestätigt worden, da seit Gottes Geburt eintausendzweihundertdreiunddreißig Jahre vergangen waren, am Sankt Markustag, des Evangelisten, der an dem Dienstag in den Ostern war.

Wie seliglich nun unsere früheren seligen Schwestern gelebt haben, das wäre gut und lustlich zu hören; aber es ist nicht möglich, alles zu sagen, wovon ihr Herze brannte und ihr Leben so kräftiglich leuchtete, dass das Wort in ihrem Herzen fruchtbar war, das da vorne geschrieben steht: „Estote perfecti!“: Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.

Und weil sie wohl erkannten, dass sie nimmer vollkommen werden könnten ohne die drei Stücke, darauf unter Orden und jegliches vollkommene Leben gegründet ist, das sind willige Armut und vollkommener Gehorsam und rechte Lauterkeit: darum hatten die den allergrößten Eifer in diesen Dingen und sonderlich in freiwilliger Armut, die sie so begierlich lieb hatten, dass die sich mit allem Fleiß hüteten, irgend etwas Überflüssiges an Gewand oder andern Dingen zu haben. So einer etwas von ihren Freunden gesendet wurde, gab die es zum allgemeinen Besten.

Auch wurde die Regel und die Gesetze und was die in Gehorsam tun sollten, so andächtig und so gänzlich von ihnen eingehalten, dass sie hievon in rechter Lauterkeit standen. Sie bewahrten das Wort, das Sankt Augustin in der Regel schreibt und das vor allen Dingen Lauterkeit bringt: „Ihr sollt die irdischen Dinge lassen und sollt euer Herz und euer Gemüt aufheben zu den himmlischen Dingen.

Ihre heilige Übung war auch gar groß und mannigfaltig in emsigem Wachen und in heiligem Gebet; und von herzlichen Tränen flossen die häufig über. Sie nahmen auch so viele starke Bußübungen außerhalb der bestimmten Zeit vor, dass zuweilen nach der Frühmesse wohl ihrer zwölf zusammen Disziplin nahmen und sich dabei so arg schlugen, dass es einem vor dem Kapitelhaus grausig zumut wurde. Etliche schlugen sich mit eisernen Ketten, etliche mit einer Geißel, etliche mit Wacholder.

Sie waren auch gar sanft und still an Worten und Werken, dass es bei Tag so still in dem Kloster war, als ob es nach Komplet gewesen wäre. Sie pflagen auch keines Eigenwerkes und saßen mit so großer Andacht im Arbeitshaus, dass sie in Tränen hinflossen, als wären sie in der Messe gestanden.

Sie waren auch gar geduldig in dem großen Mangel, den sie an Speis und Trank hatten; denn man gab ihnen damals nicht mehr als zweimal in der Woche Wein. Sie waren auch gar demütig an Gewand und allen Dingen; und sonderlich jene, die in der Welt die Geehrtesten gewesen waren, befleißigten sich, die verachtetsten Werke zu tun. Wie mannigfaltig ihre heilige Übung war, auch derer, die zu unsern Zeiten gewesen, dessen wäre zu viel zu schreiben; der Herr, der es also gewirket hat und dem zu Lob es geschehen ist, der weiß es alles wohl und hat es in das lebende Buch geschrieben, daraus es nimmer getilget wird. Darum sei er immer und ewiglich gelobt und geehret. Amen.

Namen der Seligen des Klosters Töß bei Zürich, so hierin zu finden:

Adelheid von Frauenberg,

Adelheid von Lindau,

Anna von Klingnau,

Anna Wansaseller,

Beli von Liebenberg,

Beli von Lütisbach,

Beli von Schalken,

Beli von Wintherthur,

Katharina Pletin,

Elisabeth Bechlin,

Elli von Elgau,

Elsbeth von Jestetten,

Elsbeth Schefflin,

Elsbeth von Mezi (bei Margret Finkin),

Elisabeth Stagel,

Elsbeth von Cellinkon,

Elisabeth Zolnerin,

Gertrud von Winterthur,

Gutte von Schönenberg,

Ita Sulzerin;

Ita von Sulz,

Ita von Tüngen, such bei Margret Finkin!

Ita von Wezzikon,

Juliana Ritterin, bei Margret von Zürich!

Jüzi Schulthasin,

Margret Finkin,

Margret von Hünikon,

Margret von Zürich,

Margret Willin,

Mechtild von Stans,

Mechtild von Wädenswil,

Mezzi von Klingenberg,

Mezzi Sidwibrin,

Offmya von Münchwil,

Sophia von Klingnau,

Willi von Konstanz.

Weil nun der süße Gott in seiner überfließenden Güte sich seinen Freunden nicht versagen kann schon in dieser Zeit, er muss sich ihnen oft minniglich in mancher Weise bezeigen, damit ihr Herz mehr und mehr gereizt werde: darum hat er sich auch unsern Schwestern gar oft und viel bezeiget mit hohen und wunderlichen Offenbarungen, die uns leider entgangen sind, bis auf zu wenige, als uns eigentlich dünkt, dass es nach der rechten Wahrheit wären; denn eine jegliche war um das eigene geistliche Gut so bekümmert, dass die nicht gedachte, von einer andern zu schreiben.

Und da unser Herr in seiner Güte uns zu unserer Besserung ein kleines davon erhalten hat, damit wir an ihr heiliges Leben gemahnt werden, darum schreiben wir von etlichen, die vor uns waren und die auch zu unsern Zeiten gewesen sind. Doch glauben wir, dass deren ebensoviel gewesen sind, an denen der Herr mit seiner Gnade gewirkt hat, die hier nicht genannt sind, als deren, von denen hier geschrieben steht. Was wir aber hier geschrieben haben, ist das, was wir von unsern Vorderen sagen hörten und auch von ihnen zum Teil aufgeschrieben war.

Wer nun dies Büchlein lesen hört, der soll nicht nach seinem eigenen Sinn verkehren, was darin geschrieben steht. Will er sich dadurch nicht bessern, so ist's doch billig, dass er sich hüte, dadurch nicht böser zu werden. Wir haben in diesem Buch vieles weggelassen, was doch gut zu hören wäre. Auch haben wir manches hier aufgeschrieben, was klein scheint; aber es ist zuweilen vor Gott größer, was klein erscheint, denn was sehr groß erscheint.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben