Von der seligen Schwester Sophia von Klingnau

Wir hatten auch eine heilige, gute Schwester, sie hieß Schwester Sophia von Klingnau. Die kam in ihren jungen Tagen in dies Kloster; und als sie eben erst in dies Kloster kam, fing unser Herr schon an, mit sonderlicher Gnade in ihr zu wirken und wirkte in ihr mit außerordentlicher Süße bis an ihr Ende. Und ob wir davon auch nicht gänzlich wissen können, wollen wir doch etwas davon sagen. Als die zuerst von der Welt in dies Kloster kam, gab ihr unser Herr die Gnade, dass die große Erkenntnis ihrer eigenen Gebresten hatte und dass sie mit Bitterkeit und mit schmerzlichem Herzen eifrig bedenken, betrachten und beweinen konnte ihre Sünde und die verlorene Zeit, die sie in der Welt nichtig verbracht hatte; und das tat ihr so weh und das ging ihr so nah zu Herzen, dass sie später etlichen Schwestern, die ihr vertraut waren, erzählte, wie sie das ganze ]ahr verbrachte, indem die nach keinem andern Ding gelüftete und die keine Kurzweil begehrte als in ihrer Einsamkeit zu sein und bitterlich zu weinen; und ihr Herz war allezeit so beweglich zu weinen, selbst wenn sie bei den Schwestern im Chor sein musste oder im Arbeitshaus oder anderswo, dass die sich dessen nicht enthalten konnte; wie leid es ihr auch war, sie musste weinen. Und das bezeugten auch die Schwestern, die im Chor bei ihr standen, wie die so reichlich weinte, dass sie viel wunder oft sahen, wenn sie sich neigte, dass ihr die Tränen auf die Erde fielen.

Als sie das Jahr in großer Bitterkeit verbracht hatte, welchen Trost sie darauf von Gott empfing, darüber sagte sie niemandem nichts, ehe sie am Tod lag und bald sterben wollte. Da kam eine Schwester zu ihr, der sie lange besonders vertraut und hold gewesen, die auch oft an ihr erfahren hatte, dass sie von Gott getröstet war, und bat sie dringend, sie möge ihr doch bei Gott sagen, wie der Trost wäre, den sie von Gott empfangen hatte. Und darauf antwortete sie ihr und sprach: „Wüsste ich, dass es Gottes Wille wäre, so sagte ich dir wohl etwas. Nun weiß ich das nicht; darum kann ich dir jetzt nichts sagen. Komm nun bald herwider; was Gottes Wille ist, das sag' ich dir dann.“ Also ging die Schwester von ihr und harrte, bis man Komplet sang und es Nacht wurde, und kam abermals zu ihr und fragte sie, wessen sie sich mit Gott beraten habe. Da sprach sie: „Richte mich auf und gib mir Wasser in den Mund, dass ich reden kann; so sag' ich dir, was du gern hören möchtest.“ Als das geschehen, da hub sie an zu sagen und sprach: „In dem zweiten Jahr, nachdem ich hier Gehorsam getan hatte, zu dem hohen Fest der heiligen Weihnachten, da blieb ich eines Tages nach der Mette allein im Chor und ging hinter den Altar und tat dort einen Kniefall und wollte mein Gebet nach meiner Gewohnheit sprechen. Und im Beten kam mir mein altes Leben in den Sinn, wie viele und wie lange Zeit ich in der Welt nichtig verbracht hatte. Und besonders begann ich die Untreue zu betrachten und erwägen, die ich Gott dadurch bezeigt hatte, dass ich des edlen, würdigen Schatzes meiner edlen Seele, für die er sein heiliges Blut am Kreuz vergossen und die er mir in so großer Treue empfohlen hatte, so übel gepflogen hatte und dass ich sie mit so mancher Sünde und Untugend entreinigt und befleckt hatte, so dass sie seinen göttlichen Augen missfällig und widerwärtig sein musste, sie, die ihm ehedem so wohl gefiel. Und durch dies Gedenken kam ich in so große Reue, dass mein Herz voll bitteren und ungewöhnlichen Schmerzes ward, und wuchs der Schmerz so gewaltig in mir, dass mich däuchte, ich empfände leiblich Schmerz und Pein, recht, als wenn mein Herz eine leibliche Wunde hätte. In diesen Schmerzen rief ich mit klagendem Seufzen meinen Gott an und sprach: „Weh mir, weh mir, dass ich dich je erzürnt, mein Gott! Könnte ich das ungeschehen machen, ich wollte mir erwählen, dass eine Grube hier vor meinen Äugen wäre, die ginge bis an den Abgrund und darin wäre ein Pfahl geschlagen, der hinaufginge bis an den Himmel, und dass ich mich an dem Pfahl immer sollte winden bis an den jüngsten Tag: diese Pein wollt ich gern leiden darum, dass ich dich, meinen Gott, nie erzürnet hätte.“ Da ich in diesem Willen und in dieser Begierde nach Gott war, da begann die Qual und der Schmerz, die mir im Herzen waren, so stark zu wachsen, dass es mich dünken wollte, ich könnte es nimmer leiden und das Herz müsste mir entzweibrechen. Da gedachte ich: Steh auf und sieh, was Gott mit dir tun will! Und als ich aufstand, da war der Schmerz so groß und die Übermacht der Qual also, dass mir alle leibliche Kraft und alle Sinne vergingen und ich fiel, meiner nicht mächtig, nieder und kam in Ohnmacht, so dass ich weder sah, noch hörte, noch sprechen konnte. Und wie ich so lange gelegen, als Gott wollte, kam ich wieder zu mir und stand auf; aber kaum, dass ich auf stand, brach ich zusammen und fiel abermals in Ohnmacht; und also geschah mir noch ein drittes Mal. Und als ich zu mir selber kam, begann ich zu sorgen, wenn ich noch eine Weile an dieser Stelle bliebe, dass die Schwestern über mich kämen und inne wurden, was mir geschehen war. Und darum begehrte ich von unserm Herrn, dass er mir so viel Kraft gäbe, um etwa an eine heimliche Stelle zu kommen, wo niemand inne würde, wie es mir erging. Und also stand ich auf und mit großer Mühe kam ich vor den Altar und stand da und sprach zu unserm Herrn: „O Herr, mein Gott, nun bäte ich dich gern um Gnade; doch ich erkenne mich selber als gänzlich unwürdig aller der Gnaden, die du irgendeiner Kreatur auf Erden tust, und achte mich selber unwürdiger und geringer vor deinen Augen als einen Wurm, der auf der Erde dahinschleicht, denn der erzürnt dich nie; ich aber habe dich erzürnt über alle Maßen; darum getrau ich nichts zu bitten, als dass ich mich gänzlich ergebe in dein göttlich Erbarmen.“ Und als ich das gesprochen, neigte ich mich und ging in die Schlafkammer an mein Bett; da dünkte mich, dass ich am allerheimlichsten verborgen wäre. Und da ich vor das Bett kam, da war ich so gar krank, dass ich gedachte: du brichst wieder zusammen; du sollst eine Weile ruhen. Und so machte ich denn ein Kreuz über mich und wollte mich zur Ruhe legen und las den Vers: In manus tuas. Und wie ich den las, da sah ich, dass ein Licht vom Himmelreich kam, das war ohnemaßen schön und wonniglich; und das umgab mich und durchleuchtete und durchglastete mich durch und durch und ward mein Herz ganz jäh verwandelt und erfüllet mit einer unsäglichen und ungewöhnlichen Freude, also dass ich ganz und gar alles Hannes und Schmerzes vergaß, den ich je zuvor gewonnen. Und in dem Licht und in der Freude, da sah ich und empfand, dass mein Geist aus dem Herzen empor genommen und durch den Mund hinaus hoch in die Luft geführt ward; und da ward mir gegeben, dass ich meine Seele rein und wirklicher sah mit dem geistlichen Gesicht, als ich mit leiblichen Augen je ein Ding gesehen; und ward mir alle ihre Gestalt und Gezierde und Schönheit völlig gezeigt. Und was Wunders ich an ihr sah und erkannte, das könnten alle Menschen miteinander nicht in Worte bringen.“


Und da mahnte sie die Schwester an all ihre Treue und bat sie mit allem Ernst, dass sie ihr sage, wie die Seele beschaffen wäre. Da antwortete sie und sprach: „Die Seele ist ein so ganz geistlich Ding, dass man sie eigentlich keinen leiblichen Dingen vergleichen kann. Doch wenn du dessen so sehr begehrst, so gebe ich dir ein Gleichnis, durch das du ein wenig verstehen magst, wie ihre Form und ihre Gestalt war. Sie war ein rundes, schönes und durchsichtiges Licht, gleich der Sonne, und war von einer goldfarbenen Röte; und war dasselbe Licht so ganz ohnmaßen schön und wonniglich, dass ich es mit nichts vergleichen kann. Denn waren alle Sterne, die am Himmel stehen, so groß und schön wie die Sonne und glänzten sie alle zusammen: der Glanz aller möchte nicht gleichen der Schönheit, die an meiner Seele war; und dünkte mich, dass ein Glanz von mir ginge, der die ganze Welt erleuchte, und ein wonniglicher Tag wurde über allem Erdreich; und in diesem Licht, das meine Seele war, sah ich Gott wonniglich leuchten, wie ein schönes Licht glänzt aus einer schönen, strahlenden Leuchte und sah, dass er sich so minniglich und so gütlich zu meiner Seele fügte, dass er recht geeinigt wurde mit ihr und sie mit ihm. Und in dieser minniglichen Vereinigung ward meiner Seele von Gott zugesichert, dass mir alle meine Sünden frei vergeben wären; und dass ich so rein und so lauter wäre, und so ganz ohne alle Flecken, als meine Seele war, da ich aus der Taufe kam. Und hievon ward meine Seele so hohen Mutes und so gar freudenreich, dass sie dünkte, sie besäße alle Wonne und alle Freude, und wenn sie auch Wunsches Gewalt hätte, sie möchte nicht, noch könnte, noch wollte sie mehr wünschen. Und als meine Seele in dieser Freude war, da sah ich ganz plötzlich, dass sich ein Geist aufhob von der Erde und der begann mir zu nahen. Und es ward mir zu erkennen gegeben, dass es eine Seele aus dem Straforte war und Hilfe von mir begehren wollte. Und als sie mir zu nahen begann, da hörte ich sie mit einer kläglichen Stimme rufen, und sie begehrte Hilfe und sprach zu mir: „Edle und würdige Seele, bitt' Gott für mich!“ Und es dünkte mich, dass mich dies ein klein wenig beirren wollte. Da eilte ich und bat meinen Gott, dass er mir den Geist abnehme, damit er mich in meiner Freude nicht behindere, und sogleich sah und hörte ich ihn nicht mehr. Danach sah ich, dass sich der Himmel auftat über mir und dass wonnigliche Stufen vom Himmel herabgingen bis an die Stelle, da ich war, und hörte da viel Stimmen beider, Engel und Heiliger, die riefen vom Himmel herab zu mir mit lauter Stimme und sprachen also: „Gesegne dich Gott, hochgemute Seele, was Gott dir Gutes getan hat und noch tun will!“ Und davon ward meine Seele wieder um so mehr erfüllt mit unsäglicher Freude. Und da ich jetzt in der besten und obersten Freude war, da begann sich meine Seele wieder niederzulassen, wie es Gott wollte, und kam über den Leib, der da vor dem Bett lag wie ein toter Leichnam, und ward ihr Frist gegeben, dass sie nicht sofort in den Leib kam, sondern eine gute Weile über dem Leib schwebte, bis dass sie seine Missgestalt und Hässlichkeit wohl besehen hatte. Und als sie ihn recht wohl beschauet, wie sterblich und wie jämmerlich er war und wie ihm Haupt und Hände und alle Glieder lagen gleich einem Toten, da gefiel er ihr gar übel und dünkte sie gar unheimlich und schmählich. Und kehrte ihr Gesicht bald wieder von ihm auf sich selber. Und als sie da sich selber ansah und sich so schön und so edel und so würdig fand gegen den Leib, da schwebte sie über ihm, spielend in solcher Freude und Wonne, die alle Herzen nicht erdenken könnten. Als es ihr jetzt am allerbesten war und sie sich mit dem höchsten Genuß ihrer selbst und Gottes, den sie mit sich geeinigt sah, erfreute: da kam sie wieder in den Leib, sie wußte nicht, wie. Und da sie wieder zum Leib kam, ward sie dieser fröhlichen Beschau nicht beraubt, weil sie, auch in dem Leib wohnend, sich selber und Gott in ihr so lauter und wahrhaft schaute, als wie sie aus dem Leib verzückt gewesen war. Und diese Gnade währte an mir acht Tage; und als ich zuerst wieder zu mir kam und inne ward, dass ein lebender Geist in mir war, da stand ich auf und war der freudenreichste Mensch, wie mich dünkte, der je auf Erden war. Denn ich achtete alle Freuden, die alle Menschen je gewannen und je gewinnen mögen bis an den jüngsten Tag, so klein gegen meine Freude, wie eines kleinen Mückleins Klaue ist gegen die ganze Welt. Und von der Überfülle der unermesslichen Freude war mein Leib so leicht und so frisch geworden und so ganz ohne alle Gebresten, dass ich die acht Tage nie empfand, ob ich einen Leib hatte, dass ich keiner leiblichen Krankheit, klein oder groß, inne wurde, dass ich nie hungerte oder dürstete oder Schlafes begehrte und ging doch zu Tisch und zu Bett und zu Chor und machte mich den andern gleich, damit meine Gnade verborgen wäre und niemand ihrer inne würde. Und nachdem ich die acht Tage so wonniglich verbracht hatte, ward mir die Gnade entrissen, so dass ich die Gesichte meiner Seele und Gottes nicht mehr in meiner Seele hatte, und da empfand ich erst, dass ich einen Leib hatte. Und gleich danach, da ich der Gnaden beraubt ward, begann ich in mich selber zu gehen und begann zu betrachten, welche die Gnade war, die mir widerfahren und wie unwürdig ich deren war; und Gott verhängte über mich, dass ich in einen Zweifel fiel und mit nichten glauben konnte, dass Gott einem sündigen Menschen je solche Gnade antäte, weshalb es wohl von einem bösen Geist wäre. Und hievon fiel ich in eine so große Traurigkeit, dass ich gänzlich ohne alle Freude und ohne allen Trost war, und es wußte meinen Kummer niemand auf der Erde, und ich wollte auch niemand davon etwas sagen; und so war ich lange in Untrost und in großer Bitterkeit meines Herzens, bis sich Gott über mich erbarmen wollte. Da fügte es sich, dass ich eines Tages zum Fenster kam und da hörte ich, dass ein Mensch von auswärts mit einer unserer Schwestern redete und sprach: „Wißt ihr nicht, welch wunderliches Ding unserm Wächter zu Winterthur geschehen ist? In einer bestimmten Nacht, da er bis vor Tag gewacht hatte, begann er aufzuspähen gegen den Himmel, ob es sagen wollte, und sah über dem Kloster ein Licht aufgehen, das war so überaus schön und so wonniglich, dass ihm dünkte, dass sein Glanz über alles Erdreich leuchtete und einen schönen Tag machte; und das schwebte lang über dem Kloster, aber ganz hoch in der Luft, und ließ sich dann wieder nieder auf das Kloster und er sah es nun nicht mehr; und ist groß Wundern unter den Leuten, was das sein möge.“ Und wie ich das gehört, ward mein Herz recht erfüllt mit Freuden und ich sprach zu mir selber: „Gesegne dich Gott! Dann war dir's doch gar recht.“ Und diese Freude entwich mir danach nie, wenn ich mit Gott traulich sein wollte.“ —

Ihres Herzens Süßigkeit merkten wir wohl an manchen Dingen. Wenn sie im Werkhaus neben dem Kloster saß, so sang sie oft gar süße Wörtlein von unserm Herrn; und das hörten die Schwestern dann gar begierlich und gern. Wenn sie Wärterin am Redefenster war und man läutete, so sprach sie aus übermäßiger Fülle ihrer Herzensandacht: „Warte, lieber Herre mein, ich komme gleich!“ Sie begehrte auch lange Zeit, dass Gott sie irgendwelche Schmerzen unserer Frau empfinden ließe. Und als sie einmal bei ihrem Gebet war, empfand sie plötzlich einen so unmäßigen Schmerz, dass es sie dünkte, ein Nagel werde heftig durch ihr Herz geschlagen, und es ward ihr so weh, dass sie ganz laut schrie, ohne Unterlass, und man musste sie in das Siechhaus tragen und besorgte, sie würde sterben. Und da begehrte sie unseres Herrn und als ihr der Priester unsern Herrn in den Mund reichte, da war ihr, als ob man alsbald den Nagel aus ihrem Herzen ziehe. Und zu derselben Stunde war sie genesen und doch sprach sie, dass sie solchen Schmerz empfunden hätte, dass es kein Mensch begehren sollte.

Man gab auch einst dem Konvent etwas Obst, das sie gar gern aß. Und damals saß sie zu Tisch neben einer Schwester, die hatte ihr irgendwas getan, was sie betrübte. Da gedachte sie: du sollst wohl dieser Schwester dein Obst geben und ihr damit danken, dass sie dich betrübte. Und als sie es der Schwester bot, da bot es ihr diese wieder zurück; dadurch ward die arg angefochten, gab es ihr aber dennoch wieder. Und wie sie mit dem Konvent zum Tischsegen in den Chor kam, da sah sie, dass unser Herr minniglich und schön vom Altar herabstieg und kam zu ihr und umfing sie und drückte sie gar zärtlich an sein Herz und dankte ihr, dass sie um seiner Minne willen der Schwester Liebes erzeigt, die sie zuvor betrübt hatte.

Nach viel hohen Gnaden, die ihr unser Herr getan, schied sie mit einem heiligen, andächtigen Tod dahin zu Gott.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben