Von der seligen Schwester Mezzi Sidwibrin

Wir hatten auch eine über die Maßen süße, selige Schwester, die hieß Schwester Mezzi Sidwibrin und war guten Alters, da sie in das Kloster kam, hatte aber in der Welt auch ein gar gutes Leben geführt. Und war recht einfältig und ungeschickt in allen äußeren Dingen, hatte aber einen sehr minnereichen, süßen Geiß: gegen Gott und das zeigte ihr auswendiger Wandel in Worten und in Werken. Und gerade, weil sie von Natur einfältig war, wirkte die Gnade in ihr. Wie sich aber die Gnade sichtbar an ihr zeigte, davon wollen wir ein kleines schreiben.

Sie hatte besonders die Gewohnheit, dass die sich im Chorraum vor unserer Frauen Bild neigte, und sie lag da und sah über sich, recht wie ein Mensch, der keiner Dinge acht hat als Gottes allein. Und wenn die Schwestern sie etwa fragten, warum sie so viel vor unserer Frauen Bild wäre und ob diese niemals mit ihr rede, so sprach sie aus einfältigem Sinn: „Sie redet oft mit mir und lacht mich an; auch mit ihrem Sohn hab' ich viel zu schaffen.“ Sie lief auch zuweilen bei der Abendandacht, wenn man das Salve regina sang, im Chor umher, recht als hätte die keinen Verstand, und schlug die Schwestern und trieb sie in rechter Begierde an und sprach: „Singet, singet, Gottes Mutter ist hie!“ Da hielten die Schwestern dafür, dass die ihr erschienen war; denn ihre Gebärden sahen wohl so aus. Nun war sie so guter Einfältigkeit, dass die wähnte (und auch so tat), es wäre jedermann zumut wie ihr, und darum verhehlte die etliche Dinge durchaus nicht. Und einmal, als die Schwester, die den Wochendienst hatte, während des Wechselgesanges Weihwasser sprengte, da sah sie unsere Frau mit ihr umhergehen und sich vor jeder Schwester neigen, und sprach mit lauter Stimme und zeigte es auch mit der Hand: „Weichet, weichet! Gottes Mutter geht selber um!“


Sie war auch sehr begierig, Gottes Wort zu hören und es geschah leichtlich beim Predigen, dass ein großes Verwundern in ihr wurde, so dass sie es äußerlich zeigte. Sie stieß etwa die Schwestern, die neben ihr saßen, an und sprach: „Horch, horch! Hörst nicht, welch ein Wunder!“ Und daß oft so und wunderte sich mit Worten und Gebärden. Zuweilen liebkoste sie auch die Herren, die so schön predigten, gar zärtlich. Und besonders predigte einst der Provinzial im Advent so gut über das Wort Ecce, dass es ihr nah zu Herzen ging und sie voll rechten Verlangens zu tausend Malen das Wort ecce las. Sie sah auch einst zu Weihnachten, dass dem Herrn, der da predigte, ein seines Kindlein auf dem Schoß saß. Sie kam manchmal voll überfließender Begierde in die Stube und sprach zu den Schwestern: „Kinder, Kinder! Jesus ist: unser!“ Etwann sprach sie auch mit lauter Stimme zu ihnen: „Ist Jesus etwa hier?“ So sie dann sprachen: „O nein,“ dann wollte sie hier nichts zu tun haben.

Sie hatte auch darin sonderliche Gnade, dass sie so fleißiglich an der allgemeinen Arbeit teilnahm. Und wenn sie saß und spann, so war sie so voll Andacht, dass sie recht darin zerfloss, und saß dann und redete mit unserm Herrn, als wäre niemand da als er und sie. Manchmal sprach sie: „Herr, ich will es dir zutrauen, dass du mir um jeglichen Faden, den ich spinne, eine Seele gibst“, und dabei rannen ihr die Tränen recht in Strömen über ihre Wangen. Zuweilen fing sie an, süße Wörtlein zu sprechen, wie: Propter Syon non tacebunt, und es war ihr dann so herrlich zumut, dass sie mit den Händen klatschte, dass es hallte. Etwann fing sie an und sang süße Liedlein von unserm Herrn so fröhlich und wohlgemut im Arbeitshaus unserm Kloster. Und besonders ein Lied sang sie gar begierlich, das lautete also:

Weises Herz, flieh die Minne,
die mit Leiden muß zergehn,
und laß dich in dem Besten finden,
das mit Freuden kann bestehen.
Falscher Minne tu dich schier
ab und Gott verleid sie dir!


Wie süß ihr Leben war, das kann man nicht in Worte bringen. Denn so reichlich ihr Mund von süßen Worten überfloss, so emfiglich vergossen ihre Augen die süßen Minnetränen, und mit Worten und Wandel tat die recht so, als wäre niemand denn sie und Gott. Zuweilen sprach die in großer Minne: „Herr, warest du Mezzi Sidwibrin und wäre ich Gott, so wollte ich dich doch Gott sein lassen und ich wollt Mezzi Sidwibrin sein.“

Ihr heiliges Leben brachte sie zu einem guten Ende. Und da sie sterben sollte, sprach die: „Ach, dass wir uns alle zu dieser Stunde nicht sorgeten!“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben