Von der seligen Schwester Jüzi Schulthasin

Wir hatten auch eine selige Schwester, sie hieß Schwester Jüzi Schulthasin. Die kam in ihren jungen Tagen in dies Kloster und übte sich in mannigfaltigen Tugenden, wovon zu lang zu schreiben wäre; denn wir haben in reichem Maß davon zu schreiben, wie der Herr der Natur übernatürlich, aus Gnaden in ihr wirkte. Doch darf man zweier Dinge nicht vergessen, wobei man ein wenig aufmerken soll: die Minne und auch die Behütung ihres Herzens. Sie hatte auf alle ihre Freunde so ganz verzichtet, dass sie wohl an dreißig Jahr nicht zum (Rede-) Fenster ging. Sie hatte auch aus Minne ein so mitleidendes Herz: wenn ein Mensch zu ihr kam mit Lieb oder mit Leid, so weinte sie mit ihm wie ein Kind.

Die selige Schwester sagte uns zu der Zeit, als sie wähnte, sie werde sterben, Gott zu einem Lob und uns zur Entschließung eines guten Lebens, dass Gott mannigfaltige Wunder mit ihr beging, davon wir hier aufschreiben, so viel wir können. Aber nach der rechten Wahrheit, wie sich ihr Gott völlig, oft und viel zu erkennen gab, das kann niemand in Worte bringen, wie es ist; denn das allein, so sprach sie, was Gott Wunders an ihr getan hätte, besonders in jenen sieben Jahren, wenn einer das alles schreiben sollte, es ginge nicht in unser Mettebuch.


Zum ersten, als Gott seine große Gnade an ihr wirken wollte, da legte er großes Siechtum auf sie, so dass wir wähnten, sie werde sterben. Und das war ihr gar unleidig und so ganz wider ihr Herz, dass sie viele gute Leute bat, sie möchten Gott bitten, dass er sie länger leben ließe; und dazu gewann sie so große Herzenshärtigkeit in ihrem Gebet und bei allem, was sie tun sollte, dass sie darum viel Kummers und große Betrübnis hatte. Und dies klagte sie einer gar guten Schwester, die tröstete sie gar mild und bat sie, dass sie ihrem Rat darin folge und alle Tage , fünfzehn pater noster lese, zu Ehren der Marter unseres Herrn; dann wollte auch sie allen Ernst, den sie geleisten könnte, zu unserm Herrn kehren, damit er ihr zu Hilfe käme. Und dies tat sie viel Zeit; und durch die Erbarmung Gottes begann ihres Herzens Härtigkeit reichlich in Süßigkeit verwandelt zu werden, so dass es ihr gar begierlich ward und ihr dünkte, das Gebet wäre zu klein; und sie ließ davon ab und fing neu an und sprach alle Tage sechzig pater noster und sechzig „Laudate dominum omnes gentes“ und sechzig „Gloria patri“ mit Betrachtung der Marter unseres Herrn und fing an, wie unser Herr auf den Berg ging, bis dass er zum Himmel fuhr. Und zu diesem Gebet gewann sie so großen Ernst und kehrte ihr Herz und ihre Kraft so ganz daran, dass kein nichtiger Gedanke in ihr Herz käme und in ihr Gebet hineinspräche, dass es sie etwann dünkte, es müsste vor Überanstrengung ihr Tod sein. Und wenn sie darin beirrt wurde, so fing sie es wieder von vorne an, oder wenn sie durch übermäßige Krankheit oder sonst irgendeine Sache verhindert wurde, so dass sie es des Tags nicht zu tun vermochte, so tat sie es des Nachts. Und in dieser Übung gab ihr Gott allemal neue Gnade und sonderliche Erkenntnis, so dass sie in jeglichem zum Allerhöchsten kam und sie nicht höher kommen konnte. Und besonders ihre Minne ward so groß, dass sie williglich gern wollte gelitten haben alle die Mühsal, die je ein Mensch erlitten, und dass ihr das ein fröhlich Ding gewesen wäre, wenn sie mit Gott sollte gelitten haben alle die Marter, die er für uns gelitten hat. Und durch diesen Ernst wurde ihr oft so weh, dass sie gedachte, sie käme nimmer lebend von der Stelle, und hievon gewann sie manchmal die Furcht, wenn sie so stürbe, so wäre sie an sich selber schuldig. Und diesen Kummer legte sie Bruder Hugo, dem Provinzialprior vor, der war ihr Beichtvater. Dieser sprach also: wäre ihr das durch irgendeine auswendige Übung geschehen, so verböte er es ihr strenge. Da sprach sie, dass es ihr durch nichts widerführe als durch inwendigen Ernst und aus der großen Minne, die sie zu Gott habe. Da antwortete er ihr und sprach: das wollte er ihr erlauben und stürbe sie also, so wollte er Gott für sie Antwort geben. Und sprach: „Stirbst du, so stirb!“ und davon ward sie getröstet und verging ihr die Furcht gänzlich. Und also nahm sie alle Tage zu an Gnaden und an Minne und ward ihr unseres Herrn Marter so süß, wenn sie betrachtete und erkannte, was Gutes ihr und allen Menschen durch seine Marter geschehen war; und da ward ihre Freude so groß, dass es sie dünkte, sie bedürfte weder auf Erden noch im Himmel mehr der Freuden.

Und da verhängte Gott die große Anfechtung über sie, dass es sie dünkte und sie für ganz wirklich hielt, dass die Gott nimmer werde schauen. Und dadurch kam sie in so große Verachtung ihrer selbst, dass die nicht wagte, den Himmel anzusehen und dass sie sich unwürdig dünkte, dass das Erdreich sie trüge. Und dies währte bei ihr Tag und Nacht also, dass ihr niemals Unterbrechung ward, außer so lange sie zu ihrer rechten Notdurft ein wenig aß und schlief. Und in dieser großen Not und Mühsal ließ sie nie ab von diesem genannten Gebet und von ihrer Andacht und ihrem Ernste, den die zu Gott hatte, und nahm so viel mehr zu an göttlicher Minne, dass sie völlig den Willen gewann: und sollte sie bis an den jüngsten Tag leben, sie wolle doch von ihrer Übung und ihrem Ernst gegen Gott nicht ablasen, ob sie auch keine Zuversicht hatte, dass es Gott von ihr genehm wäre; durch die Müdigkeit Gottes diene ihr doch alles zum Guten, was ihr begegnete. Was sie nun auch sah oder hörte, davon wuchs ihre Minne zu Gott, und die lobte ihn immer in ihrem Herzen. So sie einen Menschen sich fröhlich gebärden sah, gedachte die: „Gesegne dich Gott! Es ist, billig, dass du fröhlich seist; denn Gott hat dich dazu geschaffen und bestimmt, dass du die ewige Freude und Gottes Angesicht genießen sollst, wessen ich armer Mensch unwürdig bin.“ Und diese Pein litt sie von da an, als man das Alleluia hinlegte, bis zum Gründonnerstag, vor der Mette; da war ihr so gar weh, als wenn sie ein neues Fieber ankäme zu der Krankheit, die sie zuvor gehabt. Und sie war so krank, dass sie das Gebet an diesem Tag nicht getan hatte, wie es sonst ihre Gewohnheit war; denn sie hatte den Brauch, dass sie es gern im Chorraum tat, oft sogar, wenn sie so krank war, dass man ihr kaum in den Chor helfen konnte. Denn es war ihre Gewohnheit, dass sie das Gebet nirgends sonst verrichtete, und so hatte sie es diesen Tag wegen übermäßiger Krankheit unterlassen.

Und da es in der Nacht vor der Mette war, richtete sie sich in ihrem Bette auf und wollte wieder ihr Gebet tun; da wurde sie so schwach, dass sie nicht weiterbeten konnte; und doch wollte sie nicht ablassen und fing es wieder an; und da hörte sie eine Stimme, die sprach gar minniglich zu ihr: „Du sollst ruhen und sollst mich dich weisen lassen, was du erbitten sollst.“ Und da erschrak sie und fürchtete, dass es ein Trugwerk sei. Da sprach abermals die Stimme dieselben Worte, und nun schwieg sie und lauschte, und jetzt sprach die Stimme wieder: „Du sollst bitten für deine vergessenen Sunden und deine ungesagten Sünden und deine unerkannten Sünden und die Sünden, die du nicht in Worte bringen kannst; und sollst dann bitten, dass du mit ihm ein Ding werdest, wie er und der Vater ein Ding waren, ehe dass er Mensch wurde; und sollst bitten, dass nimmer kein Mittel zwischen dir und dem Vater werde; und sollst bitten, wie er heute eine Gegenwart ist worden und eine ewige Speise aller Christenheit, dass er auch dir Gegenwart werde und eine ewige Speise; und sollst bitten, dass er selber zu deinem Ende komme und dies alles vollbringe und ewiglich bestätige.“ Hievon empfing die große und unermessliche Freude und gewann Kraft an Herzen und Leib; doch dann dünkte sie sich wieder selbst unwürdig der Gnade und des Trostes, so dass sie nicht ganz sicher sein konnte, ob es von Gott wäre. Und als die Mette kam und sie einsam in ihrer Ruhe verblieb und dabei in dieser Sorge war, da hörte sie eine Stimme über ihrem Haupt, die sang so überaus süße deutsche Worte, dass beide, Stimme und Worte, sich keinem leiblichen Ding vergleichen ließen. Und da richtete sie sich auf und wollte lauschen, ob sie die Worte irgend verstehen könnte; doch da begann sich die Stimme zu entfernen, so dass sie kein Wort zu begreifen vermochte, und wohin sie sich auch der Stimme nach kehrte, immer dünkte ihr, dass es anderswo wäre. Und da gedachte sie: „Herr Gott, ich kann nicht erdenken, was dies sein mag als deine ewige Güte, mit der du mich versichern willst, dass ich keinen Zweifel hieran haben soll.“ Und da hörte sie die Stimme nicht mehr und ward ihr die Anfechtung gänzlich benommen. Und hienach gingen alle Tage neue Wunder und neue Erkenntnis Gottes in ihr auf, so dass sie lauter erkannte und im Besonderen alle die Wunder, die Gott je gewirkt im Himmelreich und auf Erden.

Sie war auch so weise in allem, dass sie jede Kunst, es wäre in der Schrift oder in äußerlichen Werken, wusste und konnte; und sie konnte das besser denn alle die Meister, die je davon gelernt, von einem jeglichen besonders. Sie erkannte auch klar, wie das ewige Wort zu Fleisch geworden war in der Magd Leib.

Sie erkannte auch klar, in welcher Minne er das tat, wie groß die Seligkeit und das Heil des Menschen durch seine Geburt war. Und schaute ganz wirklich, wie wir seine Glieder geworden sind und zu ihm gefüget und geheftet wie die Äste an den Baum.

Sie erkannte auch, welche Gnaden der Mensch hat an Schöne, an Weisheit und welcherlei Gnade er sonst hat und dass sie wieder an Gott fallen, so der Mensch stirbt, wie sie auch aus ihm geflossen waren.

Sie erkannte auch, in welcher Meinung er das Alte und das Neue Testament gab, und wie er das tat dem Menschen zu Nutz und zu Heil nach dem Allerbesten und nach dem Allerhöchsten, so dass kein Engel, noch kein Heiliger, noch keine Kreatur keinen höheren oder besseren Weg finden könnten, und wie wir alle einander gleich und recht ein Ding sind, und wie der Mensch dem andern alles Gute schuldig ist, wie sich selber.

Und die Erkenntnis, die sie in allen Dingen hatte, die Gott je tat und noch tun will, die war ihr im jeglichen einzeln so offenbar wie den Engeln im Himmelreich, und sie schaute es so lauter, wie sie es nach diesem Leben in der Ewigkeit schauen sollte. Und wenn jede dieser Erkenntnisse vorüber war, so verging sie, ohne dass ihr Herz dabei verweilen konnte, noch dass sie je einen Trost dadurch gewann, gleich als wäre es nie geschehen.

Sie erkannte auch sonderlich, wie Gott in allen Dingen ist und in allen Kreaturen und dass kein Ding vollbracht werden kann, es sei denn Gottes Gegenwärtigkeit mit seiner Kraft dabei, auch in leiblichen Dingen.

Sie erkannte auch, wie Gott ist in einem jeglichen Gräslein und einem jeglichen Blümlein und Blättlein und wie er allenthalben um uns und in uns ist.

Sie erkannte und konnte in solchen Stunden alle Künste und jegliche besonders, nicht zugleich, sondern eine nach der andern auf das allerhöchste. Und das konnte sie alles besser, denn alle die Meister, die das je gelernt.

Einstmals saß sie in großer Krankheit in ihrem Bett und fiel in so große Minne und Gnade und kam Gott so nah und begehrte so große Dinge von Gott, die ganz überschwänglich waren; und wie sie so in der Begierde war, da hörte sie eine Stimme, die sprach: „Was weißt du, ob dich Gott dazu erwählt hat?“ Als sie die Stimme hörte, erschrak sie so gar sehr, dass sie in ganz große Verachtung ihrer selbst kam und so recht zu nichts wurde und erkannte, wie sie geringer wäre als je kein Wurm und dass sie nichts von sich selber hatte als Sünden. Und in dieser großen Selbstverschmähung erkannte sie doch, was Gott war und fand keine Stelle weder in sich selber noch in der Hölle noch im Himmelreich, von der sie dünkte, dass sie ihrer wert wäre, als allein im Grund der Hölle. Und darein schickte sie sich zu einem ewigen Verbleiben, denn sie war mit Gott so ganz vereint, dass sie nichts wollen konnte, als was Gott wollte. Und darin verharrte sie bis morgens in der Messe; da hörte sie abermals inwendig eine Stimme, die sprach und gab ihr das früher gesprochene Wort, das ihr während ihres Gebetes gesagt worden, klar zu erkennen, nämlich dass er und der Vater ein Ding waren, bevor er je den Menschen geschaffen oder selber je Mensch wurde; und dass dies nichts anderes ist, als dass er ein Wille und eine Minne ist, und dass auch sie gleicherweise mit ihm ein Wille und eine Minne werden sollte. Und da kam sie in ein stetes Innebleiben und vereinte ihren Willen mit ihm.

Sie erkannte auch, dass Gott nichts verborgen sein kann und dass das kleinste Mücklein sein Füßlein nicht hinsetzen kann, Gott schaue es denn klar. Und gleichwie es unmöglich wäre, dass ein Mensch dem andern in das Auge stäche und es ihm herausbräche und dass dieser davon nichts wüsste: noch tausendmal unmöglicher wäre es, dass Gott nicht alle Dinge wüsste.

Sie erkannte auch klar, wie er uns seinen Fronleichnam gab, Gott und Mensch, und in welcher Minne. Wie groß die Erkenntnis sei und die Wunder und die Gnade, die wir dadurch empfangen, davon konnte sie nicht reden, wie deutlich sie es auch schaute. Und sie erkannte, wie ein jeglicher Mensch Gott empfängt, wirklich, wie er ist. Und erkannte, dass ein jeglicher Mensch nach dem jüngsten Tag, wenn wir ins Himmelreich kommen, so wirklich Gott und Mensch haben werde, wie er ihn hier empfängt aus des Priesters Händen; aber der eine viel mehr und minniglicher als der andre, um so viel mehr, als auch hier seine Minne größer war.

Sie hörte auch einmal eine Stimme in ihr, die sprach: „Bitte, dass du wohnest in mir, wie ich in deiner Seele!“ Sie ward auch dazumal in das Himmelreich verzückt, da sah sie Gott und Mensch, wie er ist, auf seinem Thron, und sah zwei Prediger in weißen Kleidern des Predigergewandes vor ihm stehen; und sie standen vor seinem Antlitz und wunderten sich und fielen dann nieder und lobten Gott und standen wieder auf und schauten abermals Wunder an Gott. Und als sie dies sah, ging sie auch hinzu und wollte auch sehen wie jene. Aber wohin sie auch ging, nebenhin oder vornhin, sie konnte doch nie sehen, was jene sahen; denn er hielt allwege seine rechte Hand vor sie, so dass sie sein Antlitz nicht erblickte. Dieses Gesicht war dann nicht mehr.

Danach schaute sie klar, dass tausend und tausend Jahre im Himmelreich nichts sind als ein Augenblick. Sie sah auch in Gott alle Dinge. Sie sah auch und schaute, dass man ohne Unterlass neue Wunder in Gott sieht und dass die Wunder ewig beständig sind.

Sie kannte auch wohl die Engel und die Seelen voneinander und erkannte, welche Gnaden Gott gab den Heiligen, die für ihn Marter erlitten, und wie er das an ihnen vollbrachte.

Sie erkannte auch die großen Wunder, die er an den Kindlein getan hat, die Herodes in seinem Namen getötet; denen gab er so große Gnaden, dass sie bei den höchsten sind.

Sie erkannte auch, dass hunderttausend Seelen nicht so viel leiblicher Stätte bedürfen, als einer Nadel Spitze. Wie oft sie ins Himmelreich kam, oder wie es geschehe, dass sie diese Wunder lauterlich sah, davon sprach sie: „Ich weiß das nicht; Gott weiß es wohl.“

Sie schaute auch klar, was das ist: Gott sehen von Auge zu Auge. Hievon konnte sie mehr nicht sagen. Sie schaute auch klar und erkannte, wie der Sohn ewiglich von dem Vater geboren wird und dass alle die Freude und die Wonne, die da ist, in der ewigen Geburt liegt. Wie sie weiter kam in das ewige Wesen Gottes, davon konnte die nicht mehr sagen, noch wusste die es mehr, weil sie sich selber da so ganz verlor, dass sie nicht wusste, ob sie ein Mensch wäre. Danach kam sie aber wieder zu sich selber und war ein Mensch wie ein anderer Mensch und musste nun glauben und alle Dinge tun wie ein anderer Mensch. Und das tat ihr dann so weh und ihre Minne und ihr Jammer waren so groß, dass sie oft versuchte und all ihre Kraft daran setzte, dass ihr irgend etwas werden möchte. Doch es entwich ihr allezeit, so dass sie es nicht zu halten vermochte. Und wie sie so in diesem Jammer war, kam sie zu ihrem Beichtvater Bruder Hugo, dem Provinzialprior, und sagte ihm, aus großem Verlangen weinend, dass Gott so große Wunder an ihr getan hatte und dass ihr das nun so ganz entrissen sei. Da sprach er: „Du weinest gar ungestüm; wie soll das Gott um dich verdient haben? Wäre es, dass du es durch Sünden verloren hättest, so ließe das Gott nimmer zu, er gäbe es dir denn zu erkennen. Wäre es durch die Leute, so musstest du mehr unter Leuten sein, als du jetzt bist. Wäre es durch Krankheit, wahrlich, so müsstest du kränker sein, als du jetzt bist. Du sollst Gott all deinen Sinn und deine Begierde geben und sollst ihn an dir Saures oder Süßes tun lassen, wie er will“ Und darin folgte sie ihm, so viel sie vermochte. In diesem Jammer hörte sie abermals eine Stimme, die sprach: ,,Du sollst all dein Leben richten nach dem Glauben und sollst wissen, das ist das Allersicherste und das Allerbeste.“ Und da erkannte die voll Klarheit, dass der Glaube größer ist denn die Sicherheit und die Schauung, die sie gehabt hatte, und nun richtete die ihr ganzes Leben nach dem Glauben.

Und also hat sie siebenundzwanzig Jahre verbracht, indem sie auf den Glauben hin wirkte, und übte doch vieles, was über ihre Kraft ging und tat es auch ganz ohne allen menschlichen Trost. Zu dieser Zeit (d. h. in jenen sieben Gnadenjahren) geschah ihr auch die Gnade, die ich hier schreiben will. In den sieben Jahren, da Gott diese Wunder in ihr wirkte, da war es fünf Jahre, dass die nie in eine (gemeinsame) Stube kam, noch je eine Weile bei den Leuten blieb, damit sie sich behüten könnte. Und einmal war es gar kalt, so dass die Schwester, die ihrer pflegte, sie mit Ernst bat, sie möge sich in die Stube helfen lassen, indes die Schwestern zur Vesper gegangen waren. Und weil die gar so krank war, so folgte sie ihr und ließ sich in die Stube zum Ofen führen. Und die sprach nun zu ihrer Pflegerin: „Nun geh du zur Vesper und laß mich hier, damit Gott ein Lob dadurch geschehe“; denn es war ein heiliger Tag. Und wie sie so allein blieb, sah sie, dass unser Herr hereinkam und war in den Jahren, wie er auf Erden ging und predigte; und gingen mit ihm Sankt Johannes und Sankt Jakob der Ältere, und sie nahm sie allesamt wahr und doch besonders ein jegliches Antlitz. Und sie führten ihn wie einen Herrn, um den die sorgten, wer ihnen etwa begegnete, und hatten ihn mit den Armen umfasst, einen Arm hinten, den andern vorne. Und wie sie also hereinkamen, ließen sie ihn aus den Armen und er stellte sich vor sie und sprach: ,,Nun schau, wie mein Leben auf Erden war!“ Da schaute sie klar, wie er so jämmerlich war: seine Augen waren eingefallen, und seine Wangen waren so jämmerlich von überschwänglicher, großer Mühsal, die er gelitten; und da setzte er sich nieder und kehrte ihr den Rücken; und als er sich niedersetzten wollte, erkannte die, dass er so ganz mud war von großer Trübsal, dass sein Rücken und alle seine Glieder krachten und recht in sich selber knirschten. Und wie er nun saß, setzen sich Sankt Johannes und Sankt Jakob zu ihm. Und danach sah sie, wie es sein würde, wenn die Schwestern aus und ein gingen und doch nie keine spräche: „Gott grüß euch“ oder „Was wollt ihr?“ Und das war so gar schmählich und so gar elendiglich anzusehen, dass es kein Herz ausdenken könnte. Und wie die Schwestern so aus und ein gingen, standen die Jünger auf; aber unser Herr saß still. Sie sah auch, dass unseres Herrn Kleid und Sankt Jakobs Kleid gleich waren und innen rot; aber Sankt Johannes Kleid war nicht innen rot — es war aber außen wie ihre Kleider. Die Jünger waren gar kräftig an Leib. Und da sie in dieser Beschauung war, kam eine Schwester und redete mit ihr und brachte sie wieder zu sich selbst, und nun sah sie nichts mehr.

In denselben sieben Jahren ward sie einmal in das Himmelreich verzückt, und da sah sie herab auf das Erdreich und erkannte und schaute, dass die ganze Erde so klein ist; so klein wie die Stelle, die eine Hand bedecken kann, gegen die ganze Erde ist, so klein ist die ganze Erde gegen das Himmelreich.

Sie erkannte auch lauterlich, dass ein jeglicher Stern so breit ist und so groß wie die ganze Erde zurammen. Da wollte sie für einen großen Sünder bitten; nun kam sie in den Zweifel, dass es unmöglich wäre, dass an ihm vollbracht werden könnte, was sie für ihn hatte erbitten wollen. Und durch diesen Zweifel kam sie in eine Mutlosigkeit, so dass sie für den Menschen nicht bitten konnte. Da begegnete ihr Gott mit so großer Erkenntnis, so wie er ist Gott und Mensch im Himmelreich, und sprach zu ihr gar minniglich: „Darum bin ich auf Erden kommen und bin recht darum hier, damit ich bringe alles, was ihr wollt.“ Hievon empfing sie große Freude und Süßigkeit, dass die vergaß aller Kreaturen allzumal.

Danach, ein andres Mal, als sie in ihrem Gebet war, erkannte die lauterlich von unterer Frau, wie groß die Freude ist, die sie vor allen Kreaturen an Gottes Menschheit hatte. Wie aber die Seele unserer Frau mit dem göttlichen Wesen vereint ist, das erkannte sie eigentlich nicht. Wie unsere Frau mit Leib und mit Seele zum Himmelreich gefahren sei, das erkannte sie auch klar. Aber es ward ihr gleich wieder genommen, so dass sie in Wahrheit eigentlich nicht davon sprechen konnte, außer dass sie sicherlich dafür hielte, sie habe unsere Frau dort leiblich gesehen. Und kurz danach, zu derselben Zeit, als ein Prediger davon gar wohl predigte, erkannte sie es zur Stunde lauterlich wieder, aber hernach nicht mehr. Einmal im Sommer, da ging sie in den Baumgarten und sah die Sonne an mit der Andacht ihres Herzens; und in einem Augenblick erkannte sie und begriff von Gott so viel; und hätte es nur um einen Punkt länger gewahrt, sie wäre auf der Stelle zersprungen, wenn sie nicht ihre Sinne mit allen ihren Kräften zurückgezogen hätte. Und es ward ihr so weh, dass sie sprach, keine Gnade benähme ihr so viel Kräfte, als wenn sie noch leibliche Fassungskraft habe.

Danach, in der Zeit, da der Kampf vor Winterthur geschah und der Streit ausgesöhnt war, da wurde ein Turnier zu Zürich beschlossen. Und man besorgte, dass es dabei zu hitzig und scharf werden könne; darum bat eine Schwester sie gar dringend, sie möge deswegen Gott mit Ernst bitten. Das wollte sie nicht tun und sprach mit harten Worten, sie hätte im Kriegsernst genug gebetet und wollte sich nun nicht um mutwilligen Freudenlärm bekümmern. Doch die Schwester ließ nicht ab, sie ging ihr überall nach und bat sie mit großem Ernst; da ward sie immer härter und härter. Und wie sie so hart wurde, dass sie nicht mehr für die Sünder bitten wollte, und sich zu ihrem Gebet anschickte, da gewann sie so große Härte, dass sie sich selber nicht verstand und nicht wußte, ob es Gott war, oder wohin sie sich kehren sollte. Da hörte sie eine Stimme, sie sprach strenge: „Alles, was Gott an dir je gewirkt und an dir je getan, das ist sein und nicht dein.“ Da erkannte sie, dass sie gar bloß war aller der Gnaden und des Gutes, das Gott schenken kann. Und als sie in der Scham stand so ganz bloß, da wollte sie aus Scham hinter sich treten; doch da hatte sie alles Erdreichs nicht so viel, einen Fuß draufzusetzen. Die Stimme ließ nicht ab und sprach: „Gott hat dich geordnet und gesetzt in dies Leben; da hast du alle Dinge ohne allen Kummer: du hast gute Gesellschaft — des haben sie nicht; du hast zu allen Zeiten gute Bildung und Lehr — des haben sie nicht; niemand stellt dir nach — des haben sie nicht. Sie peinigen einander und will eines vor dem andern sein — du hast deine leibliche Notdurft ohne alle Sorge; es ist dir alles zum voraus bereit — des haben sie nicht; du hast Gott, wann du willst — des haben sie nicht; er ist ihnen gar fremd, denn eines ziehet das andre zu Sünden.“ Da ward sie noch innerlicher in sich selber verzückt und da sah sie Gott, wie er im Himmelreich ist, Gott und Mensch, und sah ihn bis an seine Brust. Wie minniglich sie sein Antlitz sah, das könnten alle Zungen nicht in Worte bringen. Sie erkannte auch die große Minne, die er zu den Menschen hat, wie ungemessen und wie groß sie ist, so dass es unmöglich wäre, dass dies je einer in Worte bringen könnte. Sie sah da auch, dass die Leute alle vor unserm Herrn waren und hatten alle die Seite gegen ihn gekehrt und hatten alle ihr Antlitz auf die Erde gerichtet und suchten so kleinlich auf der Erde, recht wie einer, der Nadeln sucht, und hatten Gottes kein acht, wie nah er ihnen auch war. Und er hielt seine Rechte so gütlich und so minniglich über ihnen und sprach zu mir: „Nun sieh, wie recht lieb sie mir sind; bitt für sie!“ Da war aber kein Bitten und nichts als Gott schauen; dann war das Gesicht vorbei. Doch blieb in ihrem Herzen so große Freude, dass sie lange danach großen Trost dadurch hatte. Dasselbe Turnier wurde rückgängig gemacht, so dass nichts geschah.

Durch dieses Gesicht hatte sie so viel Gnaden, und sie suchte des Trostes so viel darin, dass sie alle ihre Kraft danach dehnte, dass ihr dieses Gesicht doch noch einen Augenblick werden möchte. Und dies widerfuhr ihr etwann einen Augenblick; dann ward sie so ganz froh und sicher, dass es sie dünkte, als ob zwischen ihr und Gott nichts wäre. Und wenn es ihr nicht werden wollte, gewann die große Traurigkeit und Jammer danach, dass sie zu erkennen begann, dass es sie behindern wollte; und sie erkannte, dass sie nichts als ihren Trost und ihren Nutzen darin suchte, aber nicht wahre Minne nach Gottes Lob. Und da gab sie es Gott so ganz auf, dass sie es von Gott nun und nimmermehr begehren wollte, und es reute sie, dass sie es je getan; und also lebte sie danach, dass sie hatte Saures und Süßes, wie Gott wollte.

Und nach ihrem seligen Leben, in dem sie oft gelebt hatte mit verlangendem Herzen nach dem ewigen Gut, das ihr Geist gefunden hatte, nahm sie unser Herr aus diesem Elend, damit sie es in der Ewigkeit völlig genieße, ohne Ende. Dazu helf uns Gott allen durch die Liebe seiner Kinder und unserer geminnten Schwestern. Amen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben