Von der seligen Schwester Ita von Sulz

Wir hatten auch eine gar selige Schwester, die hieß Schwester Ita von Sulz und war eine Witwe, als sie hereinkam. Und da sie noch in der Welt war, da übte sie sich außer in anderen Tugenden sonderlich darin, dass sie armen Leuten so gerne gab, was sie in ihrem Haus hatte. Da sie einmal etwas nehmen wollte, um es mit Gott zu geben, da saß der böse Geist vor ihr und wehrte es ihr heftig, dass die nicht so übermäßig hergäbe. Und als sie den Gedanken fasste, dass sie in dies Kloster gehen wolle, da hätte er die auch gerne abgehalten und machte sich ihrem Beichtvater gleich; der war ein guter Mann, ein Barfüßer, und riet ihr mit ganzer Kraft, dass die nicht ins Kloster sollte, und hielt ihr die viele Mühsal vor, die auf sie fallen würde durch den Mangel, den sie leiden müsste; und dass sie in Ungeduld geraten und trage zum Gottesdienst werden würde, wenn sie selber die Last haben müsste, die jetzt ihre Mägde trügen. Doch die verschmähte ihn und seinen Rat gänzlich und verzichtete für Gott auf alles, was die hatte, und kam in dies Kloster und lebte in williger Armut und war eines strengen, heiligen Lebens bis an ihr Ende. Und wie die zuvor nach der Welt Sitten in Gemächlichkeit des Leibes gelebt hatte, also lebte sie hier im Kloster mit besonderer Strenge. Und im großen Ernst, den die hatte, genügte ihr die Strenge des Ordens nicht; wie sie z. B. die stete Gewohnheit hatte, dass sie kaltes Wasser in die Speise schüttete, bevor sie aß; und davon wurde etliche Speise so unlustsam zu sehen und auch zu essen. Sie übte sich auch ausnehmend in besonderer Andacht und dadurch ward sie auch würdig, dass ihr unser Herr seine Gnade auf manche Weise erzeigte.

Besonders war sie so demütiglich gehorsam. Und zu der Zeit, da der Chorraum so gar eng war, da hieß die Priorin sie aus ihrem Stuhl gehen und gab ihr eine Stelle hinter dem Altar. Und hiedurch ward sie sehr angefochten, so dass sie sprach, es wäre ihr das ärger, als da sie von Haus und Hof ging; und war dennoch so gehorsam, dass sie nie ein Wort dawider redete. Und da tat ihr unser Herr so liebreich hinter dem Altar, dass es sie manchmal dünkte, der Chor wäre so voll süßen Duftes, dass sie es keinen leiblichen Dingen vergleichen konnte. Zuweilen sah sie auch den Chor so voll Lichtes, dass sie darob in eine große Verwunderung kam.


Man hatte sie einst zur Kellerin eingesetzt und darüber wurde sie gar betrübt; denn sie fürchtete, dass sie durch die Geschäftigkeit in der Andacht beirrt würde. Und da ging sie in den Chorraum und klagte es unserm Herrn. Da tröstete er sie gar lieblich und sprach zu ihr: „Man findet mich an allen Stätten und in allen Dingen.“ Und hievon wurde sie gar wohl getröstet und empfing das Amt freundlich und unser Herr war ihr so vertraut und tat ihr so gütlich, als er nur je getan. Sie sah auch einmal unsern Herrn, wie er als Kindlein war und zu den Schwestern im Chor ging, und wenn sie sich neigten, so umfing er sie, und welche sich nicht tief neigte, an der ging er vorüber, als ob er nicht nach ihr verlangte. Sie sah auch einmal, dass unsere Frau in dem Chor gar schön und wonniglich umherging und die zwei Schwestern besprengte, die dignare sangen, und danach alle die Schwestern, die in dem Chor waren, und stand dann zwischen den Schwestern, die dignare sangen, bis man die Kollekte sang: „Concede nos.“ Sie sah auch einmal den Konvent in so großer Lauterkeit, dass jegliche Schwester von dem Herrn durchleuchtet wurde als wie ein Kristall. Und dadurch empfing die großen Trost und gewann neue Liebe zu jeder Schwester besonders und bat unsern Herrn, dass er dem Kloster oft so sonderliche Gnaden täte.

Sie hatte auch die elftausend Jungfrauen gar lieb. Nun hatte ein Vorsteher der Ordensprovinz geboten, dass wir von ihnen nicht sängen, so wie wir die Gewohnheit gehabt. Und als es einst an ihrem Tag zur Mette war und das zweite Zeichen geläutet wurde, da sah sie, dass Sankt Ursula mit allen ihren Mägden in den Chor ging, und waren alle herrlich und wohlbekleidet; und da man die Mette anfing und man nicht von ihnen sang, da kehrten die sich gar unwillig um und gingen hinaus. Danach unterließen wir nie ihren Dienst.

Dann, als unser Herr die von dieser Welt nehmen wollte, erschien ihr durch seine Fügung eine Seele, gar wonniglich und gar schön, nur dass die ein kleines schwarzes Flecklein am Fuß hatte, das war davon, dass die ihrem Engel nicht gedient hatte, und sagte ihr, dass die bald sterben sollte und mit ihr zum Himmelreich fahren. Und also starb sie kurz danach mit einem heiligen Ende.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben