Von der seligen Schwester Gertrud von Winterthur

Wir hatten auch eine tugendhafte, selige Schwester, die hieß Schwester Gertrud von Winterthur und war so barmherzig mit armen Leuten, dass sie mit Recht eine Mutter der Armen und ein besonderer Freund von unseres Herrn Freunden genannt wurde. Und was ihr auch gegeben ward, das gab sie alles gänzlich den Armen dahin, so dass es uns oft dünkte, ihr gebräche ihr Notdürftigstes. Sie dünkte sich selber unwürdig, den Armen fröhlich zu geben. Es dünkte die auch, dass es für die eine große Unehre gewesen wäre, wenn man nach ihrem Tode irgend etwas bei ihr gefunden hätte. Sie hatte so viele besondere Tugenden an sich, dass es zu lang würde, die aufzuschreiben. Namentlich hielt die das Gloria patri in so großen Ehren: wo immer im Kloster sie war, so sie es las oder lesen hörte, neigte die sich.

Sie sah auch oft gar schöne und wunderbare Gesichte. Besonders einmal, am Karfreitag, da las die mit dem Konvent den Psalter, und es wurde Licht vor ihren Augen, kaum ein Ave Maria lang, und es dünkte die, dass ein schöner, hoher Herr das Refektorium hinaufging, und sein Leib war voller Wunden und war über und über von Blut überronnen und das war ein gar erbarmungswürdiger Anblick. Und so ging er hinauf und stellte sich vor die Schwestern, die den Psalter in Gemeinschaft lasen, und sprach gar sanftmütig: „Mit diesem Gebete werden meine Wunden geheilt.“ Aber etliche Schwestern lasen nicht mit der Gemeinschaft, zu ihnen tat er nicht desgleichen. Da verstand sie, wie lieb und wert ihm das Gebet in Gemeinschaft ist.


Diese selige Schwester hat so voll Süße gelebt, dass zu ihrem Begräbnis eine große Klage war; und man fand nichts hinter ihr, als sie starb; denn sie gehörte zu den Armen und dadurch war sie vor Gott reicher, als wenn sie ein Königreich zum Vermächtnis für ihr Seelenheil gegeben hätte.

Damit auch der


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben