Von der seligen Schwester Elsbeth von Cellinkon

Die selige Schwester Elsbeth von Cellinkon kam in dies Kloster, da sie sechs Jahre alt war, und sie sagte der Schwester, die dies schrieb, dass es damals wohl an dreißig Jahre war, dass der Orden bestätigt worden, und dieses Kloster hie zu Töß wohl achtzehn Jahre gestanden wäre. Und wie sie im Orden alt geworden war, so hatte sie das an sich, das jetzt leider vielen von uns, die im geistlichen Leben sind, alt und verworfen gilt, aber den Menschen, der es an sich hat, Gott sehr genehm macht; das war dies: sie war eine Minnerin der Strenge und der Arbeit, der Leibesarmut und des Elends und gar gering und klein geachtet in der Leute Augen. Die Art dieser Tugend hatte sie an sich.

In großer Strenge ward sie in ihrer Jugend erzogen und in solcher Armut, dass uns gesagt wurde: als sie sehr jung war, musste sie oft zum Refektorium gehen und hatte nichts, um zu bezahlen, wenn man den andern Kindern etwas kaufte. Danach, als sie älter wurde, legte der Herr große Krankheit auf sie, so dass sie oft dachte, sie würde im Bett tot gefunden werden; und in dieser und in vielen andern Krankheiten war sie meist ohne Liebe, weil Gott sie für sich selber allein haben wollte. Sie war auch so fremd, dass sie nicht einen einzigen Menschen wußte, der sie anhörte. Sie sagte uns selber, dass sie mehr als fünfzig Jahre wurde, ohne dass sie je zum Fenster oder zur Pforte gefordert wurde. Sie war auch so arm, dass sie selten etwas hatte, außer was ihr die Leute um Gott gaben.


Sie hatte große Minne zu der Armut; sie hatte sonst genug gewonnen; denn sie konnte gar wohl schreiben und schrieb gern gute Dinge und begehrte keines zeitlichen Lohnes dafür; wenn ihr aber etwas dafür ward, so gab sie alles für Bilder in dem Chor, damit der Konvent gemeinsam dadurch getröstet würde. Und sonderlich stiftete sie das große Kruzifix, das wir haben, in großer Andacht; und hatte auch viel Beschwerde damit, und es ward ihr übers Meer das Maß gebracht nach der Länge, wie das unseres Herrn war, und liegen in diesem Kreuz dreißig Stück Reliquien. Dieselbe Mildigkeit folgte ihr ins Alter nach. So sie etwann nichts als Pfennige hatte, so gab sie deren zwei oder drei, und manchmal, wenn sie nicht mehr als einen hatte, gab sie den durch Gott. Es ging einmal eine Schwester im Kloster umher und bat für einen armen Menschen um Almosen. Da hatte sie keinen Pfennig und zog ein Tüchlein vom Haupt und sprach: „Nimm hin, das ist wohl eines Pfennigs wert.“

Sie war auch einstmals gar krank; da fragte sie die Schwester, die dies alles von ihr schrieb, wie ihr wäre. Da sprach sie kläglich: „Ich sorge, dass ich dieses Siechtum verschuldet habe.“ Da sprach die Schwester: „Liebe, womit?“ Da sprach sie: „Mich bat ein armer Mensch, dass ich ihm ein Tüchlein gäbe; das wollte ich nicht tun; denn ich hatte so wenige und hatte ihm auch zuvor schon eines gegeben.“ Ihr war es so fröhlich, von sich zu geben, was sie hatte, war aber gegen sich selber gar karg, sogar im Allernotdürftigsten. Sie wandte ihrem Leib wenig Weichlichkeit und Sorge zu und war doch oft krank, ja sogar siech. Sie sagte einer Schwester, sie wüsste nicht, dass sie je ein Huhn gekauft hätte oder andern Wein als der Konvent trank, wie krank sie immer war. So es ihr die Leute um Gottes willen gaben, nahm sie es gar dankbarlich und aß es; und etwann, wenn sie so gar krank war, kaufte ihr sie Siechenmeisterin Hühner und dann meinte sie, die waren ihr durch Gott gegeben. Wenn man sie manchmal fragte, ob sie irgendeine Speise essen wollte, so sprach sie: „Ich soll es nicht essen; es ist mir zu schwer.“ Eine Schwester fragte sie einst, was sie in dem Siechenhaus esse, wenn man ihr nichts vom Allgemeinen gäbe, weil sie für sich selber so wenig forderte. Da sprach sie gar verlegen: „Ich esse viel wunder gern Brot.“

Sie war auch eines mitleidenden Herzens und voll tröstlicher Worte gegen die Schwestern, die in Leiden waren, und sprach etwa: „Gott tut es dir zu herzlieb, wie seinen auserwählten Kindern.“ Sie kam einst zu einer Schwester, die eine verachtete und widerwärtige Krankheit hatte, und sprach zu ihr: „Mir ist gewiss, wie ich es vor Gott gesehen und auch gehört habe, dass er dir dies Leiden darum gegeben hat, damit du ihm nicht entrinnst und sein ledig Eigen seiest“, und sprach diese Worte so sicherlich und eifrig, dass die Schwester wohl dadurch getröstet wurde. Ihr war gar unleidig, wenn sie hörte, dass ein Mensch bei unserm Herrn eine Anwartschaft haben wollte auf irgendeinen Lohn seiner guten Werke, und sie sprach dann: „Du solltest es Gott zu herzlieb tun.“ Sie konnte anderer Leute gute Werke und Tugenden gar hoch wägen, was aber sie Gutes tat, das achtete sie gar klein. Sie hasste alle Wollust und leibliche Gemächlichkeit und minnte Gott von Herzen. Eine Schwester war einmal gegen sie in schwerer Schuld; da sprach sie: „Ich habe alle meine Tage begehrt, dass ich solche Buße unverschuldet tragen dürfe.“

Sie hatte auch vor andern Tugenden im Gehorsam so großen Eifer, in allen Stücken des Ordens und besonders zu den Zeiten, wo sie in den Chor ging. Selbst wie sie ganz alt und krank war, ging sie alle Tage zur Mette. Da sie bei neunzig Jahren war und in dem Siechenhaus lag, da wäre sie ungern im kalten Winter oder im Sommer zur Mette vom Chor weggeblieben. Und weil sie aus Alter wenig sah und hörte, so stieß sie sich etwann, so dass sie sich sehr verlebte, und verirrte sich oft, dass sie nicht wusste, wo sie war, und ließ doch darum nicht ab, sie wollte alle Tage zur Mette gehen. Und kürzlich, ehe sie in das Totenbett kam, bat sie eine Schwester, dass sie ihr alle Tage sage, wenn man zur Mette läute, weil sie nicht gut hörte. Das vergaß die Schwester einmal, bis die Mette gesungen wurde, und als sie dann in den Chor kam, da gehabte sie sich so kläglich, dass wir sie nicht trösten konnten und wollte auch fürder nicht zur Ruhe gehen. Ihre Gewohnheit war, dass sie oft vor der Mette aufstand und gleich in den Chor ging, wenn man das erste Zeichen läutete. Und es sagte uns einst eine Schwester, die auch gewöhnlich, wenn man das erste Zeichen läutete, in den Chor ging, dass sie einst im Advent in den Chor kam, da war dieser so voll guten Duftes, wie im Sommer die Rosen riechen, wenn ihrer viele an einer Stelle blühen. Also ging sie in dem Chor hin und her und wunderte sich, was es sein möchte, und als sie vor Schwester Elsbeths Stuhl kam, da war der Duft so stark, dass sie sicher war, dass er von ihr kam, und es war auch niemand sonst in dem Chor. — Uns sagte auch eine tugendhafte Schwester Gepe selig von Tetingen, dass ihr die selige Schwester Mechtild von Konstanz erzählt hätte, sie habe einmal in der Nacht die selbe Schwester Elsbeth vor ihrem Bett stehen sehen und ihr Leib war so durchleuchtet, dass ein wonniglicher Schein von ihr ging und dass keine Stelle im Schlafraum war, wo man nicht genug gesehen hatte, um eine Nadel vom Erdboden aufzuheben.

Als sie nun durch Alter und Krankheit so sehr abzunehmen begann, da bat sie die selige Schwester Elsbeth Stagel, die dies alles von ihr schrieb, wenn sie sähe, dass sie jemand zu sich ins Gemach ließe oder mit jemand etwas zu reden begänne, was nicht von Gott wäre, dann möge sie sie ermahnen. Konnte sie aber nicht bei ihr bleiben, so ging sie schnell mit ihr von dannen. Wenn sie auch siech war und nur ein wenig wieder zu Kräften kam, eilte sie alsbald in den Chor und in das Refektorium.

Wie sie dann aber so krank war, dass es uns wunder nahm, wie sie es erleiden mochte — was da diese Schwester noch an guten Werken vollbrachte! Dazu musste wohl die göttliche Minne ihre Helferin sein! Denn sie hatte ein kleines, kurzes Leiblein wie ein Kind und es hing ihr viele Jahre das Haupt so herab, dass es den Achseln gleich stand. Sie hatte auch viel sonderliche Neigung zu unseres Herrn Marter und sprach: „Unser Herr kannte recht kein Maß; wir aber bleiben gar weit unserm Maß; wir berühren kaum ein Zipfelchen des Maßes.“ Sie tat auch emsiglich große Gebete zu unseres Herrn Marter. Und als sie so alt wurde, daß man ihr Haupt kaum mehr über den Achseln sehen konnte, sprach sie manchen Tages gar oft fünf miserere in Kreuzes Stellung. Und wenn wir etwa sprachen, wir könnten kaum so strenge Gebete tun, so sprach sie: „Ihr sollt an mir altem Stock sehen, was ich aushalten kann; versuchtet ihr's auch, unser Herr käme euch darin zu Hilfe.“ Und die Andacht und die Minne, die sie zu unseres Herrn Marter hatte, die zeigte sie in ihrer letzten Zeit. Denn wie sie jetzt sterben wollte, es war an einem Karfreitag, da waren etliche Schwestern bei ihr, während man im Chor den Gottesdienst beging, und es los ihr die selige und tugendhafte Gräfin Schwester Adelheid von Neuenbürg die Passion Sankt Johannes vor. Das verstand sie gar wohl, und als sie die Worte las, wie unser Herr seinen Geist seinem himmlischen Vater aufgab, da spannte sie die Arme in Kreuzesform auseinander, ob sie auch vielleicht kaum eine Stunde noch lebte. Sie freute sich an ihres Mitmenschen Tugenden und gutem Leben; wenn sie eine junge Schwester sah, die sich fleißig und ernstlich zum Orden und zum Gebet hielt, so gewann sie so großen Trost dadurch und ward ihr so hold und freute sich dessen so begierlich; denn sie minnte Gottes Lob und geistlich Leben von Herzen, und es tat ihr viel wunder weh, wenn sie etwas Unordensgemäßes sah oder wenn irgendeine unter uns sich widersetzte, was bis dahin nicht gewöhnlich war. Darüber klagte sie gar herzlich; denn sie wusste wohl, in welch großer Beflissenheit und Andacht die Schwestern im Beginn des Ordens waren und dass sie wenig nach ihrem Nutzen oder ihrer Gemächlichkeit trachteten, nur Gott fröhlich dienten, doch in Armut und in Mangel, und wahrnahmen, wie der Orden und die Gesetze strenge von ihnen allen gehalten wurde, so dass etliche unter ihnen waren, die sprachen: eher dass sie den Orden übertreten sehen wollten und dazu schwiegen, eher wollten sie ihr Leben verlieren.

Als diese selige Schwester nun ins Alter kam, wohl an die neunzig Jahre oder darüber, da wurde sie recht wie ein Kind von drei Jahren und konnte nicht gehen und konnte noch mochte nicht reden und erkannte auch wenig Schwestern. Und was doch von Gott eine wunderliche Gnade war: so man ihr etwas von Gott sagte oder las, so tat sie so begierlich danach und hob sich recht aus dem Bett auf, damit sie der Schwester näher kommen könnte; und wenn die Schwester nicht mehr las, so rief sie verlangend: „Mehr, mehr!“ Auch wenn man ihr die Festtage vorsagte und sie dann fragte, was man zu einem jeglichen beginge, so konnte sie es wohl zeigen oder sagen. Sie sprach auch oft begierlich das Ave Maria und wenn sie an das Wort Jesus kam, so rief sie etwann oft: „Jesus, Jesus!“ Eine Schwester zeigte auch einst zum Herzen und sprach: „Du solltest dem Jesulein gütlich tun; es liegt ja da in dem Herzen.“ Da fing sie die Gewohnheit an, dass sie von da an oft ihre Arme begierlich über ihr Herz drückte, recht als ob sie ihn leiblich umfinge; und es dünkte uns oft, dass ihr Gott so nah wäre und mehr mit ihr zu tun hatte, als wie sie noch alle ihre Vernunft gehabt, obwohl wir auch in der Zeit, wo sie alle ihre Sinne hatte, viel gutes Vorbild von ihr nahmen; da redete sie oft begierlich von dem Erbarmen, das unser Herr am Karfreitag dem Schächer am Kreuz und allen Christenmenschen erzeigt hatte, und wie die edle Seele unseres lieben Herrn Jesu Christi in die Vorhölle kam, welch groß Wunder von Freuden da ward; dabei war ihr über die Maßen begierlich zumute. Und nun fügte es ihr der barmherzige Gott, wie die allwegen besondere Andacht zu diesem Tag und zu dieser Stunde gehabt, dass sie an dem heiligen Karfreitag zu Mittag starb; also, wie die Prediger bemerkten und aussprachen, wäre es wohl zu derselben Stunde gewesen, da unser Herr am Kreuz verschied; und sie wollten bestimmt dafür halten, dass ihre Seele ohne Vermittlung in die Beschauung Gottes kam. Und wie sie in ihrem Leben oft ohne die Liebe der Leute gewesen war, so war sie es auch am Tag ihres Todes, woran leider die Schwester schuldig war, die dies von ihr geschrieben hat. Die war damals ihre Dienerin und wusste nicht, dass sie kränker war als zu andern Zeiten, und ließ sie allein liegen, bis sie fast den Psalter mit dem Konvent ausgelesen hatte; dann kam sie zu ihr und hob sie auf und legte sie wieder nieder und gab ihr zu essen, wobei sie fast kein Verständnis an ihr wahrnahm, bis sie jetzt begann dahinzuziehen; da wurde sie so besonnen und wohlhörend, dass sie, wenn sie ihr von Gott redete, sich tief neigte. Und sie gab ihr auch zu verstehen, dass sie gern ihre Mühsal und den Tod leiden wollte, unserem Herrn zu Lob, wie er auch an diesem Tage starb um das Heil alles menschlichen Geschlechtes. Und spannte ihre Arme aus, wie es vom beschrieben steht; und weil sie dem Tod so nahe war, so konnte man wohl merken, dass es eine sonderliche Gnade von Gott war, da sie ja zuvor oft wenig rechten Verstand gehabt hatte. Hierum sei gelobt der milde Gott, der die Geduld der Armen nicht läßt zunichte werden, sondern sie aufwieget mit ewigem Lohn.

Dass ihre Seele aber allsogleich vor die Beschauung Gottes kam, als sie von dieser Welt schied, das ward einer Schwester in solcher Weise bezeigt, dass sie nicht Zweifel daran haben wollte. Deo gratias!



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben